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BFH - Entscheidung vom 01.03.2006

XI R 33/04

Normen:
EStG § 10d § 46 Abs. 2

Fundstellen:
BB 2006, 974
BFH/NV 2006, 1204
BFHE 212, 497
BStBl II 2007, 919
DB 2006, 985
DStR 2006, 751

BFH, Urteil vom 01.03.2006 - Aktenzeichen XI R 33/04

DRsp Nr. 2006/9356

Feststellung des verbleibenden Verlustsabzugs gemäß § 10d EStG bei bestandskräftiger Ablehnung einer Einkommensteuerveranlagung

»Ein erstmaliger Bescheid über die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs nach § 10d EStG kann bis zum Ablauf der Feststellungsfrist auch dann noch ergehen, wenn eine Veranlagung zur Einkommensteuer vom FA wegen Ablaufs der zweijährigen Antragsfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG bestandskräftig abgelehnt worden ist.«

Normenkette:

EStG § 10d § 46 Abs. 2 ;

Gründe:

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) reichte am 12. Juni 2002 eine Einkommensteuererklärung für das Jahr 1998 ein. Darin erklärte sie Arbeitslohn in Höhe von 656 DM, von dem kein Lohnsteuerabzug vorgenommen worden war, Einnahmen aus Kapitalvermögen in Höhe von 1 512 DM und einen Verlust aus Gewerbebetrieb in Höhe von 117 299 DM. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) lehnte es mit Verfügung vom 19. Juni 2002 ab, eine Einkommensteuerveranlagung durchzuführen, da es sich um eine Antragsveranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 des Einkommensteuergesetzes ( EStG ) handele und die zweijährige Antragsfrist abgelaufen sei. Den dagegen eingelegten Einspruch nahm die Klägerin zurück.

Am 9. Juli 2002 beantragte die Klägerin, den verbleibenden Verlustabzug auf den 31. Dezember 1998 gesondert festzustellen. Dies lehnte das FA ab. Es vertrat die Auffassung, aus § 10d Abs. 3 Satz 4 EStG folge, dass eine Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs nur dann noch durchzuführen sei, wenn es noch zulässig sei, einen Steuerbescheid für den Verlustentstehungszeitraum zu erlassen oder zu ändern. Dem stehe im Streitfall der Ablauf der Zwei-Jahres-Frist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG entgegen.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es entschied, eine erstmalige gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Verlustes zum 31. Dezember eines Veranlagungszeitraums könne auch dann noch durchgeführt werden, wenn feststehe, dass für den Veranlagungszeitraum eine Einkommensteuerveranlagung (Antragsveranlagung) wegen Ablaufs der zweijährigen Antragsfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG ausgeschlossen sei. Das FA sei deshalb verpflichtet, sachlich über den Antrag, den verbleibenden Verlustabzug auf den 31. Dezember 1998 festzustellen, zu entscheiden und einen etwaigen Verlust gesondert festzustellen. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 1293 veröffentlicht.

Das FA rügt mit seiner Revision eine Verletzung der §§ 10d und 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG .

Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Das FG hat das FA rechtsfehlerfrei verpflichtet, sachlich über den Antrag der Klägerin auf Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs auf den 31. Dezember 1998 zu entscheiden und einen etwaigen Verlust gesondert festzustellen. Entgegen der Auffassung des FA ist unerheblich, ob für die Klägerin noch ein Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1998 hätte ergehen können.

Die Berechtigung des Klagebegehrens ergibt sich nach der zutreffenden Auffassung der Vorinstanz aus § 10d Abs. 3 Satz 1 EStG in der für das Jahr 1998 gültigen Fassung des EStG (nunmehr § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG n.F.). Danach ist der am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibende Verlustabzug gesondert festzustellen.

a) Soweit der Anspruch auf eine gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs verjähren kann (vgl. §§ 179 , 181 Abs. 1 und Abs. 5 , 169 ff. der Abgabenordnung -- AO 1977 --), ist im Streitfall zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig und ist auch das FG ohne weiteres davon ausgegangen, dass eine Feststellungsverjährung dem Begehren der Klägerin nicht entgegensteht (vgl. auch das Senatsurteil vom 12. Juni 2002 XI R 26/01, BFHE 198, 395 , BStBl II 2002, 681 ).

b) Die erstrebte Feststellung ist auch nicht nach § 10d Abs. 3 Satz 4 EStG ausgeschlossen. Der Sachverhalt des Streitfalles wird nicht vom Regelungsbereich dieser Vorschrift erfasst. Nach Satz 4 sind Feststellungsbescheide zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit sich die nach Satz 2 zu berücksichtigenden Beträge ändern und deshalb der entsprechende Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern ist (Sperrung hinzugefügt). Satz 2 bestimmt, aus welchen sog. Bezugsgrößen sich der verbleibende Verlustabzug zusammensetzt. Nach seinem unmissverständlichen Wortlaut regelt Satz 4 neben der Änderung und Aufhebung auch die Zulässigkeit des erstmaligen Erlasses eines Feststellungsbescheides über den verbleibenden Verlustabzug nur für den Fall, dass sich eine der Bezugsgrößen des Satzes 2 geändert hat. Ist dies nicht der Fall, ist diese Norm nicht anwendbar.

Im Streitfall hat sich keine Bezugsgröße verändert. Es wird erstmals die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs auf der Grundlage des Verlustes des Jahres 1998 geltend gemacht, für das keine Einkommensteuerveranlagung ergangen ist.

Da auch § 10d Abs. 3 Satz 5 EStG eine Änderung der Bezugsgröße voraussetzt, kann diese Vorschrift dem erstmaligen Erlass eines Feststellungsbescheides ebenfalls nicht entgegenstehen.

c) Auch der Sinn und Zweck des § 10d EStG verlangt nicht, dass ein erstmaliger Feststellungsbescheid über den verbleibenden Verlustabzug ausnahmslos nur dann ergehen kann, wenn für das Verlustentstehungsjahr noch ein Einkommensteuerbescheid erlassen werden kann (vgl. Urteil des FG Hamburg vom 23. März 2004 VII 62/01, EFG 2004, 1130; Urteil des FG Köln vom 11. Mai 2005 4 K 2205/02, EFG 2005, 1679 --Aktenzeichen des Bundesfinanzhofs --BFH-- XI R 25/05--; Wüllenkemper, EFG 2004, 1132; Adamek, EFG 2004, 1294; Pfützenreuter, EFG 2005, 1681; a.A. Urteile des Hessischen FG vom 10. November 2004 13 K 1303/04, EFG 2005, 789 --rechtskräftig-- und 13 K 426/04, EFG 2005, 946 --BFH-Aktenzeichen XI R 56/04--; Oberfinanzdirektion Münster, Verfügung vom 11. März 2005, Kurzinformation Einkommensteuer Nr. 011/2005, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2005, 786; Gatzka/Wilhelm, DStR 2005, 1794; Valentin, EFG 2005, 790). Der Zweck des § 10d EStG , dass Verluste vorgetragen werden können, und der Zweck der gesonderten Feststellung, Rechtsstreitigkeiten über die Höhe des für die Zukunft verbleibenden Verlustabzugs zu begrenzen und eine für den Steuerpflichtigen und die Verwaltung bindende Entscheidung über den zukünftig verbleibenden Verlustabzug zeitnah zu treffen (vgl. BTDrucks 11/2536 S. 78), werden unabhängig davon gewahrt, ob in Fällen wie dem vorliegenden zusätzlich ein Einkommensteuerbescheid ergehen kann oder nicht.

aa) Diese Auffassung steht nicht im Widerspruch zu den Senatsurteilen vom 9. Dezember 1998 XI R 62/97 (BFHE 187, 523 , BStBl II 2000, 3 ) und vom 9. Mai 2001 XI R 25/99 (BFHE 195, 545 , BStBl II 2002, 817 ). Beiden Urteilen liegen Sachverhalte zugrunde, in denen der bestandskräftige und nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO 1977 ) stehende Einkommensteuerbescheid des Veranlagungszeitraums, zu dessen Schluss die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs begehrt wurde, einen positiven Gesamtbetrag der Einkünfte auswies. Die erstmalige Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs wurde mit der Begründung begehrt, dass abweichend von dem bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid kein positiver, sondern richtigerweise ein negativer Gesamtbetrag der Einkünfte vorgelegen habe. Für diesen Sachverhalt hat der Senat das Erfordernis, dass der Einkommensteuerbescheid noch änderbar sein müsse, aus § 10d Abs. 3 Satz 4 EStG hergeleitet. Werde die Änderung einer Bezugsgröße geltend gemacht, ergebe sich aus dem in dieser Vorschrift für diesen Fall hergestellten Zusammenhang zwischen Feststellungsbescheid und Einkommensteuerbescheid, dass der erstmalige Erlass des Feststellungsbescheides nur zulässig sei, wenn der entsprechende Steuerbescheid noch geändert werden könne; anderenfalls würden durch den Erlass des Feststellungsbescheides Fehler korrigiert, die in einem bestandskräftigen Steuerbescheid enthalten und dort nicht mehr änderbar seien. Dies solle durch § 10d Abs. 3 Satz 4 EStG unterbunden und dadurch die Bestandskraft des Steuerbescheides gesichert werden.

Liegt für das Verlustentstehungsjahr kein Einkommensteuerbescheid vor und kann ein solcher auch in Zukunft nicht mehr ergehen, existieren keine bestandskräftigen fehlerhaften Steuerfestsetzungen, die durch den noch zu erlassenden Feststellungsbescheid über den verbleibenden Verlustabzug korrigiert würden. Zwischen einem nichtexistenten Einkommensteuerbescheid und einem Feststellungsbescheid kann ein Widerspruch, dessen Eintritt durch § 10d Abs. 3 Satz 4 EStG verhindert werden soll, nicht eintreten.

bb) Der Erlass des begehrten Feststellungsbescheides ist auch nicht wegen der Besonderheit des Streitfalles ausgeschlossen, dass die Klägerin u.a. auch Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG ) erzielt hat. Es kann dahingestellt bleiben, ob ein Einkommensteuerbescheid nicht mehr hätte ergehen können, weil die Klägerin ihre Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 1998 nach Ablauf der Zwei-Jahres-Frist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG eingereicht hat. Denn selbst wenn § 46 Abs. 2 EStG anwendbar sein sollte, wenn --wie im Streitfall-- tatsächlich keine Lohnsteuer einbehalten worden ist, regelt die Vorschrift nur die Durchführung einer Veranlagung, also die Frage, ob eine Veranlagung i.S. des § 25 EStG vorzunehmen ist; sie bestimmt nach ihrem Wortlaut nicht die Voraussetzungen für den erstmaligen Erlass eines Feststellungsbescheides über den verbleibenden Verlustabzug nach § 10d Abs. 3 EStG . Soweit in § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 3 EStG auch der Fall geregelt ist, dass der Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer zur Berücksichtigung von Verlustabzügen nach § 10d EStG gestellt wird, betrifft dies ebenfalls die Veranlagung zur Einkommensteuer und nicht das Verfahren zur Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs nach § 10d Abs. 3 Satz 1 EStG .

Der Senat vermag keine Regelungslücke zu erkennen, die es rechtfertigen könnte, die Zwei-Jahres-Frist zu Lasten des Steuerpflichtigen analog auf die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs anzuwenden. Wie § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 3 EStG zeigt, hat der Gesetzgeber die Besonderheiten des § 10d EStG gesehen. Hätte er auch für die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs eine Zwei-Jahres-Frist zu Lasten von Steuerpflichtigen, die u.a. auch Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielen, einführen wollen, hätte es nahe gelegen, dies ausdrücklich zu regeln. Auch der in dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Oktober 1981 1 BvR 172/81 (Steuerrechtsprechung in Karteiform, Einkommensteuergesetz 1974, § 46 EStG , Rechtsspruch 2) angeführte Grund der Budgetsicherheit kann --ungeachtet der Frage, ob er für die Veranlagung zur Einkommensteuer wirklich tragfähig ist-- für die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs nicht gelten. Denn diese wirkt sich nur für die Zukunft aus und kann nicht zur Erstattung von im Verlustentstehungsjahr einbehaltener Lohnsteuer führen.

Vorinstanz: FG Berlin, vom 27.04.2004 - Vorinstanzaktenzeichen 7 K 7414/03
Fundstellen
BB 2006, 974
BFH/NV 2006, 1204
BFHE 212, 497
BStBl II 2007, 919
DB 2006, 985
DStR 2006, 751