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BGH - Entscheidung vom 26.04.2006

XII ZR 60/05

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1

BGH, Beschluß vom 26.04.2006 - Aktenzeichen XII ZR 60/05

DRsp Nr. 2006/16111

Umfang des rechtlichen Gehörs im Zivilverfahren

Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen (BGH - XII ZR 63/03 - 31.08.2005).

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe:

I. Der Kläger vermietete an den Beklagten am 30. Dezember 1995 Geschäftsräume zum Betrieb einer Arztpraxis auf die Dauer von 25 Jahren. Am 14. Februar 2002 vereinbarten die Parteien u.a. folgendes:

"Dem Mieter wird unwiderruflich ein jederzeitiges einseitiges ordentliches Recht zur Kündigung des zwischen den Parteien bestehenden Gewerbemietverhältnisses über die Räumlichkeiten im 2. OG des Anwesens H. straße 49 in ... W. mit der Einheits-Nr. 12 vom Vermieter eingeräumt. Hiermit entfällt einseitig für den Mieter die Bindungswirkung des § 2 Nr. 1 des Mietvertrages vom 30.12.1995, wonach eine ordentliche Kündigung für die Dauer von 25 Jahren für beide Seiten ausgeschlossen wurde. Für den Vermieter verbleibt es weiterhin bei dieser Bindungswirkung.

Der Mieter verpflichtet sich, im Falle der Ausübung des unter Ziff. 1 eingeräumten einseitigen Kündigungsrechts vor dem eigentlichen Ablauf des Mietvertrages einen Betrag in Höhe von EUR 66.467,94 (entspricht DM 130.000) zu zahlen.

Der Mieter erklärt sich bereit, auf seine Mietminderung aufgrund der Geruchsbelästigung zu verzichten, soweit die Belästigung den derzeitigen Umfang nicht überschreitet."

Mit Schreiben vom 14. August 2002 machte der Beklagte Mängel an der Lüftungsanlage geltend und setzte Frist bis 28. August 2002, die Mängelbeseitigung zuzusagen und mit ihr zu beginnen. Mit Schreiben vom 29. August 2002 kündigte der Beklagte das Mietverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich gemäß der Vereinbarung vom Februar 2002. Der Kläger wies die fristlose Kündigung zurück und akzeptierte die ordentliche Kündigung.

Das Landgericht hat der Klage auf Zahlung des Abfindungsbetrages in Höhe von 67.767,14 EUR sowie von Schadensersatz wegen Abbaus der Kassettendecke im Röntgenzimmer in Höhe von 1.299,20 EUR stattgegeben. Die Berufung des Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten. Er begehrt die Zulassung der Revision und im Ergebnis weiterhin die Abweisung der Klage.

II. Das angefochtene Urteil ist nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben.

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet. Denn das Berufungsgericht hat, wie der Beschwerdeführer zu Recht rügt, entscheidungserheblichen Sachvortrag des Beklagten übergangen und damit den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG ) verletzt. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen und Anträge der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundsatz sicherstellen, dass die von den Gerichten zu treffende Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge (BGH, Beschluss vom 18. Januar 2005 - XI ZR 340/03 - BGH-Report 2005, 939, 940 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).

Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen (Senatsbeschluss vom 31. August 2005 - XII ZR 63/03 - NJW-RR 2005, 1603 ).

1. Nach diesen Maßstäben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt.

a) Das Berufungsgericht meint, der Beklagte habe in der Vereinbarung vom 14. Februar 2002 ausdrücklich auf eine Mietminderung wegen der Geruchsbelästigung verzichtet, soweit die Belästigung den damals gegebenen Umfang nicht überschreite. Er habe in den beiden Folgemonaten die volle Miete bezahlt. Damit habe er den im Februar 2002 bestehenden Zustand der Mieträume einschließlich der damals vorhandenen Geruchsbelästigung durch die Lüftungsanlage im Sinne von § 536 b BGB akzeptiert. Vorbehalte seien, abgesehen von dem erwähnten Fall einer Zunahme der Geruchsbelästigung, nicht erklärt worden. Der Kläger habe sich daher nach den Gesamtumständen darauf verlassen dürfen - und so sei die Vereinbarung vom 14. Februar 2002 auch auszulegen und zu verstehen -, dass weitere damals etwa bestehende Mängel der Lüftungsanlage nicht geltend gemacht würden. Wenn der Beklagte nur kurz darauf wiederum die Lüftungsanlage beanstande, verhalte er sich widersprüchlich.

Demgegenüber hatte der Beklagte behauptet, sein Prozessbevollmächtigter habe den Kläger im Rahmen der Verhandlungen bezüglich der Vereinbarung vom März (richtig: Februar) 2002 in mehreren Telefonaten auf die vom Beklagten festgestellte Verkeimung der Lüftungsanlage hingewiesen und darauf, dass eine keimfreie Umgebung in einer - wie vom Beklagten betriebenen - Unfallpraxis unabdingbar sei. Da hinsichtlich dieses Punktes keine Regelung zwischen den Parteien zu erreichen gewesen sei, sei dieser Punkt im Rahmen der Vereinbarung vom Februar 2002 ebenso wie die Problematik der Lärmbelästigung durch die Lüftungsanlage unberücksichtigt gelassen worden. Für die Richtigkeit dieser Behauptung hatte sich der Beklagte auf die Vernehmung seines Prozessbevollmächtigten als Zeugen berufen. Das Berufungsgericht hat den Beweis nicht erhoben.

b) Das Berufungsgericht ist weiter davon ausgegangen, dass die Frist zur Mangelbeseitigung mit Schreiben vom 14. August 2002 zu knapp bemessen gewesen sei. Auch wenn die zu knappe Fristsetzung zum Lauf einer angemessenen längeren Frist geführt haben möge, hätten im Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung mit Schreiben vom 29. August 2002 die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung jedenfalls nicht vorgelegen.

Demgegenüber hatte der Beklagte vorgetragen, dass die von ihm ausgesprochene Kündigung vom 29. August 2002 nicht aufgrund des Ablaufs der Frist erfolgt sei, sondern aufgrund des am 28. August 2002 vom Prozessbevollmächtigten des Klägers mitgeteilten ernsthaften und endgültigen Bestreitens des Vorhandenseins der Mängel und der darin liegenden ernsthaften und endgültigen Verweigerung der Mangelbeseitigung. Deshalb komme es nicht darauf an, ob die gesetzte Frist angemessen gewesen sei oder nicht.

Der Kläger hat sich in erster Instanz nicht darauf berufen, dass die zur Mängelbeseitigung gesetzte Frist zu knapp bemessen gewesen sei. Gleichwohl hat das Landgericht seine Entscheidung darauf gestützt. Im Berufungsverfahren hat der Beklagte nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Kläger am 28. August 2002, am letzten Tag der ihm zur Mangelbeseitigung gesetzten Frist, die Mängel bestritten und damit jegliche Beseitigung endgültig abgelehnt habe. Der Kläger ist diesem Vortrag nicht entgegengetreten. Gleichwohl hat das Berufungsgericht, ohne sich mit dem Beklagtenvortrag auseinanderzusetzen, die außerordentliche Kündigung an der zu knappen Fristsetzung scheitern lassen. Es muss davon ausgegangen werden, dass es den Vortrag des Beklagten nicht zur Kenntnis genommen hat.

2. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs. Davon ist bereits dann auszugehen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte (BGH, Urteil vom 18. Juli 2003 - V ZR 187/02 - NJW 2003, 3205 f. unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Da revisionsrechtlich zu unterstellen ist, dass die behaupteten Mängel vorgelegen haben, hätte das Berufungsgericht Beweis erheben müssen, ob sich die Parteien einig waren, dass mit der Vereinbarung vom 14. Februar 2002 nur die Geruchsbelästigung geregelt wurde, wofür bereits der Wortlaut der Vereinbarung spricht. Haben die Parteien die Gewährleistung für die behaupteten Mängel nicht ausgeschlossen und hätte das Berufungsgericht berücksichtigt, dass der Kläger am letzten Tag der Frist das Vorhandensein von Mängeln bestritten hat, dann kommt ein Kündigungsgrund nach § 543 Abs. 2 Satz 1 BGB ernsthaft in Betracht.

Vorinstanz: OLG Karlsruhe, vom 01.03.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 17 U 63/04
Vorinstanz: LG Mannheim, vom 19.02.2004 - Vorinstanzaktenzeichen 2 O 373/02