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BSG - Entscheidung vom 21.06.2006

B 11a AL 217/05 B

Normen:
SGG § 160a Abs. 2 S. 3

BSG, Beschluß vom 21.06.2006 - Aktenzeichen B 11a AL 217/05 B

DRsp Nr. 2006/20440

Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde

Zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit reicht der Hinweis auf das Fehlen einer Entscheidung des Revisionsgerichts dann nicht aus, wenn ein anderes oberstes Bundesgericht zu speziellen Rechtsfragen entschieden hat. Hier ist substantiiert darzulegen, warum der zu der Rechtsfrage ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht gefolgt werden kann. [Nicht amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Normenkette:

SGG § 160a Abs. 2 S. 3 ;

Gründe:

I. Streitig ist in der Hauptsache ein Anspruch auf Akteneinsicht, hilfsweise Auskunftserteilung.

Auf Grund einer telefonischen Anzeige führte die Beklagte am 11. November 2002 auf dem Grundstück der Klägerin eine Außenprüfung wegen möglicher illegaler Beschäftigung von polnischen Arbeitskräften durch ein Unternehmen aus W durch. Ein Anhalt für illegale Beschäftigung ergab sich nicht.

In der Folge beantragte die Klägerin Akteneinsicht zur Ermittlung der Identität des Anzeigeerstatters mit dem weiter gehenden Ziel der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen Falschverdächtigung. Die Beklagte übersandte der Klägerin einen Gesprächsvermerk aus Anlass der Anzeige, verweigerte aber die Benennung des (zunächst als anonym bezeichneten) Anzeigeerstatters. Klage und Berufung blieben erfolglos.

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts (LSG) macht die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend und rügt Verfahrensmängel.

II. Die Beschwerde ist nicht zulässig. Die geltend gemachten Zulassungsgründe (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Verfahrensfehler) sind nicht in der durch § 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz ( SGG ) gebotenen Weise dargelegt bzw geltend gemacht.

1. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache lässt sich nur darlegen, indem die Beschwerdebegründung ausführt, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN; BVerfG NJW 1999, 304 ; vgl auch BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auch auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und ggf des Schrifttums nicht ohne weiteres zu beantworten ist und den Schritt dazustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtslage im Allgemeininteresse vornehmen soll (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Die bloße Behauptung der Verfassungswidrigkeit begründet keinen herabgesetzten Begründungsmaßstab (BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; SozR 3-1500 § 160a Nr 23; auch BSG, Beschluss vom 5. Mai 1994 - 12 BK 38/94).

Zwar formuliert die Klägerin insgesamt sieben Fragen, die sie als Rechtsfragen für bedeutsam hält, nämlich

(1) ob dem aus Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 Grundgesetz ( GG ) resultierenden Auskunftsanspruch entgegengehalten werden darf, dass die von der Behörde verwendeten Daten unter Zusicherung der Vertraulichkeit erlangt wurden,

(2) ob zu den durch § 67 Abs 1 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch ( SGB X ) iVm § 35 Abs 1 Sozialgesetzbuch - Erstes Buch ( SGB I ) geschützten Sozialdaten auch die Personalien eines Behördeninformanten zählen,

(3) ob zu den von §§ 25 Abs 3 und 83 Abs 4 Nr 3 SGB X erfassten berechtigten Interessen Dritter auch das Interesse eines Privaten am Schutz vor Inanspruchnahme auf Schadensersatz zu zählen ist,

(4) unter welchen Umständen eine Behörde oder ein Gericht die Geltendmachung zivilrechtlichen Schadensersatzes durch Verweigerung der Akteneinsicht vereiteln darf, wenn hierfür nicht eine gleichwertige Kompensation durch den Staat angeboten wird,

(5) ob unter den Begriff des Antragsgegners nach § 12 Abs 1 Nr 2 Alt 2 SGB X auch die Behörde als Trägerin des Verfahrens fällt,

(6) ob das allgemeine Akteneinsichtsrecht bei Grundrechtseingriffen auch dann gilt, wenn damit nicht die Überprüfung der Rechtmäßigkeit behördlichen Handelns, sondern die Geltendmachung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche verfolgt wird,

(7) ob das Akteneinsichtsrecht bei schutzwürdigen Interessen Dritter generell ausgeschlossen ist oder ob unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht auf schwächere Mittel wie die Schwärzung des betreffenden Namens oder die Gewährung der Einsichtnahme nur gegenüber dem Prozessbevollmächtigten zurückgegriffen werden muss.

a) Zu den Fragen 1 bis 3 und 5 lässt die Beschwerdebegründung einen (fortbestehenden) Klärungsbedarf nicht erkennen. Die Klägerin setzt sich nicht in der gebotenen Weise damit auseinander, ob nicht die - vom LSG in seinem Urteil maßgeblich zu Grunde gelegte - Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 4. November 2003 (BVerwGE 119, 11) über den Anspruch auf Akteneinsicht und Auskunft über den Namen eines Behördeninformanten nach § 25 bzw § 83 SGB X und die in diesem Zusammenhang gebotene Abwägung der widerstreitenden Interessen unter Einschluss des Datenschutzes zu Gunsten auch des Informanten, die aufgeworfenen Rechtsfragen bereits geklärt haben. Denn der Hinweis auf das Fehlen einer Entscheidung des Revisionsgerichts reicht dann nicht zur Darlegung des Klärungsbedarfs aus, wenn ein anderes oberstes Bundesgericht zu speziellen Rechtsfragen entschieden hat (vgl BSG, Beschluss vom 17. Juli 1989 - 6 BKa 63/88 - veröffentlicht in juris; ferner BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 und SozR 3-1500 § 160 Nr 8 - zur fehlenden grundsätzlichen Bedeutung nach Klärung der Rechtsfrage durch ein anderes oberstes Bundesgericht; hierzu auch Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 117). Vielmehr ist dann substantiiert darzulegen, warum der zu der Rechtsfrage ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht gefolgt werden könne (vgl BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2). Diesen Anforderungen genügt der pauschale Hinweis der Beschwerdebegründung nicht, das BVerwG habe über einen unterschiedlichen Sachverhalt entschieden. Dieser Hinweis und die zur Frage der Akteneinsicht bei Grundrechtseingriffen zitierte allgemeine Meinung zeigen im Übrigen, dass letztlich die für falsch gehaltene Subsumtion des LSG im Einzelfall gerügt wird. Hierin liegt jedoch kein Zulassungsgrund (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7; stRspr).

b) Für die Rechtsfrage 7 fehlt es bereits an der Darlegung, welche zusätzlichen Erkenntnisse sich die Klägerin von einer Akteneinsicht mit Schwärzung verspricht, nachdem sie von der Beklagten bereits den (ungeschwärzten) Gesprächsvermerk erhalten hatte.

c) Darüber hinaus fehlen sowohl hinsichtlich dieser Rechtsfrage als auch hinsichtlich der Fragen 4 und 6 Darlegungen, inwieweit zivilrechtliche Schadensersatzansprüche gegen den Anzeigeerstatter angesichts des festgestellten Sachverhalts (keine Beschuldigung der Klägerin; keine leichtfertige Falschinformation) entstehen können. Zur geltend gemachten Vereitelung von Schadensersatzansprüchen hätte es mindestens weiter gehender Ausführungen zum Akteneinsichtsrecht des Verletzten im Strafverfahren (hierzu BVerfG NJW 2003, 501 ) und zu einem gerade dem Anzeigeerstatter zurechenbaren Schaden aus Anlass der behaupteten grundrechtswidrigen Wohnraumdurchsuchung bedurft.

2. Wegen eines Verfahrensmangels ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensfehler des LSG iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann.

Die Klägerin behauptet eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (§§ 62 , 128 Abs 2 SGG , Art 103 Abs 1 GG ) durch Verwertung von Tatsachen, zu denen sie sich nicht äußern konnte. Die Beschwerdebegründung führt hierzu an, das vom LSG für maßgeblich gehaltene Fehlen von Anhaltspunkten für eine zumindest leichtfertige Falschinformation erscheine nur vor dem Hintergrund der Detailkenntnis des ihr vorenthaltenen Verwaltungsvorgangs möglich, sodass ihr nicht zugängliche Umstände verwertet worden seien. Zwar dürfen Vorgänge, die der Kenntnis der Beteiligten entzogen sind (vgl § 120 Abs 3 SGG ), als Grundlage der nachfolgenden Entscheidung nicht verwertet werden (BSG SozR 1500 § 120 Nr 1). Doch ist der von der Klägerin behauptete Verfahrensverstoß schon deshalb nicht schlüssig dargetan, weil die Feststellung fehlender Anhaltspunkte für eine leichtfertige Falschinformation nicht notwendig die Berücksichtigung der Verwaltungsakten voraussetzt.

Auch die zusätzlich geltend gemachte Gehörsverletzung durch unvollständige Akteneinsicht (vgl § 120 SGG ) unter Ausschluss insbesondere des Prozessbevollmächtigten ist nicht ausreichend dargelegt. Die Verletzung rechtlichen Gehörs unterliegt grundsätzlich der Heilung (§ 202 SGG iVm § 295 Zivilprozessordnung [ZPO]; BSG, Beschluss vom 31. Januar 2000 - B 11 AL 271/99 B). Die Beschwerdebegründung versäumt es bereits anzugeben, dass die unterbliebene Akteneinsicht durch den Prozessbevollmächtigten im Anschluss an den Akteneinsichtsantrag vom 4. Juli 2005 in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG gerügt wurde. Davon abgesehen enthält die Beschwerdebegründung keine schlüssige Darlegung eines Verfahrensmangels. Sie legt insbesondere nicht dar, dass die Entscheidung des LSG ohne den angeblichen Verfahrensverstoß anders hätte ausfallen können, nachdem hier die besondere Situation gegeben war, dass der Prozessbevollmächtigte in der Kanzlei der Klägerin tätig war. Schon von daher hätte ein Anspruch auf Akteneinsicht durch den Prozessbevollmächtigten einer weiteren Begründung bedurft.

3. Wegen der allein verbleibenden (verschuldensabhängigen) Kosten ist das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde nicht gegeben (BSG, Beschluss vom 23. Oktober 2003 - B 11 AL 199/03 B).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Nordrhein-Westfalen, vom 16.08.2005 - Vorinstanzaktenzeichen L 1 AL 14/04
Vorinstanz: SG Düsseldorf - S. 23 AL 121/03 - 12.01.2004,