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BGH - Entscheidung vom 19.09.2006

X ZB 31/05

Normen:
GVG § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b

BGH, Beschluß vom 19.09.2006 - Aktenzeichen X ZB 31/05

DRsp Nr. 2006/25327

Anforderungen an die Darlegung der Zuständigkeit des Berufungsgerichts bei Gerichtsstand einer Partei im Ausland

Bei § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b GVG ist im Berufungsverfahren regelmäßig der im Verfahren vor dem erstinstanzlichen Gericht unangegriffen gebliebene inländische bzw. ausländische Gerichtsstand einer Partei zugrunde zu legen und einer Nachprüfung durch das Rechtsmittelgericht grundsätzlich entzogen. Dies gilt jedoch nicht, wenn in erster Instanz hierzu nichts vorgetragen wird und demzufolge ein unbestrittener Vortrag zur Frage der Zuständigkeit nicht vorliegt.

Normenkette:

GVG § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b ;

Gründe:

I. Der Kläger verlangt von der Beklagten die teilweise Erstattung eines bezahlten Reisepreises, hilfsweise die Erteilung eines Reisegutscheins.

In der Klageschrift hat der Kläger die Beklagte, eine ausländische Gesellschaft, wie folgt bezeichnet:

"Firma S., International Ltd., vertreten durch den Vorsitzenden der Geschäftsleitung L. M. C. ".

Das Amtsgericht hat seine Klage abgewiesen. Das Urteil ist dem Kläger am 3. Januar 2005 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 31. Januar 2005, eingegangen am 1. Februar 2005, hat der Kläger Berufung beim Landgericht eingelegt. In der Folgezeit wurde die Berufungsbegründungsfrist verlängert. Innerhalb der laufenden Frist zur Berufungsbegründung teilte der Berichterstatter der Prozessbevollmächtigten des Klägers telefonisch mit, dass Bedenken hinsichtlich der Zuständigkeit des Landgerichts für die Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil bestünden. Auf weiteren telefonischen Hinweis, dass eine Beendigung des vor dem Landgericht betriebenen Berufungsverfahrens durch Abgabe an das Oberlandesgericht nicht möglich sei, nahm der Kläger mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 17. März 2005 die Berufung beim Landgericht zurück.

Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 8. März 2005, eingegangen beim Oberlandesgericht am 10. März 2005, hatte der Kläger zuvor Berufung beim Oberlandesgericht eingelegt und zugleich einen Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist gestellt.

Diesen Antrag hat das Oberlandesgericht durch den angefochtenen Beschluss zurückgewiesen und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Rostock vom 30. Dezember 2004 als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und nach § 574 ZPO auch zulässig.

2. Die Rechtsbeschwerde macht geltend, der Beschluss des Oberlandesgerichts sei schon deshalb aufzuheben, weil er keine Darstellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts enthalte.

Insoweit hat die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg. Der Beschluss verweist auf den Hinweis des Berichterstatters, der den Parteien übermittelt worden ist. Diesem Hinweis ist mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass die Berufungsfrist am 3. Februar 2005 abgelaufen ist und einen Tag zuvor, am 2. Februar 2005, Berufung beim Landgericht eingelegt worden ist. Ferner ist dem Hinweis zu entnehmen, dass die Akten sodann angefordert und am 4. Februar 2005 beim Landgericht eingegangen sind. Außerdem ergibt sich aus der angefochtenen Entscheidung selbst, dass sodann die Berufung beim Oberlandesgericht eingelegt worden ist. Danach ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit, dass die Berufungsfrist versäumt worden ist. Damit ist der zu beurteilende Sachverhalt hinreichend erkennbar.

3. Auch soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, es sei im Rechtsmittelverfahren auch dann von einem inländischen allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten auszugehen, wenn in erster Instanz die tatsächlichen Voraussetzungen für das Bestehen eines besonderen Gerichtsstands von keiner Partei vorgetragen und auch nicht vom Gericht festgestellt worden seien, ist das Rechtsmittel nicht begründet.

Das Oberlandesgericht hat zutreffend angenommen, dass der Kläger als Berufungsführer die funktionelle Zuständigkeit des angerufenen Berufungsgerichts darzulegen hat (BGH, Beschl. v. 28.01.2004 - VIII ZB 66/03, MDR 2004, 828 ; Beschl. v. 28.03.2006 - VIII ZB 100/04, BGH-Rep. 2006, 925). Hiervon geht auch die Rechtsbeschwerde aus.

Allerdings haben der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs und ihm folgend der XI. Zivilsenat entschieden, dass bei § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG im Berufungsverfahren regelmäßig der im Verfahren vor dem erstinstanzlichen Gericht unangegriffen gebliebene inländische bzw. ausländische Gerichtsstand einer Partei zugrunde zu legen und einer Nachprüfung durch das Rechtsmittelgericht grundsätzlich entzogen ist (BGH, Urt. v. 28.01.2004 - VIII ZB 66/03, MDR 2004, 828 ; Urt. v. 15.02.2005 - XI ZR 171/04, NJW-RR 2005, 780 ; Beschl. v. 28.03.2006 - VIII ZB 100/04, BGH-Rep. 2006, 925). Dies setzt allerdings voraus, dass in erster Instanz der inländische oder ausländische Gerichtsstand unstreitig geblieben ist oder dass er zwar streitig war, das Gericht dazu aber keine Feststellungen getroffen hat. In letzterem Fall kann es dem Gegner verwehrt sein, seinen Vortrag zu ändern (BGH, Beschl. v. 28.03.2006, aaO.). Wird indessen in erster Instanz hierzu nichts vorgetragen und liegt demzufolge ein unbestrittener Vortrag zur Frage der Zuständigkeit nicht vor, so kann dies nicht gleichermaßen gelten.

Die Bezeichnung der Beklagten im Rubrum der Klageschrift ist nicht eindeutig. Aus ihr ergibt sich nicht, ob damit behauptet werden sollte, die Beklagte habe ihren Sitz im Inland oder die Beklagte unterhalte im Inland eine Zweigniederlassung (§ 21 ZPO ). Abgesehen von der Bezeichnung der Beklagten im Rubrum der Klageschrift hat der Kläger in erster Instanz nichts zur Zuständigkeit vorgetragen. Er hat weder geltend gemacht, dass die Beklagte ihren Sitz im Inland habe noch dass sie im Inland eine Zweigniederlassung unterhalte. Der Einlassung der Beklagten auf die gegen sie erhobene Klage kann daher auch nichts zu dieser Frage entnommen werden, insbesondere nicht, dass sie damit nicht habe bestreiten wollen, dass sie ihren Sitz im Inland habe. Ist zu dieser Frage aber ein unstreitiger Sachverhalt nicht zu ermitteln, so verbleibt es bei dem oben dargelegten Grundsatz, wonach der Berufungskläger die funktionelle Zuständigkeit des angerufenen Berufungsgerichts darzulegen hat. Das bedeutet, dass der Berufungskläger die Voraussetzungen für die Zuständigkeit des angerufenen Berufungsgerichts darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen hat.

Das Amtsgericht hatte auch nicht, wie die Rechtsbeschwerde meint, Veranlassung den Kläger aufzufordern, hierzu vorzutragen, denn es hatte zu Recht keine Zweifel an seiner Zuständigkeit.

4. Die Berufung beim Oberlandesgericht war daher unzulässig, weil sie verspätet eingelegt worden ist. Ein Wiedereinsetzungsgrund liegt nicht vor. Der Kläger konnte, wie dies im Übrigen nach dem entsprechenden Hinweis des Landgerichts auch geschehen ist, ohne Schwierigkeiten ermitteln, welches der Sitz der Beklagten war und damit ohne weiteres erkennen, dass die Berufung gegen das angegriffene Urteil beim Oberlandesgericht einzulegen war. Diese Prüfung oblag ihm, weil er die Prozessvoraussetzungen darzulegen hat.

Wiedereinsetzung ist dem Kläger auch nicht deshalb zu bewilligen, weil das Landgericht erst verspätet auf Bedenken hinsichtlich der Zuständigkeit für die Berufung hingewiesen hat. Die Berufungsfrist lief am 3. Februar 2005 ab. Die Berufung zum Landgericht ist dort am 1. Februar 2005 eingegangen; am 2. Februar 2005 hat der Vorsitzende die Akten angefordert, die am 4. Februar eingegangen sind. Ohne Akten konnte das Landgericht seine Zuständigkeit, insbesondere die Voraussetzungen des § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG nicht prüfen. Erst recht war ihm die Prüfung darauf hin, ob nach den von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen hier trotz des Sitzes der Beklagten im Ausland der Beklagten die Möglichkeit abgeschnitten war, sich hierauf zu berufen, nicht möglich, denn dazu war Voraussetzung, dass dies in erster Instanz unstreitig geblieben war. Nach dem Akteneingang war die Berufungsfrist jedoch bereits abgelaufen. Eine rechtzeitige fristwahrende Abgabe an das zuständige Oberlandesgericht oder ein rechtzeitiger Hinweis, der eine fristwahrende Berufungseinlegung beim Oberlandesgericht ermöglicht hätte, waren danach ausgeschlossen.

Vorinstanz: OLG Rostock, vom 31.08.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 1 U 21/05
Vorinstanz: AG Rostock, vom 30.12.2004 - Vorinstanzaktenzeichen 42 C 124/04