Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BVerwG - Entscheidung vom 04.04.2006

6 B 49.05

BVerwG, Beschluss vom 04.04.2006 - Aktenzeichen 6 B 49.05

DRsp Nr. 2006/19265

Gründe:

I. Die auf die Grundsatz- (1.) und Verfahrensrüge (2.) gestützte Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.

1. Im Wege der Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ) halten die Klägerinnen für klärungsbedürftig, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 , Art. 2 Abs. 1 GG vorliegt, wenn eine anfänglich instanziell unzuständige Behörde ihre spätere Zuständigkeit durch den Erlass eines rechtswidrigen Verwaltungsakts begründet. Die Zuständigkeit des Landratsamtes zur Beschlagnahme setze gemäß § 67 Abs. 1 PolG BW voraus, dass Gefahr im Verzug sei und ein rechtzeitiges Tätigwerden der zuständigen Behörde nicht erreichbar sei. Allerdings seien gerade jene Umstände, welche die Notzuständigkeit nach § 67 Abs. 1 PolG BW begründeten, durch das Landratsamt K. selbst herbeigeführt worden, indem es - als unzuständige Behörde - gegen die Klägerinnen einen Platzverweis ausgesprochen und den Sofortvollzug angeordnet habe.

Dieses Vorbringen bleibt ohne Erfolg. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vermag die Nichtbeachtung von Bundesrecht bei der Auslegung und/oder Anwendung von Landesrecht die Zulassung der Revision allenfalls dann zu begründen, wenn die Auslegung der - gegenüber dem Landesrecht als korrigierender Maßstab angeführten - bundesrechtlichen Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (vgl. Beschlüsse vom 15. Dezember 1989 - BVerwG 7 B 177.89 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 277 und vom 1. September 1992 - BVerwG 11 B 24.92 - Buchholz 310 § 137 VwGO Nr. 171). Die angeblichen bundesrechtlichen Maßgaben, deren Tragweite und Klärungsbedürftigkeit im Hinblick auf die einschlägigen landesrechtlichen Regelungen sowie die Entscheidungserheblichkeit ihrer Klärung in dem anhängigen Verfahren sind in der Beschwerdebegründung darzulegen (vgl. Beschluss vom 19. Juli 1995 - BVerwG 6 NB 1.95 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 104). Es mag dahinstehen, ob das Vorbringen der Klägerinnen ausreicht, einen bundesrechtlichen Klärungsbedarf gemäß diesen Anforderungen darzutun.

Die Frage, die die Beschwerde aufwirft, rechtfertigt die Zulassung der Revision jedenfalls deshalb nicht, weil sie sich in einem Revisionsverfahren so nicht stellen würde. Die Beschwerde geht von einem Sachverhalt aus, den das Berufungsgericht in dieser Form nicht festgestellt hat. Nach ihrer Auffassung handelt die Polizei willkürlich, wenn diese "ohne zwingenden Grund rechtswidrig Umstände herbeiführt, die ihre Zuständigkeit für den Erlass eines späteren Verwaltungsakts begründen und gleichzeitig durch bewusst unklare Verwaltungsakte eine Situation schafft, die ihr eine Gefahrenprognose ermöglicht, welche sie zum Einschreiten berechtigt". Diese Beschreibung findet, bezogen auf den vorliegenden Fall, in dem Berufungsurteil keine Stütze. Das Berufungsgericht hat vielmehr festgestellt, der Zeitpunkt und der Ort des umstrittenen polizeilichen Einschreitens seien durch die polizeitaktische Erwägung bestimmt gewesen, die Fahrzeuge, soweit ihr Verbleiben im Landkreis K. nicht auszuschließen war, erst in räumlicher Entfernung vom Lagerplatz zu beschlagnahmen, um eine unter Umständen gewalttätige Solidarisierung durch dort anwesende Personen zu vermeiden. Ob unter diesen Umständen der durch die sachlich unzuständige Kreispolizeibehörde ausgesprochene und daher formell rechtswidrige Platzverweis die spätere Eilzuständigkeit (§ 67 Abs. 1 PolG BW) derselben Behörde für die Beschlagnahme unberührt ließ oder aber ausschloss, betrifft nur den Einzelfall und beurteilt sich zudem nach dem nicht revisiblen baden-württembergischen Landesrecht. Bei verfassungskonformer, das Rechtsstaatsprinzip und das Willkürverbot beachtender Auslegung der landesrechtlichen Norm mag die Polizeibehörde daran gehindert sein, die Voraussetzungen einer späteren Eilzuständigkeit aus sachfremden Beweggründen absichtlich selbst herbeizuführen. Soweit dieser Frage grundsätzliche Bedeutung zukommen sollte, wäre ihre Klärung unter den gegebenen Umständen in einem Revisionsverfahren aber nicht zu erwarten, weil nach den Sachverhaltsfeststellungen im Berufungsurteil von einem "unredlichen Erwerb der eigenen Rechtsstellung", wie er von den Klägerinnen in ihrer Grundsatzrüge vorausgesetzt wird, nicht die Rede sein kann. Allein die von den Klägerinnen hervorgehobene instanzielle Unzuständigkeit der Kreispolizeibehörde für den Platzverweis genügt für eine derartige Annahme offensichtlich nicht.

2. Mit der Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 1 Nr. 3 VwGO ) machen die Klägerinnen geltend, das Berufungsgericht habe ihren in der mündlichen Verhandlung gestellten ersten Beweisantrag zu Unrecht abgelehnt. Mit diesem Antrag hatten die Klägerinnen "zum Beweis der Tatsache, dass sich die Polizeikräfte gegenüber den Teilnehmern des Camps über die Duldung einer anderen Form des Zusammenkommens, jedoch nicht in der Form eines Zeltlagers, nicht eindeutig geäußert haben", die Vernehmung eines im Sitzungssaal anwesenden Zeugen begehrt. Die Klägerinnen meinen, die Vernehmung des Zeugen, der ein präsentes Beweismittel gewesen sei, habe nur unter den Voraussetzungen des § 245 Abs. 2 StPO abgelehnt werden dürfen. Diese Voraussetzungen hätten nicht vorgelegen. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts seien die unter Beweis gestellten Tatsachen auch nicht für die Entscheidung ohne Bedeutung gewesen. Der Beweisantrag habe nämlich auf den Inhalt der Gespräche zwischen den Klägerinnen und den Vertretern des Landratsamtes K. gezielt. Die Ablehnung des Beweisantrages mit der Begründung, ein Verständnis von einem "Zusammensein in anderer Form" habe aus der damaligen Perspektive fern gelegen, komme einer Beweisvereitelung gleich. Denn es sei durchaus möglich, jedenfalls nicht auszuschließen, dass sich aus den Aussagen des Zeugen Tatsachen ergeben hätten, die der Behörde ein anderes Verständnis hätten aufdrängen müssen. Nach der Behauptung des Beweisantrages sei Gegenstand der Gespräche zwischen den Klägerinnen und der Polizei gerade die Absicht gewesen, in einer anderen Form nochmals zusammenzukommen. Dann aber wäre die Behauptung der Klägerinnen, es habe der polizeilichen Prognose an einer ausreichenden Tatsachengrundlage gefehlt, möglicherweise begründet gewesen, weil der Befürchtung, es werde ein weiteres Zeltlager errichtet werden, der Boden entzogen gewesen wäre.

Die Verfahrensrüge bleibt ohne Erfolg, denn das Berufungsgericht hat den Beweisantrag ohne Rechtsfehler abgelehnt.

Die von § 86 Abs. 2 VwGO verlangte Förmlichkeit hat das Berufungsgericht eingehalten. Es hat ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung den schriftlich gestellten Beweisantrag beraten, ihn durch Beschluss zurückgewiesen und diesen auch begründet.

Auch der Sache nach ist die Ablehnung des Beweisantrages nicht zu beanstanden. Ausweislich der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils hat das Berufungsgericht von der beantragten Zeugenvernehmung abgesehen, weil es auf die unter Beweis gestellte Tatsache, dass sich die Polizeikräfte gegenüber den Teilnehmern des Lagers über die Duldung einer "anderen Form des Zusammenkommens" nicht eindeutig geäußert hätten, für die Entscheidung nicht ankomme. Denn aus der Sicht der Behörde sei die von den Klägerinnen erklärte Bereitschaft, die Lagerbewohner weiterhin zu unterstützen, auf die Errichtung eines neuen Lagers bezogen gewesen; auf die Möglichkeit eines anderen Verständnisses hätten die Klägerinnen die Behörde ausdrücklich hinweisen müssen. Auf der Grundlage dieser Auslegung, die für die revisionsrechtliche Prüfung des behaupteten Verfahrensmangels maßgeblich ist, hat das Berufungsgericht die in das Wissen des Zeugen gestellte Tatsache zu Recht als nicht entscheidungserheblich angesehen. Das Urteil ist nämlich auf die vom Einsatzleiter der Polizei bekundeten Angaben des Vertreters der Klägerinnen sowie die auf Seiten der Polizei daraus gezogenen Schlüsse gestützt und nicht auf die in das Wissen der Zeugen gestellten Angaben der Polizei gegenüber den Teilnehmern des Camps.

Ohne Erfolg wendet die Beschwerde dagegen ein, es sei durchaus möglich, jedenfalls nicht auszuschließen gewesen, dass sich aus den Aussagen des Zeugen Tatsachen ergeben hätten, die der Behörde ein anderes Verständnis von der Absicht der Klägerinnen hätte nahe legen müssen. Soweit sich der Antrag eines Prozessbeteiligten auf Zeugenvernehmung lediglich auf die Hoffnung gründet, die Beweiserhebung werde entscheidungserhebliche Tatsachen zu seinen Gunsten aufdecken, handelt es sich nicht um einen Beweisantrag im Sinne des § 86 Abs. 2 VwGO , sondern um einen Beweisermittlungsantrag; als solcher unterliegt er nicht den für einen Beweisantrag geltenden Ablehnungsgründen, sondern ist an den Anforderungen der Amtsermittlungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO zu messen (Beschlüsse vom 20. Mai 1998 - BVerwG 7 B 440.97 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 153 und vom 20. Juli 1998 - BVerwG 9 B 10.98 - Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 39 ). Auf einen möglichen Verstoß dagegen kann sich die Beschwerde aber schon deshalb nicht stützen, weil sie es an jedem Hinweis vermissen lässt, wieso sich unter dem von ihr genannten Gesichtspunkt die Zeugenvernehmung dem Berufungsgericht hätte aufdrängen müssen.

II. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 2 und § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO , diejenige über den Streitwert auf § 52 Abs. 2 GKG .

Vorinstanz: VGH Baden-Württemberg, vom 14.04.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 1 S 2362/04