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BVerfG - Entscheidung vom 23.02.2006

2 BvR 110/06

Fundstellen:
NStZ 2007, 40

BVerfG, Beschluss vom 23.02.2006 - Aktenzeichen 2 BvR 110/06

DRsp Nr. 2006/6750

Gründe:

I. Soweit der Beschwerdeführer die Verfassungswidrigkeit des § 26 Abs. 2 GVG rügt, genügt die Verfassungsbeschwerde nicht den Begründungserfordernissen nach §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG . Der Beschwerdeführer legt nicht in substantiierter Weise die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung dar. § 26 GVG begründet neben der Zuständigkeit der allgemeinen Strafgerichte in Jugendschutzsachen auch die Zuständigkeit der Jugendgerichte. Da hier jedenfalls die Zuständigkeit des Schöffengerichts gegeben war, hätte der Beschwerdeführer darlegen müssen, warum der Gesetzgeber aus verfassungsrechtlichen Gründen die ausschließliche Zuständigkeit des Jugendschöffengerichts hätte vorsehen müssen. Der Beschwerdeführer hat lediglich vorgetragen, dass die zusätzliche Begründung der Zuständigkeit des Jugendgerichts nach § 26 GVG nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspreche, ohne Gründe für einen verfassungsrechtlichen Ausschluss der Zuständigkeit des hier tätig gewordenen Schöffengerichts zu nennen.

II. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet. Eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG liegt nicht vor.

1. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistet dem Einzelnen das Recht auf den gesetzlichen Richter. Ziel der Verfassungsgarantie ist es, der Gefahr einer möglichen Einflussnahme auf den Inhalt einer gerichtlichen Entscheidung vorzubeugen, die durch eine auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter eröffnet sein könnte. Darüber hinaus hat Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG auch einen materiellen Gewährleistungsgehalt. Die Verfassungsnorm garantiert, dass der Rechtsuchende im Einzelfall vor einem Richter steht, der unabhängig und unparteilich ist und der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet (vgl. BVerfGE 82, 286 [298]; 89, 28 [36] m.w.N.). Dabei verstößt eine Entscheidung eines Gerichts nur dann gegen das Gebot des gesetzlichen Richters, wenn sie von willkürlichen Erwägungen bestimmt ist. Dies ist der Fall, wenn die Entscheidung des Gerichts sich bei der Auslegung und Anwendung der Norm so weit von dem sie beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt hat, dass sie nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. BVerfGE 3, 359 [364]; 29, 45 [48 f.] m.w.N.).

2. Nach diesem Prüfungsmaßstab verletzen die angegriffenen Entscheidungen das Recht des Beschwerdeführers auf den gesetzlichen Richter nicht.

§ 26 GVG begründet unter anderem für Straftaten Erwachsener, durch die ein Kind oder ein Jugendlicher verletzt oder unmittelbar gefährdet wird, neben der Zuständigkeit der allgemeinen Strafgerichte auch die der Jugendgerichte. Durch die Vorschrift soll erreicht werden, dass bei Straftaten gegen Kinder und Jugendliche den Besonderheiten des Falls durch das Verfahren vor dem Jugendgericht besser Rechnung getragen oder die besondere Sachkunde und Erfahrung des Jugendrichters eingesetzt werden kann, insbesondere auch im Hinblick auf die besondere Schutzbedürftigkeit kindlicher und jugendlicher Zeugen (vgl. Kissel/Mayer, GVG , 4. Aufl. 2005, § 26 Rn. 1).

Nach diesem Normzweck waren hier die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Schöffengericht und das Unterlassen einer Vorlage an das Jugendschöffengericht (§ 209 Abs. 2 i.V.m. § 209 a Nr. 2 Buchstabe b StPO ) nicht sachwidrig. Die Anklage legte dem Beschwerdeführer zur Last, als Person über 21 Jahre mehrfach an einen 15-jährigen Jugendlichen Cannabisprodukte verkauft zu haben. Der Tatvorwurf stützte sich maßgeblich auf eine beim Beschwerdeführer sichergestellte nicht geringe Menge (§ 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG ) von Cannabisprodukten, die belastende Aussage des jugendlichen Abnehmers, die Liste der - auch einschlägigen - Vorahndungen des Beschwerdeführers sowie seine - von der Staatsanwaltschaft als unglaubhaft gewürdigte - Einlassung, er habe die sichergestellten Betäubungsmittel nur zum Eigenkonsum besessen.

Bei dieser Sachlage ist die Eröffnung des Verfahrens vor dem Schöffengericht nicht zu beanstanden. Angesichts der vorliegenden sächlichen Beweismittel, die den Beschwerdeführer stark belasteten, kam es für die Beweiswürdigung maßgeblich darauf an, sich einen Eindruck von der Persönlichkeit des Beschwerdeführers und der Glaubwürdigkeit seiner Angaben zu verschaffen, mithin auf Gesichtspunkte, die nicht die Vernehmung kindlicher und jugendlicher Zeugen betreffen. Der konkrete Tatvorwurf ließ andererseits nicht einen solchen Grad der Gefährdung Jugendlicher erkennen, dass die Zuständigkeit des Jugendgerichts mit Blick auf deren schutzwürdige Interessen geboten gewesen wäre. Die Abgabe von Betäubungsmitteln an Jugendliche begründet zwar gemäß § 29 a Abs. 1 Nr. 1 BtMG einen Qualifikationstatbestand, unterscheidet sich aber vom "gewöhnlichen" strafbaren Umgang mit Betäubungsmitteln nicht in solchem Maße, dass hierfür generell eine besondere, jugendschutzspezifische Beurteilungskompetenz des Gerichts erforderlich wäre. Da hier die Vernehmung nur eines jugendlichen Zeugen im Raum stand und keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich waren, dass diese unter den für eine Vorlage an die Jugendgerichte maßgeblichen Gesichtspunkten problematisch sein könnte, hat das Schöffengericht in willkürfreier Weise seine Zuständigkeit angenommen, zumal grundsätzlich die Zuständigkeit des Jugendgerichts nur ausnahmsweise begründet ist (vgl. Kissel/Mayer, aaO., § 26 Rn. 6).

3. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: OLG Hamm, vom 21.12.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 3 Ss 405/05
Vorinstanz: AG Gladbeck - 6 Ls 11 Js 483/04 (406/04) - 17.2.2005,
Fundstellen
NStZ 2007, 40