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BGH - Entscheidung vom 09.11.2006

V ZR 16/06

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1

BGH, Beschluß vom 09.11.2006 - Aktenzeichen V ZR 16/06

DRsp Nr. 2006/30192

Umfang des rechtlichen Gehörs im Zivilverfahren

Das rechtliche Gehör im Zivilverfahren ist verletzt, wenn der Berufungsbeklagte ausdrücklich an seinem erstinstanzlichen Vortrag festhält, das Berufungsgericht jedoch davon ausgeht, er habe seinen Sachvortrag in bestimmten Punkten fallen lassen.

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe:

I. Die Klägerin verlangt von dem Beklagten Herausgabe von Mieten in Höhe von 74.520,79 EUR, die dieser vom 13. Juni 1996 bis zum 1. September 1998 aus der Vermietung ihres Grundstücks in S. an andere Unternehmen erzielt hat. Das Grundstück gehörte der aus dem früheren V. G. hervorgegangenen G. GmbH. Diese schloss am 24. August 1990 mit der damals noch als Mr. J. firmierenden N. GmbH, deren alleiniger, von den Beschränkungen des § 181 BGB befreiter Geschäftsführer und Gesellschafter der Beklagte ist, einen Kooperationsvertrag. Danach sollte die N. GmbH in den Gebäuden der Niederlassung der G. GmbH in S. einen Lebensmittelhandel betreiben, an dessen Gewinn die N. GmbH zu 90 % und die G. GmbH zu 10 % beteiligt sein sollten, und die Anlagen und Gebäude unentgeltlich nutzen dürfen. Vorgesehen war auch, die Niederlassung in S. in eine Tochtergesellschaft auszugliedern, die sich an der N. GmbH beteiligen sollte. Dazu kam es nicht.

Die G. GmbH kündigte Ende 1990 den Kooperationsvertrag und veräußerte im Februar 1991 das Betriebsgrundstück an eine Sch. GmbH, die die N. GmbH vergeblich auf Herausgabe des Anwesens verklagte. Dieser Kaufvertrag wurde nicht vollzogen. Im Jahre 1994 veräußerte die Klägerin ihre Anteile an der inzwischen in Liquidation befindlichen G. GmbH an den Kaufmann E. H., der am 2. Juni 1994 den Kooperationsvertrag kündigte. Auf Grund eines Vergleichs wurde das Grundstück später der Klägerin zugeordnet, die am 13. Juni 1996 als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen wurde und das Anwesen am 1. September 1998 zurückerhielt. In der Annahme, diese habe die Vermietungen vorgenommen, verklagte die Klägerin zunächst die N. GmbH auf Herausgabe der eingenommenen Mieten. In diesem Rechtsstreit stellte sich heraus, dass der Beklagte selbst Vermieter war und die N. GmbH ihm mit Mietvertrag vom 20. April 1991 das gesamte Anwesen zu einem monatlichen Mietzins von 1.000 DM vermietet hatte. Die Klägerin nimmt nunmehr den Beklagten auf Herausgabe der Mieten in Anspruch.

Das Landgericht hat der Klage bis auf einen Teil der Zinsen stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt.

II. 1. Nach Ansicht des Berufungsgerichts hat die Klägerin einen Anspruch aus § 988 BGB im Berufungsverfahren fallen gelassen. Dieser stehe ihr auch nicht zu. Ein Anspruch aus §§ 987 , 990 BGB sei ebenfalls nicht gegeben. Das aus dem Mietvertrag vom 20. April 1991 abgeleitete Besitzrecht sei seinerzeit wirksam entstanden, weil die N. GmbH zu diesem Zeitpunkt noch selbst zum Besitz berechtigt gewesen sei. Es bedürfe keiner Entscheidung darüber, ob deren Besitzrecht und mit diesem auch das Besitzrecht des Beklagten aufgrund der Kündigung des Kooperationsvertrages durch H. zum Ablauf des 31. Dezember 1994 erloschen sei. Der Beklagte sei nach § 990 Abs. 1 Satz 2 BGB zur Herausgabe der Mieten auch in diesem Fall nur verpflichtet, wenn er die Wirksamkeit der Kündigung des Kooperationsvertrags gekannt habe. Das sei indes nicht festzustellen, da der Beklagte an der Zulässigkeit einer ordentlichen Kündigung überhaupt und an einer Kündigung durch die G. GmbH berechtigterweise habe zweifeln dürfen.

2. Das angefochtene Urteil ist nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG ) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.

a) Die Verletzung liegt entgegen der Ansicht der Beschwerde nicht schon darin, dass das Berufungsgericht den Vortrag der Klägerin zu § 988 BGB übergangen hätte.

aa) Dieses Vorbringen hat die Klägerin zwar entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht fallen gelassen. Sie hat vielmehr in der Berufungserwiderung ihren gesamten Vortrag erster Instanz in Bezug genommen und ausdrücklich vollständig zum Gegenstand ihres zweitinstanzlichen Vortrags gemacht. Mehr brauchte sie nicht zu tun, da es nach dem Urteil des Landgerichts hierauf nicht ankam und sich der Beklagte in seiner Berufungsbegründung mit ihrem Vorbringen auch zu diesem Punkt befasst hatte.

bb) Der Vortrag der Klägerin war aber unerheblich. Aus ihm ergab sich nicht, dass der Mietvertrag unwirksam und der Beklagte nach § 988 BGB (vgl. dazu MünchKomm-BGB/Medicus, 4. Aufl., § 988 Rdn. 6) zur Herausgabe verpflichtet war. Ein zulässiges In-sich-Geschäft ist zwar nur wirksam, wenn es nach außen manifestiert wird. Dazu reicht aber seine - hier erfolgte - schriftliche Fixierung aus (Senat, Urt. v. 8. März 1991, V ZR 25/90, NJW 1991, 1730 ). Die Grundsätze über den Vollmachtsmissbrauch sind auch auf In-sich-Geschäfte anzuwenden (BGH, Urt. v. 25. Februar 2002, II ZR 374/00, NJW 2002, 1488 ). Voraussetzung hierfür ist indes ein Interessenwiderstreit, an dem es hier fehlt, weil der Beklagte alleiniger Gesellschafter der N. GmbH ist. Für die Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen die guten Sitten fehlt es an einem hinreichend substantiierten Vortrag.

b) Ein Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs liegt aber darin, dass das Berufungsgericht ein Fehlen der nach § 990 Abs. 1 Satz 2 BGB erforderlichen Kenntnis des Beklagten von der Wirksamkeit der Kündigung des Kooperationsvertrags durch H. angenommen hat, ohne der Klägerin Gelegenheit zu geben, dazu ergänzend vorzutragen.

aa) Nach Art. 103 Abs. 1 GG darf ein Gericht ohne vorherigen Hinweis nicht auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellen, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen - nicht zu rechnen brauchte (BVerfGE 84, 188 , 190; 86, 133, 144 f.; 96, 189, 204; 108, 341, 345 f.). Es hat in einem solchen Fall auf seine (geänderte) Rechtsauffassung hinzuweisen und den Prozessbeteiligten eine Möglichkeit zur Stellungnahme zu eröffnen (BVerfGE 84, 188 , 191; 86, 133, 144; 98, 218, 263; BVerfG NVwZ 2006, 586 , 587).

bb) Diesen Anforderungen ist das Berufungsgericht nicht gerecht geworden. Es leitet die fehlende Kenntnis des Beklagten von der wirksamen Beendigung des Kooperationsvertrags im Wesentlichen aus zwei Umständen ab: Zum einen habe der Beklagte annehmen können, die ordentliche Kündigung sei ausgeschlossen. Zum anderen habe er davon ausgehen dürfen, dass alle Rechte aus dem Kooperationsvertrag an die Sch. GmbH abgetreten worden seien. Nach dem bisherigen Prozessverlauf konnte die Klägerin mit dieser Wendung des Rechtsstreits nicht rechnen.

(1) Nach der Rechtsauffassung des Landgerichts kam es auf die von dem Berufungsgericht angeführten Gesichtspunkte schon im Ansatz nicht an. Das Landgericht befasst sich zwar mit der Kündigung des Kooperationsvertrags durch H.. Es leitet hieraus aber keine Beendigung des als stille Gesellschaft zu qualifizierenden (BGH, Urt. v. 12. Januar 1998, II ZR 98/96, unveröff.) Kooperationsvertrags nach §§ 234 , 132 HGB ab. Für das Landgericht bringt die Kündigung vielmehr zum Ausdruck, dass der Zweck der mit dem Kooperationsvertrag eingegangenen stillen Gesellschaft endgültig nicht mehr erreichbar war und dies zu der Beendigung der Gesellschaft nach § 726 BGB geführt hat.

(2) Nach dem rechtlichen Ausgangspunkt des Berufungsgerichts kam es auf die Wirksamkeit der Kündigung und die Kenntnis des Beklagten hiervon an. Das Berufungsgericht hat diese Frage beraten und den Parteien als Ergebnis dieser Beratung in der mündlichen Verhandlung durch seinen Vorsitzenden den Hinweis erteilt, es sehe die Kündigung durch H. als rechtzeitig und das Besitzrecht der N. GmbH als zum 31. Dezember 1994 beendet an. Angesichts der Eindeutigkeit der Kündigung sei dem Beklagten als Geschäftsführer der N. GmbH bewusst gewesen, dass diese danach nicht mehr zum Besitz berechtigt und somit sein eigenes Besitzrecht ebenfalls erloschen war. Nach diesem Hinweis musste die Klägerin davon ausgehen, dass das Berufungsgericht von der Wirksamkeit der Kündigung und der Kenntnis des Beklagten hiervon überzeugt und weiterer Vortrag ihrerseits zu dieser Frage nicht angezeigt war. Diesen Eindruck bestätigte das Berufungsgericht, indem es nur dem Beklagten, nicht auch der Klägerin Schriftsatznachlass gewährte.

(3) Hinzu kam, dass der Beklagte selbst seine fehlende Kenntnis bis dahin nicht aus den in dem Berufungsurteil angeführten Umständen, sondern aus Zweifeln an dem Eigentum an den Betriebsgrundstücken, an der Geschäftsführerstellung von E. H. und an der Rechtzeitigkeit seiner Kündigung sowie daraus ableitete, dass die Übertragung der Geschäftsanteile an der G. GmbH durch die Klägerin treuwidrig gewesen sei und der Kündigung entgegen gestanden habe. Dem entsprach das Vorbringen der N. GmbH in den Rechtsstreitigkeiten gegen die Klägerin, in welchen sie die Wirksamkeit der Kündigung nicht angegriffen hatte. Erst in dem nachgelassenen Schriftsatz hat der Beklagte seinen Vortrag geändert.

cc) Das Berufungsgericht durfte zwar mit Rücksicht hierauf seine Rechtsauffassung ändern, musste der Klägerin aber Gelegenheit geben, weiteren Vortrag zu halten. Das ist nicht geschehen. Dieser Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

3. Für die neue mündliche Verhandlung weist der Senat auf folgendes hin:

a) Auch bei Wirksamkeit des Mietvertrags der N. GmbH mit dem Beklagten kommt ein Anspruch der Klägerin aus §§ 987 , 990 Abs. 1 Satz 1 BGB wegen anfänglichen Fehlens eines Besitzrechts des Beklagten in Betracht. Mit diesem Mietvertrag hat die N. GmbH nämlich die Nutzung des Grundstücks der Klägerin vollständig dem Beklagten überlassen. Das gibt Veranlassung zu prüfen, ob der Gesellschaftszweck schon dadurch unerreichbar geworden und damit das Besitzrecht der N. GmbH entfallen war.

b) Der Ausschluss einer ordentlichen Kündigung lässt sich nur aus der Eingangspassage des Kooperationsvertrags ableiten, wonach die Vereinbarung "bis zum Vollzug aller erforderlichen Verträge bzw. Erteilung der endgültigen Genehmigungen durch die Treuhandstelle" gelten solle (BGH, Urt. v. 12. Januar 1998, II ZR 98/96, unveröff.). Was den Beklagten zu der Annahme hat veranlassen können, diese Genehmigung sei noch erreichbar, nachdem die Klägerin ihre Anteile an der G. GmbH auf H. übertragen hatte, erschließt sich ohne nähere Feststellungen nicht.

c) Auch die Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagte habe Zweifel an der Wirksamkeit der Kündigung aus der Abtretung der Rechte und Pflichten aus dem Kooperationsvertrag an die Sch. GmbH ableiten dürfen, findet in den getroffenen Feststellungen keine Grundlage. Der Beklagte hat die Wirksamkeit dieser Abtretung als Geschäftsführer der N. GmbH in Abrede gestellt und unter anderem deshalb die Herausgabe des Grundstücks an die Sch. GmbH verweigert. Auch hatte die N. GmbH einem Wechsel der Gesellschafter der durch den Kooperationsvertrag entstandenen Gesellschaft nicht zugestimmt (BGH, Urt. v. 12. Januar 1998, II ZR 98/96, unveröff.).

Vorinstanz: OLG Düsseldorf, vom 19.12.2005 - Vorinstanzaktenzeichen I-9 U 102/05
Vorinstanz: LG Wuppertal, vom 07.07.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 17 O 464/04