Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BSG - Entscheidung vom 29.11.2006

B 12 P 1/05 R

Normen:
BGB § 242
SGB XI § 20 § 21 § 27 S. 1
VVG § 178h Abs. 2 S. 1 § 178h Abs. 2 S. 3

Fundstellen:
BSGE 97, 285

BSG, Urteil vom 29.11.2006 - Aktenzeichen B 12 P 1/05 R

DRsp Nr. 2007/3367

Wirksamkeit der Kündigung in der privaten Pflegeversicherung

Eine unwirksame ordentliche Kündigung des Versicherungsverhältnisses durch den Versicherungsnehmer wird nicht dadurch geheilt, dass der Versicherer die Kündigung nicht zurückweist. [Amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Normenkette:

BGB § 242 ; SGB XI § 20 § 21 § 27 S. 1 ; VVG § 178h Abs. 2 S. 1 § 178h Abs. 2 S. 3 ;

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten zuletzt noch über den Beitragsanspruch der Klägerin aus einem Versicherungsvertrag über die private Pflegeversicherung für die Zeit von April bis Dezember 1998.

Der Beklagte ist seit dem 12. August 1991 durchgehend teils freiwilliges, teils versicherungspflichtiges Mitglied der Techniker Krankenkasse (TKK). Seit dem 1. Januar 1995 ist er zudem versicherungspflichtiges Mitglied der TKK-Pflegeversicherung (TKK PV). Die Versicherungspflicht in der TKK PV bestand vom 1. Januar 1995 bis 31. Dezember 1996 und seit 1. Januar 1998 auf Grund freiwilliger Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung, vom 1. Januar 1997 bis 30. September 1997 auf Grund einer Pflichtmitgliedschaft als Beschäftigter sowie vom 1. Oktober 1997 bis 31. Dezember 1997 als Bezieher von Arbeitslosengeld. Am 24. Oktober 1997 beantragte der Beklagte bei der Klägerin den Abschluss einer privaten Kranken- und Pflegeversicherung, für die ein Versicherungsschein ausgestellt und deren Beginn auf den weiteren Antrag des Beklagten vom 9. Januar 1998 an Stelle des zunächst vorgesehenen 1. Februar 1998 einvernehmlich auf den 1. April 1998 festgelegt wurde. Das Schreiben des Beklagten vom 7. März 1998, mit dem er unter Berufung auf ein "Angestelltenverhältnis ab 9. März" und unter Vorlage einer Mitgliedsbescheinigung der TKK vom 6. März 1998 "rückwirkend zum 17. Dezember 1997" kündigte, wurde von der Klägerin nicht akzeptiert. Nachdem der Beklagte keine Beiträge mehr zahlte, erwirkte die Klägerin einen am 22. Dezember 2000 zugestellten Mahnbescheid über insgesamt 2.521,05 DM (1.288,99 EUR) rückständige Pflegeversicherungsbeiträge für die Zeit von Januar 1998 bis Dezember 2000 für ihn und seine Frau zuzüglich 70,00 DM (35,79 EUR) Kosten. Auf den hiergegen am 4. Januar 2001 eingelegten Widerspruch wurde das Verfahren vom Amtsgericht an das Sozialgericht ( SG ) abgegeben.

Vor dem SG hat die Klägerin ihre Forderung um Beiträge in Höhe von 202,35 DM für Zeiten nach dem von ihr akzeptierten Ablauf der Versicherung zum 30. September 2000 reduziert und noch insgesamt 2.318,70 DM geltend gemacht. Das SG hat der Klage in Höhe von 82,83 EUR hinsichtlich rückständiger Beiträge für die Ehefrau des Beklagten nebst 4 % Zinsen seit Zustellung des Mahnbescheides statt gegeben, sie jedoch hinsichtlich der auf diesen selbst entfallenden Beiträge für die Zeit von April 1998 bis September 2000 abgewiesen (Urteil vom 10. Januar 2002). Der Beklagte habe mit Schreiben vom 7. März 1998 wirksam von seinem Kündigungsrecht nach § 27 Satz 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung ( SGB XI ) Gebrauch gemacht. Nach Mitteilung der TKK sei der Beklagte dort seit dem 1. Januar 1998 laufend nach § 20 Abs 3 SGB XI in der sozialen Pflegeversicherung versicherungspflichtig und sei daher berechtigt gewesen, den privaten Pflegeversicherungsvertrag mit Wirkung vom Eintritt der Versicherungspflicht an zu kündigen. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei die Wirksamkeit der Kündigung nicht vom Nachweis der Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung abhängig. Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben (Urteil des Landessozialgerichts [LSG] vom 7. Oktober 2004). Der Beklagte habe mit Schreiben vom 7. März 1998 den Versicherungsvertrag gemäß § 178h Abs 2 Satz 3 des Gesetzes über den Versicherungsvertrag ( VVG ), durch den § 27 SGB XI ergänzt werde, gekündigt, sodass ab Vertragsbeginn am 1. April 1998 Beiträge nicht anfielen. Aus der vorgelegten Bescheinigung der TKK vom 7. Januar 2002 ergebe sich, dass der Beklagte ab 1. Januar 1998 gemäß § 20 Abs 3 SGB XI als freiwillig versichertes Mitglied versichert gewesen sei. Durch diese Versicherungspflicht auf Grund eines Beschäftigungsverhältnisses sei ein neuer Versicherungspflicht begründender Umstand eingetreten. Die mit der Kündigung vorgelegten Bescheinigungen der TKK vom 6. März 1998 reichten als Nachweis über die Mitgliedschaft in der Pflegeversicherung aus. Da eine Doppelversicherung weder rechtlich notwendig noch vom Beklagten gewollt gewesen sei, habe die Klägerin danach eine private Pflegeversicherung nicht mehr beginnen lassen dürfen.

Mit ihrer hiergegen eingelegten Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren im zuletzt streitigen Umfang weiter. Die gesetzliche Pflichtmitgliedschaft des Beklagten habe von Anfang an bestanden und nicht erst nach Vertragsschluss begonnen. Unter diesen Umständen könne ein außerordentliches Kündigungsrecht von vorne herein nicht bestehen. Ein neuer Umstand ab dem 1. Januar 1998 sei für sie nicht erkennbar gewesen. An den Voraussetzungen von § 27 SGB XI fehle es zudem auch deshalb, weil der Beklagte bei der Klägerin privat krankenversichert gewesen sei und die Pflegeversicherung daher der Krankenversicherung habe folgen müssen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 7. Oktober 2004 aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 10. Januar 2002 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin weitere 378,43 EUR nebst 4 vH Zinsen seit Zustellung des Mahnbescheides zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung die Klage in Höhe eines Betrages von 723,27 EUR (= 1.414,60 DM; Beiträge für Januar 1999 bis September 2000) zurückgenommen.

II. Die Revision der Klägerin hat im zuletzt noch streitigen Umfang Erfolg. Der Beklagte schuldet ihr entgegen der Auffassung der Instanzgerichte für die Zeit von April 1998 bis Dezember 1998 der Höhe nach unstreitige Beiträge zur privaten Pflegeversicherung auf der Grundlage des im Dezember 1997 zu Stande gekommenen und nach einverständlicher Anpassung zum 1. April 1998 wirksam gewordenen Versicherungsvertrages (§ 1 Abs 2 VVG ). Das hierauf gründende Rechtsverhältnis hat nicht vor dem Ablauf des streitigen Zeitraums geendet.

a) Ein außerordentliches Kündigungsrecht zum 1. April 1998 auf Grund des Eintritts von gesetzlicher Versicherungspflicht bestand nicht. Gemäß dem seit Inkrafttreten des SGB XI am 1. Januar 1995 unverändert geltenden § 27 Satz 1 SGB XI können Personen, die nach den §§ 20 oder 21 SGB XI versicherungspflichtig werden und bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen gegen Pflegebedürftigkeit versichert sind, ihren Versicherungsvertrag mit Wirkung vom Eintritt der Versicherungspflicht an kündigen. Die Norm wird ergänzt durch § 178h Abs 2 VVG , der mit dem Dritten Durchführungsgesetz/EWG zum Versicherungsaufsichtsgesetz vom 21. Juli 1994 (BGBl I S 1630) eingeführt wurde und am 29. Juli 1994 in Kraft getreten ist. Hiernach kann der Versicherungsnehmer binnen zwei Monaten nach Eintritt der Versicherungspflicht eine Krankheitskosten-, eine Krankentagegeld- oder eine Pflegekrankenversicherung rückwirkend zum Eintritt der Versicherungspflicht kündigen, wenn eine versicherte Person kraft Gesetzes kranken- oder pflegeversicherungspflichtig wird (Satz 1). Macht der Versicherungsnehmer von seinem Kündigungsrecht Gebrauch, steht dem Versicherer die Prämie nur bis zu diesem Zeitpunkt zu (Satz 2). Später kann der Versicherungsnehmer das Versicherungsverhältnis zum Ende des Monats kündigen, in dem er den Eintritt der Versicherungspflicht nachweist (Satz 3). Unabhängig vom Verhältnis des § 27 SGB XI und des § 178h VVG im Übrigen setzen beide Vorschriften jedenfalls schon nach ihrem Wortlaut übereinstimmend und unabhängig von ansonsten zu beachtenden Modalitäten voraus, dass ein privater Pflegeversicherungsvertrag allein dann gekündigt werden kann, wenn die bereits privat versicherte Person zusätzlich von einer hinzutretenden gesetzlichen Versicherungspflicht erfasst wird (zu den übereinstimmenden Grundvoraussetzungen der Kündigungsmöglichkeiten nach § 178h Abs 2 Satz 1 und Satz 3 VVG ebenso Bundesgerichtshof [BGH] vom 3. November 2004, IV ZR 241/03, NJ 2005, 123 ).

Auf Grund der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen konnte der Beklagte frühestens ab dem 1. April 1998 in den Genuss des von der Klägerin zu gewährleistenden (§ 1 Abs 1 Satz 2 VVG ) Versicherungsschutzes gelangen, war also (im materiellen - in der Terminologie der Versicherungsbedingungen der Klägerin im "technischen" - Sinne) versichert (vgl zu diesem Verständnis des Versicherungsbeginns etwa Oberlandesgericht [OLG] Karlsruhe vom 19. März 1992, 12 U 213/91, VersR 1992, 1123 = NJW-RR 1993, 218). Seine bei der TKK PV bereits seit dem 1. Januar 1995 durchgehend bestehende Pflichtmitgliedschaft in der sozialen Pflegeversicherung beruhte seit dem 1. Januar 1998 (und seither während des gesamten streitigen Zeitraums) erneut auf seiner freiwilligen Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung bei der TKK (§ 20 Abs 3 SGB XI ) und damit entgegen der Schlussfolgerung des Berufungsgerichts nicht etwa auf einer "Beschäftigung". Ein außerordentliches Kündigungsrecht des Beklagten scheitert damit bereits an der Grundvoraussetzung der § 27 Satz 1 SGB XI , § 178h Abs 2 Satz 1, 3 VVG , die übereinstimmend voraussetzen, dass ein zur Kündigung Berechtigter erst während der bestehenden Privatversicherung versicherungspflichtig geworden ist und die gesetzliche die private Pflegeversicherung "ablöst" (in diesem Sinne auch König in Hauck/Wilde, Kommentar zum SGB XI , § 27 RdNr 4 und 5).

Nichts anderes könnte gelten, wollte man ausgehend von der im Berufungsurteil zu Grunde gelegten Prämisse eine private Pflegeversicherung bereits mit dem Zustandekommen des Versicherungsvertrages im Dezember 1997 als bestehend ansehen und damit einen formellen Status des Beklagten als "Versicherter" ausreichen lassen. Auch in diesem Zeitpunkt bestand nämlich bereits - ebenso wie im Übrigen bei der erstmaligen Antragstellung bei der Klägerin im Oktober 1997 und bei der Änderung des Versicherungsbeginns auf den entsprechenden Antrag des Beklagten vom 9. Januar 1998 - eine gesetzliche Pflegepflichtversicherung bei der TKK PV, die damit nicht etwa zu einer privaten Pflegeversicherung hinzugetreten ist. Vielmehr hätte der Beklagte die Parallelität von sozialer und privater Pflegeversicherung auch in dieser Konstellation durch Abschluss des privaten Versicherungsvertrages selbst herbeigeführt. Schließlich liegt es außerhalb des Schutzzwecks der mit § 27 Satz 1 SGB XI , § 178h Abs 2 Satz 1, 3 VVG getroffenen Regelungen, dem Beklagten eine Möglichkeit zur Kündigung des privaten Pflegeversicherungsvertrages nur deshalb zu eröffnen, weil der zeitlich lückenlose und inhaltlich identische Schutz der sozialen Pflegeversicherung mit dem 1. Januar 1998 auf einem anderen Versicherungspflichttatbestand beruht (Wechsel von der Versicherungspflicht nach § 20 Abs 1 Satz 1, Satz 2 Nr 2 SGB XI zur Versicherungspflicht nach § 20 Abs 3 SGB XI ). Auch dann nämlich "wird" der privat Versicherte nicht erst während des bereits laufenden Vertrages und zusätzlich von der sozialen Pflegeversicherung erfasst, sondern war er es im Gegenteil durchgehend bereits vorher schon. Der Ausschluss des Kündigungsrechts in derartigen Fällen entspricht gleichzeitig Sinn und Zweck des Sonderkündigungsrechts. Dieses soll - wie sich bereits aus der in § 27 Satz 1 SGB XI , § 178h Abs 2 Satz 1, 3 VVG vorausgesetzten zeitlichen Abfolge von vorangehender privater und nachfolgender sozialer Pflegeversicherung ergibt - privat Pflegeversicherte nicht etwa generell vor einer Mehrfachversicherung bewahren, sondern es ihnen lediglich ermöglichen, eine derartige Situation dann zu vermeiden, wenn sie erstmals nachträglich und - gerade anders als hier - unabhängig von eigenem Willensentschluss allein auf Grund gesetzlichen Zwangs eintritt.

Eine analoge Anwendung von § 27 SGB XI scheidet mangels jeglichen Hinweises auf eine planwidrig unvollständige Umsetzung der mit der Regelung verfolgten Zielsetzung aus. Ebenso kann sich der Beklagte nicht auf § 60 VVG berufen. Die Regelung beschränkt sich auf das Verhältnis mehrerer jeweils durch Vertrag begründeter (privatrechtlicher) Versicherungsverhältnisse zueinander und ist vorliegend schon deshalb nicht anwendbar.

Unter diesen Umständen kommt es vorliegend auf die Frage, welche Modalitäten bei der Kündigung nach § 27 SGB XI zu beachten sind, nicht an. Zur entsprechenden Situation in der Krankenversicherung hat im Übrigen mittlerweile der BGH in Urteilen vom 3. November 2004 ( IV ZR 214/03, VersR 2005, 66 = MDR 2005, 392 und IV ZR 241/03, NJ 2005, 123 ) Stellung genommen.

b) Dem Beklagten kommt vorliegend auch nicht etwa zu Gute, dass die Klägerin seine Kündigung möglicherweise nicht - rechtzeitig - zurückgewiesen hat. Hierzu hat das Berufungsgericht vorliegend festgestellt, dass die Klägerin ungenügende Nachweise über den Eintritt von Versicherungspflicht nicht gerügt hat. Ob die Wirksamkeit der Kündigung aus sonstigen Gründen - rechtzeitig - beanstandet wurde, ist nicht festgestellt. Dies kann auch offen bleiben. Das Landgericht ist in der parallelen Krankenversicherungsstreitigkeit der Beteiligten davon ausgegangen, dass selbst bei verspäteter Zurückweisung die unwirksame Kündigung des Beklagten nicht als wirksam zu behandeln sei. Der Versicherungsnehmer könne nur Schadensersatz fordern. Ein zu ersetzender Schaden sei jedoch durch die nicht unverzügliche Kündigung nicht entstanden, da der Beklagte in jenem Verfahren nicht dargetan habe, dass er bei früherer Information durch die Klägerin die anderweitig bestehende Krankenversicherung beendet hätte.

Zwar könnte nach der Rechtsprechung der Instanzgerichte der Zivilgerichtsbarkeit in Betracht kommen, dass der Kündigung vom 7. März 1998 dennoch Wirkung bereits zum vereinbarten Beginn des Pflegeversicherungsverhältnisses am 1. April 1998 zuerkannt werden muss. Dort entspricht es in Übereinstimmung mit der Praxis des BAV (vgl Leverenz, VersR 1999, 525, 527 re Sp Fn 28) einer offenbar verbreiteten Auffassung, dass den Versicherer nach Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]) die Verpflichtung trifft, der formunwirksamen Kündigung gegenüber dem Versicherungsnehmer sofort und ausdrücklich zu widersprechen und er sie andernfalls als wirksam gegen sich gelten lassen muss (vgl speziell zu Fällen der vorliegenden Art Kammler in VersR 1993, 785, 786 re Sp mH auf LG Hannover in VersR 1977, 351 und 787 lI Sp mH auf OLG Hamm vom 29. Juni 1977, 20 U 11/77, VersR 1977, 999; ebenso OLG Hamm vom 26. Oktober 1990, 20 U 71/90, VersR 1991, 663 ; OLG Karlsruhe vom 18. Oktober 2001, 12 U 161/01, MDR 2002, 581 ; vgl auch die Nachweise bei Römer/Langheid, Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz , 2. Aufl 2003, § 8 RdNr 18 ff; Brams, VersR 1997, 1308, Leverenz, VersR 1999, 525, Jonczak, VersR 2000, 306; s auch LG Berlin vom 6. August 2002, 7 S 6/02, juris-Nr: KORE558692002: Zurückweisung der Kündigung einer Gebäudeversicherung erst vier Tage nach Eingang der Erklärung nicht mehr unverzüglich; LSG NRW vom 16. August 2000, L 10 P 92/99, VersR 2001, 1228: Wirksamkeit der Kündigung einer privaten Pflegeversicherung bei nicht unverzüglichem Hinweis auf fehlende Anwendbarkeit von § 178h Abs 4 VVG ). Das OLG Karlsruhe vertritt hierzu den Standpunkt, dass der Versicherer den Zugang der Zurückweisung beweisen müsse. Das OLG Hamm hat eine Zurückweisung sieben oder auch nur fünf Tage nach Zugang der Kündigung als verspätet angesehen.

Eine Pflicht oder Obliegenheit des Versicherers zur ausdrücklichen Zurückweisung einer unwirksamen Kündigung lässt sich als besondere Ausprägung der Hinweis- und Beratungspflicht aus dem Versicherungsvertrag und der überlegenen Stellung des Versicherers heraus begründen, denn es besteht auch sonst in Literatur und Rechtsprechung Einigkeit, dass den Versicherer besondere Hinweispflichten treffen können, wenn für ihn erkennbar wird, dass der Versicherungsnehmer einer Belehrung bedarf, weil er über einen für ihn wesentlichen Vertragspunkt - wie etwa über die Reichweite des bestehenden Versicherungsschutzes oder eben auch das Bestehen eines gesetzlichen oder vertraglichen Kündigungsgrundes - irrige Vorstellungen hat (vgl allg zu solchen Hinweispflichten BGH, Urteil vom 13. April 2005, IV ZR 86/04, VersR 2005, 824 , mwN unter II 3 mit Hinweis auf: BGHZ 108, 200 , 205 f; OLG Koblenz, ZfSch 1998, 261; OLG Stuttgart, ZfS 1992, 412; OLG Hamm, NZV 1991, 314; OLG Köln, r+s 1989, 3; OLG Karlsruhe, VersR 1988, 486; ÖOGH VersR 1995, 943; Stiefel/Hofmann, 16. Aufl, § 2a AKB RdNr 4; Knappmann in Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz , 26. Aufl, § 2a AKB RdNr 4; grundlegend dazu auch Römer, VersR 1998, 1315, 1319, 1321 und die Nachweise bei Leverenz, VersR 1999, 525 ff, Fn 49, 50; nicht überzeugend demgegenüber die Gegenansicht von Brams, VersR 1997, 1308 ff, der eine besondere Schutzwürdigkeit des Versicherungsnehmers grundsätzlich ablehnt).

Der BGH hat sich bisher nur einmal zur Frage einer solchen Hinweis- oder Zurückweisungspflicht bei unwirksamer Versicherungsnehmerkündigung geäußert. Im Urteil des IV. Senats vom 1. Juli 1987 ( IVa ZR 63/86, VersR 1987, 923 ) wird lediglich bei Erörterung der Frage, ob in bestimmten Situationen für die Annahme eines gemeinsamen Aufhebungsvertrages die ausdrückliche Annahmeerklärung des Versicherers entbehrlich erscheint, erwähnt, dass vielfach angenommen werde, ein Versicherer sei gehalten, unwirksame Kündigungen unverzüglich zurückzuweisen. Der IV. Senat des BGH hat davon ausgehend gemeint: Auch wenn den Versicherer nach Treu und Glauben in bestimmten Fällen eine solche Pflicht treffe (was also offen gelassen wird), ergebe sich daraus nichts für die Frage der Entbehrlichkeit einer Annahmeerklärung (für den Aufhebungsvertrag).

Fehlerhaft erscheinen aber in jedem Falle die Schlussfolgerungen, die die wohl herrschende Meinung der zivilrechtlichen Instanzgerichte aus der Verletzung einer solchen Zurückweisungs- und Hinweisobliegenheit des Versicherers ziehen will.

Der Mangel dieser Auffassung liegt vor allem darin begründet, dass dem Versicherer nicht nur rechtsvernichtende und rechtshemmende Einwendungen gegen die Kündigung abgeschnitten sein sollen, sondern auch solche, die die Entstehung des Kündigungsrechts, dh dessen gesetzliche oder vertragliche Voraussetzungen, betreffen. So wird aus einer von vorn herein nichtigen Erklärung ein gestaltender Rechtsakt, ohne dass dies rechtlich begründet würde. Das Problem lässt sich gerade für das Zivilrecht anhand der prozessualen Lage veranschaulichen, die sich dort bei Erlass eines Versäumnisurteils ergibt: Wenn es dem Versicherer nach Treu und Glauben verwehrt sein soll, sich auf Einwände gegen eine Kündigung zu berufen, müsste er im Rechtsstreit so behandelt werden, als hätte er nichts gesagt. Dann aber stünde nach wie vor die nichtige oder unwirksame Kündigungserklärung des Versicherungsnehmers im Raum. Ein Grund, weshalb bei nicht rechtzeitiger Zurückweisung aus einer unwirksamen Erklärung eine Wirksame werden soll, ist nicht ersichtlich. Er kann insbesondere nicht darin gesehen werden, es sei geboten, so die Mängel in den rechtlichen Voraussetzungen des Kündigungsrechts bei Fehlverhalten des Versicherers zu kompensieren. Eine solche Kompensation scheitert bereits an einer Schutzzweckbetrachtung: Denn selbst wenn man eine Pflicht des Versicherers zur Zurückweisung unwirksamer Kündigungen und Hinweis des Versicherungsnehmers auf die Rechtslage annehmen wollte, könnte diese nur dem Zweck dienen, den Versicherungsnehmer über seine wahren Rechte ins Bild zu setzen und ihm Klarheit über den Fortbestand des Vertrages zu geben. Dagegen zielt eine derartige Rechtspflicht von vorn herein nicht darauf, dem Versicherungsnehmer neue Möglichkeiten der Vertragsbeendigung zu eröffnen, die ihm nach Gesetz und Vertrag nicht zustehen.

Die instanzgerichtliche Rechtsprechung der Zivilgerichte übersieht, dass sich das treuwidrige Verhalten des Versicherers in einer mangelnden Aufklärung des Versicherungsnehmers über die Rechtslage erschöpft. Zöge man daraus die Konsequenz, jede Kündigung als wirksam zu behandeln, so stünde der Versicherungsnehmer bei Verletzung der Zurückweisungs- und Hinweispflicht durch den Versicherer deutlich besser da, als wenn letzterer seiner Pflicht genügt hätte. Das Prinzip von Treu und Glauben verschaffte so dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit, nach Belieben Kündigungsgründe zu erfinden, die bei fehlerhafter Reaktion des Versicherers ein Eigenleben gewännen.

Maßstab für die Folgen einer Verletzung der Hinweispflicht kann nur das unterstellte ordnungsgemäße Verhalten des Versicherers sein. Wie bei Verletzung sonstiger Hinweispflichten wäre der Versicherungsnehmer deshalb nur so zu stellen, wie er gestanden hätte, wenn der Versicherer auf eine unwirksame Kündigung mit deren Zurückweisung unter Benennung der Gründe für die Unwirksamkeit reagiert hätte. Es ist also auf eine solche Pflichtverletzung nach schadensersatzrechtlichen Maßstäben zu reagieren (so auch Leverenz, aaO), wobei - wie auch bei der Anwaltshaftung infolge Beratungsverschuldens - von einem beratungsgerechten Verhalten des Versicherungsnehmers auszugehen ist. Dies bedeutet für den Beitragsanspruch im zuletzt streitigen Umfang, dass ihn die Klägerin zu Recht geltend macht, denn die fristlose Kündigung des Beklagten war unwirksam. Er stünde sich bei einer sofortigen Zurückweisung nicht günstiger.

Der IV. Zivilsenat des BGH hat - allerdings ohne nähere Begründung und ohne sich mit der oben dargestellten Rechtsprechung der Instanzgerichte eingehend auseinander zu setzen - bereits im Urteil vom 26. Oktober 1988 (IVa ZR 140/87, RuS 1989, 69 - 70 unter 1 b) ausgesprochen, dass eine unwirksame (ordentliche) Kündigung des Versicherungsverhältnisses durch den Versicherungsnehmer nicht dadurch geheilt werden kann, dass der Versicherer die Kündigung nicht zurückweist. Dem schließt sich der erkennende Senat an. Hinzu kommt im vorliegenden Zusammenhang, dass der Abschluss eines privaten Pflegeversicherungsvertrages rechtlich grundsätzlich und faktisch in aller Regel in Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht hierzu erfolgt (§§ 22 f SGB XI ). Würde hier über die gesetzlich vorgesehenen Kündigungsmöglichkeiten hinaus auf der Grundlage von § 242 BGB ein Rechtsinstitut geschaffen, das in Abhängigkeit von der Erfüllung einer unverzüglichen Rügepflicht des privaten Versicherers dazu zwingt, ggf auch rechtsgrundlose Kündigungen als wirksam hinzunehmen, müsste eine Gefährdung des öffentlich-rechtlichen Schutzzwecks befürchtet werden. Zudem geriete der Beitrag der Privatversicherung, auf dem das gegenwärtige gesetzliche Konzept der Volksversicherung beruht (vgl etwa Urteil des Senats vom 12. Februar 2004, B 12 P 3/02 R, SozR 4-3300 § 23 Nr 1 S 4), für das Gesamtsystem der Pflegeversicherung in Gefahr.

c) Die Kündigungserklärung des Beklagten vom 7. März 1998 kann zwar ihrem rechtlichen Gehalt nach ohne weiteres so verstanden werden, dass hiermit bei Verfehlung des Primärziels einer rückwirkenden/sofortigen Beendigung des Vertragsverhältnisses jedenfalls dessen einseitige Beendigung zum nächstmöglichen Zeitpunkt erreicht werden sollte. Auch die Ausübung eines Rechts zur ordentlichen Kündigung, das in § 23 Abs 2 Satz 3 SGB XI , § 51 Abs 3 SGB XI vorausgesetzt wird, konnte jedoch nicht vor dem 1. Januar 1999 zur Beendigung der Vertragsbeziehung der Beteiligten führen. Nach § 178a Abs 4 Satz 1, § 8 Abs 2 Satz 1, § 9 VVG ist nämlich die "Krankenversicherung", die ganz oder teilweise den im gesetzlichen Sozialversicherungssystem vorgesehenen Kranken- oder Pflegeversicherungsschutz ersetzen kann, unbefristet und kann jedenfalls vom Versicherungsnehmer (vgl zum Ausschluss des Kündigungsrechts des Versicherungsunternehmers für die Dauer des Kontrahierungszwangs § 110 Abs 4 Satz 1 SGB XI ) gemäß den allgemeinen Bestimmungen nur für den Schluss der laufenden Versicherungsperiode - grundsätzlich also zum Jahresende - gekündigt werden.

Der Zinsanspruch der Klägerin ergibt sich aus § 288 Abs 1 BGB iVm dem Klageantrag.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz ( SGG ). Die Kosten der Klägerin sind nach der alten Fassung des Abs 4 der Norm allerdings nur für das Klage- und Berufungsverfahren erstattungsfähig. Nach dem zum 2. Januar 2003 in Kraft getretenen § 193 Abs 4 SGG idF des 6. SGG -Änderungsgesetzes (vgl Art 17 , 19 6. SGG -ÄndG) kommt dagegen für das mit der Einlegung der Revision am 28. Dezember 2004 eingeleitete Revisionsverfahren eine Kostenerstattung an die nach § 184 Abs 1 SGG gebührenpflichtige Klägerin nicht mehr in Betracht (vgl BSG, Beschluss vom 8. Juli 2002, B 3 P 3/02 R, SozR 3-1500 § 164 Nr 13).

Vorinstanz: LSG Darmstadt - L 14 P 207/02 - 07.10.2004,
Vorinstanz: SG Gießen, vom 10.01.2002 - Vorinstanzaktenzeichen S 20 P 172/01
Fundstellen
BSGE 97, 285