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BGH - Entscheidung vom 19.10.2006

V ZR 100/06

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1

BGH, Beschluß vom 19.10.2006 - Aktenzeichen V ZR 100/06

DRsp Nr. 2006/28404

Umfang des rechtlichen Gehörs im Zivilprozess

Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt u.a. dann vor, wenn ein aus der Sicht des Berufungsgerichts erhebliches Beweisangebot unberücksichtigt geblieben ist und dies im Prozessrecht keine Stütze findet.

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe:

I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines im Jahr 1995 bestellten Wegerechts. Eigentümer des herrschenden Grundstücks ist der Kläger, Eigentümer des dienenden der Beklagte. Nach der Grundbucheintragung steht dem jeweiligen Eigentümer des herrschenden Grundstücks das Recht zu, den auf dem Grundstück des Beklagten "bereits vorhandenen Weg zum Fahren und Gehen ... mitzubenützen". Ein Entgelt für die Bestellung des Wegerechts hatten die Parteien nicht vereinbart. In der Folgezeit beanspruchte der Kläger das Wegerecht zunächst nicht, weil die Zufahrt über das Grundstück eines anderen Nachbarn gewährleistet war. Erst nachdem dieser mit einer weiteren Benutzung seines Grundstücks nicht mehr einverstanden war, berief sich der Kläger auf das Wegerecht. Dies verweigert der Beklagte und macht hierzu geltend, die Dienstbarkeit sei - da nur zum Schein bestellt - nicht wirksam begründet worden.

Das Amtsgericht hat die u.a. auf Duldung der Herstellung des Weges gerichtete Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen. Demgegenüber hat das Landgericht einen Duldungsanspruch bejaht, weil der Beklagte nicht die Behauptungen bewiesen habe, wonach die Dienstbarkeit nur "formal" zum Erhalt von Krediten und einer Baugenehmigung benötigt worden sei und der Kläger zugesichert habe, das Wegerecht nie auszuüben und nach Erhalt der Baugenehmigung löschen zu lassen. Die Revision hat das Landgericht nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten, deren Zurückweisung der Kläger beantragt.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht, weil dieses den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt (§ 544 Abs. 7 ZPO ).

1. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG ) liegt u.a. dann vor, wenn ein aus der Sicht des Berufungsgerichts erhebliches Beweisangebot unberücksichtigt geblieben ist und dies im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. etwa BVerfG NJW 2003, 125 , 127; Senatsbeschl. v. 25. Juli 2002, V ZR 118/02, NJW 2002, 3180 , 3181). So verhält es sich hier.

a) Der Beklagte hat in das Wissen der Zeugin K. die - aus der Sicht des Berufungsgerichts beweiserheblichen - Behauptungen gestellt, er habe den Kläger nach Fertigstellung des Bauvorhabens im April 1997 auf dessen Versprechen angesprochen, die Dienstbarkeit zu löschen. Darauf habe dieser geantwortet, er könne die Zusage nicht mehr einhalten, weil er dann den Behörden gegenüber unglaubwürdig erscheine und von der Glaubwürdigkeit die ihm zum Betrieb einer Pension erteilte Gewerbegenehmigung abhängig sei; nach wie vor habe er aber nicht die Absicht, das zum Schein vereinbarte Wegerecht geltend zu machen.

b) Die Nichterhebung dieses Beweises findet im Prozessrecht keine Stütze. Zwar hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht nach der bis dahin durchgeführten Beweisaufnahme den Verzicht "auf das Stellen weiterer Beweisanträge in dieser Instanz" erklärt. Indessen ist der Beklagte in der Berufungsschrift auch auf dieses Beweisangebot zurückgekommen, wenn es dort unzweideutig heißt: "Auf den bisherigen Vortrag ... und die erfolgten Beweisantritte - auch soweit ihnen das Amtsgericht nicht nachgegangen ist - wird zur Vermeidung von Wiederholungen ausdrücklich Bezug genommen."

Die nicht durchgeführte Beweiserhebung lässt sich auch nicht auf § 531 Abs. 2 ZPO stützen. Zum einen ist mit Blick auf die einschneidenden Folgen, die mit der Nichtzulassung von Beweismitteln einhergehen, insoweit eine ausdrücklich zu begründende Entscheidung des Berufungsgerichts erforderlich, wobei der betroffenen Partei vorab Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist (vgl. Zöller/Gummer/Heßler, ZPO , 25. Aufl., § 531 Rdn. 36 f.). Schon daran fehlt es hier. Zum anderen scheitert ein Novenausschluss auch daran, dass es sich bei dem wiederaufgegriffenen Beweisangebot nicht um ein neues Verteidigungsmittel im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO handelt.

2. Schließlich ist der Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG entscheidungserheblich, weil nicht auszuschließen ist, dass die Vernehmung der Zeugin - je nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme - zumindest zur Annahme der von dem Berufungsgericht erwogenen "Zusatzvereinbarung" führt, wonach der Beklagte verpflichtet ist, die Dienstbarkeit nach Erhalt der Baugenehmigung zurückzugewähren.

Vorinstanz: LG Cottbus, vom 22.03.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 5 S 19/05
Vorinstanz: AG Lübben, vom 22.02.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 20 C 497/03