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BVerwG - Entscheidung vom 23.05.2006

9 B 8.06

BVerwG, Beschluss vom 23.05.2006 - Aktenzeichen 9 B 8.06

DRsp Nr. 2006/19081

Gründe:

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Aus dem Beschwerdevorbringen ergeben sich die geltend gemachten Beschwerdegründe nicht.

1. Die Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ) greift nicht durch, weil das angefochtene Urteil auf dem sinngemäß gerügten Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG , § 108 Abs. 2 VwGO ) nicht beruht. In diesem Zusammenhang kann dahingestellt bleiben, ob in der unrichtigen Behandlung eines Antrags auf Tatbestandsberichtigung (§ 119 Abs. 1 VwGO ) ein mit der Verfahrensrüge geltend zu machender Verfahrensfehler liegen kann. Auch hierauf würde das angefochtene Urteil nämlich ggf. nicht beruhen.

Aus dem Beschluss vom 6. März 2006, mit dem die Vorinstanz den Antrag auf Tatbestandsberichtigung abgelehnt hat, ergibt sich, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung am 2. Februar 2006 - wie er mit seiner Beschwerde geltend macht - auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ( EGMR ) vom 16. November 2004 - 4143/02 - (NJW 2005, 3767) Bezug genommen hatte. Es trifft ebenso zu, dass diese Entscheidung, die sich mit der aus Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ( EMRK ) vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 685) herzuleitenden staatlichen Pflicht zum Schutz der Wohnung vor Lärm, der die Lärmschutzregeln missachtet, nicht in dem angefochtenen Urteil angesprochen wird. Dies rechtfertigt aber noch nicht den Vorwurf, das Urteil beruhe auf einem Gehörsverstoß.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt vom Gericht, den Sachvortrag der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 20. November 1995 - BVerwG 4 C 10.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 267 S. 22). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass dies bei der Entscheidungsfindung geschehen ist, und zwar auch dann, wenn einzelne Ausführungen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen nicht gewürdigt werden. Aus Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO folgt nämlich keine Pflicht des Gerichts, jedes Vorbringen im Einzelnen zu bescheiden (stRspr des Bundesverfassungsgerichts, vgl. etwa BVerfGE 86, 133 >146<; 87, 363 >392<). Das Gericht ist nicht verpflichtet, auf sämtliche Tatsachen und Rechtsansichten einzugehen, die im Laufe des Verfahrens von der einen oder anderen Seite zur Sprache gebracht worden sind (vgl. BVerfGE 96, 205 >217<). Um einen Verfahrensmangel anzunehmen, müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass der Sachvortrag eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen worden ist. Besondere Umstände dieser Art liegen nicht vor, wenn das Gericht Ausführungen eines Beteiligten unerwähnt lässt, die nach seinem Rechtsstandpunkt unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert sind (vgl. BVerfGE 70, 288 >293 f.<; ebenso Kammerbeschluss vom 6. August 2002 - 2 BvR 2357/00 - NVwZ-RR 2002, 802 >803<). Letzteres ist hier anzunehmen.

Die Vorinstanz hat in Anwendung der für den Lärmschutz gegenüber Verkehrsgeräuschen geltenden Vorschriften (§ 18 Abs. 1 Satz 2, § 20 Abs. 7 Satz 1 AEG , § 41 BImSchG , § 3 der 16. BImSchV mit Anlage 2 sowie Abschnitt 8.1 der Schall 03) eine Überschreitung der beim Schienenverkehr zulässigen Lärmpegel verneint (UA S. 13 - 17). Ebenso wenig hat die Vorinstanz dem klägerischen Vortrag einen Anhaltspunkt für eine durch den Haltepunkt verursachte Lärmbelastung entnehmen können, die einen Verstoß gegen grundrechtliche Schutzpflichten (Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 14 Abs. 1 GG ) verursachen könnte (UA S. 17). Auf dieser Grundlage scheidet zugleich aber auch ein Verstoß gegen Art. 8 EMRK aus. Die Beschwerde hat nicht dargelegt (vgl. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ), dass der Kläger in Anwendung dieser Vorschrift - so wie sie in dem zitierten Urteil ausgelegt wird - für seine Wohnung weitergehenden Lärmschutz beanspruchen kann.

2. Die Beschwerde kann auch nicht mit einer Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr.1 VwGO ) Erfolg haben. Mit bloßen Angriffen gegen die Rechtsauffassung der Vorinstanz kann die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache selbst dann nicht dargelegt werden (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ), wenn die Beschwerde zur Begründung ihrer abweichenden Auffassung sich auf Erwägungen zum Grundrechtsschutz sowie zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten beruft. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache ist nicht schon gegeben, wenn der Vorinstanz - wie die Beschwerde geltend macht - bei ihrer Rechtsanwendung Fehler unterlaufen sind. Grundsätzliche Bedeutung erlangt die Rechtssache vielmehr erst dann, wenn die Beschwerde eine höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung und die für die Revisionsentscheidung erheblich ist. Dem genügt es nicht, wenn die Beschwerde die von der Vorinstanz angenommene "Lärmneutralität" des genehmigten Vorhabens mit der Begründung in Zweifel zieht, es sei "hier ein Schallgutachten zu erstellen" gewesen, weil durch eine vermehrte Zugfolge eine Lärmerhöhung ausgelöst werden könne, wozu sich das Bundesverwaltungsgericht bislang nicht geäußert habe. Letzteres trifft im Übrigen nicht zu, weil die von der Vorinstanz herangezogene Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 20. Dezember 2000 - BVerwG 11 A 7.00 - NVwZ-RR 2001, 360) die Anlegung eines neuen Haltepunkts an einer Bestandsstrecke auch auf für den Fall einer gesteigerten Zugfrequenz als "lärmneutral" bewertet hat, wenn die Änderung des Betriebsprogramms nicht erst durch diese Baumaßnahme ermöglicht wurde. Dies ergibt sich daraus, dass sich ein Streckenanlieger im Grundsatz nicht gegen solche Änderungen des Betriebsprogramms zur Wehr setzen kann, die sich im Rahmen der für die Strecke plangegebenen Vorbelastung bewegen.

Der Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wird von der Beschwerde auch nicht mit dem Hinweis darauf dargetan, in Anwendung von § 41 BImSchG erscheine es problematisch, "wenn die Immissionen durch Lautsprecherdurchsage nicht erfasst" würden, die im vorliegenden Fall besonders störend wirkten. Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang geltend macht, dass auch Nebenanlagen, die nicht zum Schienenweg gehörten, von dem Schutz des § 41 BImSchG erfasst würden, führt dies nicht weiter, weil es ständiger Rechtsprechung des Senats entspricht, wenn die Vorinstanz (UA S. 14 f.) davon ausgeht, dass die Verkehrslärmschutzverordnung ( 16. BImSchV ) bei der Ermittlung von Beurteilungspegeln nur die Teile einer Eisenbahntrasse berücksichtigt, die typischerweise geeignet sind, auf die Verursachung des Verkehrslärms Einfluss zu nehmen (vgl. Urteil vom 20. Mai 1998 - BVerwG 11 C 3.97 - NVwZ 1999, 67 >68<; Urteil vom 14. November 2002 - BVerwG 11 A 31.00 - NVwZ 2002, 733 >734<). Lautsprecher, die auf Bahnhöfen und Haltepunkten angebracht sind, um die Fahrgäste mittels Durchsagen zu informieren, gehören - anders als die Gleisanlage mit ihrem Ober- und Oberbau einschließlich einer Oberleitung - nicht zu diesen Anlagen. Eine etwaige Störung der Streckenanlieger durch Lautsprecherdurchsagen ist aus diesem Grunde nicht nach der Verkehrslärmschutzverordnung zu beurteilen, sondern erfordert eine Abwägung auf der Grundlage von § 18 Abs. 1 Satz 2 AEG .

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 , § 162 Abs. 3 VwGO . Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1 , § 47 Abs. 2 GKG .

Vorinstanz: VGH Baden-Württemberg, vom 03.02.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 5 S 1451/05