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BGH - Entscheidung vom 10.01.2006

4 StR 490/05

Normen:
StPO § 395 Abs. 2 Nr. 1

Fundstellen:
NStZ 2006, 351

BGH, Beschluß vom 10.01.2006 - Aktenzeichen 4 StR 490/05

DRsp Nr. 2006/6334

Kein Anschlussrecht der Angehörigen bei lediglich versuchtem Totschlags

Bei einem "nur" versuchten Totschlag haben die Angehörigen des Tatopfers kein Recht zum Anschluss als Nebenkläger.

Normenkette:

StPO § 395 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs, wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr sowie wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Ferner hat es gegen ihn Maßregeln nach §§ 69 , 69 a StGB verhängt. Gegen dieses Urteil wenden sich die Nebenkläger mit ihren auf die Sachrüge gestützten Rechtsmitteln. Sie beanstanden in erster Linie, dass eine Verurteilung des Angeklagten nicht auch wegen eines durch Unterlassen begangenen versuchten Totschlags erfolgt ist. Daneben erstreben sie eine Verurteilung wegen Aussetzung mit Todesfolge (§ 221 Abs. 3 StGB ). Den Revisionen bleibt der Erfolg versagt.

1. Nach den Feststellungen befuhr der Angeklagte mit seinem Pkw am 13. Mai 2002 gegen 17.10 Uhr die zu dieser Tageszeit gewöhnlich lebhaft befahrene L 386. Auf gerader Strecke geriet er infolge vorausgegangenen Genusses von Alkohol sowie der Einnahme des Medikaments Diazepam auf die Gegenfahrbahn und erfasste den dort ordnungsgemäß entgegenkommenden Radfahrer Hans-Joachim F.. Obwohl der Angeklagte anhand des Aufprallgeräusches bemerkt hatte, dass ein Mensch schwer verletzt worden war, setzte er seine Fahrt fort. Das Landgericht hat nicht auszuschließen vermocht, dass der Angeklagte angesichts der Tageszeit sowie der ihm als lebhaft befahren bekannten Örtlichkeit darauf vertraute, dass ein Dritter die notwendigen Maßnahmen zeitnah ergreifen würde. Tatsächlich wurden die Rettungskräfte auch durch unmittelbar danach hinzukommende Verkehrsteilnehmer informiert und Hans-Joachim F. nach einer Erstversorgung in eine Unfallklinik verbracht, wo er noch am gleichen Abend verstarb. Das Landgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Tod des Opfers in gleicher Weise eingetreten wäre, wenn der Angeklagte angehalten und sofortige Hilfe geleistet hätte.

2. Die Rechtsmittel der Nebenkläger sind, soweit sie auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts eine Verurteilung des Angeklagten wegen eines (untauglichen) Versuchs des Totschlags durch Unterlassen zum Ziel haben, bereits nicht zulässig.

a) Nach § 400 Abs. 1 StPO kann der Nebenkläger das Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, dass der Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluss des Nebenklägers berechtigt. Die Anschlussberechtigung der Nebenkläger ergibt sich hier aus § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO , wonach sich die Eltern und Geschwister eines durch eine rechtswidrige Tat Getöteten der erhobenen öffentlichen Klage als Nebenkläger anschließen können. Rechtswidrige Taten im Sinne dieser Vorschrift sind Straftaten gegen das Leben sowie solche, die durch den Tötungserfolg qualifiziert sind (BGHSt 44, 97 , 99; Senatsbeschluss vom 13. Juni 2002 - 4 StR 95/02, DAR 2002, 421 ). Die Nebenkläger waren daher jedenfalls unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer rechtswidrigen Tat nach § 222 StGB (fahrlässige Tötung) zum Anschluss berechtigt; insoweit ist eine Verurteilung des Angeklagten auch erfolgt.

b) Eine Anschlussberechtigung der in § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO genannten Personen besteht jedoch nicht bei einer (nur) versuchten Straftat gegen das Leben des Angehörigen. Dafür spricht bereits der klare Gesetzeswortlaut, der die Nebenklageberechtigung an die Begehung einer (rechtswidrigen) Straftat anknüpft, durch die der Angehörige getötet worden ist. Darüber hinaus entspricht dies auch der Gesetzessystematik: Bei einer versuchten Straftat nach den §§ 211 und 212 StGB sieht das Gesetz eine Befugnis zum Anschluss des Tatopfers selbst vor (§ 395 Abs. 1 Nr. 2 StPO ). Dessen Nebenklagebefugnis geht nach der Änderung des Rechts der Nebenklage durch das Opferschutzgesetz vom 18. Dezember 1986 im Todesfall nicht mehr auf seine in § 77 Abs. 2 StGB bezeichneten Angehörigen über (BGHSt 44, 97 , 98/99).

c) Die aufgezeigte Rechtslage steht - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer - nicht im Widerspruch zu den "Intentionen des Opferrechtsreformgesetzes". Ist - wie hier - der Tod des Opfers durch eine rechtswidrige Tat verursacht worden, so sind dessen Angehörigen nach § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO befugt, sich dem Strafverfahren als Nebenkläger anzuschließen und die ihnen in dieser Eigenschaft nach § 397 StPO zustehenden Rechte wahrzunehmen. Lediglich ihre Rechtsmittelbefugnis ist nach Maßgabe des § 400 Abs. 1 StPO eingeschränkt. Dies beruht auf einer gesetzgeberischen Entscheidung, die durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Verletzten im Strafverfahren (OpferRRG) vom 24. Juni 2004 keine Änderung erfahren hat. Auch den von den Beschwerdeführern angeführten Gesetzesmaterialien lässt sich ein entsprechender Wille des Gesetzgebers nicht entnehmen.

3. Soweit die Nebenkläger eine Verurteilung des Angeklagten nach § 221 Abs. 3 StGB anstreben, sind ihre Rechtsmittel zwar zulässig, aber unbegründet. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen scheitert eine Strafbarkeit nach dieser Bestimmung schon daran, dass der Tod nicht durch die "Tat", nämlich dadurch, dass der Angeklagte das Opfer im Stich gelassen hat (§ 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB ), verursacht worden ist, sondern durch das vorausgegangene Unfallgeschehen. Das Leben des Tatopfers hätte auch bei sofortiger Hilfeleistung durch den Angeklagten nicht gerettet werden können.

4. Die Nachprüfung des Urteils hat auch im Übrigen keinen die Nebenkläger oder - was der Senat in entsprechender Anwendung des § 301 StPO zu prüfen hatte - den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.

Vorinstanz: LG Kaiserslautern, vom 11.05.2005
Fundstellen
NStZ 2006, 351