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BVerwG - Entscheidung vom 11.04.2006

4 B 16.06

BVerwG, Beschluss vom 11.04.2006 - Aktenzeichen 4 B 16.06

DRsp Nr. 2006/11353

Gründe:

Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst. Die Beschwerde möchte in dem Revisionsverfahren rechtsgrundsätzlich geklärt wissen,

ob es einen Rechtsfehler darstellt, wenn der Umfang der Bestandskraft von Baugenehmigungen, die auf der Grundlage von DDR-Normen ergangen sind, bestimmt wird, ohne dass geprüft wird, ob das seinerzeit geltende Baurecht der DDR eine Verknüpfung der Befreiung von bauordnungsrechtlichen Vorschriften mit einer bestimmten Nutzung vorsah bzw. zuließ, obwohl dieses für die Entscheidung des Rechtsstreits von maßgeblicher Bedeutung gewesen wäre.

Damit ist eine Frage des revisiblen Rechts nicht aufgezeigt. Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts sind die in Streit stehenden Baugenehmigungen vom 30. September 1953 und vom 5. Januar 1960 für die Brandwanddurchbrüche auf Grund der Bauordnung für Berlin vom 9. November 1929 und der Deutschen Bauordnung vom 2. Oktober 1958 ergangen (UA S. 11). Die Bauordnung für Berlin vom 9. November 1929 ist als Landesrecht nicht revisibel. Rechtsvorschriften der Deutschen Demokratischen Republik - wie hier die Deutsche Bauordnung - sind vorkonstitutionelles Recht. Sie sind revisibles Bundesrecht im Sinne des § 137 Abs. 1 VwGO nur dann und soweit, wie dies Art. 9 des Einigungsvertrages bestimmt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Mai 1996 - BVerwG 4 B 46.96 - Buchholz 11 Art. 14 GG Nr. 296 ). Gemäß Art. 9 Abs. 1 EV bleibt das im Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Vertrags geltende Recht der Deutschen Demokratischen Republik, das nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes Landesrecht ist, in Kraft, soweit es mit dem Grundgesetz ohne Berücksichtigung des Art. 143 , mit in dem in Art. 3 genannten Gebiet in Kraft gesetztem Bundesrecht sowie mit dem unmittelbar geltenden Recht der Europäischen Gemeinschaften vereinbar ist und soweit in diesem Vertrag nichts anderes bestimmt wird. Das hiernach in Kraft bleibende Recht gilt als Landesrecht fort. Das Bauordnungsrecht einschließlich der Regelung der Befreiung von bauordnungsrechtlichen Vorschriften ist nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes Landesrecht. Es wird nicht von der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes für das Bodenrecht umfasst (vgl. BVerfGE 3, 407 >432 f.<). Von welchen klärungsbedürftigen Grundsätzen des revisiblen Bundesrechts der Umfang der Bestandskraft einer von den Behörden der DDR erlassenen Baugenehmigung, die Fragen des Bauordnungsrechts regelt, abhängen sollte, zeigt die Beschwerde nicht auf. Das Oberverwaltungsgericht hat den Baugenehmigungsunterlagen entnommen, dass die genehmigten Brandwanddurchbrüche im zweiten, dritten und vierten Obergeschoss nur der Schaffung von Verbindungswegen zwischen den Quergebäuden Rungestraße 17 und 18, nicht aber der Sicherstellung eines zweiten Rettungsweges für das Grundstück Rungestraße 17 dienten. Der Sache nach möchte die Beschwerde diese Auslegung der Baugenehmigungen einer revisionsgerichtlichen Kontrolle zuführen. Der Auslegung des Inhalts eines konkreten Verwaltungsakts kommt eine fallübergreifende, grundsätzliche Bedeutung jedoch nicht zu (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Mai 2000 - BVerwG 11 B 18.00 - juris).

2. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.

2.1 Die Beschwerde sieht einen Verfahrensmangel darin, dass das Oberverwaltungsgericht die Aussage des Zeugen P. unter Verstoß gegen Denkgesetze dahingehend gewürdigt habe, dass ein ursprünglich im ersten Obergeschoss als Rettungsweg errichteter Brandwanddurchbruch in der Zeit von 1975 bis 1990 verschlossen gewesen sei. Die Grundsätze der Beweiswürdigung werden jedenfalls in der Regel revisionsrechtlich dem sachlichen Recht zugerechnet; eine Verletzung der Denkgesetze im Rahmen der Tatsachenwürdigung, die ausnahmsweise als Verfahrensmangel in Betracht gezogen werden könnte (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1990 - BVerwG 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271 >272 f.<), liegt hier nicht vor. Ein Tatsachengericht hat nicht schon dann gegen die Denkgesetze verstoßen, wenn es nach Meinung des Beschwerdeführers unrichtige oder fern liegende Schlüsse gezogen hat; ebenso wenig genügen objektiv nicht überzeugende oder sogar unwahrscheinliche Schlussfolgerungen; es muss sich vielmehr um einen aus Gründen der Logik schlechthin unmöglichen Schluss handeln (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. April 2003 - BVerwG 5 B 24.03 - juris). Dass - wie das Oberverwaltungsgericht angenommen hat - der 1962 hergestellte Brandwanddurchbruch von einem späteren Zeitpunkt an jedenfalls bis zur Wende verschlossen war (vgl. UA S. 16), im Zuge der Eigentümerwechsel und der damit verbundenen baulichen Änderungen unmittelbar nach der Wende wieder geöffnet wurde, um im Jahr 1991 von der Klägerin erneut verschlossen zu werden (vgl. UA S. 17), ist logisch möglich.

2.2 Die Beschwerde meint schließlich, das Gericht habe die Beigeladene gemäß § 86 Abs. 3 VwGO darauf hinweisen müssen, dass es seine Beurteilung der Tatsachenlage gegenüber dem Beschluss vom 19. Oktober 2005, in dem es den Beteiligten nach Durchführung des Ortstermins vorgeschlagen hatte, einen gerichtlichen Vergleich zu schließen, geändert habe. Ein solcher Hinweis war schon deshalb nicht erforderlich, weil sich das Oberverwaltungsgericht in dem Vergleichsvorschlag hinsichtlich der Frage, ob der Durchbruch im ersten Obergeschoss vor der Wende verschlossen worden war, nicht festgelegt hatte. Es hat in dem Beschluss seine auch dem Urteil zu Grunde liegende Auffassung dargelegt, dass sich die Tatbestands- und Feststellungswirkung der bestandskräftigen Baugenehmigung für die Brandwanddurchbrüche im Erdgeschoss und im ersten Obergeschoss auf die Herstellung eines zweiten Rettungsweges erstreckt. Die Frage, ob der Tatbestands- und Feststellungswirkung der Baugenehmigung eine abweichende tatsächliche Bauausführung oder spätere Änderung der Bauwerksdurchbrüche entgegensteht, hatte es hingegen nicht abschließend geprüft ("dürfte" - vgl. S. 4 des Beschlusses vom 19. Oktober 2005). Dass das Oberverwaltungsgericht im Urteil auf der Grundlage der Aussage des Zeugen P. die Überzeugung gewinnen würde, dass der Brandwanddurchbruch im ersten Obergeschoss jedenfalls über mehrere Jahre hinweg verschlossen war, lag nicht fern. Hiermit musste die Beigeladene auch ohne Hinweis rechnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO , die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3 , § 52 Abs. 1 , § 72 Nr. 1 GKG .

Vorinstanz: OVG Berlin-Brandenburg, vom 09.12.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 2 B 1.03