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BVerwG - Entscheidung vom 19.04.2006

10 B 83.05

BVerwG, Beschluss vom 19.04.2006 - Aktenzeichen 10 B 83.05

DRsp Nr. 2006/11336

Gründe:

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Sie misst der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ) mit der Begründung bei, dass der angefochtene Beschluss in mehrfacher Hinsicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abweiche. Da Entscheidungen des Bundesgerichtshofs nicht zu den in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufgeführten divergenzfähigen Entscheidungen gehören, kommt insoweit in der Tat nur eine Zulassung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in Betracht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Juni 1984 - BVerwG 8 B 121.83 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 225 S. 15 f.). Unter keinem der in dieser Hinsicht gerügten Gesichtspunkte hat die Sache indessen grundsätzliche Bedeutung.

Die Rechtsfrage, ob die Frist zur Begründung einer verwaltungsgerichtlichen Berufung zu den Fristen gehört, deren Berechnung und Kontrolle ein Rechtsanwalt seinem Büropersonal überlassen darf, wäre in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Denn die Vorinstanz hat diese - in dem herangezogenen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 22. März 1995 ( VIII ZB 2/95 - NJW 1995, 1682 ) im Übrigen gar nicht behandelte - Frage ausdrücklich offen gelassen.

Gleiches gilt für die von der Beschwerde unter Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 6. Oktober 1987 ( VI ZR 43/87 - NJW 1988, 1853 f.) aufgeworfene Frage, ob sich ein Rechtsanwalt auf die Befolgung auch mündlicher Weisungen durch eine sonst zuverlässige Bürokraft verlassen darf. Diese Frage stellte sich für das Oberverwaltungsgericht von vornherein nicht, weil es davon ausgegangen ist, dass der betreffende Vortrag des Beklagten in seinem Schriftsatz vom 9. August 2005 verfristet sei.

Inwiefern das Oberverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur gesonderten Kontrolle von Rechtsmittelfristen (BGH, Beschluss vom 21. Juni 2000 - XII ZB 93/00 - VersR 2001, 607 >608<; der in der Beschwerdebegründung außerdem zitierte Beschluss des BGH vom 7. März 2002 - IX ZB 11/02 - NJW 2002, 1577 betrifft eine andere Problematik) abgewichen sein sollte, hat die Beschwerde nicht ansatzweise dargelegt und ist auch sonst nicht erkennbar. Ein Klärungsbedarf besteht in dieser Hinsicht umso weniger, als das Bundesverwaltungsgericht die vom Bundesgerichtshof hierzu vertretene Auffassung teilt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Juni 1984 - BVerwG 9 B 3209.82 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 140).

2. Soweit der Beklagte seine Grundsatzrüge auf eine Abweichung des angefochtenen Beschlusses von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Anforderungen stützt, die an die Darlegung und Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrundes zu stellen sind, ist sein Begehren an § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zu messen. Es genügt jedoch nicht den an die Darlegung des Zulassungsgrundes der Divergenz zu stellenden Anforderungen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ). Die Beschwerde hat nämlich versäumt, einander widersprechende abstrakte Rechtssätze zu benennen, die in der angefochtenen Entscheidung einerseits und in den herangezogenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts andererseits aufgestellt sein sollen (vgl. zu diesem Erfordernis BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 (n.F.) VwGO Nr. 26 S. 14); vielmehr erschöpft sie sich insoweit in dem Vorwurf fehlerhafter Rechtsanwendung.

3. Die ohne nähere eingrenzende Angaben auf § 108 VwGO gestützte Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ) dürfte dahin zu verstehen sein, dass die Beschwerde einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO ) durch rechtswidrige Verweigerung der begehrten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand geltend machen will. Das impliziert zugleich die Rüge eines Verstoßes gegen § 60 VwGO . Beide Rügen greifen nicht durch. Das Berufungsgericht hat jedenfalls im Ergebnis zu Recht angenommen, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten durch geeignete organisatorische Maßnahmen für eine korrekte Fristnotierung in Rechtsmittelsachen gesorgt habe.

Die Vorinstanz vertritt hierzu im Anschluss an eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 3. Dezember 2002 - BVerwG 1 B 429.02 - Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 24 S. 27) die Auffassung, zu einer ordnungsgemäßen Organisation der Fristenkontrolle gehöre es, dass das Empfangsbekenntnis über die Zustellung eines Urteils vom Rechtsanwalt erst dann unterzeichnet und zurückgesandt werden dürfe, wenn in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt sei, dass die Frist im Fristenkalender notiert worden sei (ebenso BGH, Beschluss vom 26. März 1996 - VI ZB 1 und 2/96 - NJW 1996, 1900 >1901< m.w.N.; BSG, Beschluss vom 26. November 1996 - 6 RKa 61/96 - juris Rn. 6); diesen Anforderungen habe der Prozessbevollmächtigte des Beklagten nicht genügt, denn aus seinen Darlegungen gehe jedenfalls nicht hervor, dass eine Eintragung der Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender in den Handakten vermerkt worden sei. Ob an diesen strikten, die denkbaren Möglichkeiten der Büroorganisation stark einschränkenden Vorgaben ohne Abstriche festgehalten werden kann, erscheint allerdings zweifelhaft. So hat das Bundesverwaltungsgericht in zwei späteren Entscheidungen eine Fristnotierung unmittelbar nach Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses für ausreichend gehalten (Beschlüsse vom 26. November 2004 - BVerwG 5 B 33.04 - juris Rn. 4 und vom 29. November 2004 - BVerwG 5 B 105.04 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 255 S. 58). Der Bundesgerichtshof hat seinerseits mit Beschluss vom 13. Februar 2003 ( V ZR 422/02 - NJW 2003, 1528 >1529<) es nicht für unabdingbar gehalten, dass das Empfangsbekenntnis erst nach vollständiger Fristensicherung in den allgemeinen Geschäftsbetrieb des Rechtsanwalts und von dort an das zustellende Gericht zurückgegeben wird; es reiche vielmehr aus, wenn bei Unterzeichnung und Rückgabe des Empfangsbekenntnisses sichergestellt sei, dass Zustellungsdatum und Fristende in den Fristenkalender und die Handakte eingetragen würden. Insoweit treffe den Rechtsanwalt freilich eine besondere Sorgfaltspflicht, der er grundsätzlich nicht schon mit allgemeinen Weisungen an sein Personal gerecht werde.

Letztlich bedürfen diese Einzelheiten der Anforderungen an die Organisation der Fristenkontrolle hier aber keiner Klärung. Das Wiedereinsetzungsbegehren des Beklagten konnte nämlich schon deshalb keinen Erfolg haben, weil er nicht dem Erfordernis entsprochen hat, seine Darlegungen zur Büroorganisation, soweit sie fristgerecht erfolgt sind, glaubhaft zu machen. Die Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags sind innerhalb der Antragsfrist des § 60 Abs. 2 VwGO vorzutragen, sofern sie nicht offenkundig sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Februar 2002 - BVerwG 6 C 23.01 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 243 S. 35). Unvollständige Angaben können nach Fristablauf zwar noch ergänzt und erläutert werden (BVerwG, Beschluss vom 27. Juli 1982 - BVerwG 7 B 84.81 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 126 S. 17); mit neuem, den ursprünglichen Darlegungen widersprechendem Vorbringen ist der Antragsteller hingegen ausgeschlossen. Die fristgerecht vorgetragenen Tatsachen sind überdies glaubhaft zu machen (§ 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO ); dies setzt einen widerspruchsfreien Vortrag voraus, der keinen Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der Sachdarstellung gibt. Dem hat der Beklagte nicht Genüge getan.

Er hat mit seinem Wiedereinsetzungsantrag vom 19. Januar 2005 vorgetragen, Rechtsmittelfristen würden im Büro seines Prozessbevollmächtigten von der Bürovorsteherin berechnet und dann in einen elektronischen Fristenkalender eingegeben und gesondert davon in einem schriftlichen Fristenkalender notiert. Im Rahmen des weiteren Postlaufs werde dem Prozessbevollmächtigten die Akte vorgelegt und dabei mitgeteilt, welche Frist berechnet und - normalerweise - eingetragen worden sei. Nach einem Gespräch mit seiner Bürovorsteherin, in dem sich diese nochmals ausdrücklich bei ihm über die richtige Bemessung der Frist vergewissert habe, sei der Prozessbevollmächtigte davon ausgegangen, dass auch im Streitfall entsprechend verfahren worden sei. Diese Darstellung des organisatorischen Ablaufs steht in deutlichem Widerspruch zu den Angaben der Bürovorsteherin in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 3. August 2005. Danach nimmt die Bürovorsteherin die Eintragung in die Fristenkalender nämlich erst vor, nachdem der Prozessbevollmächtigte ihre Fristberechnung im Zuge seiner Postbearbeitung überprüft hat. Aufgrund dieses vom Beklagten nicht aufgelösten Widerspruchs kann die mit dem Wiedereinsetzungsantrag fristgerecht vorgetragene Sachdarstellung nicht als glaubhaft gemacht angesehen werden.

Soweit sich der Beklagte mit Schriftsätzen seines Prozessbevollmächtigten vom 9. August und 20. September 2005 der vorgenannten Sachdarstellung in der Erklärung seiner Bürovorsteherin angeschlossen und darüber hinaus mit Schriftsätzen vom 9. August, 1. und 20. September 2005 behauptet hat, die Bürovorsteherin ausdrücklich gesondert zur Fristeintragung angewiesen zu haben, ist dieser Vortrag erst lange nach Ablauf der Monatsfrist des § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 VwGO erfolgt. Da er die früheren Angaben nicht vertieft oder ergänzt, sondern in wesentlichen Punkten von ihnen abweicht, ist er verspätet und kann deshalb keine Berücksichtigung finden.

Ist demnach eine ordnungsgemäße Büroorganisation nicht glaubhaft gemacht, so können auch die weiteren vom Beklagten geltend gemachten Gesichtspunkte - namentlich der Umstand, dass im Büro seines Prozessbevollmächtigten seit 1995 keine Fristen versäumt worden seien - für sich genommen eine andere Beurteilung des Wiedereinsetzungsbegehrens nicht rechtfertigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO , die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3 , § 52 Abs. 3 , § 72 Nr. 1 GKG .

Vorinstanz: OVG Sachsen-Anhalt, vom 23.09.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 4 L 168/05