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BVerwG - Entscheidung vom 11.05.2006

2 C 8.05

Fundstellen:
AuR 2007, 61

BVerwG, Beschluss vom 11.05.2006 - Aktenzeichen 2 C 8.05

DRsp Nr. 2006/19244

Gründe:

I

Die Klägerin steht als Lehrerin im Beamtenverhältnis zum Beklagten. Für die Zeit vom 15. Juli 1999 bis zum 29. Mai 2000 war ihr Teilzeitbeschäftigung im Umfang von 23 Unterrichtsstunden pro Woche bewilligt worden. Das Unterrichtsdeputat eines vollzeitbeschäftigten Lehrers betrug damals 26,5 Unterrichtsstunden. Zwischen dem 11. Januar und dem 23. Mai 2000 leistete die Klägerin in jedem Monat zwischen vier und sechs, insgesamt 27 Unterrichtsstunden Mehrarbeit. Ihren Antrag, ihr für diese 27 Unterrichtsstunden statt der gesetzlich vorgesehenen Mehrarbeitsvergütung nach der Mehrarbeitsvergütungsverordnung die höhere zeitanteilige Besoldung im Verhältnis von X : 26,5 zu gewähren, lehnte der Beklagte ab.

Die Klage hatte vor dem Verwaltungsgericht Erfolg. Das Gericht hat ausgeführt: Ein Anspruch der Klägerin auf Mehrarbeitsvergütung in Höhe der anteiligen Besoldung entsprechend ihrer Besoldungsgruppe A 13 BBesO ergebe sich unmittelbar aus Art. 141 Abs. 1 EG i.V.m. Art. 1 der Richtlinie 75/117 EG des Rates vom 10. Februar 1975. Knüpfe der Besoldungsgesetzgeber, wie bei Teilzeitbeschäftigten durch § 6 BBesG geschehen, die Besoldung abweichend vom Grundsatz der beamtenrechtlichen Alimentation an die Arbeitszeit, müsse die Mehrarbeit der Teilzeitbeschäftigten als weitere Arbeitszeit gewertet werden, sodass der Teilzeitbeschäftigte dafür den Betrag erhalten müsse, der bei einem Vollzeitbeschäftigten auf den entsprechenden Teil seiner regulären Arbeitszeit entfalle. Die demgegenüber geringere Vergütung der Mehrarbeit nach Maßgabe der Mehrarbeitsvergütungsverordnung sei eine mittelbare Diskriminierung der weiblichen Beschäftigten, denn von der Schlechterstellung seien ungleich mehr Frauen als Männer betroffen. Etwa 88 vom Hundert der Teilzeitbeschäftigten im Lehrerdienst des Beklagten seien im Frühjahr 2000 weiblichen Geschlechts gewesen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Sprungrevision des Beklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.

Er beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 2. Februar 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Das Verfahren ist in entsprechender Anwendung des § 94 VwGO auszusetzen und gemäß § 234 EG eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu der im Tenor wiedergegebenen Frage einzuholen.

Die Vorabentscheidung dieser Frage ist erforderlich. Für die Entscheidung des Rechtsstreits ist die Frage erheblich.

1. Das nationale Recht

Die Sprungrevision des Beklagten ist zulässig. Das Verwaltungsgericht hat sie in seinem Urteil zugelassen. Die Klägerin hat der Einlegung mit Schreiben vom 21. März 2005 zugestimmt. Der Revisionsschrift des Beklagten vom 30. März 2005 war die Zustimmungserklärung der Klägerin beigefügt.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf eine Vergütung für die Dienstleistung, die sie in der Zeit zwischen dem 11. Januar und dem 23. Mai 2000 über ihr Teilzeitdeputat hinaus erbracht hat.

Nach der durch das Gesetz vom 22. Juli 1999 (GVBl BE S. 422) nicht entscheidungserheblich geänderten Vorschrift des § 35 Abs. 2 Landesbeamtengesetz ( LBG BE) i.d. Neufassung vom 20. Februar 1979 (GVBl BE S. 368) ist der Beamte verpflichtet, ohne Vergütung über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit hinaus Dienst zu tun, wenn zwingende dienstliche Verhältnisse dies erfordern und die Mehrarbeit sich auf Ausnahmefälle beschränkt. Wird er durch eine dienstlich angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit mehr als fünf Stunden im Monat über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht, so ist ihm innerhalb von drei Monaten hierfür entsprechende Dienstbefreiung zu gewähren. Ist die Dienstbefreiung aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht möglich, können an ihrer Stelle Beamte in Besoldungsgruppen mit aufsteigenden Gehältern für einen Zeitraum bis zu 480 Stunden im Jahr eine Vergütung erhalten, § 35 Abs. 2 Satz 3 LBG BE. Wegen der Vergütung verweist die zuletzt genannte Vorschrift auf § 48 BBesG . Diese Bestimmung ermächtigt die Bundesregierung, durch Rechtsverordnung die Gewährung der Mehrarbeitsvergütung für Beamte zu regeln, soweit die Mehrarbeit nicht durch Dienstbefreiung ausgeglichen wird. Diese Regelung ist durch die Verordnung über die Gewährung von Mehrarbeitsvergütung für Beamte ( MVergV ) in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Dezember 1998 (BGBl I S. 3494) getroffen worden. In § 4 MVergV ist pro Stunde Mehrarbeit eine - nach der Besoldungsgruppe des Mehrarbeit Leistenden gestaffelte - Vergütung festgesetzt. § 5 Abs. 2 Nr. 1 MVergV bestimmt, dass bei Mehrarbeit im Schuldienst drei Unterrichtsstunden als fünf volle (Zeit-)Stunden gelten.

Alle gesetzlichen Voraussetzungen für einen Anspruch der Klägerin auf Mehrarbeitsvergütung sind erfüllt.

Die Klägerin gehört als Beamtin mit Dienstbezügen nach der Besoldungsgruppe A 13 BBesO , die als Lehrerin im Schuldienst tätig ist, zum Kreis der Beamten, denen nach § 2 MVergV eine Mehrarbeitsvergütung gewährt werden kann. Die Mehrarbeit der Klägerin ist vom zuständigen Schulrat genehmigt worden. Die zusätzlichen Unterrichtsstunden, in Mehrarbeitsstunden umgerechnet, übersteigen in jedem Kalendermonat zwischen Januar und Mai 2000 die Zahl der Mehrarbeitsstunden, die ohne Vergütung geleistet werden müssen. Die Klägerin hat in jedem Kalendermonat - umgerechnet auf Zeitstunden nach der Mehrarbeitsvergütungsverordnung - zwischen knapp sieben und zehn Stunden Mehrarbeit geleistet. Das ist deutlich mehr, als sie nach § 35 Abs. 2 Satz 2 LBG BE in der bei Teilzeitbeschäftigung gebotenen Auslegung (vgl. EuGH, Urteil vom 27. Mai 2004 - Rs C-285/02 - Slg. 2004, I-5861 = NVwZ 2004, 1103) vergütungsfrei zu leisten hat. Freizeitausgleich konnte ihr nicht gewährt werden.

Die Vergütung in Höhe von insgesamt 1 075,14 DM, die der Klägerin nach den Vorschriften der Mehrarbeitsvergütungsverordnung zusteht, ist geringer als der Teilbetrag der Dienstbezüge, der bei einem vollzeitbeschäftigten Lehrer auf eine entsprechende Zahl der - im Rahmen seines Vollzeitdeputats geleisteten - Arbeitsstunden entfiel. Dieser Betrag belief sich im Frühjahr 2000 auf 1 616,15 DM. Dies bedeutet, dass das Arbeitspensum, das die Klägerin zwischen Januar und Mai 2000 insgesamt und während dieser Zeit in jedem einzelnen Kalendermonat erbracht hat, aufgrund der Aufspaltung ihrer Rechtsposition in den Anspruch auf Teilzeitbesoldung nach § 6 BBesG und in den Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung nach der Mehrarbeitsvergütungsverordnung schlechter entgolten worden ist als das gleichgroße Arbeitspensum eines vollzeitbeschäftigten Lehrers, bei dem die der Klägerin als Mehrarbeit vergüteten Unterrichtsstunden Teil seines Vollzeitdeputats waren.

2. Gemeinschaftsrecht

Ob die niedrigere Vergütung der Dienststunden, die teilzeitbeschäftigte Lehrer als Mehrarbeitsstunden leisten, im Vergleich zu der anteiligen Besoldung, die vollzeitbeschäftigte Lehrer für die gleiche Zeit von Dienststunden innerhalb ihrer regulären Arbeitszeit erhalten, eine nach Gemeinschaftsrecht unzulässige Diskriminierung der weiblichen Lehrer ist, hängt davon ab, ob Art. 141 Abs. 2 Satz 2 EG gebietet, dass die Mehrarbeitsstunde, die ein Teilzeitbeschäftigter bis zur geltenden Grenze der Vollzeitbeschäftigung leistet, nicht schlechter vergütet werden darf als der gleichlange Dienst, den ein Vollzeitbeschäftigter im Rahmen seiner regulären Arbeitszeit leistet.

Die Mehrarbeitsvergütung der Teilzeitbeschäftigten nach der Mehrarbeitsvergütungsverordnung ist, ebenso wie die Besoldung, die der vollzeitbeschäftigte Beamte erhält, Entgelt im Sinne des Art. 141 EG (EuGH, Urteil vom 27. Mai 2004 a.a.O. Rn. 14 m.w.N.).

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften ist der Grundsatz des gleichen Entgelts für jeden einzelnen Bestandteil des den männlichen oder weiblichen Arbeitnehmern gezahlten Entgelts und nicht umfassend für die Gesamtheit der diesen beiden Arbeitnehmergruppen gewährten Vergütung zu beachten (Urteil vom 17. Mai 1990 - Rs C-262/88 - Slg. 1990, I-1889 = NJW 1991, 2204 ; ebenso Urteil vom 26. Juni 2001 - Rs C-381/99 - Slg. 2001, I-4961 = DVBl 2001, 1340 und Urteil vom 27. Mai 2004 a.a.O. Rn. 15). Dem Gebot, auf die Gleichheit des einzelnen Entgeltbestandteils abzustellen, wird nach dem Urteil vom 27. Mai 2004 (a.a.O.) dadurch Rechnung getragen, dass "die Entgelte für die Regelarbeitszeit und die Mehrarbeitsvergütungen gesondert zu vergleichen (sind)". Wenn die - anteilige - Besoldung für die Regelarbeitszeit und die Mehrarbeitsvergütungen gesondert zu vergleichen sind, so kann dies besagen, dass die Besoldungsbestandteile bei beiden Arbeitnehmergruppen miteinander zu vergleichen sind, also die Mehrarbeitsvergütung des Teilzeitbeschäftigten mit der anteiligen regulären Besoldung des Vollzeitbeschäftigten. Die Schlechterstellung der Teilzeitbeschäftigten, die das Ergebnis eines derartigen Vergleichs wäre, würde eine mittelbare Diskriminierung darstellen.

Von der Schlechterstellung bei der Bezahlung der Unterrichtsstunden, die über das Maß der jeweils gewählten Teilzeitbeschäftigung hinaus geleistet worden sind, waren erheblich mehr Frauen als Männer betroffen. Von den Lehrern, die in Berlin Dienst als Teilzeitbeschäftigte leisten, waren im Frühjahr 2000 etwa 88 vom Hundert Frauen. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die niedrigere Vergütung der Mehrarbeitsstunden auf Faktoren beruht, die objektiv gerechtfertigt sind und nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.

Ein gesonderter Vergleich von Mehrarbeitsvergütung und zeitanteiliger Besoldung wäre es aber auch, wenn die Mehrarbeitsvergütung, die die Teilzeitbeschäftigten erhalten, mit der Mehrarbeitsvergütung verglichen wird, die den Vollzeitbeschäftigten zusteht, und die gekürzte Besoldung der Teilzeitbeschäftigten mit der zeitanteiligen regulären Besoldung der Vollzeitbeschäftigten verglichen wird. Bei dieser Art von Vergleich ergäbe sich keine Schlechterstellung der Teilzeitbeschäftigten.

Fundstellen
AuR 2007, 61