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BSG - Entscheidung vom 06.09.2006

B 6 KA 22/06 B

Normen:
SGB V § 87 Abs. 2 § 72 Abs. 2 § 85 Abs. 4 S. 3

BSG, Beschluß vom 06.09.2006 - Aktenzeichen B 6 KA 22/06 B

DRsp Nr. 2006/29863

Honorarverteilung bei überweisungsgebundenen Leistungen

Die Bildung von Honorartöpfen für Leistungen, die nur Ärzte auf Überweisungen hin erbringen können und bei denen ihnen eine Mitverantwortung für die Mengenausweitung und damit ein Punktwertabfall nicht zugerechnet werden kann, gibt Anlass zur Korrektur der Honorarverteilung, wenn der Punktwert der aus dem Honorartopf vergüteten Leistungen um 15 % oder mehr niedriger ist als der Punktwert für den größten Teil der sonstigen Leistungen. [Nicht amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Normenkette:

SGB V § 87 Abs. 2 § 72 Abs. 2 § 85 Abs. 4 S. 3 ;

Gründe:

I

Die Kläger nehmen als Ärzte für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie an der vertragsärztlichen Versorgung teil und beanstanden die Höhe ihrer Honorare für die Quartale III und IV/1998 sowie I/1999. Der Honorarverteilungsmaßstab (HVM) der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) sah in den streitbefangenen Quartalen die Verteilung des Honorars nach Honorarkontingenten für die einzelnen ärztlichen Fachgruppen, differenziert nach budgetierten und nichtbudgetierten Gruppen, vor. Die Kläger wurden der Fachgruppe "Laborärzte/Fachwissenschaftler für Medizin" zugeordnet. Für spezielle Laborleistungen des Abschnitts O III des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) in der bis zum 30. Juni 1999 geltenden Fassung war ursprünglich im HVM ein Mindestpunktwert von 6 Pfennig festgelegt worden. Die Vertreterversammlung der KÄV beschloss am 4. April 1998, diesen Interventionspunktwert rückwirkend zum 1. Januar 1998 zu Gunsten eines "maximalen Interventionspunktwertes" von 6 Pfennig als Obergrenze für die Punktwertstützung abzuschaffen. Soweit diese Regelung rückwirkend in Kraft gesetzt worden ist, hat der Senat dies mit Urteil vom 24. September 2003 - B 6 KA 41/02 R - (SozR 4-2500 § 85 Nr 4) beanstandet. Entsprechend hat die Beklagte die Leistungen der Kläger für die Zeit bis zum Ende des Quartals II/1998 mit dem Mindestpunktwert von 6 Pfennig vergütet. Für die drei streitbefangenen Quartale ergaben sich Punktwerte für O III-Leistungen bei den Primärkassen von 4,0796, 4,2131 und 4,3025 Pfennig und bei den Ersatzkassen von 6 bzw 5,9905 und 5,5834 Pfennig. Die Punktwerte für die Leistungen nach den Abschnitten O I/O II EBM-Ä waren niedriger.

Mit ihren Widersprüchen gegen die Honorarbescheide für die streitbefangenen Quartale machten die Kläger geltend, die Punktwerte für die laborärztlichen Leistungen seien unter eine kritische Marke gesunken, jenseits derer vertragsärztliche Laborleistungen nicht mehr mit Gewinn erbracht werden könnten. Die Beklagte sei gehalten, die Punktwerte so zu erhöhen, dass ihr - der Kläger - Anspruch auf angemessene Vergütung ihrer vertragsärztlichen Leistungen gewahrt werde.

Widersprüche, Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) ist davon ausgegangen, dass die Punktwerte für die Honorierung der Leistungen der Laborärzte in den drei streitbefangenen Quartalen stärker zurückgegangen seien als diejenigen anderer Arztgruppen. Grundsätzlich sei die Beklagte deshalb verpflichtet gewesen, auf diese Entwicklung zu reagieren, doch habe sie berücksichtigen dürfen, dass ab dem Quartal III/1999 auf der Grundlage von Beschlüssen des Bewertungsausschusses eine grundliegende Neuordnung der Vergütung von Laborleistungen geplant und tatsächlich umgesetzt worden sei. Deshalb sei die ihr zur Verfügung stehende Beobachtungs- und Reaktionszeit noch nicht abgelaufen gewesen (Urteil vom 1. Februar 2006).

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügen die Kläger eine Abweichung des Berufungsurteils von Urteilen des Bundessozialgerichts (>BSG< - Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz >SGG<) und machen hilfsweise geltend, die Fragen, die das LSG nach ihrer - der Kläger - Einschätzung abweichend von der Rechtsprechung des BSG entschieden habe, hätten grundsätzliche Bedeutung (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ).

II

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Die von den Klägern in einer den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG genügenden Begründung angeführte Divergenz zwischen den das Berufungsurteil tragenden Rechtsaussagen und mehreren Urteilen des BSG liegt tatsächlich nicht vor.

Die Kläger machen geltend, das LSG sei bei der Begründung seiner Rechtsauffassung, die Beklagte habe ihrer Beobachtungs- und Reaktionspflicht bei der Bildung von fachgruppenbezogenen Honorarkontingenten in einem HVM noch angemessen Rechnung getragen, von Rechtsaussagen des Senats insbesondere in den Urteilen vom 9. September 1998 - B 6 KA 55/97 R - (BSGE 83, 1 = SozR 3-2500 § 85 Nr 26) und vom 20. Oktober 2004 - B 6 KA 30/03 R - (BSGE 93, 258 = SozR 4-2500 § 85 Nr 12) abgewichen. Das trifft nicht zu. In den von der Beschwerde herangezogenen Urteilen hat der Senat ausgeführt, dass dann, wenn die Bildung von Honorartöpfen bei überweisungsgebundenen Leistungen aufgrund von Mengenausweitungen, für die die Leistungserbringer nicht verantwortlich seien, zu einem deutlichen Punktwertabfall führe, die KÄV die Pflicht zur Überprüfung und ggf zur Nachbesserung der Honorarverteilungsregelungen treffe. Danach besteht Anlass zur Korrektur der Honorarverteilung dann, wenn es sich um eine dauerhafte, also nicht nur um eine vorübergehende Entwicklung handelt. Außerdem muss ein vom Umsatz her wesentlicher Leistungsbereich einer Arztgruppe betroffen sein. Der Punktwertabfall muss erheblich sein; nicht jede Punktwertdifferenz zwischen verschiedenen Honorartöpfen gibt Anlass zur Korrektur der Honorarverteilung. Die KÄV kann zudem berücksichtigen, dass auch bei von den Leistungserbringern nicht mit zu verantwortenden Mengenausweitungen typischerweise Rationalisierungseffekte entstehen, die einen gewissen Ausgleich für den Punktwertabfall darstellen können. Werden Honorartöpfe für Leistungen gebildet, die nur Ärzte auf Überweisungen hin erbringen können und bei denen ihnen eine Mitverantwortung für die Mengenausweitung und damit ein Punktwertabfall nicht zugerechnet werden kann, ist ein Anlass zur Korrektur der Honorarverteilung gegeben, wenn der Punktwert der aus dem Honorartopf vergüteten Leistungen um 15 % oder mehr niedriger ist als der Punktwert für den größten Teil der sonstigen Leistungen (BSGE 83, 1 , 5 = SozR 3-2500 § 85 Nr 26 S 186 f).

Auf diese Urteile hat sich das LSG ausdrücklich bezogen und - über die Rechtsprechung des Senats hinausgehend - angenommen, eine 15-prozentige Punktwertdifferenz könne durch einen Vergleich zwischen dem Punktwertverfall aller Fachgruppen und demjenigen der Laborärzte und Fachwissenschaftler für Medizin ermittelt werden. Ob dem jedenfalls für den Zeitraum der Geltung der Praxisbudgets (Juli 1997 bis März 2003) zugestimmt werden kann, ist zweifelhaft, weil hier der Punktwertrückgang bei budgetierten und nicht budgetierten Arztgruppen verglichen wird. Die von der Budgetierung betroffenen Arztgruppen haben indessen unter Geltung der Praxisbudgets ihren Beitrag zur Stabilisierung der Punktwerte insgesamt durch eine Begrenzung der berechnungsfähigen Leistungen erbracht, sodass Punktwertrückgänge diese Arztgruppen möglicherweise härter treffen als Arztgruppen, die - wie hier die Laborärzte und Fachwissenschaftler für Medizin - von den Praxisbudgets nicht betroffen waren. Aber selbst auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, die prozentualen Punktwertrückgänge bei budgetierten und nicht budgetierten Fachgruppen seien ein geeigneter Vergleichsmaßstab, anhand dessen beurteilt werden könne, ob eine Beobachtungs- und Reaktionspflicht der KÄV eingreife, hat das Berufungsgericht das Bestehen einer solchen Pflicht nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Senats generell verneint. Es hat vielmehr aufgrund der besonderen Umstände des zu beurteilenden Falles angenommen, die Beklagte habe ausnahmsweise von einer Punktwertkorrektur absehen dürfen. Damit liegt eine für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG allein entscheidende Divergenz in den rechtsgrundsätzlichen Aussagen nicht vor.

Die zitierten Senatsurteile befassen sich nach ihren jeweiligen Streitgegenständen nicht im Ansatz mit den vom LSG für maßgeblich gehaltenen besonderen Aspekten der Vergütung von laborärztlichen Leistungen durch die Beklagte zwischen Mitte 1998 und Mitte 1999. In diesem Zusammenhang ist für das Berufungsgericht zunächst von Bedeutung, dass bis zum Ende des Quartals II/1998 die Leistungen der Laborärzte mit einem Mindestpunktwert von 6 Pfennig vergütet worden sind, den auch die Kläger nicht für unangemessen niedrig halten. Weiterhin besteht nach Auffassung des LSG die Besonderheit, dass die Beklagte nach Vorliegen der Abrechnungsergebnisse für die ersten Quartale ohne garantierten Mindestpunktwert Ende 1998/Anfang 1999 schon wusste, dass die Vergütung der Laborleistungen im EBM-Ä zum Quartal III/1999 grundlegend neugestaltet werden würde. Kernelement dieser Neugestaltung war die Vergütung der technisch-analytischen Laborleistungen mit festen DM - bzw später Euro-Beträgen (vgl zur Neuregelung näher BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 9). Da sich die Rechtsprechung des Senats noch nicht damit befasst hat, unter welchen Voraussetzungen derartige Umstände die vom LSG im Grundsatz nicht in Frage gestellte Reaktionspflicht der KÄV auf einen Punktwertverfall in einem fachgruppengebundenen Topf, aus dem ganz überwiegend Überweisungsleistungen vergütet werden, beeinflussen können, kann keine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bestehen.

Soweit die Kläger hinsichtlich der Rechtsfragen, bei denen sie - wie soeben ausgeführt: zu Unrecht - eine Divergenz zwischen dem Berufungsurteil und der Rechtsprechung des Senats sehen, Bedarf nach einer grundsätzlichen Klärung geltend machen, besteht ein solcher nicht. Die von den Klägern aufgeworfenen Fragen der näheren Konkretisierung der im Ausgangspunkt unbestrittenen Beobachtungs- und Reaktionspflicht der KÄV bei leistungs- bzw arztgruppenbezogenen Honorarkontingenten für überweisungsgebundene Leistungen bedürfen keiner revisionsgerichtlichen Klärung. In der begrenzten Form, in der sie in dem von den Klägern angestrebten Revisionsverfahren allenfalls geklärt werden könnten, haben sie keine über den Einzelfall hinausweisende Bedeutung.

Die hier zu beurteilende Rechtslage ist - wie oben dargestellt - dadurch gekennzeichnet, dass die Beklagte bis in das streitbefangene Jahr 1998 hinein einen Mindestpunktwert für die betroffenen überweisungsgebundenen Laborleistungen festgelegt hatte, sodass sich von vornherein die Frage der Korrektur der Verteilungsregelung in Folge eines gravierenden Punktwertabfalls nicht gestellt hat. Weiterhin ist von Bedeutung, dass die KÄV, als ihr deutlich werden musste, dass nach Abschaffung des Mindestpunktwertes ein gravierender Punktwertverfall eingetreten war, der grundsätzlich ihre Verpflichtung zur Korrektur der Honorarverteilungsregelungen hätte auslösen können, schon wusste, dass und in welcher Form die bundesrechtlichen Vorgaben zur Vergütung von Laborleistungen korrigiert werden würden. Ein Bedürfnis nach näherer revisionsrichterlicher Konkretisierung der Reaktionspflichten einer KÄV in einer derart untypischen und mutmaßlich einmaligen Situation besteht nicht. Zwar weisen die Kläger - im Ausgangspunkt zutreffend - darauf hin, dass das Eingreifen der Beobachtungs- und Reaktionspflicht der KÄV nicht dadurch prinzipiell in Frage gestellt werden kann, dass diese beabsichtigt, ihrerseits in einem in der Zukunft liegenden Zeitpunkt die Regeln über die Honorarverteilung zu ändern. Hier geht es jedoch darum, dass zeitgleich mit dem frühest möglichen Einsetzen einer Korrekturverpflichtung der Beklagten die grundlegenden Änderungen der Bestimmungen über die Vergütung der Laborleistungen im EBM-Ä schon bekannt waren. Der EBM-Ä stellt ein Normengefüge dar, das der Bewertungsausschuss auf Bundesebene erlässt (§ 87 Abs 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch) und nicht die einzelne KÄV; diese ist vielmehr bei der ihr obliegenden Honorarverteilung an den EBM-Ä gebunden. Ob und in welcher Weise die KÄV derartige bereits beschlossene Rechtsänderungen anderer, ihr grundsätzlich vorgeordneter Normgeber berücksichtigen darf oder muss, entzieht sich einer rechtsgrundsätzlichen Klärung. Genauso wenig wie für alle denkbaren Fallkonstellationen exakt festgelegt werden kann, wie und zu welchem Zeitpunkt die KÄV ihrer Reaktionspflicht auf einen Punktwertverfall als Folge der Mengenausweitung bei überweisungsgebundenen Leistungen nachkommen muss, kann allgemein beurteilt werden, wann unmittelbar bevorstehende, grundlegende Rechtsänderungen im Vergütungsrecht auf Bundesebene, die schon beschlossen sind, ausnahmsweise für einen kürzeren Zeitraum ein weiteres Zuwarten der KÄV gestatten.

Im Übrigen hat der Senat in anderem Zusammenhang ausgeführt, dass die Berücksichtigung der generellen Situation einer Arztgruppe bei der Prüfung der Angemessenheit der Vergütung regelmäßig ausschließt, dass ein Anspruch auf höhere Vergütung mit Erfolg für nur einen kurzen Zeitraum oder für beliebig herausgegriffene Quartale geltend gemacht werden kann. Zur Erfassung der generellen Lage ist die Gesamtsituation der betroffenen Arztgruppe über einen längeren Zeitraum, nämlich über mindestens vier zusammenhängende Quartale, zu betrachten (BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, jeweils RdNr 128). Es bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung, ob die Frist von vier Quartalen auch für die Beobachtungs- und Reaktionspflicht der KÄV bei Punktwertverfallsituationen für überweisungsgebundene Leistungen als Folge fester Honorarkontingente von Bedeutung ist. In einer Konstellation, in der zwischen dem Auslaufen der Punktwertgarantie zum Ende des Quartals II/1998 und der grundlegenden Neugestaltung der gesamten Vergütung der Laborleistungen auf Bundesebene zum Quartal III/1999 lediglich vier Quartale gelegen haben, hängt es jedenfalls ganz maßgeblich von den Umständen des Einzelfalles ab, ob die KÄV schon für das dritte Quartal (hier Quartal I/1999) hätte reagieren müssen. Grundsätzlich klärungsfähig ist diese Rechtsfrage deshalb nicht.

Soweit die Kläger geltend machen, "in fast allen KÄV-Bezirken erfolge eine Aufteilung der Gesamtvergütung auf Facharztfonds" und "im Zusammenhang mit der Verteilung der Gesamtvergütung auf Facharztfonds könne es daher jederzeit zu gleich gelagerten rechtlichen Fallgestaltungen kommen", wird die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der zu entscheidenden Rechtsfrage nicht hinreichend deutlich. Wegen der bereits aufgezeigten besonderen Umstände im hier zu beurteilenden Fall könnte es zu der von den Klägern angestrebten grundsätzlichen Klärung im Zusammenhang mit den Beobachtungs- und Reaktionspflichten der KÄVen bei der Honorarverteilung nach festen arztgruppenbezogenen Kontingenten nicht kommen. Dass zu der besonderen Konstellation der labormedizinischen Leistungen im Bereich der Beklagten aus der Zeit bis Mitte 1999 noch eine Vielzahl von Verfahren anhängig wären, ist dem Senat nicht bekannt und von den Klägern auch nicht dargelegt worden.

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und im Hinblick auf die Klageerhebung im Jahr 2000 hier noch anzuwendenden Fassung.

Vorinstanz: Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern 1. Senat - L 1 KA 6/03 - 01.02.2006,
Vorinstanz: SG Schwerin, vom 22.01.2003 - Vorinstanzaktenzeichen S 3a KA 18/00