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BGH - Entscheidung vom 11.01.2006

XII ZR 16/04

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1

BGH, Beschluß vom 11.01.2006 - Aktenzeichen XII ZR 16/04

DRsp Nr. 2006/2560

Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Übergehen von Beweisantritten

Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, das entscheidungserhebliche Vorbringen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das rechtliche Gehör ist verletzt, wenn entscheidungserhebliches Vorbringen und Beweisantritte übergangen werden.

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe:

I. Die Klägerin verlangt von den Beklagten nach wiederholter fristloser Kündigung des zwischen den Parteien abgeschlossenen Pachtvertrages vom 15. Juni 2001 wegen Pachtzinsrückständen Räumung und Herausgabe des Pachtobjekts.

Die Beklagten berufen sich auf Minderung des Pachtzinses wegen verschiedener behaupteter Mängel und Vorenthaltens des Gebrauchs von Teilen des Pachtobjekts. Sie haben mit verschiedenen Schadensersatzansprüchen die Aufrechnung gegen die Pachtzinsrückstände erklärt und machen im Wege der Widerklage weiteren Schadensersatz und die Einräumung des ungestörten Besitzes an den gepachteten Grundstücken geltend.

Das Landgericht hat die Beklagten zur Räumung und Herausgabe des Pachtobjekts verurteilt und die Klägerin auf die Widerklage der Beklagten zu 1 verurteilt, an diese 1.533,88 EUR nebst Zinsen zu bezahlen. Die weitergehende Widerklage hat es abgewiesen.

Das Berufungsgericht hat - unter Abänderung der Kostenentscheidung des Landgerichts - die Berufung der Beklagten zu 1 in Höhe von 1.533,88 EUR als unzulässig und im Übrigen als unbegründet abgewiesen. Es hat die Beklagten auf die in zweiter Instanz um Pachtzinsrückstände [29.434,08 EUR von Februar 2002 bis Mai 2003] und Wasser- und Kanalgebühren [1.609,33 EUR] erweiterte Klage zur Zahlung von 23.689,33 EUR nebst Zinsen verurteilt und die weitergehende Klage abgewiesen.

Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten, mit der sie die Zulassung der Revision erstreben, soweit zu ihrem Nachteil entschieden worden ist, mit Ausnahme der Verwerfung der Berufung der Beklagten zu 1 als unzulässig bezüglich des Betrages von 1.533,88 EUR, die diese hin nimmt.

II. Das angefochtene Urteil ist nach § 544 Abs. 7 ZPO in dem im Tenor genannten Umfang aufzuheben.

1. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Nichtzulassungsbeschwerde ist insoweit begründet, denn das Berufungsgericht hat entscheidungserheblichen Vortrag der Beklagten übergangen und damit deren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG ) verletzt.

Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, das entscheidungserhebliche Vorbringen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 86, 133 , 145; BVerfG NJW 1998, 2583 , 2584; BVerfG ZIP 2004, 1762 , 1763). Dagegen hat das Berufungsgericht, wie die Beklagten zu Recht rügen, verstoßen.

a) Die Beklagten haben in erster und zweiter Instanz vorgetragen, dass ihnen das Ackergrundstück mit der Flur-Nr. 867, das sie ausweislich des schriftlichen Pachtvertrages ab 1. September 2001 gegen eine Erhöhung des Pachtzinses von monatlich 1.790 EUR auf 1.840 EUR zusätzlich gepachtet hatten, von der Klägerin nicht überlassen, sondern von dieser einem Dritten zur Bewirtschaftung zur Verfügung gestellt worden ist. Die Beklagten haben aus diesem von der Klägerin nicht bestrittenen Vortrag ein Recht zur Minderung der Miete hergeleitet und mit der Widerklage Einräumung des Besitzes auch an diesem Ackergrundstück beantragt.

b) Die Beklagten haben weiter - von der Klägerin nicht bestritten - vorgetragen, dass die Klägerin einen Teil der an die Beklagten verpachteten Fläche von etwa 2.000 m², nämlich den gesamten Hofraum zwischen den Gebäuden und den Garten mit der Flur-Nr. 856, noch einmal und zwar an die Mieter des Wohnhauses vermietet hat, die diese Flächen auch nutzen und teilweise eingezäunt und bebaut haben. Die Beklagten haben hierauf ein Recht zur Minderung des Pachtzinses und den mit der Widerklage geltend gemachten Anspruch auf Einräumung des ungestörten Besitzes an den Pachtgrundstücken gestützt.

2. Das Berufungsgericht hat diesen Vortrag nicht berücksichtigt.

a) Es hat bei der Ermittlung der Pachtzinsrückstände im Rahmen der Räumungs- und der Zahlungsklage einen geschuldeten Pachtzins in Höhe von 1.840 EUR zugrunde gelegt, ohne zu beachten, dass den Beklagten das Grundstück mit der Flur-Nr. 867 unstreitig nicht überlassen worden ist und schon deshalb der erhöhte Pachtzins nicht geschuldet war.

b) Es ist weiter davon ausgegangen, dass die Beklagten die Doppelvermietung einer weiteren Pachtfläche von lediglich 600 m² behauptet hätten, obwohl die Beklagten in zweiter Instanz deren Größe mit ca. 2000 m² angegeben hatten.

c) Das Urteil beruht auf den Gehörsverstößen. Es ist davon auszugehen, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung der unterlassenen Übergabe des Pachtgrundstücks Flur-Nr. 867 nicht den für dieses Grundstück vereinbarten zusätzlichen Pachtzins in Ansatz gebracht hätte.

Es ist weiter davon auszugehen, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung der Doppelverpachtung von 2.000 m² Hoffläche und Garten sowie der vertragswidrigen Vorenthaltung des Grundstücks Flur-Nr. 867, das eine Größe von einem Hektar hat, ein Leistungsverweigerungsrecht der Beklagten gegenüber dem Anspruch der Klägerin auf Zahlung der Pacht gemäß § 320 BGB angenommen hätte. Dann hätte es, da bereits das bloße Bestehen des Leistungsverweigerungsrechts den Eintritt des Schuldnerverzugs hindert (BGHZ 84, 42, 44; 116, 244, 249), einen zur fristlosen Kündigung des Pachtvertrages berechtigenden Zahlungsverzug der Beklagten, möglicherweise nicht bejaht und aus diesem Grund auch den Widerklageantrag auf Einräumung des ungestörten Besitzes an den Pachtgrundstücken nicht abgewiesen. Da die Forderung der Beklagten auf Beseitigung der vertragswidrigen Verhältnisse auch als Geltendmachung eines Leistungsverweigerungsrechts gegenüber den Pachtforderungen der Klägerin angesehen werden kann, ist anzunehmen, dass sich eine Berücksichtigung dieses Leistungsverweigerungsrechts auch auf die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Zahlungsklage ausgewirkt hätte.

III. Im Übrigen ist die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen. Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, soweit das Berufungsgericht den Widerklageantrag auf Zahlung von Schadensersatz für unbegründet gehalten hat. Ein Zulassungsgrund liegt insoweit nicht vor. Weder hat die Rechtssache insoweit grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO ). Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO abgesehen.

Vorinstanz: OLG München, vom 19.12.2003 - Vorinstanzaktenzeichen 21 U 4985/02
Vorinstanz: LG München II, vom 27.09.2002 - Vorinstanzaktenzeichen 14 O 380/02