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BGH - Entscheidung vom 15.03.2006

IV ZB 38/05

Normen:
ZPO § 516

Fundstellen:
BGHReport 2006, 928
MDR 2006, 1126
NJW-RR 2006, 862
VersR 2006, 947

BGH, Beschluß vom 15.03.2006 - Aktenzeichen IV ZB 38/05

DRsp Nr. 2006/10816

Anforderungen an die Erklärung der Berufungsrücknahme

»Zur eindeutigen Erklärung der Berufungsrücknahme.«

Normenkette:

ZPO § 516 ;

Gründe:

I. Die Parteien streiten um die Erbberechtigung nach der 1991 verstorbenen Großmutter der Klägerin und Mutter der Drittwiderbeklagten.

Das Landgericht hat die Klage auf Feststellung der Alleinerbenstellung der Klägerin und Herausgabe des der Beklagten und der Drittwiderbeklagten erteilten gemeinschaftlichen Erbscheins abgewiesen. Die gegen die Klägerin gerichtete Widerklage auf Auskunft über die erzielten Mieteinnahmen aus dem Nachlassgrundstück hat es ebenfalls abgewiesen. Der auch gegenüber der Drittwiderbeklagten erhobenen Widerklage auf Auskunftserteilung hat es stattgegeben.

Dagegen hat ihr damaliger gemeinsamer Prozessbevollmächtigter für die Klägerin und die Drittwiderbeklagte ("Namens der Berufungsklägerinnen") unter Vorlage einer Urteilsabschrift Berufung eingelegt. Im Eingang der Berufungsschrift ist die entsprechende jeweilige Parteibezeichnung mit "Klägerin, Widerbeklagte und Berufungsklägerin" bzw. mit "Drittwiderbeklagte und Berufungsklägerin" aufgeführt.

In einem späteren Schriftsatz hat ihr Prozessbevollmächtigter erklärt:

"... nehmen wir die namens der Klägerin und Drittwiderbeklagten zur Fristwahrung eingelegte Berufung hiermit zurück."

Auf Rückfrage der Berichterstatterin hat er anschließend mitgeteilt, seine vorgenannte Erklärung sei so zu verstehen,

"dass die Berufung namens der Drittwiderbeklagten ... zurückgenommen wurde. Die Berufung für die Klägerin und Widerbeklagte ... ist nicht zurückgenommen worden".

Anschließend hat er die Berufung der Klägerin begründet.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht ihre Berufung als unzulässig verworfen, weil auch "die namens der Klägerin" eingelegte Berufung wirksam zurückgenommen worden sei. Vor dem Hintergrund der verwandten Parteibezeichnungen sei die Rücknahmeerklärung eindeutig dahin zu verstehen, dass die Klägerin und auch die Drittwiderbeklagte gemeint gewesen seien. Der fehlende Artikel vor "Drittwiderbeklagten" begründe keine Zweifel. Die objektiv nicht veranlasste Rückfrage ändere an der eindeutigen Berufungsrücknahme nichts. Es sei unzulässig, dieser Erklärung nachträglich - im Lichte der nachfolgenden Mitteilung des Prozessbevollmächtigten - einen anderen Sinn zu geben.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V. mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO ), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO , die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (BGHZ 151, 42 , 43; 221, 223; 155, 21, 22; BGH, Beschlüsse vom 22. November 2005 - XI ZB 43/04 - in juris dokumentiert - und vom 24. Juni 2003 - VI ZB 10/03 - NJW 2003, 2991 unter II), sind nicht erfüllt.

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Beschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO ) nicht erforderlich.

1. Zutreffend geht die Rechtsbeschwerde allerdings davon aus, dass die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ein Eingreifen des Bundesgerichtshofs erfordert, wenn die angefochtene Entscheidung Verfahrensgrundrechte einer Partei - etwa auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG ) oder wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip) - verletzt und darauf beruht (BGHZ 154, 288 , 296; 159, 135, 139 f. zu § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO ).

2. Ein solcher Zulassungsgrund liegt hier indes nicht vor. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das Berufungsgericht der Klägerin den Zugang zur Berufungsinstanz nicht aufgrund von überspannten Anforderungen versagt (vgl. hierzu BVerfGE 41, 323 , 326 ff.; 41, 332, 334 ff.; 69, 381, 385; BVerfG NJW 2001, 2161 , 2162; BGHZ 151, 221 , 227 f.).

a) Rücknahmeerklärungen unterliegen als Prozesshandlungen der uneingeschränkten Nachprüfung - auch auf ihre Auslegung hin - durch das Revisionsgericht (vgl. BGH, Urteil vom 22. Mai 1996 - XII ZR 14/95 - FamRZ 1996, 1142 unter 2). Dieses hat verfahrensrechtliche Erklärungen frei zu würdigen und dabei unter Heranziehung aller für das Berufungsgericht erkennbaren Umstände und unter Beachtung der durch die gewählten Bezeichnungen bestehenden Auslegungsgrenzen darauf abzustellen, welcher Sinn ihnen aus objektiver Sicht beizumessen ist (vgl. BGH, Urteil vom 30. Januar 1979 - VI ZR 45/78 - VersR 1979, 373 unter II und Beschluss vom 16. Juli 1998 - VII ZB 7/98 - VersR 1998, 1529 unter 2; Zöller/Gummer, ZPO 25. Aufl. § 546 Rdn. 11 m.w.N.).

b) Diese Nachprüfung ergibt, dass hier der Prozessbevollmächtigte auch die Rücknahme des von ihm für die Klägerin - und nicht nur des für die Drittwiderbeklagte - eingelegten Rechtsmittels erklärt hat.

Die Wirksamkeit einer Berufungsrücknahme setzt voraus - wovon auch das Berufungsgericht zutreffend ausgeht -, dass sie, wenn auch nicht unbedingt ausdrücklich, so doch eindeutig erklärt wird. Der Rechtsmittelführer muss klar und unzweideutig zum Ausdruck bringen, dass er das Verfahren nicht mehr fortsetzen und ohne Entscheidung des Rechtsmittelgerichts beenden will (allgemeine Ansicht, vgl. nur BGH, Beschluss vom 23. September 1987 - IVb ZB 59/86 - NJW-RR 1989, 195 unter II 2 und Urteil vom 3. April 1996 - VIII ZR 315/94 - NJW-RR 1996, 885 unter II 2; MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, 2. Aufl. Aktualisierungsband § 516 Rdn. 9; Musielak/Ball, ZPO 4. Aufl. § 516 Rdn. 4). Das war hier der Fall.

aa) Der Prozessbevollmächtigte hat namens beider Berufungsklägerinnen "Berufung" eingelegt und unter Wiederholung der in der Berufungsschrift - in Übereinstimmung mit dem Rubrum der angefochtenen Entscheidung - zutreffend wiedergegebenen beiden Parteibezeichnungen - Klägerin und Drittwiderbeklagte - auch für beide das Rechtsmittel zurückgenommen. Bereits die Angabe der Parteibezeichnungen beider Rechtsmittelführer lassen an der gebotenen Klarheit keine Zweifel aufkommen, dass auch die Rücknahmeerklärung auf beide Rechtsmittel zu beziehen ist.

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist dem Wortlaut des Schriftsatzes nicht zu entnehmen, dass nur "eine" Berufung zurückgenommen wurde, was dann nur die der Drittwiderbeklagten gewesen sein könne. Die Schriftsätze zur Einlegung wie zur Rücknahme führen nur die Rechtsmittelbezeichnung "Berufung" in der Einzahl auf. Für wen entsprechende prozessuale Erklärungen abgegeben werden sollten, muss sich dann notwendigerweise aus den darauf bezogenen Parteibezeichnungen ergeben. Es handelt sich - was auch die Rechtsbeschwerde nicht verkennt - um die Berufungen zweier Parteien aus verschiedenen Parteistellungen mit ganz unterschiedlichen Angriffszielen. Erst die zusätzliche Parteibenennung ermöglicht bei der gewählten Formulierung in den Schriftsätzen eine Zuordnung, die hier mit der erforderlichen Deutlichkeit bei Einlegung und Rücknahme erkennbar in gleicher Weise erfolgt ist.

Für eine irrtümliche Bezeichnung der Drittwiderbeklagten auch als "Klägerin" ist dem Rücknahmeschriftsatz nichts zu entnehmen. Erst recht wäre ein solcher Irrtum für Rechtsmittelgegner und Gericht nicht "ganz offensichtlich" gewesen. Nur in solchen Fällen kann nach den Grundsätzen von Treu und Glauben aber in Betracht kommen, eine Rücknahme als unwirksam zu behandeln (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. Dezember 1987 - IVb ZB 125/87 - BGHR ZPO § 515 Abs. 2 Erklärung 1 und 21. März 1977 - II ZB 5/77 - VersR 1977, 574; MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, aaO.). Dafür ist aber weder etwas vorgetragen noch sonst ersichtlich.

bb) Es trifft ferner nicht zu, dass bei anderer Sicht der Dinge als der der Rechtsbeschwerde überhaupt keine Berufung zurückgenommen worden wäre. Im Gegenteil macht die Annahme einer nur auf die Drittwiderbeklagte beschränkte Rücknahmeerklärung wenig Sinn, weil diese dann der Beklagten Auskunft über den Nachlass zu geben hätte, auch wenn die Klägerin mit der begehrten Feststellung ihrer Alleinerbenstellung Erfolg haben würde. Die Angriffsinteressen der Klägerin und die der Drittwiderbeklagten sind insoweit gleichgerichtet, als beide jedwede erbrechtliche Berechtigung der Beklagten verneinen. Eine rechtskräftig festgestellte Auskunftsverpflichtung der Drittwiderbeklagten trotz fehlender Nachlassbeteiligung der Beklagten ist deswegen nicht plausibel. Der Vorwurf der Rechtsbeschwerde, das Berufungsgericht habe rechtsirrig - gleichsam nur formal - auf Parteibezeichnungen abgestellt, ist mithin nicht haltbar.

cc) Das wird durch den unbestritten gebliebenen Vortrag der Beklagten noch verstärkt, der Prozessbevollmächtigte der Klägerin und der Drittwiderbeklagten habe ihr mit Schreiben unter dem Datum des Rücknahmeschriftsatzes erklärt, die fristwahrend eingelegte Berufung werde mit gleicher Post zurückgenommen. In einem anschließenden Telefongespräch mit ihrem Prozessvertreter habe er dann mitgeteilt, die Klägerin und ihre Mutter wollten nicht länger streiten und hätten vereinbart, eine wirtschaftliche Lösung zu erreichen.

Auch vor diesem Hintergrund geht die Rüge der Rechtsbeschwerde ins Leere, das Berufungsgericht habe sich rechtsirrig nur mit den Parteibezeichnungen befasst. Die erforderliche Berücksichtigung aller erkennbaren Umstände lässt an der von ihm festgestellten Rücknahme beider Berufungen keine Zweifel. Die spätere anders lautende Interpretation seitens des Prozessbevollmächtigten - auf die vom Berufungsgericht zutreffend als nicht veranlasst angesehene Rückfrage seitens des Gerichts - konnte den eindeutigen Erklärungen nachträglich keinen anderen Sinn verleihen (vgl. Zöller/Greger, aaO. vor § 128 Rdn. 25).

Vorinstanz: OLG Hamm, vom 19.07.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 10 U 43/05
Vorinstanz: LG Münster, vom 28.02.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 11 O 452/02
Fundstellen
BGHReport 2006, 928
MDR 2006, 1126
NJW-RR 2006, 862
VersR 2006, 947