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BGH - Entscheidung vom 10.11.2006

5 StR 386/06

Normen:
StGB § 25 Abs. 2 § 52 Abs. 1 § 53 Abs. 1 § 263 Abs. 5 § 267 Abs. 4

Fundstellen:
wistra 2007, 100

BGH, Beschluß vom 10.11.2006 - Aktenzeichen 5 StR 386/06

DRsp Nr. 2006/29088

Bandenmitglieder als Mittäter; Konkurrenzen bei Mittäterschaft

1. Die bloße Verbindung zu einer Bande hat nicht zur Folge, dass jede von einem der Bandenmitglieder aufgrund der Bandenabrede begangene Straftat den anderen Bandenmitgliedern ohne weiteres als gemeinschaftlich begangene Straftat im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden kann. 2. Vielmehr ist für jede einzelne Tat nach den allgemeinen Kriterien festzustellen, ob sich die anderen Bandenmitglieder hieran als Mittäter, Anstifter, Gehilfen beteiligt oder ob sie gegebenenfalls überhaupt keinen strafbaren Tatbeitrag geleistet haben.3. Hat daher ein Mittäter, der an der unmittelbaren Ausführung der Taten nicht beteiligt ist, einen alle Einzeldelikte fördernden Tatbeitrag bereits im Vorfeld erbracht, werden ihm diejenigen Taten der anderen Mittäter als tateinheitlich begangen zugerechnet, da sie in seiner Person durch den einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden. 4. Ob die Mittäter die ihnen zurechenbaren Taten gegebenenfalls tatmehrheitlich begangen haben, ist demgegenüber ohne Belang.

Normenkette:

StGB § 25 Abs. 2 § 52 Abs. 1 § 53 Abs. 1 § 263 Abs. 5 § 267 Abs. 4 ;

Gründe:

Das Landgericht hat die Angeklagten M., S. und A. wegen banden- und gewerbsmäßigen Betruges in 416 Fällen jeweils in Tateinheit mit banden- und gewerbsmäßiger Urkundenfälschung, den Angeklagten M. darüber hinaus wegen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung in 55 Fällen verurteilt. Die Angeklagte F. hat es wegen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung in 68 Fällen schuldig gesprochen. Gegen die Angeklagten M., S. und F. hat das Landgericht - jeweils unter Einbeziehung anderweits rechtskräftig verhängter Einzelstrafen - auf Gesamtfreiheitsstrafen von sechs Jahren drei Monaten, fünf Jahren neun Monaten und zwei Jahren sechs Monaten erkannt; die Angeklagte A. hat es mit einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren neun Monaten belegt. Gegen dieses Urteil wenden sich sämtliche Angeklagte mit ihren Revisionen. Diese haben in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO .

I. Nach den Feststellungen des Landgerichts tätigten die Angeklagten M., S. und A. in wechselnder Besetzung mit abhanden gekommenen EC-Karten Einkäufe; diese Angeklagten hätten von insgesamt sieben Personen deren EC-Karten auf nicht mehr aufklärbare Weise an sich gebracht und damit in 416 Fällen unter Einsatz der EC-Karte und Nachahmung des Schriftzuges auf den Lastschriftbelegen Waren gekauft. Hinsichtlich des Tatkomplexes 1 (EC-Karte J.) führte der Angeklagte S. diese Einkäufe unter Verwendung der abhanden gekommenen EC-Karte durch, bei den letzten sechs Bezahlvorgängen wurde er von der Angeklagten A. begleitet. Im Tatkomplex 2 (EC-Karten H.) waren die Angeklagten M. und A. in Berliner Läden unterwegs, im Tatkomplex 3 (EC-Karte Sch.) der Angeklagte M. allein. Mit der EC-Karte von B. (Tatkomplex 4) kaufte der Angeklagte S. ein. Gleiches gilt für den Tatkomplex 5; die dort verwendete EC-Karte des Zeugen K. hatte sich die Angeklagte F. verschafft, die als Bardame in der von dem Zeugen Kr. besuchten Bar "Liaison" arbeitete, und an den Angeklagten S. weitergegeben. Hinsichtlich des Tatkomplexes 6 (EC-Karte Mü.) verwandten die Angeklagten A. und M. die abhanden gekommene EC-Karte für gemeinsame Einkäufe. Schließlich erwarb der Angeklagte S. im Tatkomplex 7 (EC-Karte Kr.) mit den abhanden gekommenen EC-Karten des Zeugen Kr. in Berlin und später in Hessen in einer Vielzahl von Fällen Waren, wobei er jeweils vorspiegelte, berechtigter Inhaber der Karte zu sein.

Das Landgericht hat diese Taten jeweils als banden- und gewerbsmäßigen Betrug in Tateinheit mit banden- und gewerbsmäßiger Urkundenfälschung gewertet. Das Merkmal der Bande hat es deshalb als erfüllt angesehen, weil die drei Angeklagten M., S. und A. in wechselnder Besetzung die Taten begangen und gemeinsam hiervon profitiert haben. Deshalb rechnet das Landgericht auch jedem Angeklagten sämtliche Taten zu. Hinsichtlich der Angeklagten F. hat sich das Landgericht zwar nicht von ihrer Einbeziehung in die Bande überzeugen können, da sie jedoch die EC-Karte des Zeugen K. an den Mitangeklagten S. in dem Wissen, dass dieser damit Waren erwerben würde, weitergegeben habe, sei sie als Mittäterin hinsichtlich der dann in ihrem Einverständnis von S. verübten Taten anzusehen.

Bezüglich des vor den anderen Fällen geschehenen Tatkomplexes 8 ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Angeklagte M. als Alleintäter unter Verwendung der Karte des Zeugen Krü. und unter Nachahmung seines Schriftzuges auf den Lastschriftbelegen aufgetreten ist.

II. Die Revisionen der Angeklagten haben teilweise Erfolg.

1. Die Verurteilungen wegen bandenmäßiger Begehung, die die Verbrechenstatbestände des § 263 Abs. 5 StGB und § 267 Abs. 4 StGB auslösen, begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Die Urteilsgründe enthalten keine ausreichenden Feststellungen dahingehend, dass die jeweils ausgeurteilten Taten auch tatsächlich auf der Grundlage einer Bandenabrede begangen wurden. Eine bandenmäßige Begehung ist allenfalls für die Taten belegt, die Gegenstand der Vorverurteilung durch das Amtsgericht Marburg waren. Für die hier ausgeurteilten Taten, die zeitlich vor diesen Taten lagen, sind jedoch noch keine Anknüpfungstatsachen ersichtlich, welche die Annahme einer bandenmäßigen Begehung rechtfertigen könnten.

b) Den Feststellungen des Landgerichts lässt sich nicht entnehmen, dass die Angeklagten M., S. und A. als Bande gehandelt haben. Vielmehr waren die beiden Angeklagten M. und S. im Wesentlichen alleine tätig, lediglich in einem Viertel der Fälle war die Angeklagte A. beteiligt. In allen Fällen, in denen M. oder S. die EC-Karten betrügerisch eingesetzt haben, ist eine Einbeziehung des jeweils anderen nicht ersichtlich. Es wurde in keinem Fall eine der abhanden gekommenen EC-Karten vom jeweils anderen mitbenutzt. Insoweit ist auch nicht erkennbar, ob und inwieweit die Taten konkret gegenseitig beeinflusst waren.

2. Durchgreifenden Bedenken begegnet auch die umfassende Zurechnung sämtlicher Taten aus den Tatkomplexen 1 bis 7 im Hinblick auf die Angeklagten M., S. und A..

a) Das Landgericht schließt aufgrund der von ihm angenommenen bandenmäßigen Verbindung auf eine mittäterschaftliche Begehensweise. Abgesehen davon, dass die Annahme einer bandenmäßigen Begehung schon nicht tragfähig ist, hätte die bloße Verbindung zu einer Bande nicht einmal zur Folge, dass jedes von einem der Bandenmitglieder aufgrund der Bandenabrede begangene Betrugs- oder Urkundenfälschungsdelikt den anderen Bandenmitgliedern ohne weiteres als gemeinschaftlich begangene Straftat im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden kann. Vielmehr ist für jede einzelne Tat nach den allgemeinen Kriterien festzustellen, ob sich die anderen Bandenmitglieder hieran als Mittäter, Anstifter, Gehilfen beteiligt oder ob sie gegebenenfalls überhaupt keinen strafbaren Tatbeitrag geleistet haben (BGH NStZ-RR 2003, 265, 267; NStZ 2003, 32 , 33).

b) Eine entsprechende Zurechnung hat das Landgericht nicht vorgenommen. Sie lässt sich auch nicht aus dem Zusammenhang der Feststellungen entnehmen. Es bleibt offen, inwieweit die Angeklagten A. und M. auf die Taten des S. jeweils im Hinblick auf den konkreten Fall Einfluss genommen oder wenigstens am Taterfolg partizipiert haben könnten. Umgekehrt ist ebenso wenig erkennbar, wie S. auf die Taten von A. und M. hätte einwirken können. Eine hinreichende Zurechnung lässt sich gleichfalls im Verhältnis von A. und M. nicht schon aus dem Umstand ableiten, dass diese zum Tatzeitpunkt eine Lebensgemeinschaft bildeten. Selbst wenn eine Bandenabrede zur Begehung von entsprechenden Taten durch die missbräuchliche Verwendung von EC-Karten vorläge, bedeutete dies nicht notwendigerweise, dass der jeweils andere von jedem einzelnen Fall überhaupt Kenntnis erlangt hätte oder sonst irgendwie in die Tatdurchführung einbezogen wäre.

Schließlich begründet die Feststellung des Landgerichts, auch die von M. allein erbeuteten Waren seien teilweise für den Bedarf der Lebensgemeinschaft, zu der auch die minderjährige Tochter der Angeklagten A. gehörte, verwendet worden, keine Zurechnung. Abgesehen davon, dass es auch bei der gemeinsamen Verwertung der Tatbeute einer Abgrenzung nach allgemeinen Regeln dahingehend bedarf, ob diese als sukzessive Mittäterschaft, Beihilfe oder nur als Hehlerei anzusehen ist, tragen die Feststellungen auch diesbezüglich den Schuldspruch nicht. Es lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, an welchen Waren, die M. betrügerisch erlangt hat, die Angeklagte A. partizipiert hat oder aus welchen von der Angeklagten A. (zusammen mit dem Angeklagten S.) betrügerisch erlangten Gegenstände der Angeklagte M. konkreten Nutzen gezogen hat. Es fehlt insoweit die Beziehung zur konkreten Tat, die für eine Zuordnung erforderlich ist.

c) Abgesehen davon ist die tatmehrheitliche Verurteilung der Taten, soweit die Angeklagten nicht persönlich eingekauft haben, rechtsfehlerhaft (vgl. näher unter 4.).

3. Da sich nach dem bisherigen Beweisergebnis ausschließen lässt, dass ein neuer Tatrichter hinreichende Feststellungen für eine Bandenabrede wird treffen können, fasst der Senat den Schuldspruch neu. Die Angeklagten M., S. und A. werden deshalb wegen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung in den Fällen verurteilt, in denen sich aus den Urteilsgründen eine konkrete Tathandlung der jeweiligen Angeklagten ergibt. Hinsichtlich der anderen Fälle bedarf es weiterer Feststellungen, soweit der neue Tatrichter nicht von § 154 Abs. 2 StPO Gebrauch macht. Im Umfang der Aufhebung der Schuldsprüche können aber die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den einzelnen Verwendungen der EC-Karten bestehen bleiben.

a) Der Angeklagte M. ist deshalb hinsichtlich der Tatkomplexe 2 (Fälle 28 - 130), 3 (Fälle 131 - 172), 6 (Fälle 246 - 249) und 8 (Fälle 417 - 471), der Angeklagte S. bezüglich der Tatkomplexe 1 (Fälle 1 - 27), 4 (Fälle 173 - 177), 5 (Fälle 178 - 245) und 7 (Fälle 250 - 416) und die Angeklagte A. hinsichtlich der letzten sechs Fälle aus Tatkomplex 1 (Fälle 22 - 27) sowie der Tatkomplexe 2 (Fälle 28 - 130) und 6 (Fälle 246 - 249) wegen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung schuldig zu sprechen.

b) Hinsichtlich aller drei Angeklagten werden weiterhin die Regelbeispiele des § 267 Abs. 3 Nr. 1 StGB und § 263 Abs. 3 Nr. 1 StGB vorliegen, weil das Merkmal der Gewerbsmäßigkeit gegeben ist. Allerdings ist nach § 263 Abs. 4 StGB i.V. mit § 243 Abs. 2 StGB die Annahme eines besonders schweren Falles des Betruges in den Fällen ausgeschlossen, in denen sich die Betrugshandlung nur auf eine geringwertige Sache bezogen hat, während die Geringwertigkeit der Annahme des entsprechenden Regelbeispiels bei der Urkundenfälschung nicht entgegensteht. Dies kann aber gleichwohl Anlass geben, von der Annahme eines besonders schweren Falles abzusehen.

c) Mit der Aufhebung bzw. Abänderung der Schuldsprüche entfallen auch die hierfür verhängten Strafen. Der Senat hebt die für den Tatkomplex 8 gegen den Angeklagten M. verhängten Strafen gleichfalls auf. Das Landgericht hat bei der Bemessung der teils sehr hohen Einzelstrafen jeweils die Vielzahl der Fälle strafschärfend gewürdigt. Da deren Anzahl sich möglicherweise erheblich vermindert, können die Einzelstrafen keinen Bestand haben. Eine Aufhebung der Feststellungen ist insoweit nicht erforderlich.

4. Die Verurteilung der Angeklagten F. wegen Betruges in 68 Fällen, jeweils in Tateinheit mit Urkundenfälschung, führt auf die Revision dieser Angeklagten zu einer Korrektur im Schuldspruch. Die rechtsfehlerfreien Feststellungen, dass die Angeklagte F. die von ihr rechtswidrig an sich gebrachte EC-Karte des Zeugen K. an den Mitangeklagten S. in Kenntnis dessen weitergegeben habe, dieser werde damit betrügerisch Waren einkaufen, trägt den Schuldspruch wegen mittäterschaftlicher Begehung in 68 Fällen nicht.

a) Der Angeklagten F. kann nicht jede betrügerische Einkaufshandlung, die der Angeklagte S. mit der von ihr verschafften EC-Karte getätigt hat, als selbständige Tat zugerechnet werden. Eine tatmehrheitliche Verurteilung ist zwar im Hinblick auf den Angeklagten S. zutreffend, weil dieser auf der Grundlage eines jeweils neuen Tatentschlusses immer wieder unterschiedliche Verkäufer getäuscht hat. In Bezug auf die Angeklagte F. ist dies jedoch nicht der Fall. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist, wenn an einer Deliktsserie mehrere Personen als Mittäter beteiligt sind, vielmehr für jeden Beteiligten gesondert zu prüfen und zu entscheiden, ob die einzelnen Straftaten tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammentreffen. Maßgeblich ist dabei der Umfang des Tatbeitrags. Hat daher ein Mittäter, der an der unmittelbaren Ausführung der Taten nicht beteiligt ist, einen alle Einzeldelikte fördernden Tatbeitrag bereits im Vorfeld erbracht, werden ihm diejenigen Taten der anderen Mittäter als tateinheitlich begangen zugerechnet, da sie in seiner Person durch den einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden. Ob die Mittäter die ihnen zurechenbaren Taten gegebenenfalls tatmehrheitlich begangen haben, ist demgegenüber ohne Belang (BGH NStZ-RR 2003, 265, 267; wistra 2001, 336, 337).

b) Nach diesen Grundsätzen hätte hier das Landgericht im Blick auf die Angeklagte F. Tateinheit annehmen müssen. Da die Angeklagte F. an der eigentlichen Tatausführung nicht beteiligt war, beschränkte sich ihr Tatbeitrag auf die Verschaffung der EC-Karte des Zeugen K., mit der die jeweiligen Taten begangen wurden. Dieser - ganz erhebliche - Tatbeitrag wirkte in jeder Einzeltat fort. Damit waren aber die Tathandlungen in der Person der Angeklagten F. zu einer einheitlichen Tathandlung zusammengefasst.

c) Der Senat stellt deshalb den Schuldspruch um und verurteilt die Angeklagte wegen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung. An einer mittäterschaftlichen Begehung bestehen hier auch deshalb keine Zweifel, weil nach den Feststellungen des Landgerichts die Angeklagte F. handelte, um sich selbst eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen. Damit hatte sie ein unmittelbares eigenes Tatinteresse. Es ist nicht ersichtlich, wie sich die Angeklagte anders hätte verteidigen können.

d) Die Änderung des Schuldspruchs zieht hier die Aufhebung des Strafausspruches nach sich. Der Senat sähe es nicht als angemessen im Sinne des § 354 Abs. 1a StPO an, die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe bestehen zu lassen und selbst eine Einzelstrafe auf der Grundlage der Bewertung des Landgerichts zu bilden. Die Feststellungen zur Strafzumessung können hier jedoch aufrecht erhalten bleiben, weil es sich lediglich um eine rechtliche Fehlbeurteilung der Konkurrenzverhältnisse handelt. Der neue Tatrichter kann aber insoweit neue Feststellungen treffen, die den bisher getroffenen nicht widersprechen.

Vorinstanz: LG Berlin, vom 16.02.2006
Fundstellen
wistra 2007, 100