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BSG - Entscheidung vom 19.07.2006

B 6 KA 33/05 B

Normen:
SGB V § 72 Abs. 1 S. 1 § 72 Abs. 2 § 98 Abs. 2 Nr. 11
Ärzte-ZV § 31 § 31a

BSG, Beschluß vom 19.07.2006 - Aktenzeichen B 6 KA 33/05 B

DRsp Nr. 2006/25519

Ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung zur Sicherstellung der vertragsärztlichen bzw -psychotherapeutischen Versorgung

Das Ziel einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten im Rahmen der Gesetze ist stets Maßstab für die Anwendung der Vorschriften zur Sicherstellung der vertragsärztlichen und psychotherapeutischen Versorgung durch Ermächtigung weiterer Ärzte oder Psychotherapeuten. Nach den gesetzlichen Regelungen gehört die Gewährleistung einer Verständigung aller in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten mit den an der vertragsärztlichen bzw -psychotherapeutischen Versorgung beteiligten Leistungserbringern auch in ihrer jeweiligen nichtdeutschen Muttersprache nicht zum Leistungsumfang einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung. [Nicht amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Normenkette:

SGB V § 72 Abs. 1 S. 1 § 72 Abs. 2 § 98 Abs. 2 Nr. 11 ; Ärzte-ZV § 31 § 31a ;

Gründe:

I

Streitig ist ein Anspruch auf Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragspsychotherapeutischen Versorgung.

Die 1948 in Chicago als Italo-Amerikanerin der zweiten Generation geborene Klägerin ist berechtigt, den Grad "Diplom-Psychologe/University of Washington" zu führen. Sie ist mit einem Deutschen verheiratet und lebt seit 1992 in Freiburg, wo sie seit 1993 als Psychotherapeutin in verschiedenen Einrichtungen tätig war. Sie spricht Englisch als Muttersprache und - nach langjährigen Aufenthalten in Chile, Ecuador und Brasilien - nach eigenen Angaben fließend Spanisch und Portugiesisch. Im Juni 1996 eröffnete sie in Freiburg eine psychotherapeutische Privatpraxis. Zudem ist die Klägerin im Umfang von acht Wochenstunden an der psychologischen Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen der katholischen Gesamtkirchengemeinde Freiburg tätig. Sie erhielt im März 1999 die Approbation als Psychologische Psychotherapeutin und wurde im Juni 1999 in das Psychotherapeutenregister eingetragen. Ihre Anträge auf Zulassung als Psychologische Psychotherapeutin in Freiburg - bedarfsunabhängig bzw wegen Sonderbedarfs - wurden bestandskräftig abgelehnt (vgl Senatsbeschluss vom 30. Januar 2002 - B 6 KA 93/01 B - juris).

Die Klägerin stellte im Juli 2002 einen Antrag auf Ermächtigung zur Durchführung von Psychotherapien für Versicherte, die eine Therapie ausdrücklich in ihrer englischen, spanischen oder portugiesischen Muttersprache absolvieren wollten. Nach Ablehnung durch den Zulassungsausschuss beschränkte die Klägerin im Widerspruch ihr Begehren auf eine Ermächtigung für Therapien auf Spanisch und Portugiesisch. Der beklagte Berufungsausschuss wies den Widerspruch zurück. Mit ihrer Klage macht die Klägerin nur noch eine Ermächtigung für Therapien in portugiesischer Sprache geltend.

Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat ausgeführt, die Klägerin erfülle schon deshalb nicht die Voraussetzungen für eine Ermächtigung, weil sie nicht an einem Krankenhaus tätig sei. Aber selbst wenn diese Voraussetzung entgegen dem klaren Wortlaut des Gesetzes bei Psychologischen Psychotherapeuten für entbehrlich erachtet werde, habe der Beklagte zu Recht eine Ermächtigung versagt. Ein quantitativ-allgemeiner Bedarf sei in dem mit einem Versorgungsgrad von mehr als 400 % mit Psychotherapeuten deutlich überversorgten Planungsbereich auch angesichts des Umstands, dass in Freiburg lediglich 698 portugiesische Einwohner gemeldet seien, nicht feststellbar. Auch ein qualitativ-spezieller Bedarf bestehe nicht. Die Klägerin wende keine anderen psychotherapeutischen Methoden als sonstige Psychotherapeuten an. Ihre portugiesischen Sprachkenntnisse beinhalteten eine außerhalb ihrer psychotherapeutischen Qualifikation liegende Eigenschaft, die lediglich einen Dolmetscher ersetze. Zudem lägen die Voraussetzungen einer Ermächtigung zur Versorgung eines begrenzten Personenkreises nach § 31 Abs 1 Buchst b der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) nicht vor, da die Gruppe der Menschen, die eine Psychotherapie in ihrer Muttersprache Portugiesisch bedürften, keinen "begrenzten Personenkreis" iS jener Vorschrift bildeten. Schließlich scheitere die begehrte Ermächtigung daran, dass das System der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) keinen Anspruch auf Durchführung einer Psychotherapie in der jeweiligen Muttersprache des Versicherten gewähre, da - wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits entschieden habe - auch kein Anspruch auf Bezahlung eines Dolmetschers bestehe. Die Kassenärztlichen Vereinigungen müssten deshalb im Rahmen ihres Sicherstellungsauftrags nicht dafür sorgen, dass fremdsprachenkundige Psychotherapeuten zur Verfügung stehen. Würde eine solche Verpflichtung bejaht, beschränkte sich angesichts des Umstands, dass Ausländer aus den verschiedensten Ländern der Welt in der GKV versichert seien, die Bedarfsplanung im Kern auf Deutsche; ein entsprechender Regelungswille sei im Gesetz jedoch nicht zum Ausdruck gekommen (Urteil des LSG vom 16. Februar 2005).

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht die Klägerin geltend, es sei eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz >SGG<).

II

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob die Regelung in § 72 Abs 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch ( SGB V ) dazu verpflichte, die vertragsärztliche Versorgung mit ambulanter Psychotherapie so zu regeln, dass für einen Versicherten mit unzureichenden Kenntnissen der deutschen Sprache ein dessen Muttersprache beherrschender Psychotherapeut zur Verfügung steht, hat - die Zulässigkeit der Rüge unterstellt - keine grundsätzliche Bedeutung.

Einer Rechtsfrage kommt grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nur zu, wenn sie im Rahmen des angestrebten Revisionsverfahrens klärungsfähig (entscheidungserheblich), klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von allgemeiner Bedeutung ist (stRspr, vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 5 RdNr 3, Nr 6 RdNr 6 und § 160a Nr 7 RdNr 4, Nr 9 RdNr 4 - jeweils mwN). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (s zB BVerfG >Kammer<, SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14). Eine Rechtsfrage ist insbesondere dann nicht in einem Revisionsverfahren klärungsbedürftig, wenn sich ihre Beantwortung eindeutig aus dem Gesetz und der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ergibt, die Antwort also praktisch von vornherein außer Zweifel steht (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 7 RdNr 8). So verhält es sich hier. Es besteht kein Zweifel daran, dass nach den gesetzlichen Regelungen eine Pflicht zur Sicherstellung der ambulanten vertragspsychotherapeutischen Versorgung in den verschiedensten - nichtdeutschen - Muttersprachen von Versicherten nicht besteht.

Gemäß § 72 Abs 2 SGB V ist die vertragsärztliche Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses ua so zu regeln, dass eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse gewährleistet ist; ein Anspruch auf "optimale Versorgung" oder auf Bereitstellung bestimmter und insbesondere spezieller Gesundheitsleistungen besteht hingegen nicht (vgl BSGE 94, 302 = SozR 4-2500 § 34 Nr 2, jeweils RdNr 21; BVerfG >Kammer< SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 24, 27). Diese grundlegende Einweisungsvorschrift für die Regelungen des zweiten Abschnitts im vierten Kapitel des SGB V (Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern) ist im Rahmen der Auslegung der nachfolgenden Einzelvorschriften mit zu berücksichtigen; hierzu gehören auch die Vorschriften über die Ermächtigung weiterer Ärzte und Psychotherapeuten (§ 72 Abs 1 Satz 1 SGB V ) gemäß § 98 Abs 2 Nr 11 SGB V iVm §§ 31 , 31a Ärzte-ZV. Maßstab für die Anwendung der Vorschriften zur Sicherstellung der vertragsärztlichen und vertragspsychotherapeutischen Versorgung durch Ermächtigung weiterer Ärzte oder Psychotherapeuten ist daher stets das Ziel einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten im Rahmen der Gesetze.

Die Gewährleistung einer Verständigung aller in der GKV Versicherten mit den an der vertragsärztlichen Versorgung beteiligten Leistungserbringern auch in ihrer jeweiligen - nichtdeutschen - Muttersprache gehört nach den gesetzlichen Regelungen jedoch nicht zum Leistungsumfang einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung. Die Krankenkassen haben vielmehr den in einer fremden Sprache aufgewachsenen Versicherten die notwendigen Leistungen der Krankenbehandlung, zu denen auch die psychotherapeutische Behandlung gehört (§ 27 Abs 1 Satz 2 Nr 1 , § 28 Abs 3 SGB V ), gleichfalls mit Hilfe der zur Teilnahme an der vertragspsychotherapeutischen Versorgung zugelassenen oder ermächtigten Ärzte bzw Psychologischen Psychotherapeuten als Dienstleistung (Naturalleistung) zur Verfügung zu stellen (§ 2 Abs 2 SGB V ). Die Ermöglichung einer sprachlichen Verständigung zwischen Therapeut und Patient in einer nichtdeutschen Sprache ist dabei, wie der 1. Senat des BSG bereits entschieden hat, als Nebenleistung zur Krankenbehandlung nach der insoweit nicht lückenhaften gesetzlichen Regelung nicht vom Leistungsanspruch der Versicherten umfasst; im Rahmen einer Krankenbehandlung ggf erforderliche Kosten für die Hinzuziehung eines Dolmetschers dürfen daher nicht von den Krankenkassen übernommen werden (BSGE 76, 109 , 111 f = SozR 3-2500 § 28 Nr 1 S 3 f, bekräftigt in BSG SozR 4-2500 § 32 Nr 1 RdNr 6). Dies entspricht der in § 19 Abs 1 und 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch ausdrücklich für die Verständigung zwischen dem Versicherten und seiner Krankenkasse getroffenen Regelung, nach der auch in der GKV Deutsch als Amtssprache dient und die dieser Sprache nicht ausreichend kundigen Versicherten für die Übersetzung ihrer in Fremdsprachen vorgetragenen Anliegen, die die Krankenkasse nicht zu verstehen in der Lage ist, auf eigene Kosten zu sorgen haben. Nichts anderes kann im Rahmen der Zurverfügungstellung von Dienstleistungen der Ärzte bzw Psychotherapeuten durch die Krankenkassen gelten. Diese sind weder verpflichtet, im Rahmen der Einstellung ihres Verwaltungspersonals zu gewährleisten, dass Bedienstete mit Kenntnissen aller von ihren Versicherten gesprochenen Muttersprachen zur Verfügung stehen, noch obliegt ihnen bzw den Zulassungsgremien eine solche Verpflichtung im Rahmen der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung durch Zulassung oder Ermächtigung entsprechender Leistungserbringer.

Auf diese Weise wird auch eine Ungleichbehandlung verschiedener Sprachgruppen von des Deutschen nicht hinreichend mächtigen Versicherten im Rahmen der Krankenbehandlung vermieden. Wollte man eine Verpflichtung annehmen, Ärzte bzw Psychotherapeuten ungeachtet einer bestehenden Überversorgung stets dann zur Sicherstellung der Versorgung zuzulassen oder zu ermächtigen, wenn sie zusätzlich zu ihren medizinischen bzw psychotherapeutischen Qualifikationen noch eine von Versicherten nachgefragte Fremdsprache beherrschen, würden nur diejenigen Versicherten mit im Rahmen der Heilbehandlung erforderlichen Dolmetscherkosten belastet, für die ein muttersprachlicher Therapeut - aus welchen Gründen auch immer - nicht zur Verfügung steht. Ein sachlicher Grund für die Privilegierung von Versicherten, die eine bei Therapeuten verbreitete Fremdsprache sprechen, ist jedoch nicht ersichtlich. Vielmehr muss es dabei verbleiben, dass Deutsch die für Behandlungen in der GKV grundsätzlich maßgebliche, alle Versichertengruppen integrierende Sprache darstellt und deshalb im Rahmen von Zulassungs- und Ermächtigungsentscheidungen Fremdsprachenkenntnisse der Bewerber außer Betracht zu bleiben haben.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 160a Abs 4 Satz 3 Halbsatz 2 SGG abgesehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff Verwaltungsgerichtsordnung ( VwGO ). Danach trägt die Klägerin die Kosten des von ihr erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO ), wobei ihr auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. und 2., die im Beschwerdeverfahren selbst Anträge gestellt und damit ein Kostenrisiko auf sich genommen haben, auferlegt werden (§ 162 Abs 3 VwGO ). Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 63 Abs 2 , § 47 Abs 1 und 3 , § 52 Abs 1 und 2 Gerichtskostengesetz . Dabei hat der Senat entsprechend der von den Beteiligten nicht angegriffenen Vorgehensweise der Vorinstanzen wegen der nicht näher quantifizierbaren Gewinnaussichten im Zusammenhang mit einer Ermächtigung ausschließlich für Psychotherapien bei Versicherten, die deren Durchführung in portugiesischer Sprache wünschen, einen Jahresgewinn von 5.000 EUR angenommen und im Hinblick auf die üblicherweise zweijährige Befristung von Ermächtigungen verdoppelt.

Vorinstanz: LSG Stuttgart - L 5 KA 3491/04 - 16.02.2005,
Vorinstanz: SG Freiburg (Breisgau) - S 1 KA 790/03 - 07.07.2004,