Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 20.12.2006

IV ZB 25/06

Normen:
ZPO § 517 § 85 Abs. 2 § 233

Fundstellen:
FamRZ 2007, 1637
NJW-RR 2007, 1714

BGH, Beschluß vom 20.12.2006 - Aktenzeichen IV ZB 25/06

DRsp Nr. 2007/13276

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist; Anforderungen an die Büroorganisation bei Führung eines elektronischen Fristenkalenders

1. Der Rechtsanwalt darf die von ihm einzuhaltenden Fristen auch allein mit Hilfe eines elektronischen Fristenkalenders überwachen, ohne verpflichtet zu sein, parallel dazu noch einen schriftlichen Fristenkalender zu führen. Er muß aber durch begleitende und organisatorische Maßnahmen sicherstellen, dass Fristen nicht nur ordnungsgemäß notiert, sondern im Weiteren auch tatsächlich beachtet werden. Dem ist durch die Anweisung, Löschungen erst entweder nach entsprechender Einzelverfügung oder Vorlage eines fristwahrenden Schriftsatzes in der Postmappe vorzunehmen, zunächst grundsätzlich genügt.2. Darüber hinaus ist jedoch durch eine wirksame Ausgangskontrolle zu gewährleisten, dass ein fristgebundener Schriftsatz nicht nur rechtzeitig hergestellt wird, sondern auch vor Fristablauf bei dem zuständigen Gericht eingeht. Daher muß die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages von einer dazu beauftragten Bürokraft eigens überprüft werden.

Normenkette:

ZPO § 517 § 85 Abs. 2 § 233 ;

Gründe:

I. Die Klägerin erstrebt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Das die Klage abweisende Urteil des Landgerichts ist ihrem Prozessbevollmächtigten am 2. Januar 2006 zugestellt worden. Seine Berufungsschrift, mit der er den Wiedereinsetzungsantrag verbunden hat, ist am 17. Februar 2006 beim Oberlandesgericht eingegangen.

1. Die Fristversäumnis wird damit begründet, eine gut ausgebildete und bisher stets zuverlässige Büromitarbeiterin des Prozessbevollmächtigten habe aus letztlich unerklärlichen Gründen ihre Pflichten bei der Fristenkontrolle versäumt. Im Büro des Prozessbevollmächtigten sei die Überwachung von Rechtsmittelfristen in der Weise organisiert, dass bei Eingang einer Entscheidung in einen elektronischen Fristenkalender das Fristende und die bereits eine Woche davor endende Vorfrist mit einer bestimmten Kennung eingetragen würden. Beide Fristen würden auch auf der Entscheidung notiert. Sodann geschehe die Fristüberwachung mittels täglich ausgedruckter Listen über jeweils ablaufende Fristen, anhand derer die betreffenden Handakten herausgesucht und dem zuständigen Bearbeiter vorgelegt würden. Eine Frist dürfe nur dann aus diesen Listen gestrichen und in der elektronischen Datenspeicherung gelöscht werden, wenn entweder eine ausdrückliche diesbezügliche Verfügung ergehe oder ein fristwahrender Schriftsatz in der Postausgangsmappe zur Unterschrift vorgelegt worden sei. Eine darüber hinaus gehende gesonderte Kontrolle betreffend die Einhaltung von Vor- und Endfrist sei weder praktiziert worden noch vom Rechtsanwalt geschuldet. Er habe sich vielmehr darauf verlassen dürfen, dass das beschriebene Kontrollsystem "tagtäglich gelebt und geleistet" worden sei.

Hier habe es die zuständige Büroangestellte nach ordnungsgemäßer Notierung der Vorfrist und des Fristablaufs im Weiteren versäumt, die Handakte dem zuständigen Rechtsanwalt rechtzeitig vorzulegen. Das beruhe möglicherweise darauf, dass in der Handakte noch eine Abrechnung von Reisekosten habe vorgenommen werden sollen und die Akte wegen anderweitiger von der betreffenden Mitarbeiterin zu bearbeitender Akten, ferner auch wegen mehrerer im Wesentlichen rechtlich gleich gelagerter Parallelfälle vorübergehend "aus dem Blickfeld geraten" sei. Warum die ausgedruckten Kontrolllisten nicht nur am Tage des Ablaufs der Vorfrist sondern auch zu Ende der Berufungsfrist nicht ordnungsgemäß abgearbeitet worden seien, könne - ebenso wie der Verbleib der betreffenden beiden Listen - nicht mehr geklärt werden.

2. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen, weil die Klägerin ein ihr gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumnis nicht hinreichend ausgeräumt habe. Es liege ein gravierender Mangel in der Büroorganisation ihres Prozessbevollmächtigten darin, dass nicht am Ende eines jeden Arbeitstages von einem eigens damit beauftragten Mitarbeiter anhand des Fristenkalenders noch einmal überprüft worden sei, welche fristwahrenden Schriftsätze hergestellt, abgesandt oder zumindest versandfertig gemacht worden seien. Das sei hier insbesondere deshalb geboten gewesen, weil es sich bei den täglich abgearbeiteten ausgedruckten Kontrolllisten um lose Blätter gehandelt und für diese ein hohes Verlustrisiko bestanden habe. Bezeichnenderweise habe der Prozessbevollmächtigte der Klägerin auf Nachfrage zum Verbleib der hier maßgeblichen beiden Listen nichts erklären können. Bei einer wirksamen täglichen Endkontrolle wäre die Berufungsfrist voraussichtlich gewahrt worden, zumal weder die Vorfrist noch der endgültige Fristablauf im Datenbestand des EDV-gestützten Fristenkalenders gelöscht gewesen seien.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung jedenfalls im Ergebnis stand.

1. Die nach § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zulässig, weil die Frage, welche Maßnahmen zur Kontrolle von Rechtsmittelfristen bei einer EDV-gestützten Büroorganisation eines Rechtsanwalts geboten erscheinen, für eine Vielzahl gleich und ähnlich gelagerter Fälle Bedeutung gewinnen kann.

2. Die Rechtsbeschwerde hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt nach § 233 ZPO voraus, dass die Partei ohne ihr Verschulden gehindert war, die versäumte Frist einzuhalten. Diese Voraussetzung wäre hier nur dann erfüllt, wenn die Berufungsfrist allein infolge eines Fehlverhaltens des Büropersonals des Prozessbevollmächtigten der Klägerin versäumt worden wäre; denn dies hätte die Klägerin nicht zu vertreten. So liegt der Fall aber nicht, vielmehr hat an der Fristversäumnis ursächlich auch ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten mitgewirkt, welches sich die Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.

Der Rechtsanwalt darf die von ihm einzuhaltenden Fristen auch allein mit Hilfe eines elektronischen Fristenkalenders überwachen, ohne verpflichtet zu sein, parallel dazu noch einen schriftlichen Fristenkalender zu führen (BGH, Beschlüsse vom 10. Oktober 1996 - VII ZB 31/95 - VersR 1997, 257 = NJW 1997, 327 unter II 1; 29. Juni 2000 - VII ZB 5/00 - VersR 2001, 656 = NJW 2000, 3006 unter II 2 a). Er muss aber durch begleitende organisatorische Maßnahmen sicherstellen, dass Fristen nicht nur ordnungsgemäß notiert, sondern im Weiteren auch tatsächlich beachtet werden.

a) Dazu gehört zunächst ein Eintragungs- (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 23. März 1995 - VII ZB 3/95 - NJW 1995, 1756 unter II 1; 20. Februar 1997 - IX ZB 111/96 - NJW-RR 1997, 698 unter II 3) und Vorlagesystem, welches gewährleistet, dass die Akten jeweils rechtzeitig vor Fristablauf dem zuständigen Mitarbeiter vorgelegt werden.

Insofern ist das im Büro des Prozessbevollmächtigten der Klägerin praktizierte System der Aktenvorlage anhand täglich ausgedruckter Computerlisten, aus denen sich die jeweils ablaufenden Vor- oder Endfristen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 29. Juni 2000 aaO.) ergeben, nicht zu beanstanden. Die vom Berufungsgericht hervorgehobene Gefahr des Verlustes solcher Listen ist schon dadurch gemindert, dass der gespeicherte Datenbestand unabhängig davon erhalten bleibt, so dass sich diese Listen selbst bei einem Verlust jederzeit wieder ausdrucken lassen.

b) Weiter hat der Rechtsanwalt dafür Sorge zu tragen, dass Fristen im elektronischen Kalender nicht vorzeitig gelöscht werden; denn anders als etwa durchgestrichene Einträge in schriftlichen Aufzeichnungen verschwinden gelöschte Einträge in einem elektronischen Datenverarbeitungssystem weitgehend spurlos und können danach von den für die Fristwahrung zuständigen Mitarbeitern nicht mehr erkannt werden.

Die hier bestehende Anweisung, Löschungen erst entweder nach entsprechender Einzelverfügung oder Vorlage eines fristwahrenden Schriftsatzes in der Postmappe vorzunehmen, genügt zunächst den dazu aufgestellten Anforderungen der Rechtsprechung (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 11. Oktober 2000 - IV ZB 17/00 - VersR 2001, 85 = NJW 2001, 76 unter I und II 1 c; 2. März 2000 - V ZB 1/00 - NJW 2000, 1957 unter II; 17. Oktober 1990 - XII ZB 84/90 - FamRZ 1991, 423 unter II).

c) Allein mit Hilfe von Vorsichtsmaßnahmen, die einer vorzeitigen Löschung von Fristeintragungen im elektronischen Kalender vorbeugen sollen, lässt sich indes nicht ausreichend sicher gewährleisten, dass etwa ein fristgebundener Schriftsatz nicht nur rechtzeitig hergestellt wird, sondern auch vor Fristablauf beim zuständigen Gericht eingeht. Der Bundesgerichtshof hat deshalb ausgesprochen, dass die Büroorganisation des Rechtsanwaltes zusätzlich auch eine tägliche Ausgangskontrolle umfassen muss, welche sicherstellt, dass die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages von einer dazu beauftragten Bürokraft überprüft wird (Senatsbeschluss vom 11. Oktober 2000 aaO. unter II 1 b m.w.N.; BGH, Beschlüsse vom 2. März 2000, 9. Juni 1992 und 17. Oktober 1990 jeweils aaO. m.w.N.; Beschluss vom 23. September 1998 - XII ZB 99/98 - VersR 1999, 1303 unter a m.w.N.). Die Notwendigkeit einer solchen täglichen Ausgangskontrolle ergibt sich schon aus der allgemeinen Erwägung, dass auch in einer sachgerechten Büroorganisation bei der Fristenkontrolle individuelle Bearbeitungsfehler auftreten können, die es nach Möglichkeit aufzufinden und zu korrigieren gilt. Insofern ist es unerheblich, dass das Berufungsgericht die Notwendigkeit der täglichen Endkontrolle vorwiegend mit einem drohenden Verlust der täglich ausgedruckten Computerlisten begründet hat. Denn auch wenn man - wie der Senat - diese Gefahr angesichts der Möglichkeit des jederzeitigen Neuausdrucks solcher Listen als gering ansieht, ändert dies nichts daran, dass allabendlich die Erledigung der Fristsachen in der von der Rechtsprechung geforderten Weise gesondert überprüft werden muss.

Daran fehlt es hier. Eine den vorgenannten Anforderungen genügende Endkontrolle sah die Büroorganisation des Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht vor. Er hat vielmehr gemeint, er könne darauf vertrauen, dass die von ihm beschriebene, in seinem Büro täglich praktizierte Fristenkontrolle zuverlässig funktioniere und eine darüber hinaus gehende, gesonderte Kontrolle von ihm nicht "geschuldet" sei. Das ist zumindest fahrlässig.

Soweit die Rechtsbeschwerde nunmehr geltend macht, die Berufungsfrist sei nur deshalb versäumt worden, weil die zuständige Büroangestellte die erforderliche "Endkontrolle" sowohl bei Ablauf der Vor- wie auch der eigentlichen Berufungsfrist pflichtwidrig versäumt habe, übersieht sie, dass eine den Maßstäben der Rechtsprechung genügende, gesonderte Endkontrolle nach dem Vortrag der Klägerin gar nicht Teil der Büroorganisation ihres Prozessbevollmächtigten war.

Aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 29. Juni 2000 ( VII ZB 5/00 aaO.) ergibt sich nichts anderes. Denn dort ist lediglich entschieden worden, dass neben einem EDV-gestützten Fristenkontrollsystem nicht zusätzlich und parallel ein schriftlicher Fristenkalender geführt werden müsse. Anders als die Rechtsbeschwerde meint, ist damit aber nicht weitergehend der Grundsatz aufgestellt worden, dass jegliche doppelte Fristenkontrolle entbehrlich sei.

Auf die Frage, aus welchen Gründen im Einzelnen die für die Bearbeitung zuständige Büromitarbeiterin sowohl die Vorfrist wie auch den Ablauf der Frist zur Einlegung der Berufung unbeachtet gelassen hat, kommt es nicht an.

Vorinstanz: OLG Köln, vom 06.07.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 9 U 52/06
Vorinstanz: LG Aachen, vom 23.12.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 9 O 348/05
Fundstellen
FamRZ 2007, 1637
NJW-RR 2007, 1714