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BVerwG - Entscheidung vom 20.06.2006

6 B 84.05

BVerwG, Beschluss vom 20.06.2006 - Aktenzeichen 6 B 84.05

DRsp Nr. 2006/20234

Gründe:

Die auf die Zulassungsgründe der Divergenz und des Verfahrensmangels gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist unzulässig und muss demgemäß verworfen werden. Denn in der Beschwerdebegründung wird weder der eine noch der andere Zulassungsgrund in der nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlichen Weise bezeichnet.

Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Wird lediglich eine fehlerhafte oder unterbliebene Anwendung von Rechtssätzen des Bundesverwaltungsgerichts aufgezeigt, genügt dies den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge nicht. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist nur dann bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird. Im Falle einer mehrfachen, die Entscheidung jeweils selbstständig tragenden Begründung des angefochtenen Urteils muss in Bezug auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht werden und vorliegen (zum Vorstehenden: Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 >n.F.< VwGO Nr. 26). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht.

1. Die Klägerin macht geltend, hinsichtlich ihrer vom Berufungsgericht in Abrede gestellten Eigenschaft als Religionsgemeinschaft weiche das angefochtene Urteil entscheidungserheblich von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Februar 2005 - BVerwG 6 C 2.04 - (BVerwGE 123, 49 ) ab bzw. subsumiere den vorliegenden Sachverhalt unzutreffend unter die Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts. So widme das Berufungsgericht den Umständen, unter denen ein sog. Dachverbandsmodell als Religionsgemeinschaft anzusehen sei, wenig bis keine Aufmerksamkeit und lasse insbesondere die notwendige ganzheitliche, auf die Gesamtorganisation der Klägerin abstellende Betrachtungsweise vermissen. Abweichend von den Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts verkenne das Berufungsgericht, dass im Falle der Klägerin die für die Identität einer Religionsgemeinschaft wesentliche Aufgabe der Interessenwahrnehmung und Koordinierung auf der Leitungsebene wahrgenommen werde. Damit zeigt die Beschwerde keine Divergenz im Sinne der gesetzlichen Anforderungen auf. Sie rügt lediglich - vermeintliche - Subsumtionsfehler des Berufungsgerichts, benennt aber keine die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssätze, mit denen sie sich zu abstrakten Rechtssätzen, die das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Februar 2005 tragen, in Widerspruch gesetzt hat.

2. Soweit dem Beschwerdevorbringen in Bezug auf die Feststellung des Berufungsgerichts, dass es sich bei der Klägerin nicht um eine Religionsgemeinschaft handelt, auch Verfahrensrügen zu entnehmen sein sollten, rechtfertigen sie die Zulassung der Revision ebenfalls nicht.

a) Die Beschwerde macht geltend, das Berufungsgericht habe Spekulationen darüber angestellt, ob einzelne ihrer auf der lokalen Ebene anzutreffenden Gruppierungen mehr den Charakter eines religiösen Interessenverbandes und weniger den einer Kultusgemeinde hätten; dieser Punkt sei aber weder im bisherigen Verfahren thematisiert worden, noch sei das Gericht in der Berufungsverhandlung auf ihn eingegangen. Soweit darin die Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt (§ 108 Abs. 2 VwGO ), führt diese schon deshalb nicht zum Erfolg, weil die Beschwerde nicht darlegt, was im Falle eines richterlichen Hinweises noch ergänzend vorgetragen worden wäre. Davon abgesehen liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs aber auch erkennbar nicht vor. Es kann unter dem Gesichtspunkt der Überraschungsentscheidung verletzt sein, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen war (Beschluss vom 25. Mai 2001 - BVerwG 4 B 81.00 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 34 ). Dies ist hier nicht der Fall. So hatte der Beklagte unter Berücksichtigung des Urteils des Senats vom 23. Februar 2005 mehrfach, zuletzt mit Schriftsatz vom 14. Juli 2005 (Bl. 704 ff. GA), darauf hingewiesen, dass durch den Zusammenschluss religiöser Vereine zu einem Dachverband keine Religionsgemeinschaft entstehen könne und dass dies auch dann gelte, wenn der Dachverband sowohl aus fachorientierten Vereinigungen als auch aus örtlichen Kultusgemeinden zusammengesetzt sei, diese aber den Dachverband nicht prägten; es sei nicht erkennbar, dass die Organisation des Klägers die daraus abzuleitenden Anforderungen erfülle. Der Kläger hatte darauf mit Schriftsatz vom 30. August 2005 (Bl. 769 ff. GA) u.a. erwidert, dass laut seiner Satzung juristische Personen, die keine Moscheevereine seien, nur außerordentliche Mitglieder werden könnten und somit keinen maßgeblichen Einfluss hätten. Dass das Berufungsgericht diesen kontrovers erörterten Gesichtspunkt aufgegriffen und zum Gegenstand seiner Entscheidungsfindung gemacht hat, war daher nicht überraschend.

b) Sollte die Beschwerde, indem sie in diesem Zusammenhang eine ihrer Meinung nach voreilige Verallgemeinerung von Erkenntnissen über eine bestimmte Ortsgruppe der Klägerin beanstandet und eine ins Einzelne gehende Prüfung vermisst, noch eine Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO ) erheben wollen, verfehlt sie auch insoweit die Anforderungen, die an eine ordnungsgemäße Darlegung zu stellen sind. Denn sie gibt nicht an, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung des Berufungsgerichts ermittlungsbedürftig gewesen wären, welche Beweismittel ihm zur Verfügung gestanden hätten und welches Ergebnis die Ermittlungen voraussichtlich gehabt hätten.

c) Die Beschwerde rügt, das Berufungsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass die religiöse Entscheidungskompetenz nicht beim Fiqh-Rat und der obersten Leitungsebene der Klägerin, sondern bei den Ortsgruppen, insbesondere bei den Imamen liege; es habe insoweit entweder den Sachvortrag der Klägerin nicht zur Kenntnis genommen oder die rechtlich gebotene Gesamtbetrachtung der Struktur der Gemeinschaft verfehlt. Damit wird eine Gehörsverletzung durch Übergehen von Sachvortrag schon deshalb nicht hinreichend dargelegt, weil die Beschwerde die betreffenden Ausführungen des Berufungsurteils nur alternativ darauf oder aber auf eine (ihrer Ansicht nach) unzutreffende Rechtsanwendung zurückführt.

3. Auf die weiteren Verfahrensrügen der Beschwerde, die sich nicht auf die Feststellung des Berufungsgerichts, dass die Klägerin keine Religionsgemeinschaft ist, sondern auf andere Feststellungen beziehen, braucht der Senat nicht einzugehen. Sie können die Zulassung der Revision schon deshalb nicht rechtfertigen, weil bereits die erstgenannte Feststellung das Berufungsurteil selbstständig trägt und Zulassungsgründe in Bezug auf sie, wie ausgeführt, nicht hinreichend dargelegt sind.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO , die Festsetzung des Streitwertes auf § 47 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG .

Vorinstanz: VGH Hessen, vom 14.09.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 7 UE 2223/04