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BGH - Entscheidung vom 23.11.2006

X ZB 5/06

Normen:
ZPO § 517 § 85 Abs. 2 § 233

BGH, Beschluß vom 23.11.2006 - Aktenzeichen X ZB 5/06

DRsp Nr. 2007/393

Pflichten des Rechtsanwalts bei Übermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes per Telefax

Versucht der Prozessbevollmächtigte noch innerhalb der Frist zur Begründung der Berufung den Schriftsatz mit einem ihm nicht vertrauten Faxgerät persönlich aus seiner Privatwohnung an das Gericht zu übermitteln und kommt es hierbei aufgrund eines Fehlers in der Bedienungsanleitung lediglich zur Übermittlung leerer Seiten, so gereicht ihm die Versäumung der Frist nicht zum Verschulden.

Normenkette:

ZPO § 517 § 85 Abs. 2 § 233 ;

Gründe:

I. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch, weil diese ihn anlässlich der Buchung einer Reise nach Vietnam nicht ausreichend über den möglichen Abschluss einer Reiserücktrittskostenversicherung und einer Versicherung zur Deckung der Rückführungskosten bei Unfall und Krankheit informiert habe.

Das Landgericht hat seine Klage abgewiesen und auf die Widerklage der Beklagten den Kläger zur Zahlung von 411,94 EUR nebst Zinsen verurteilt.

Das am 1. November 2005 verkündete Urteil wurde dem Kläger am 7. November 2005 zugestellt, die Berufung ging am 7. Dezember 2005 bei Gericht ein.

Am Montag, dem 9. Januar 2006, gingen in der Zeit zwischen 20:53 Uhr und 21:43 Uhr bei dem Berufungsgericht durch Faxübermittlung mit dem Absender A. T. leere Seiten ein. Am 10. Januar 2006 ging ebenfalls per Telefax die Berufungsbegründung bei Gericht ein zusammen mit einem Begleitschreiben des Prozessbevollmächtigten, des Streithelfers zu 2, in dem es heißt: "... wird vorsorglich die Berufungsbegründung nochmals per Fax vorab übersandt. Nach hier vorliegendem Faxprotokoll ist die Berufungsbegründung gestern, 09.01.06 um 21:45 Uhr an das Gericht übersandt worden."

Nachdem der Kläger mit Schreiben des Vorsitzenden des Zivilsenats darauf hingewiesen worden war, dass am 9. Januar 2006 nur leere Seiten eingegangen seien, hat er mit Schriftsatz vom 18. Januar 2006 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt: Sein Prozessbevollmächtigter habe die Berufungsbegründung zu Hause in seiner Privatwohnung fertig gestellt. Das dort vorhandene Faxgerät sei ihm nicht bekannt gewesen, weil es von seiner Ehefrau angeschafft und nur von ihr genutzt worden sei. Aus der Bedienungsanleitung, die er zur richtigen Bedienung des Faxgeräts herangezogen habe, habe sich ergeben, dass das Original mit der bedruckten Seite nach unten in den Vorlageneinzug einzulegen sei. Auf dem Gerät selbst sei ein Symbol eingestanzt gewesen, welches nach Information der Herstellerin darauf habe hinweisen sollen, dass das Original mit der Schrift nach oben einzulegen sei. Dieses Symbol sei aber nicht allgemein verständlich. Sein Prozessbevollmächtigter habe die Bedienungsanleitung befolgt. Erst als er am nächsten Tag seine Ehefrau noch einmal zu der korrekten Bedienung des Telefaxgerätes befragt habe, habe er erste Zweifel an einer ordnungsgemäßen Übersendung des Telefax bekommen und aus diesem Grunde die Berufungsbegründung noch einmal übermittelt.

Das Berufungsgericht hat durch den angefochtenen Beschluss das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen.

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers und seiner Streithelfer.

II. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (vgl. Sen.Beschl. v. 27.07.2004 - X ZB 45/03, NJW-RR 2004, 1717 ; vgl. BVerfGE 79, 372 , 376 f.; BVerfG NJW-RR 2002,1004).

Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürfen bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Anforderungen an das, was der Betroffene zur Fristwahrung veranlasst haben muss, nicht überspannt werden. An diesen Maßstäben gemessen hat die Versagung der Wiedereinsetzung durch das Berufungsgericht keinen Bestand; das Berufungsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Fristversäumung verschuldet hat. Hinsichtlich des der Partei nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden anwaltlichen Verschuldens ist entscheidend, ob die Fristversäumung für einen pflichtbewussten Rechtsanwalt abwendbar gewesen wäre. Dies hängt davon ab, ob der Prozessbevollmächtigte des Klägers, der Streithelfer zu 2, von einer einwandfreien Übermittlung des Telefax am 9. Januar 2006 ausgehen durfte oder ob er hieran Zweifel haben musste.

Der Streithelfer zu 2 hat nach seiner eidesstattlichen Versicherung zur Übermittlung der Berufungsbegründung ein Telefaxgerät verwendet, dessen Handhabung ihm unbekannt war, weil er dieses bisher nicht benutzt hatte. Er hat sich deshalb durch Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung über die richtige Handhabung des Geräts informiert. Die Bedienungsanleitung war jedoch nach der schriftlichen Bestätigung der Herstellerin insofern fehlerhaft, als dort der Benutzer zur Durchführung des Faxvorgangs angewiesen wurde, das Dokument mit der Schrift nach unten in das Gerät einzulegen. Dieser Fehler war für den Streithelfer zu 2 nicht erkennbar. Er musste nach der Darstellung in der Bedienungsanleitung keinen Zweifel an der richtigen Bedienung des Geräts haben. Auch das Symbol am Papiereinzug, das nach Darstellung der Herstellerin eine gegenteilige Anweisung gab, musste ihm keine Veranlassung geben, an der Richtigkeit der Bedienungsanleitung zu zweifeln. Nach seiner eidesstattlichen Versicherung hat er das Symbol, "soweit er es überhaupt bewusst wahrgenommen hat", so verstanden, dass es lediglich markierte, wo das Dokument einzulegen war. Angesichts der klaren Anweisung in der Bedienungsanleitung hatte er keine Veranlassung anzunehmen, mit dem Symbol am Papiereinzug werde die Anweisung in der Bedienungsanleitung in ihr Gegenteil verkehrt. Er durfte deshalb darauf vertrauen, dass eine korrekte Übermittlung gewährleistet war, wenn er sich an die Anweisung der Bedienungsanleitung hielt. Die Fristversäumung war demnach unverschuldet. Durch die Erteilung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird zugleich die die Berufung verwerfende Entscheidung des Berufungsgerichts gegenstandslos (BGHZ 45, 380, 384).

Vorinstanz: KG, vom 23.01.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 8 U 237/05
Vorinstanz: LG Berlin, vom 01.11.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 36 O 189/05