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BFH - Entscheidung vom 07.03.2006

VII R 11/05

Normen:
AO (1977) § 74 § 69 § 251 Abs. 3
FGO § 57 Nr. 1 § 60
InsO § 85 Abs. 2 § 86 § 87

Fundstellen:
BB 2006, 1151
BFH/NV 2006, 1215
BFHE 212, 11
BStBl II 2006, 573
DB 2006, 1196
DStRE 2006, 877
ZIP 2006, 968

BFH, Urteil vom 07.03.2006 - Aktenzeichen VII R 11/05

DRsp Nr. 2006/11503

Geltendmachung eines Haftungsanspruchs als Insolvenzforderung; Aufnahme eines Passivprozesses; Beteiligtenfähigkeit des Schuldners

»1. Ein durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Haftungsschuldners unterbrochener Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheides kann sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom FA aufgenommen werden.2. Macht das FA den noch unerfüllten Haftungsanspruch als Insolvenzforderung geltend, handelt es sich um einen Passivprozess, dessen Aufnahme dem Schuldner verwehrt ist.3. Wenn der nicht beteiligtenfähige Schuldner den durch die Insolvenzeröffnung unterbrochenen Rechtsstreit selbst aufnimmt, ist er aus dem Prozess zu weisen. Seine Prozesshandlungen sind unwirksam.4. Der Erlass eines Feststellungsbescheides nach § 251 Abs. 3 AO 1977 kommt nicht mehr in Betracht, wenn das FA seine Forderung gegenüber dem Schuldner bereits mit einem Haftungsbescheid geltend gemacht hat.5. Eine Beiladung des im erstinstanzlichen Verfahren nicht beteiligten Insolvenzverwalters kommt im Revisionsverfahren nicht in Betracht.«

Normenkette:

AO (1977) § 74 § 69 § 251 Abs. 3 ; FGO § 57 Nr. 1 § 60 ; InsO § 85 Abs. 2 § 86 § 87 ;

Gründe:

I. Der Revisionskläger hatte mit einer inzwischen insolvent gewordenen GmbH & Co. KG (KG), an der er als Kommanditist zu 100 % beteiligt war, einen Pachtvertrag über mehrere bebaute Grundstücke abgeschlossen. Über das Vermögen der KG wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Mit Haftungsbescheid vom selben Tage nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) den Revisionskläger wegen rückständiger Steuerschulden der KG, die sich aus Umsatzsteuervorauszahlungen sowie steuerlichen Nebenleistungen zusammensetzten, gemäß § 69 und § 74 der Abgabenordnung ( AO 1977 ) als Haftungsschuldner in Anspruch. Der Einspruch des Revisionsklägers führte zu einer Reduzierung der Haftungssumme um die vom FA geltend gemachten steuerlichen Nebenleistungen und zu einer Beschränkung der Haftung auf insgesamt drei Grundstücke; im Übrigen wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.

Dies veranlasste den Revisionskläger zur Klageerhebung vor dem Finanzgericht (FG). Während des Rechtsstreits wurde im März 2003 auch über das Vermögen des Revisionsklägers das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt. Im Prüfungstermin haben sowohl der Insolvenzverwalter als auch der Revisionskläger der zur Tabelle angemeldeten Forderung des FA widersprochen. Auf Anfrage des FG --und den Hinweis, dass es sich im Streitfall um einen Aktivprozess handle-- erklärte der Insolvenzverwalter, den Rechtsstreit nicht aufnehmen zu wollen. Daraufhin beantragte das FA das unterbrochene Klageverfahren einzustellen oder als Feststellungsverfahren fortzusetzen. Auf eine Anfrage des FG erklärte auch der Revisionskläger, dass er den Rechtsstreit aufnehme.

Das FG wies die Klage als unbegründet ab. Es urteilte, dass nach § 85 Abs. 1 der Insolvenzordnung ( InsO ) ein Aktivprozess vorliege, der sowohl den Revisionskläger als auch das FA zur Aufnahme des Rechtsstreits berechtige. Im Streitfall seien die Voraussetzungen des § 74 AO 1977 erfüllt, so dass das FA den Revisionskläger zu Recht als Haftungsschuldner in Anspruch genommen habe. Insoweit sei die Klage unbegründet. Die Anträge des Revisionsklägers auf Feststellung der Begründetheit der vom Insolvenzverwalter und vom Revisionskläger im Prüfungstermin erhobenen Widersprüche gegen die vom FA angemeldete Forderung seien dagegen unzulässig. Denn der Revisionskläger habe ein diesbezügliches Feststellungsinteresse nicht substantiiert dargelegt. Im Übrigen sei durch die Bestätigung der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides geklärt, dass die beiden Widersprüche nicht begründet gewesen seien. Selbst wenn von der Zulässigkeit der Anträge ausgegangen werden könne, sei die Feststellungsklage aus den gleichen Gründen, die zur Anfechtungsklage näher dargelegt worden seien, unbegründet. Auch hinsichtlich des Antrages des FA, dass die Forderung zu Recht zur Tabelle angemeldet worden sei und die Widersprüche unbegründet seien, fehle das Feststellungsinteresse, denn das FA könne die Forderung gemäß § 251 Abs. 3 AO 1977 durch Verwaltungsakt feststellen. Im Übrigen wirke das Urteil gemäß § 183 Abs. 1 InsO gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern.

Mit der Revision rügt der Revisionskläger die Verletzung bundesgesetzlichen Verfahrensrechts. Zu Unrecht habe das FG den Insolvenzverwalter am Rechtsstreit nicht beteiligt. In zwei an das FG gerichteten Schriftsätzen habe der Insolvenzverwalter erklärt, dass es sich aus seiner Sicht um einen Passivprozess i.S. von § 86 InsO handle und dass von seiner Seite eine Aufnahme des Rechtsstreits nicht beabsichtigt sei. Daraufhin habe das FG verfahrensfehlerhaft ihn, den Revisionskläger, zur Aufnahme des Rechtsstreits gedrängt. Die unterlassene Beteiligung des Insolvenzverwalters verstoße gegen das Erfordernis einer ordnungsgemäßen Ladung (§ 53 Abs. 1 , § 91 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) und begründe zugleich einen Mangel in der Vertretung i.S. von § 119 Nr. 4 FGO . In der mündlichen Verhandlung sei die Vorgehensweise des FG gerügt worden. Durch die Abweisung des Feststellungsantrages habe das FG des Weiteren gegen § 185 i.V.m. § 184 Satz 2 InsO verstoßen. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Revisionsklägers sei die Umstellung des Klageantrages von der Gestaltungs- auf eine Feststellungsklage erforderlich gewesen. Da das FA der Klageänderung zugestimmt habe, sei diese nach § 67 Abs. 1 FGO sachdienlich und zulässig gewesen. Somit habe das FG die Feststellungsanträge nach den Vorgaben der vorrangig anzuwendenden InsO180 Abs. 2 , § 184 Satz 2, § 183 Abs. 1 InsO ) nicht als unzulässig zurückweisen dürfen. Auch habe das FG rechtsfehlerhaft eine Initiativpflicht für die Abgabe einer Aufnahmeerklärung sowohl beim bestreitenden Insolvenzverwalter als auch beim Schuldner sowie das Vorliegen eines Aktivprozesses angenommen. Da es jedoch im Streitfall um die Abwehr einer gegen die Insolvenzmasse gerichteten Forderung aus einem Haftungsbescheid gehe, habe das FG von einem Passivprozess nach § 87 InsO ausgehen müssen, bei dem keine Beteiligungspflicht des Schuldners bestehe.

Das FA trägt vor, im Streitfall sei es unabhängig von einer Aufnahmeerklärung des Insolvenzverwalters oder des Schuldners nach § 179 Abs. 2 InsO zur Aufnahme des durch die Insolvenzeröffnung unterbrochenen Rechtsstreits berechtigt gewesen. Durch die Aufnahme des Rechtsstreits sei der Insolvenzverwalter Verfahrensbeteiligter geworden. Nach § 184 Satz 2 InsO habe auch der Revisionskläger die Stellung eines Verfahrensbeteiligten erlangt. Der Verfahrensmangel der unterlassenen Beteiligung des Insolvenzverwalters könne vorliegend durch eine nach § 123 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO vorzunehmende Beiladung geheilt werden. Rechtsfehlerhaft habe das FG die Feststellungsanträge als unzulässig beurteilt und dabei verkannt, dass § 41 FGO durch die Sonderregelungen der InsO verdrängt werde. Auch habe das FG entgegen der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) den Erlass eines Feststellungsbescheides nach § 251 Abs. 3 AO 1977 trotz Anhängigkeit eines Klageverfahrens für zulässig erachtet.

II. Die Revision des Revisionsklägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, das § 57 Nr. 1 FGO verletzt, und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO ). Zu Unrecht hat das FG das Vorliegen eines Aktivprozesses und die Beteiligtenfähigkeit des Revisionsklägers angenommen.

1. Die Voraussetzungen des § 85 Abs. 2 InsO , unter denen der Revisionskläger den unterbrochenen Rechtsstreit hätte aufnehmen können, liegen im Streitfall nicht vor.

a) Da über das Vermögen des Revisionsklägers nach Erhebung der gegen den Haftungsbescheid gerichteten Anfechtungsklage das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, trat gemäß § 155 FGO i.V.m. § 240 der Zivilprozessordnung ( ZPO ) eine Unterbrechung des Verfahrens ein. Der Fortgang des Verfahrens und die Möglichkeit einer weiteren Beteiligung des Revisionsklägers richten sich somit nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften. Nach § 85 Abs. 1 InsO können zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens für den Schuldner anhängige Rechtsstreitigkeiten über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen vom Insolvenzverwalter aufgenommen werden. Lehnt dieser die Aufnahme des Rechtsstreits ab, so können sowohl der Schuldner als auch der Gegner den Rechtsstreit aufnehmen.

b) Voraussetzung für die Aufnahmebefugnis des Schuldners ist jedoch das Vorliegen eines Aktivprozesses. Ein solcher ist dadurch gekennzeichnet, dass der Schuldner einen Anspruch verfolgt, der zur Insolvenzmasse gehört und im Falle seines Obsiegens die zur Verteilung anstehende Masse vergrößern würde. Nicht entscheidend ist dabei die formelle Parteirolle, sondern allein, ob in dem anhängigen Rechtsstreit über eine Pflicht zu einer Leistung gestritten wird, die in die Masse zu gelangen hat (Beschluss des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 14. April 2005 IX ZR 221/04, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht --ZIP-- 2005, 952 , m.w.N.). Wird dagegen vom Gläubiger ein Recht zu Lasten der Insolvenzmasse beansprucht, so dass ein Unterliegen des Schuldners zu einer Verringerung der Masse führen würde, liegt ein Passivprozess vor, der nur unter den Voraussetzungen des § 86 InsO aufgenommen werden kann.

Im Streitfall handelt es sich nicht um einen Aktivprozess, sondern um einen Passivprozess zur Schuldenmasse, da das FA eine Insolvenzforderung, nämlich einen unerfüllten Haftungsanspruch nach § 69 und § 74 AO 1977 und somit ein Recht zu Lasten der Insolvenzmasse geltend macht, das der Revisionskläger bestreitet. Eine Aufnahmebefugnis des Revisionsklägers nach § 85 Abs. 2 InsO kommt damit nicht in Betracht.

2. Auch aus dem Umstand, dass der Revisionskläger im Prüfungstermin der vom FA angemeldeten Insolvenzforderung widersprochen hat, lässt sich eine Beteiligtenfähigkeit und die Befugnis zur Aufnahme des unterbrochenen Rechtsstreits nicht ableiten.

a) Nach § 87 InsO können die am Schuldenmassestreit beteiligten Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren, d.h. nach den §§ 174 ff. InsO verfolgen. Im Streitfall hat das FA unter Beachtung dieser Vorgaben den Haftungsanspruch als Insolvenzforderung zur Tabelle angemeldet. Dabei handelt es sich um eine titulierte Forderung nach § 179 Abs. 2 InsO (vgl. MünchKommInsO-Schumacher, § 185 RdNr. 12, Fn. 34, m.w.N.). Im Prüfungstermin haben sowohl der Insolvenzverwalter als auch der Revisionskläger der nach § 174 Abs. 1 InsO angemeldeten Forderung widersprochen. Eine Befugnis zur Aufnahme des Rechtsstreits steht daher dem Insolvenzverwalter (§ 179 Abs. 2 , § 180 Abs. 2 InsO ), aber auch dem FA zu (§ 179 Abs. 1 , § 180 Abs. 2 InsO ). Dagegen kann der Widerspruch des Revisionsklägers nicht dazu führen, dass er nunmehr selbst als berechtigt anzusehen wäre, den durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochenen Rechtsstreit über die Insolvenzforderung nach § 180 Abs. 2 InsO fortzuführen. Dies würde selbst dann gelten, wenn er im Prüfungstermin als einziger die Forderung bestritten hätte (BGH-Beschluss vom 27. Oktober 2003 II ZA 9/02, ZIP 2003, 2271 ).

b) Auch aus § 184 Satz 2 InsO lässt sich eine Aufnahmebefugnis des Revisionsklägers nicht ableiten; eine solche stünde nur dem FA zu. Denn im Streitfall geht es nicht um die Durchsetzung des Haftungsanspruchs außerhalb des Insolvenzverfahrens, sondern um die Geltendmachung einer Insolvenzforderung mit dem vorrangigen Ziel, eine Befriedigung aus der Insolvenzmasse zu erlangen.

3. Entgegen der Ansicht des Revisionsklägers folgen sein Ausschluss als Beteiligter und die Befugnis des FA zur Aufnahme des Rechtsstreits allerdings nicht aus § 86 InsO . Es liegt zwar ein Passivprozess vor, doch findet § 86 InsO , nach dem der Rechtsstreit nur vom Insolvenzverwalter oder vom Gegner aufgenommen werden kann, keine Anwendung. Denn der Haftungsanspruch betrifft weder ein Recht zur Aussonderung eines Gegenstandes aus der Insolvenzmasse oder auf abgesonderte Befriedigung noch eine Masseverbindlichkeit. Masseverbindlichkeiten sind die Kosten des Insolvenzverfahrens (§ 54 InsO ) und die in § 55 InsO aufgeführten Verbindlichkeiten (sonstige Masseverbindlichkeiten), die in der Regel erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet werden und der ordnungsgemäßen Verfahrensabwicklung dienen (vgl. MünchKommInsO-Hefermehl, § 55 RdNr. 1 f.). Gegen den Schuldner nach §§ 69 ff. AO 1977 geltend gemachte Haftungsansprüche, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sind, gehören nicht zu den sonstigen Masseverbindlichkeiten i.S. von § 55 InsO .

4. Die vom Revisionskläger gegenüber dem FG abgegebene Aufnahmeerklärung ist unwirksam. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Schuldners nach § 80 InsO auf den Insolvenzverwalter über, der bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens den Schuldner aus seiner Rechtsstellung und damit von seiner Prozessführungsbefugnis verdrängt. Wird der Schuldner dennoch --etwa in der irrigen Annahme einer eigenen Prozessführungsbefugnis-- in einem vom Insolvenzverwalter aufgenommenen Prozess tätig, so ist er durch Beschluss des FG aus dem Prozess zu weisen (BFH-Entscheidungen vom 10. Juni 1970 III R 128/67, BFHE 99, 348 , BStBl II 1970, 665 , 666, und vom 23. November 1994 VIII R 51/94, BFH/NV 1995, 663). Dies muss erst recht gelten, wenn der Schuldner ohne Vorliegen einer Aufnahmeerklärung des Insolvenzverwalters und gegen dessen Willen Prozesshandlungen vornimmt, die auf eine Fortsetzung des unterbrochenen Rechtsstreits über eine Insolvenzforderung abzielen. Eine vom Schuldner in Verkennung der wahren Rechtslage abgegebene Erklärung, dass er den Rechtsstreit aufnehme, ist daher unzulässig und kann infolgedessen keine Rechtswirkungen entfalten (BGH-Beschluss vom 10. Oktober 1973 VIII ZR 9/72, Neue Juristische Wochenschrift 1973, 2065, sowie Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl., S. 259, m.w.N.).

Eine solche Prozesssituation war im Streitfall gegeben. Sowohl das FA als auch der Revisionskläger hatten erklärt, den Rechtsstreit aufnehmen zu wollen. Die Aufnahme durch das FA ist rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BFH-Entscheidungen vom 23. Februar 2005 VII R 63/03, BFHE 209, 23, BStBl II 2005, 591; vom 18. Dezember 2003 II B 31/00, BFHE 204, 35 , BStBl II 2004, 237 , und vom 10. August 1993 VII B 46/91, BFH/NV 1994, 293), da das FA eine Insolvenzforderung geltend macht und eine Befriedigung aus der Masse begehrt. Eine Befugnis des Revisionsklägers zur Aufnahme des Rechtsstreits bestand hingegen nicht; sie kann auch nicht aus der Weigerung des Insolvenzverwalters zur Fortsetzung des finanzgerichtlichen Verfahrens abgeleitet werden. Denn eine § 85 Abs. 2 InsO vergleichbare Regelung besteht für Passivprozesse nicht. Es verbleibt vielmehr bei der in § 80 InsO normierten Grundentscheidung des Gesetzgebers, dass der Schuldner für die Dauer des Insolvenzverfahrens von der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen ausgeschlossen ist. Wie § 85 Abs. 2 InsO belegt, bedürfen Abweichungen von diesem Grundsatz einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung.

5. Unter Verstoß gegen § 57 Nr. 1 FGO hat das FG den Revisionskläger im Insolvenzfeststellungsstreit als Beteiligten behandelt, obwohl dieser aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und der Bestellung eines Insolvenzverwalters die Beteiligtenfähigkeit verloren hatte (BFH-Urteil vom 22. Januar 1997 I R 101/95, BFHE 182, 269 , BStBl II 1997, 464 ). Die Rechtsverletzung des FG kann der Senat auch ohne ausdrückliche Rüge berücksichtigen, denn nach der Rechtsprechung des BFH stellt die Verletzung von § 57 Nr. 1 FGO keinen Verfahrensfehler, sondern eine Verletzung materiellen Rechts dar (BFH-Beschluss vom 26. Februar 1970 IV B 93/69, BFHE 99, 6 , BStBl II 1970, 545 ).

6. Da das FG seiner Entscheidung eine von der Rechtsauffassung des erkennenden Senats abweichende Handhabung der einschlägigen Vorschriften zugrunde gelegt hat, war sein Urteil aufzuheben. Die Sache ist jedoch nicht entscheidungsreif und daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO ). Der Mangel der Beteiligung des Insolvenzverwalters kann nicht geheilt werden. Die vom FA angeregte Beiladung des Insolvenzverwalters im Revisionsverfahren kommt nicht in Betracht, weil der Insolvenzverwalter mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 1 InsO ) Beteiligter des Rechtsstreits geworden ist und deshalb nicht zugleich Beigeladener sein kann. Die Stellung als Kläger oder Beklagter und die Stellung als Beigeladener schließen sich nämlich aus (BFH-Beschluss vom 7. Oktober 1986 IX R 125/86, BFH/NV 1987, 784, sowie Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung , Finanzgerichtsordnung , § 60 FGO Tz. 10). Auch eine analoge Anwendung von § 123 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 60 Abs. 3 FGO auf einen Kläger oder Beklagten kommt nach Auffassung des erkennenden Senats nicht in Betracht. Denn damit würde einem Hauptbeteiligten die Tatsacheninstanz genommen; er müsste seinen Prozess in der Rechtsmittelinstanz führen. Aus Gründen der Verfahrensökonomie hat der Gesetzgeber eine nachträgliche Beteiligung nur für Dritte vorgesehen, die selbst nicht Hauptbeteiligte sind.

Unter Annahme eines Passivprozesses nach § 87 InsO wird das FG dem Insolvenzverwalter nochmals Gelegenheit geben müssen, den vom FA aufgenommenen Rechtsstreit für den Schuldner fortzuführen. Sollte der Insolvenzverwalter an seiner Erklärung, den Rechtsstreit nicht aufnehmen bzw. fortführen zu wollen, festhalten, wird das FG darüber zu befinden haben, ob eine solche Erklärung als konkludente Rücknahme des Widerspruchs bzw. der Klage gedeutet werden könnte. In diesem Falle hätte sich das Verfahren in der Hauptsache erledigt.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass der Feststellungsantrag des FA nicht deshalb als unzulässig angesehen werden kann, weil das FA --wie das FG meint-- die Insolvenzforderung durch den Erlass eines Verwaltungsaktes nach § 251 Abs. 3 AO 1977 selbst feststellen könnte. Wie der Senat entschieden hat, kommt der Erlass eines Feststellungsbescheides nach § 251 Abs. 3 AO 1977 nicht mehr in Betracht, wenn bereits ein Steuer- oder Haftungsbescheid existiert, der vom Schuldner vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens angefochten worden ist (Senatsentscheidung in BFHE 209, 23, BStBl II 2005, 591). In diesem Fall ist das Rechtsbehelfsverfahren bzw. ein anhängiges Klageverfahren fortzuführen, so dass es an der Erforderlichkeit für den Erlass eines Feststellungsbescheides fehlt. Die Rechtmäßigkeit der Beanspruchung einer Steuerforderung als Insolvenzforderung ist im Einspruchs- bzw. Klageverfahren zu klären (BFH-Urteil vom 26. November 1987 V R 133/81, BFHE 151, 345, BStBl II 1988, 199 ).

Entgegen der Ansicht des FG ist eine Umstellung der ursprünglichen Anträge nicht nur zulässig, sondern geboten. Nach Aufnahme des Rechtsstreits durch das FA hat sich das Anfechtungsverfahren kraft Gesetzes in ein Insolvenz-Feststellungsverfahren gewandelt. Gegenstand dieses Verfahrens ist nicht die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides, sondern die Beseitigung des Widerspruchs durch Feststellung der im Prüfungstermin geltend gemachten Forderung zur Tabelle (FK-InsO/App, 3. Aufl., § 86 Rz. 7; MünchKommInsO-Breuer, § 87 RdNr. 21). Soweit für die Feststellung einer Forderung der Rechtsweg zum ordentlichen Gericht nicht gegeben ist, ist die Feststellung nach § 185 Satz 1 InsO bei dem zuständigen anderen Gericht --im Streitfall also beim FG-- zu betreiben. Der veränderten Prozesssituation haben die Beteiligten durch eine Umstellung ihrer Anträge Rechnung zu tragen.

Vorinstanz: FG Düsseldorf, vom 03.06.2004 - Vorinstanzaktenzeichen 11 K 3350/02
Fundstellen
BB 2006, 1151
BFH/NV 2006, 1215
BFHE 212, 11
BStBl II 2006, 573
DB 2006, 1196
DStRE 2006, 877
ZIP 2006, 968