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BGH - Entscheidung vom 13.10.2006

V ZR 169/05

Normen:
BGB § 138 Abs. 1

BGH, Urteil vom 13.10.2006 - Aktenzeichen V ZR 169/05

DRsp Nr. 2006/27250

Sittenwidrigkeit eines Vertrages bei Ausnutzung der Hilflosigkeit und Unerfahrenheit des Vertragspartners

Ein Vertrag kann auch dann sittenwidrig sein, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung zwar kein auffälliges Missverhältnis, jedoch ein deutliches Ungleichgewicht besteht und es zum Abschluss des Vertrages durch die Ausnutzung eines besonderen Vertrauensverhältnisses zu einem unerfahrenen oder hilfsbedürftigen Vertragspartner gekommen ist.

Normenkette:

BGB § 138 Abs. 1 ;

Tatbestand:

Die unter Betreuung stehende Klägerin ist Witwe und Alleinerbin des im Juni 1996 verstorbenen J. U. (Erblasser). Der Erblasser hatte von seinen Eltern umfangreichen Grundbesitz in S. und einen Produktions- und Handelsbetrieb geerbt. Zusammen mit der Klägerin bewohnte er das Erdgeschoß einer Villa auf einem der ererbten Grundstücke. Die Wohnung im Obergeschoss des Gebäudes hatte er der Beklagten und ihrem Ehemann, R. S., vermietet.

Den Produktionsbetrieb hatte der Erblasser heruntergewirtschaftet und eingestellt. Die von der unter Wahnvorstellungen leidenden Klägerin geführte Buchhaltung und Finanzverwaltung des Handelsbetriebs waren zum Erliegen gekommen. Seit 1992 waren keine Steuererklärungen mehr abgegeben worden. 1993 gab der Erblasser auch das Handelsunternehmen auf. Offene Verbindlichkeiten häuften sich. R. S. und die Beklagte kümmerten sich zunehmend um den Erblasser.

Im April/Mai 1995 musste die Klägerin eine 30-tägige Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, weil weder sie noch der Erblasser sich in der Lage sahen, eine gegen die Klägerin verhängte Geldstrafe von 1.000 DM zu bezahlen. Für die Zeit vom 23. Mai 1995 bis zum 16. Oktober 1995 wurde die Klägerin in eine geschlossene psychiatrische Anstalt aufgenommen.

Im Juni 1995 kam es zu einer Steuerprüfung des Erblassers. Hierbei wurden Berge ungeöffneter Post vorgefunden. Im Juli 1995 nahmen der Erblasser und R. S. Verhandlungen über eine Übertragung der Grundstücke des Erblassers auf. Am 20. Juli 1995 erfasste die Architektin N. im Auftrag von R. S. und der Beklagten den Grundbesitz des Erblassers. Am 28. Juli 1995 suchten der Erblasser und R. S. den Notar Dr. B. auf und legten ihm den Entwurf eines Vertrages vor, auf Grund dessen der Erblasser seine Grundstücke nach näherer Maßgabe R. S. übertragen sollte. Der Notar nahm in der Folgezeit Kontakt zu den Gläubigern des Erblassers auf, um dessen Verbindlichkeiten festzustellen. Mit von Dr. B. beurkundetem Kaufvertrag vom 1. September 1995 verpflichtete sich der Erblasser, seine Grundstücke gegen Ablösung bzw. Übernahme seiner in dem Vertrag erfassten Verbindlichkeiten, die Gewährung eines Wohnrechts an der von ihm bewohnten Wohnung und Zahlung einer Leibrente auf die Beklagte zu übertragen, und ließ ihr die Grundstücke auf. Am 11. Januar 1996 wurde die Beklagte als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen.

Die Klägerin hat geltend gemacht, der Übertragungsvertrag sei sittenwidrig und nichtig. Des Weiteren habe die Beklagte ihre Verpflichtung zur Erfüllung der Forderungen gegen den Erblasser zunächst teilweise nicht erfüllt. Sie sei deshalb von dem Übertragungsvertrag gemäß § 326 BGB a.F. zurückgetreten. Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte nach näherer Maßgabe zur Rückübertragung der Grundstücke und zur Beseitigung im Interesse der Beklagten eingetragener Grundschulden zu verurteilen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision verfolgt sie ihre Anträge weiter.

Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht verneint die geltend gemachten Ansprüche. Es meint, der Beweis einer Geschäftsunfähigkeit des Erblassers bei Abschluss des Übertragungsvertrages sei nicht geführt. Der Vertrag sei weder wegen Wuchers noch als wucherähnliches Rechtsgeschäft nichtig. Ein auffälliges Missverhältnis zwischen dem Wert der beiderseitigen Leistungen bestehe nicht. Der Wert der Grundstücke habe unter Berücksichtigung des für den Erblasser bestellten Wohnrechts im Herbst 1995 1.266.000 DM betragen und damit die zu Gunsten des Erblassers vereinbarten Verpflichtungen der Beklagten um allenfalls 37 % überstiegen. Auch wenn davon auszugehen sei, dass die Beklagte die schwächere Position des Erblassers ausgenutzt habe, sei der Übertragungsvertrag wirksam. Die zur Feststellung sittenwidrigen Handelns der Beklagten notwendige subjektive Seite könne das Fehlen eines auffälligen Missverhältnisses der beiderseitigen Leistungen als objektive Voraussetzung der Nichtigkeit des Vertrages nicht vollständig ersetzen. Der Vertrag sei auch nicht rückabzuwickeln. Insoweit fehle es an einer wirksamen Fristsetzung und Ablehnungsandrohung gemäß § 326 Abs. 1 BGB a.F.

Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung teilweise nicht stand.

II. 1. Die Revision wendet sich nicht gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, eine Geschäftsunfähigkeit des Erblassers bei Abschluss des Vertrages vom 1. September 1995 sei nicht bewiesen. Rechtsfehler sind insoweit auch nicht ersichtlich.

2. Ohne Erfolg wendet sich die Revision auch gegen die Verneinung eines wirksamen Rücktritts der Klägerin von dem Kaufvertrag.

Voraussetzung eines Rücktritts nach § 326 Abs. 1 BGB a.F. ist der Verzug des Schuldners. Daran fehlte es nach der Feststellung des Berufungsgerichts bei Ablauf der von der Klägerin bis zum 21. März 1997 gesetzten Nachfrist. Das ist nicht zu beanstanden.

Die Parteien haben seit Oktober 1996 um die Wirksamkeit des Kaufvertrags gestritten. Die Beklagte drohte mit der Erhebung einer Feststellungsklage. In dieser Situation ließ die Klägerin mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 28. Oktober 1996 der Beklagten mitteilen:

"Die Tatsache, dass Ihre Mandanten die Leistungen aus dem Vertrag unter den jetzigen Umständen zurückhalten, ist sicherlich folgerichtig. Selbstverständlich werde ich für den Fall, dass ich bei dem Rückforderungsverlangen bleibe, keine Erfüllungsleistung aus dem Vertrag von Ihrer Mandantschaft mehr fordern."

Das hat das Berufungsgericht als Zusage der Klägerin ausgelegt, von der Beklagten die Erfüllung der in dem Kaufvertrag versprochenen Leistungen einstweilen nicht zu verlangen. Diese Auslegung ist möglich und weist keinen revisionsrechtlich beachtlichen Fehler auf. Die Revision meint zu Unrecht, ein pactum de non petendo setze das Bewusstsein der Vertragspartner voraus, die Leistung verlangen zu können, woran es bei der Klägerin gefehlt habe. Das Angebot, eine ausstehende Teilleistung aus einem Vertrag einstweilen nicht zu fordern, ist gerade im Fall eines Streits über die Grundlage des geltend gemachten Anspruchs häufig und sinnvoll. Eines Zugangs der Erklärung, das Angebot der Klägerin anzunehmen, bedurfte es nicht, um einen Verzug der Beklagten mit der Erfüllung der entgegen der Zusage der Klägerin verlangten Leistungen auszuschließen, § 151 Satz 1 BGB .

3. Mit Erfolg wendet sich die Revision jedoch gegen die Verneinung der Sittenwidrigkeit des Kaufvertrags gemäß § 138 Abs. 1 BGB durch das Berufungsgericht.

Ein gegenseitiger Vertrag kann auch dann gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig sein, wenn zwischen dem Wert der Leistungen, zu denen sich die Vertragsparteien verpflichtet haben, kein auffälliges Missverhältnis besteht, der begünstigte Vertragspartner jedoch in subjektiv vorwerfbarer Weise die Unerfahrenheit oder Schwäche des Benachteiligten ausnutzt und weitere sittlich vorwerfbare Umstände hinzutreten (vgl. BGH, Urt. v. 25. März 1966, VIII ZR 225/65, NJW 1966, 1451; Urt. v. 18. November 1982, III ZR 61/81, NJW 1983, 868, 870). So kann es sein, wenn ein deutliches Ungleichgewicht zwischen dem Wert der beiderseitigen Verpflichtungen besteht und es zum Abschluss des Vertrages durch die Ausnutzung eines besonderen Vertrauensverhältnisses zu einem unerfahrenen oder hilfsbedürftigen Vertragspartner gekommen ist (vgl. Bamberger/Roth/Wendtland, BGB , § 138 Rdn. 61; Soergel/Siebert/Hefermehl, BGB , 13. Aufl., § 138 Rdn. 83). Verhält es sich so, verstößt der Vertrag vom 1. September 1995 nach der Gesamtbeurteilung von Inhalt, Zweck und der Art seines Zustandekommens gegen die guten Sitten und ist nichtig.

Unter diesem Gesichtspunkt hat das Berufungsgericht den Vortrag der Klägerin nicht geprüft. Dies ist nachzuholen.

Vorinstanz: OLG Düsseldorf, vom 11.07.2005 - Vorinstanzaktenzeichen I-9 U 196/03
Vorinstanz: LG Wuppertal, vom 13.10.2003 - Vorinstanzaktenzeichen 2 O 120/98