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BGH - Entscheidung vom 19.09.2006

X ZR 24/04

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1

BGH, Urteil vom 19.09.2006 - Aktenzeichen X ZR 24/04

DRsp Nr. 2006/29055

Umfang des rechtlichen Gehörs im Zivilverfahren

Entscheidet das Berufungsgericht ausschließlich nach Belastlastregeln, ohne Beweisantritten der Parteien zu erheblichem Sachvortrag nachzugehen, so ist das rechtliche Gehör verletzt.

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ;

Tatbestand:

Die Klägerin macht gegen die Beklagte im Wege der Stufenklage Ansprüche geltend, die sie aus einem Lizenzvertrag zwischen den Parteien vom 13./20. Dezember 1989 herleitet. Gegenstand dieses Lizenzvertrags sind in- und ausländische, zugunsten der Klägerin angemeldete und zum Teil eingetragene Schutzrechte. Diese sind inzwischen zum Teil durch Ablauf der Schutzfrist, zum Teil wegen Nichtzahlung der Jahresgebühr erloschen. Unter anderem handelt es sich um das am 17. März 1981 angemeldete deutsche Patent 31 10 185 und das deutsche Gebrauchsmuster 81 07 640. Diese Schutzrechte beziehen sich auf eine Vorrichtung zur Formgebung von mit mindestens einem Steigeisen versehenen Betonteilen, wie Schachtringen, Schachthälsen oder dergleichen. Die Vorrichtung lässt insbesondere den Einbau verschiedenartig geformter Steigeisen selbst bei schwieriger Formgebung in den noch frischen Beton zu und erlaubt eine Verdichtung des Betons durch Rütteln.

Im Jahr 1988 erhoben die Beklagte und eine B. GmbH & Co. KG gegen das deutsche Patent 31 10 185 Nichtigkeitsklage wegen behaupteter offenkundiger Vorbenutzung der Erfindung. Nachdem die Klägerin und die Beklagte den eingangs erwähnten Lizenzvertrag geschlossen hatten, nahm die Beklagte ihre Nichtigkeitsklage zurück. Die Nichtigkeitsklage der B. GmbH & Co. KG wurde abgewiesen.

Die Beklagte hat jedenfalls ab dem 1. Oktober 1997 nicht mehr gegenüber der Klägerin abgerechnet und ihr auch keine Lizenzgebühren mehr gezahlt. Mit Schriftsatz vom 8. Juni 2001 hat sie die Anfechtung des Lizenzvertrags wegen arglistiger Täuschung erklärt. Zur Begründung der Anfechtung hat sie ausgeführt, der Erteilung der Schutzrechte habe eine neuheitsschädliche offenkundige Vorbenutzung entgegengestanden, was den auf Seiten der Klägerin handelnden Personen bei Abschluss des Lizenzvertrags bekannt gewesen sei, diese der Beklagten jedoch verschwiegen hätten.

Die Beklagte behauptet, J. P., dem die Klägerin mit Vertrag vom 31. Januar 1983 das Recht eingeräumt habe, Formeinrichtungen, wie sie zugunsten der Klägerin patentrechtlich geschützt seien, weltweit zu produzieren und zu vertreiben, habe - wie mit dem ehemaligen Geschäftsführer der Klägerin zuvor abgesprochen - in dem Löschungsverfahren betreffend das deutsche Gebrauchsmuster falsch ausgesagt. J. P. habe im Jahr 1978 eine Lösung gefunden, mit der das bis zu diesem Zeitpunkt bei der Produktion von Schachtringen manuell erfolgte Einformen von Steigeisen oder Steigbügeln durch einen Hydraulikantrieb eines beweglichen Kerns der Schachtringe ersetzt worden sei. Dieser Kern, der im Sommer 1980 fertig gestellt gewesen sei und Dritten ohne Geheimhaltungsverpflichtung zugänglich gemacht worden sei, weise sämtliche Merkmale des Patentanspruchs 1 des deutschen Patents 31 10 195 der Klägerin auf.

Das Landgericht hat dem in der ersten Stufe geltend gemachten Auskunftsanspruch der Klägerin im Wesentlichen stattgegeben und die Beklagte verurteilt, Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie Verfahren und Vorrichtungen, insbesondere Maschinen und Anlagen für die Fertigung von Schachtringen und/oder -rohren, die unter die im landgerichtlichen Urteil im Einzelnen benannten Schutzrechte fielen und von denen in der Zeit vom 6. April 1997 bis zum 30. Juni 1997 und seit dem 1. Oktober 1997 Gebrauch gemacht worden sei, an Dritte geliefert habe. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben; allerdings hat die Klägerin auf einen Teil der ihr vom Landgericht zuerkannten Auskunftsansprüche in der Berufungsinstanz verzichtet. Die Anschlussberufung der Klägerin, mit der sie den inzwischen eingetretenen Änderungen bei den Schutzrechten Rechnung trug und die Auskunft erteilenden Handlungen der Beklagten präzisierte, hatte hingegen Erfolg.

Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Die Klägerin tritt dem entgegen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Senat zugelassene Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision.

I. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf Auskunftserteilung aus dem Lizenzvertrag der Parteien hergeleitet; dieser sei nicht wirksam angefochten worden. Das Berufungsgericht hat eine Beweisaufnahme durch Vernehmung von vier Zeugen durchgeführt und aufgrund dieser Beweisaufnahme nicht die Überzeugung gewonnen, dass der Erteilung der Schutzrechte eine neuheitsschädliche offenkundige Vorbenutzung entgegengestanden habe und dass eine solche den für die Klägerin handelnden Personen bei Abschluss des streitgegenständlichen Lizenzvertrags bekannt gewesen sei. Die Beklagte habe den ihr obliegenden Beweis, zum Abschluss des Lizenzvertrages durch eine der Klägerin zuzurechnende arglistige Täuschung bestimmt worden zu sein, nicht geführt.

Dies hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand, weil das Berufungsgericht eine allein an der Beweislast orientierte Entscheidung getroffen hat, ohne die von der Beklagten angebotenen Beweise vollständig auszuschöpfen, und nicht auszuschließen ist, dass es bei vollständiger Erhebung der Beweise zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.

Seine Beweiswürdigung hat das Berufungsgericht in erster Linie mit den unterschiedlichen Angaben des Zeugen J. P. in dem Gebrauchsmusterlöschungsverfahren einerseits und in seiner Aussage vor dem Berufungsgericht andererseits und damit begründet, dass der Zeuge, wie auch die zur Stützung von dessen Angaben benannten und vom Berufungsgericht vernommenen Zeugen, hinreichend konkrete Angaben nicht hätten machen können.

Zu dieser Würdigung durfte das Berufungsgericht nicht gelangen, ohne die weiteren Beweisantritte und die vom Beklagten vorgetragenen Indiztatsachen zu würdigen. Dies gilt insbesondere für den von der Beklagten benannten Zeugen A. P., dessen Vernehmung die Beklagte zu demselben Beweisthema beantragt hat, zu dem das Berufungsgericht den Zeugen J. P. vernommen hat. Ob die Angaben des Zeugen A. P. genügen, die Zweifel des Berufungsgerichts an der Aussage des Zeugen J. P. zu überwinden, kann erst nach dessen Vernehmung und nicht bereits im Voraus entschieden werden. Dies gilt auch, soweit die von der Beklagten benannten Zeugen Indiztatsachen bekunden sollen. Ob diese geeignet sind sich auf das Ergebnis der Beweiswürdigung auszuwirken, kann ohne Auseinandersetzung mit diesen Indiztatsachen nicht beurteilt werden. Es kann jedenfalls nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden, dass die Indiztatsachen die nach ihrem Wortlaut eindeutige Aussage des Zeugen J. P. in einer Weise bekräftigen könnten, dass sie das Berufungsgericht von der Zuverlässigkeit der Bekundungen des Zeugen J. P. überzeugen könnten. Zu solchen Indizien gehören auch das Schreiben des Zeugen J. P. vom 8. Mai 1991 und die Präambel des Vertrages zwischen der Klägerin und J. P. vom 31. Januar 1983, die sich in den vom Zeugen J. P. geschilderten zeitlichen Zusammenhang einfügen und dessen Bekundungen ebenfalls stützen könnten. Indem das Berufungsgericht diese Indiztatsachen nicht in seine Gesamtbetrachtung einbezogen hat, hat es die angebotenen Beweise nicht erschöpft. Es hätte demzufolge nicht zu einer allein an der Beweislast orientierte Entscheidung gelangen dürfen.

II. Das Berufungsgericht wird die Auseinandersetzung mit dem gesamten Vorbringen der Parteien nunmehr nachzuholen haben. Sollte das Berufungsgericht bei der danach vorzunehmenden erneuten Beweiswürdigung die Überzeugung gewinnen, dass die von der Beklagten behauptete Täuschung stattgefunden hat, so kommt es nicht darauf an, ob die Anfechtung des Vertrages wegen arglistiger Täuschung rechtzeitig erfolgt ist. Nach der Rechtsprechung des Senats kann auch im Falle der verspäteten Anfechtung aus dem Gesichtspunkt der culpa in contrahendo ein auf Aufhebung des Vertrags gerichteter Schadensersatzanspruch bestehen (Sen.Urt. v. 18.09.2001 - X ZR 107/00, NJW-RR 2002, 308 , m.w.N.).

Besteht ein solcher Schadensersatzanspruch, so stehen der Klägerin Auskunftsansprüche nicht zu. Zwar kann der Lizenznehmer dem Lizenzgeber auch dann nach Bereicherungsrecht zur Zahlung einer Vergütung verpflichtet sein, wenn der Lizenzvertrag zwischen den Parteien unwirksam ist (Busse/Keukenschrijver, Patentgesetz , 6. Aufl., § 15 Rdn. 87). Dies gilt selbst dann, wenn das lizenzierte Schutzrecht nicht schutzfähig war (Sen.Urt. v. 14.05.2002 - X ZR 144/00, GRUR 2002, 787 , 788 - Abstreiferleiste; Sen.Urt. v. 14.03.2000 - X ZR 115/98, GRUR 2000, 685 , 686 - Formunwirksamer Lizenzvertrag). Dies folgt daraus, dass der Lizenznehmer den von den Parteien mit dem Vertrag beabsichtigten Erfolg, die Alleinstellung bei der Benutzung der patentgemäßen Lehre, erlangt hat und daraus die vertragsgemäßen Nutzungen ziehen konnte (vgl. dazu BGHZ 86, 330 - Brückenlegepanzer und Sen.Urt. v. 14.05.2002, aaO. S. 789 - Abstreiferleiste).

Diese Rechtsprechung kann jedoch nicht auf solche Fälle übertragen werden, in denen der Lizenznehmer zum Abschluss eines Lizenzvertrags dadurch veranlasst wird, dass er über die Bestandkraft des Schutzrechts getäuscht wird. In einem solchen Fall ist der Lizenznehmer durch die Täuschungshandlung zum Abschluss eines für ihn nachteiligen Vertrages veranlasst worden, den er ohne sie nicht abgeschlossen hätte und zur Erreichung des gewollten wirtschaftlichen Zwecks auch nicht hätte abschließen müssen. Wegen der Täuschungshandlung könnte er im Wege des Schadensersatzes Befreiung von den Verbindlichkeiten aus der Vereinbarung auch dann verlangen, wenn diese wirksam ist. Dies schließt es aus, einen dem Schadensausgleich zuwiderlaufenden Bereicherungsanspruch anzunehmen; dieser wäre dann ein weiterer wegen der Täuschung auszugleichender Schaden. Die Beklagte hat durch den Abschluss des Lizenzvertrags nichts erlangt, sondern ist aufgrund der von ihr behaupteten Täuschung durch die Klägerin eine Verpflichtung eingegangen, der keinerlei rechtliche Vorteile entsprachen, weil das Patent zu vernichten gewesen und sodann weder von der Beklagten noch von anderen Mitbewerbern zu respektieren gewesen wäre. Sie hat damit keine Position erlangt, für die sie Wertersatz schulden könnte. Für einen Bereicherungsanspruch ist daher kein Raum.

Vorinstanz: OLG Karlsruhe, vom 17.12.2003 - Vorinstanzaktenzeichen 6 U 210/01
Vorinstanz: LG Mannheim, vom 23.11.2001 - Vorinstanzaktenzeichen 7 O 548/00