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BGH - Entscheidung vom 29.11.2006

5 StR 329/06

Normen:
StPO § 244 Abs. 2

Fundstellen:
NStZ-RR 2007, 83

BGH, Beschluß vom 29.11.2006 - Aktenzeichen 5 StR 329/06

DRsp Nr. 2006/30216

Aufklärungspflicht bezüglich Schuldfähigkeitsgutachten bei Besonderheiten des Falls

Die Aufklärungspflicht kann die Erholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zur Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten gebieten, wenn Besonderheiten in Bezug auf die Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten, eine Persönlichkeitsentwicklung mit Blick auf den schwelenden und sodann offen ausbrechenden Beziehungskonflikt sowie die Entwicklung der Beziehung zu seiner Ehefrau und zu dem späteren Tatopfer vorliegen.

Normenkette:

StPO § 244 Abs. 2 ;

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung und wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Die auf die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit einer zulässig erhobenen Aufklärungsrüge den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg.

I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

Der Angeklagte ist seit zehn Jahren mit der Zeugin He. verheiratet. Aus der Ehe sind drei Töchter im Alter von zehn, fünf und vier Jahren hervorgegangen. Die Zeugin war dem Angeklagten seit vielen Jahren untreu, was auch im Verwandten- und Freundeskreis weitgehend bekannt war. Der Angeklagte fand sich mit dem kränkenden Verhalten seiner Ehefrau jedoch ab, da er ein Auseinanderbrechen der Ehe vermeiden wollte, zumal er sehr an seinen Kindern hing.

Im Sommer 2005 ging B. He. erneut eine außereheliche Beziehung ein, wobei sie sich ernsthaft in Hr., das spätere Tatopfer, verliebte. Sie plante, sich von dem Angeklagten scheiden zu lassen, die beiden kleineren Kinder zu sich zu nehmen und mit ihrem Geliebten in eine gemeinsame Wohnung zu ziehen.

Als der Angeklagte von den Absichten seiner Ehefrau erfuhr, versuchte er alles, um die Trennung zu verhindern. Es gelang ihm jedoch nicht, die Zeugin umzustimmen. Sie traf sich weiterhin abends regelmäßig mit Hr., wobei der Angeklagte ihr eifersüchtig folgte, nachdem die Kinder eingeschlafen waren. Der Angeklagte setzte sich mit der mit den Familienverhältnissen vertrauten Sozialarbeiterin des Jugendamtes in Verbindung und bat um Rat und Hilfe. Auf deren Intervention sagte die Zeugin He. zunächst zu, die Ehe fortsetzen zu wollen, was sich jedoch in der Folgezeit als Lippenbekenntnis erwies. Sie traf sich weiter mit ihrem Liebhaber und beide machten auch in der Öffentlichkeit keinen Hehl mehr aus ihrem Verhältnis.

Bei einem Fest am 3. Oktober 2005 musste der Angeklagte mitansehen, wie seine Ehefrau und Hr. auf der Tanzfläche ungeniert Zärtlichkeiten in Form von innigen Küssen und Umarmungen austauschten. Er versuchte seine Frau von Hr. wegzuzerren. Diese wehrte sich und erklärte ihm, dass sie sich nun scheiden lassen werde, um Hr. zu heiraten, die Kinder werde sie auch behalten. Daraufhin schlug der Angeklagte Hr. mit der Faust so kräftig ins Gesicht, dass dieser einen Nasenbeinbruch erlitt.

In den Tagen danach setzte der Angeklagte die Überwachung seiner Ehefrau fort und musste feststellen, dass sie sich weiter regelmäßig mit Hr.

traf. In der Nacht vom 9. auf den 10. Oktober 2005 kam es zu einem Gespräch zwischen ihm und Hr., bei dem dieser ihm mitteilte, er werde mit der Zeugin und den Kindern zusammenziehen. Der Angeklagte könne aber jederzeit Kontakt zu seinen Kindern haben.

In den frühen Morgenstunden des 11. Oktober 2005 nahm der Angeklagte heimlich die zu Hr. s Wohnung gehörenden Schlüssel vom Schlüsselbund seiner Frau ab und versah sich mit einem großen Messer. Zunächst fuhr er zu seiner Arbeitstätte und führte dort noch ausstehende Restarbeiten aus. Sodann begab er sich zur Wohnung seines Rivalen und öffnete die Wohnungstür mit dem entwendeten Schlüssel. In der Wohnung fand er Hr. - wie erwartet - noch schlafend im Bett vor. Er stieß seinem Opfer das Messer in Tötungsabsicht mit Wucht insgesamt dreimal in Brust und Bauch. Die massiven Verletzungen führten innerhalb weniger Minuten zum Tod des Opfers durch Verbluten. Nach der Tat verließ der Angeklagte zunächst die Wohnung und schloss hinter sich ab. Einige Stunden später kehrte er zurück, wickelte die Leiche in Betttücher ein und steckte sie in einen Müllsack. Er beabsichtigte, die Leiche mit einer Sackkarre abzutransportieren und verschwinden zu lassen. Zum Abtransport kam es jedoch nicht mehr; die Tat wurde am folgenden Tag entdeckt.

Das Landgericht hat die Tötung des Hr. als Heimtückemord bewertet. Die Voraussetzungen des § 21 StGB hat es sowohl für die Körperverletzung als auch für den Totschlag ohne sachverständige Hilfe verneint. Anhaltspunkte dafür, dass die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit vermindert oder gar aufgehoben sein könnte, seien nicht einmal im Ansatz ersichtlich, so dass auch kein Anlass bestanden habe, den Angeklagten einer forensisch-psychiatrischen Begutachtung zu unterziehen.

II. Die Einwände der Revision gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung sind offensichtlich unbegründet. Die sich aus dem Gutachten des Landeskriminalamts Brandenburg von Oktober 2006 ergebenden neuen Erkenntnisse können im Revisionsverfahren keine Berücksichtigung finden. Die Bewertung der Tötung des Hr. als Heimtückemord hält ebenfalls rechtlicher Prüfung stand.

Der Beschwerdeführer rügt jedoch zu Recht, die Strafkammer habe ihre Aufklärungspflicht verletzt, weil sie zur Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten keinen psychiatrischen Sachverständigen gehört habe. Hierzu hätten die im Urteil beschriebene Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten, seine Persönlichkeitsentwicklung mit Blick auf den schwelenden und sodann offen ausbrechenden Beziehungskonflikt sowie die Entwicklung der Beziehung des Revisionsführers zu seiner Ehefrau und zu dem späteren Tatopfer gedrängt.

Auf die im Urteil dargestellte, entsprechend der Entwicklung des konflikthaften Geschehens zunehmende Destabilisierung der Persönlichkeit des Angeklagten, die seine psychiatrische Begutachtung nahe legten, hat der Verteidiger in seiner Revisionsbegründung zutreffend hingewiesen.

So wird der Angeklagte zunächst als verschlossener Mensch geschildert, der auch Personen in seinem engsten Umkreis nicht an seinem Gefühlsleben teilhaben lässt. Er wird als besonnener, gut organisierter Handwerker beschrieben, der im Interesse der Familie und insbesondere seiner Kinder das ihn kränkende Treiben seiner Frau jahrelang geduldet hat. Dies änderte sich merklich, als die Zeugin ihn unter Mitnahme der Kinder verlassen wollte. Der Revisionsführer unternahm nun erhebliche Anstrengungen, eine Trennung von seiner Ehefrau und damit das Auseinanderbrechen der Familie zu verhindern. Ihn plagte "eine brennende Sorge" im Hinblick auf das Scheidungsbegehren und den hiermit verbundenen drohenden Verlust seiner Kinder. Die Situation belastete ihn derart, dass er nunmehr entgegen seinen bisherigen Gepflogenheiten mit anderen Menschen und sogar mit seinem Arbeitgeber über seine Sorgen sprach und weinend um Rat fragte. Er folgte seiner Frau Abend für Abend und musste zusehen, wie sie sich mit ihrem Geliebten traf. Die "zunehmende Ratlosigkeit und Verzweiflung" des Angeklagten in Reaktion auf dieses Geschehen und seine daraus "entstehende unreflektierte Aggressionsbereitschaft" entluden sich erstmalig in der Körperverletzung zum Nachteil des Hr. am 3. Oktober 2005. In diesem Zusammenhang stellt das Landgericht weiter fest, dass sich die Eifersucht des Angeklagten jetzt "in blanke Wut" steigerte. Am Vorabend der Tötung musste er sich zudem bei einem von ihm gesuchten Gespräch mit dem Liebhaber seiner Frau anhören, dass seine - des Angeklagten - Ehe kaputt sei, dass er aber nach einer Trennung seine Kinder, die die Zeugin in die neue Verbindung mitnehmen werde, jederzeit sehen könne, was der Angeklagte als "bittere Enttäuschung der mit dieser Aussprache verbundenen erheblichen Erwartungen" empfand. Zugleich führte diese Unterredung dem Angeklagten deutlich vor Augen, dass er sich keine Hoffnungen auf eine günstige Wendung mehr machen konnte.

Angesichts dieser vom Landgericht festgestellten konflikthaften Entwicklung mit den entsprechenden psychischen Auswirkungen auf den Angeklagten ist der Befund, es fehle schon im Ansatz an jedem Anhaltspunkt dafür, dass die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt gewesen sei, für sich nicht tragfähig. Jedenfalls ohne weitere Erkenntnisse oder tiefergehende Erörterungen hätte das Schwurgericht sachverständiger Beratung zur Frage der Schuldfähigkeit unbedingt bedurft. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Angeklagte bei der Tötung des Hr. durchaus planvoll gehandelt hat, denn auch zielstrebiges und folgerichtiges Verhalten steht der Annahme einer erheblichen Verminderung des Hemmungsvermögens nicht unbedingt entgegen (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 20 Rdn. 25 m.w.N.).

Da nach der gegebenen Sachlage eine Schuldunfähigkeit im Sinne des § 20 StGB auszuschließen ist, nötigt der aufgezeigte Rechtsfehler nur zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs.

Vorinstanz: LG Neuruppin, vom 13.04.2006
Fundstellen
NStZ-RR 2007, 83