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BVerwG - Entscheidung vom 19.10.2006

9 B 11.06

BVerwG, Beschluss vom 19.10.2006 - Aktenzeichen 9 B 11.06

DRsp Nr. 2006/28542

Gründe:

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Die begehrte Zulassung der Revision unter dem Gesichtspunkt der grundsätzlichen Bedeutung der Sache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ) kommt nicht in Betracht. Das würde voraussetzen, dass in dem angestrebten Revisionsverfahren voraussichtlich eine Vorschrift des Bundesrechts zur Anwendung käme, die eine klärungsbedürftige Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft, die über den konkreten Einzelfall hinausreicht. Die Beschwerde will (sinngemäß) geklärt wissen,

ob es bei der Erhebung einer Vorausleistung auf den künftigen Erschließungsbeitrag mit Rücksicht auf den Grundsatz der Einheit des Verwaltungsverfahrens an der Voraussetzung des Nichtentstandenseins einer endgültigen sachlichen Erschließungsbeitragspflicht für das betreffende Grundstück fehlt, wenn die endgültige Beitragspflicht zwar noch nicht bei Erlass des Vorausleistungsbescheides, aber vor Abschluss eines Widerspruchsverfahrens entstanden ist.

Eine Klärung dieser Frage wäre in dem angestrebten Revisionsverfahren schon deshalb nicht zu erwarten, weil die in der Frage aufgeworfene Differenzierung von tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, die das Berufungsgericht nicht festgestellt hat. Grundsätzliche Bedeutung kann jedoch nur solchen Fragen zukommen, die sich in einem Revisionsverfahren voraussichtlich stellen würden. Daran fehlt es, wenn die Vorinstanz Tatsachen, die vorliegen müssten, damit sich die mit der Nichtzulassungsbeschwerde angesprochene Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren stellen würde, nicht festgestellt hat (vgl. etwa Beschluss vom 30. Juni 1992 - BVerwG 5 B 99.92 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 309 S. 43). So liegt der vorliegende Fall. Die Beschwerde unterstellt, dass im Streitfall die endgültige Beitragspflicht für das Grundstück des Klägers vor Abschluss des Widerspruchsverfahrens entstanden sei. Dazu fehlt es indes an entsprechenden Feststellungen des Berufungsgerichts. Das Berufungsgericht hat lediglich festgestellt, dass der streitbefangene Abschnitt der Langfeldstraße zu diesem Zeitpunkt aufgrund der Ende des Jahres 1996 durchgeführten Erneuerung des bislang unzureichend ausgebauten Teilbereichs Ende 1996 technisch endgültig hergestellt gewesen sei (UA S. 10). Ob die weiteren Voraussetzungen für die Entstehung der endgültigen Beitragspflicht vor Abschluss des Widerspruchsverfahrens vorlagen, hat es jedoch ausdrücklich offen gelassen.

2. Der Revisionszulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ) ist ebenfalls nicht gegeben. Dies wäre nur dann der Fall, wenn das Berufungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift sich mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz zu einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (oder eines anderen in der Vorschrift genannten Divergenzgerichts) aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Widerspruch gesetzt hat; die Beschwerdebegründung muss darlegen, dass und inwiefern dies der Fall ist (vgl. Beschluss 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 >n.F.< VwGO Nr. 26 S. 13 >14<). Da die Divergenzrüge ein Unterfall der Grundsatzrüge ist (vgl. Beschluss vom 26. Juni 1995 - BVerwG 8 B 44.95 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO Nr. 2 S. 2), kommt eine Zulassung wegen Divergenz nicht in Betracht, wenn die behauptete Abweichung eine Vorschrift des nichtrevisiblen Rechts betrifft, und zwar - vorbehaltlich des Sonderfalls des § 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO - auch dann nicht, wenn dieses mit dem revisiblen Recht inhaltsgleich ist (vgl. Beschluss vom 16. Februar 1976 - BVerwG 7 B 18.76 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 143 S. 23 >24<; Pietzner, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO , § 132 Rn. 61).

Die Beschwerde sieht eine Abweichung von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts darin, dass das Berufungsgericht die in diesen Entscheidungen "beschriebene Wirkung des Grundsatzes der Einheit des Verwaltungsverfahrens in Abrede gestellt" und deshalb nicht auf den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides abgestellt habe. Damit bezieht sie sich auf den in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten Rechtssatz, dass für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines erschließungsbeitragsrechtlichen Heranziehungsbescheides wegen der Einheit des Verwaltungsverfahrens mit Rücksicht auf die Maßgeblichkeit des ursprünglichen Verwaltungsakts in der durch den Widerspruchsbescheid erlangten Gestalt (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ) bei Anfechtungsklagen auf den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides abzustellen sei (zu Vorausleistungsbescheiden vgl. Urteile vom 23. Mai 1975 - BVerwG 4 C 73.73 - BVerwGE 48, 247 >249 f.< und vom 26. Februar 1992 - BVerwG 8 C 24.90 - Buchholz 406.11 § 127 BBauG/BauGB Nr. 63 S. 70). Einen abstrakten Rechtssatz, mit dem sich das Berufungsgericht im angefochtenen Urteil hierzu in Widerspruch gesetzt haben soll, benennt die Beschwerde jedoch nicht. Die Rüge, das Berufungsgericht habe die Maßgeblichkeit des Zeitpunkts des Widerspruchsbescheides für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Vorausleistungsbescheides "in Abrede gestellt", kann sich nur auf die im angefochtenen Urteil geäußerte Auffassung beziehen, es könne dahinstehen, ob die endgültige Beitragsforderung noch vor Ergehen des Widerspruchsbescheides am 18. Januar 1999 entstanden sei, "da die Vorausleistungspflicht mit Erlass des Ausgangsbescheids entsteht". Damit wird jedoch nur dargetan, dass das Berufungsgericht es versäumt habe, den genannten Rechtssatz aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im vorliegenden Fall folgerichtig anzuwenden, nämlich auch auf die Tatbestandsvoraussetzung "für das eine Beitragspflicht noch nicht oder nicht in vollem Umfang entstanden ist" in § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB zu erstrecken. Eine solche Rüge fehlerhafter Rechtsanwendung im Einzelfall reicht zur Darlegung einer Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht aus (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 12. Dezember 1991 - BVerwG 5 B 68.91 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 302 S. 36 und vom 10. Juli 1995 - BVerwG 9 B 18.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 264 S. 13 >14<).

Abgesehen davon sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts maßgeblich für die Entscheidung eines Gerichts die Vorschriften des materiellen Rechts, die sich im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung für die Beurteilung des Klagebegehrens Geltung beimessen. Das materielle Recht, hier also das Erschließungsbeitragsrecht, beantwortet auch die Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt, auf den das Gericht dabei abzustellen hat (stRspr, vgl. Urteile vom 25. November 1981 - BVerwG 8 C 14.81 - BVerwGE 64, 218 >222<, vom 1. Dezember 1989 - BVerwG 8 C 17.87 - BVerwGE 84, 157 >160 f.<, vom 3. November 1994 - BVerwG 3 C 17.92 - BVerwGE 97, 79 >81 f.< und vom 20. März 1996 - BVerwG 6 C 4.95 - BVerwGE 100, 346 >347 f.<; ferner Eyermann/J. Schmidt, VwGO , 12. Aufl. 2006, § 133 Rn. 45 ff. m.w.N.).

Danach hat der Verwaltungsgerichtshof im Streitfall in Anwendung von bayerischem Landesrecht entschieden, also aufgrund irrevisiblen Rechts. Nach der vom Verwaltungsgerichtshof vertretenen und für den Senat gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO maßgebenden Auslegung des Art. 5a BayKAG in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 27. Dezember 1996 (GVBl S. 541) hat der bayerische Landesgesetzgeber durch diese Vorschrift die §§ 127 bis 135 BauGB in bayerisches Landesrecht überführt (vgl. VGH München, Beschluss vom 26. April 2002 - 6 B 99.44 - BayVBl. 2003, 21). Das erwähnte Änderungsgesetz ist nach seinem § 3 am 1. Januar 1997 in Kraft getreten. Darüber hinaus soll diese Rechtsänderung mit Rückwirkung für ab dem 15. November 1994 entstandene Erschließungsbeiträge gelten, wenn der Beitragsbescheid zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes noch nicht unanfechtbar war (§ 2 des Änderungsgesetzes). Dies waren die Vorschriften des materiellen Rechts, die sich im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung für die Beantwortung der Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung des Klagebegehrens durch den Verwaltungsgerichtshof Geltung beimaßen. Auf ihrer Grundlage war also auch zu entscheiden, ob ein Entstehen der endgültigen Beitragspflicht in der Zeit zwischen Erlass des Ausgangsbescheides am 1. August 1996 und Ergehen des Widerspruchsbescheides am 18. Januar 1999 zur Rechtswidrigkeit des Vorausleistungsbescheides und deshalb zu einem Anspruch des Klägers auf dessen Aufhebung führen konnte. Für eine Divergenz der auf dieser Rechtsgrundlage ergangenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs zu den in Anwendung des bundesrechtlichen Erschließungsbeitragsrechts ergangenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts ist deshalb kein Raum.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO . Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 3, § 47 Abs. 1 bis 3 , § 72 Nr. 1 Halbs. 2 GKG .

Vorinstanz: VGH Bayern, vom 21.02.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 6 B 01.2539