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BFH - Entscheidung vom 22.05.2006

VI R 15/02

Normen:
AO (1977) § 110 § 150 Abs. 1 S. 1
EStG § 25 Abs. 3 § 46 Abs. 2 Nr. 8

Fundstellen:
AuR 2006, 375
BB 2006, 2064
BFH/NV 2006, 1980
BFHE 214, 137
BStBl 2007, 2
BStBl II 2007, 2
DB 2006, 2103
DStRE 2006, 1214
NJW 2006, 3808

BFH, Urteil vom 22.05.2006 - Aktenzeichen VI R 15/02

DRsp Nr. 2006/22844

Ein wirksamer Antrag auf Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG setzt eine formal wirksame Einkommensteuererklärung voraus

»Eine Einkommensteuererklärung ist auch dann "nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck" abgegeben, wenn ein --auch einseitig-- privat gedruckter oder fotokopierter Vordruck verwendet wird, der dem amtlichen Muster entspricht.«

Normenkette:

AO (1977) § 110 § 150 Abs. 1 S. 1 ; EStG § 25 Abs. 3 § 46 Abs. 2 Nr. 8 ;

Gründe:

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), der in Polen wohnt, übte im Streitjahr 1996 eine nichtselbständige Tätigkeit im Inland aus.

Am 4. Januar 1999 ging beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) die Einkommensteuererklärung des Klägers für das Streitjahr ein. Die Einkommensteuererklärung war sowohl unter Verwendung eines Ausdrucks der Seite 1 des Mantelbogens als auch mit Hilfe von Kopien der Seiten 2 bis 4 des Mantelbogens, der Anlage N und der Anlage Kinder erstellt worden. Die einzelnen Seiten waren einseitig bedruckt.

Der Arbeitgeber des Klägers hatte die Einkommensteuererklärung zusammen mit weiteren Einkommensteuererklärungen anderer polnischer Arbeitnehmer am 30. Dezember 1998 um 14.39 Uhr als Paket bei einer Filiale der Post in Frankfurt/Oder aufgegeben.

Das FA lehnte den Antrag des Klägers auf Veranlagung zur Einkommensteuer ab, da der Antrag nicht rechtzeitig innerhalb der zweijährigen Ausschlussfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes ( EStG ) eingegangen sei. Der Kläger legte hiergegen Einspruch ein und beantragte gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags nahm der Kläger unter anderem Bezug auf eine eidesstattliche Versicherung seines Arbeitgebers. Hierin erklärte der Arbeitgeber, er habe sich vor Aufgabe des Pakets bei der zuständigen Schalterbediensteten durch Rückfrage vergewissert, ob die Sendung am nächsten Tag in S zugestellt werde. Dies habe ihm die Schalterbedienstete ausdrücklich zugesichert. Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück. Anders als bei einem einfachen Brief habe der Kläger bei einem Post-Paket nicht davon ausgehen dürfen, es werde bereits am Tag nach der Aufgabe zur Post beim Empfänger eingehen. Nach Auskunft der Deutschen Post AG hätte die Paketsendung in der betreffenden Filiale in Frankfurt/Oder spätestens am 29. Dezember 1998 um 17.00 Uhr aufgegeben werden müssen, um die Auslieferung in S am 31. Dezember 1998 zu ermöglichen.

Die Klage hatte aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 660 veröffentlichten Gründen Erfolg. Das FA sei verpflichtet, den Kläger für das Streitjahr zur Einkommensteuer zu veranlagen. Dem Kläger sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Frist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG sei unverschuldet versäumt worden. Nach der glaubhaften eidesstattlichen Versicherung habe die Postbedienstete zugesichert, das Paket werde noch vor Jahresende beim FA eintreffen. Der Kläger habe die versäumte Antragstellung auch rechtzeitig nachgeholt. Die Einreichung der Einkommensteuererklärung auf Kopien der amtlichen Erklärungsvordrucke sei ausreichend.

Mit der Revision rügt das FA mangelnde Sachaufklärung und Verletzung materiellen Rechts. Die eingereichte Steuererklärung entspreche nicht den Formerfordernissen des § 150 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung ( AO 1977 ). Die Abgabe einer Erklärung nach amtlichem Vordruck habe den Sinn, Verwechselungen, Abweichungen und Unvollständigkeiten zu vermeiden. Zudem solle die Auswertung der angegebenen Daten mittels elektronischer Datenverarbeitung ohne zeit- und personalaufwändige Abänderungen durchgeführt werden können. Würden die Finanzbehörden Erklärungen in der Form akzeptieren, wie sie der Kläger eingereicht habe, seien sie an einer zügigen Durchführung der Veranlagung gehindert. Erschwerend komme hinzu, dass der Kläger Kopien der Anlage N und der Anlage Kinder unter Verwendung des Vordrucks eines anderen Bundeslandes eingereicht habe. Hierdurch komme zusätzlicher Prüfaufwand auf die Finanzbehörde zu.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision des FA ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ( FGO ) zurückzuweisen. Das Finanzgericht (FG) hat das FA zu Recht verpflichtet, den Kläger für das Streitjahr zur Einkommensteuer zu veranlagen.

1. Der Senat hat die vom FA erhobene Verfahrensrüge geprüft. Er erachtet sie nicht für durchgreifend und sieht insoweit von einer Begründung ab (§ 126 Abs. 6 Satz 1 FGO ).

2. Die Sachrüge hat ebenfalls keinen Erfolg. Besteht das Einkommen ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, wird eine Veranlagung nur unter den in § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 8 EStG genannten Voraussetzungen durchgeführt. Nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG wird die Veranlagung durchgeführt, wenn sie beantragt wird. Der Antrag ist gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahrs durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung zu stellen. Das Erfordernis, den Antrag "durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung" zu stellen, wurde durch das Steuerreformgesetz 1990 vom 25. Juli 1988 (BGBl I 1988, 1093, BStBl I 1988, 224) in das EStG eingefügt. Das Formerfordernis hat den Zweck, den Antrag auf Veranlagung eindeutig zum Ausdruck zu bringen, um den zuvor erforderlichen Überlegungen, was noch als Antrag zu werten ist und was nicht, ein Ende zu bereiten (vgl. Nolde in Herrmann/Heuer/Raupach, § 46 EStG Anm. 175; Schmidt/ Glanegger, EStG , 25. Aufl., § 46 Rz. 86).

a) Das EStG enthält keine Definition des Begriffs der Einkommensteuererklärung. Im Schrifttum wird allerdings einhellig die Meinung vertreten, der durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung zu stellende Veranlagungsantrag müsse den für die Einkommensteuererklärung maßgeblichen Formvorschriften des § 150 AO 1977 und des § 25 Abs. 3 EStG genügen; ansonsten sei der Antrag nicht wirksam gestellt (Trzaskalik, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG , § 46 Rdnr. B 49; Schmidt/Glanegger, aaO., § 46 Rz. 86; Blümich/Heuermann, § 46 EStG Rz. 114; Frotscher, EStG , § 46 Rz. 32, 32a; Eisgruber in Kirchhof, EStG , 5. Aufl., § 46 Rn. 50; Schmieszek in Bordewin/Brandt, § 46 EStG Rz. 94; Tormöhlen in Korn, § 46 EStG Rn. 31). Auch nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) verknüpft § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG die Wirksamkeit des Antrags auf Veranlagung mit den Anforderungen an eine formal wirksame Einkommensteuererklärung. Liegt eine ordnungsgemäße Einkommensteuererklärung vor, ist die Finanzbehörde verpflichtet, die Einkommensteuerveranlagung durchzuführen. Fehlt es daran, so ist der Antrag nicht wirksam gestellt (BFH-Urteile vom 7. November 1997 VI R 45/97, BFHE 184, 381 , BStBl II 1998, 54 ; vom 18. August 1998 VII R 114/97, BFHE 187, 1 , BStBl II 1999, 84 ; vom 29. Februar 2000 VII R 109/98, BFHE 191, 311 , BStBl II 2000, 573 , und vom 10. April 2002 VI R 66/98, BFHE 198, 62 , BStBl II 2002, 455 ). Die FG sind dieser Rechtsprechung des BFH gefolgt (z.B. FG München, Urteil vom 21. April 1998 2 K 3415/96, EFG 1998, 1102; FG Nürnberg, Urteil vom 16. Januar 2002 III 12/98, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst --DStRE-- 2002, 713; FG des Saarlandes, Urteil vom 30. Juni 2005 1 K 259/01, FGReport 2005, 62).

b) Gemäß § 150 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 sind Steuererklärungen "nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck" abzugeben. Dies bedeutet, dass die Erklärung insbesondere auch auf einem privat gedruckten oder fotokopierten Vordruck abgegeben werden kann, wenn er dem amtlichen Muster entspricht (vgl. BFH-Urteile vom 4. Juli 2002 V R 31/01, BFHE 198, 337 , BStBl II 2003, 45 ; vom 21. Oktober 1999 V R 76/98, BFHE 190, 239 , BStBl II 2000, 214 ; vom 15. Oktober 1998 IV R 18/98, BFHE 187, 250 , BStBl II 1999, 286 , 290, und vom 13. April 1972 V R 16/69, BFHE 105, 416 , BStBl II 1972, 725 ; BFH-Beschluss vom 26. März 1999 X B 196/98, BFH/NV 1999, 1309 ; FG Nürnberg, Urteil vom 31. Januar 1990 V 67/89, EFG 1990, 339; FG Köln, Urteil vom 30. April 1998 2 K 7853/96, EFG 1998, 1442; Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung , Finanzgerichtsordnung , § 150 AO Tz. 2; Stöcker in Beermann/Gosch, AO § 150 Rz. 6; Pahlke/Koenig/Cöster, Abgabenordnung § 150 Rz. 5; Klein/Brockmeyer, AO , 8. Aufl., § 150 Rz. 2). Hierdurch wird sichergestellt, dass der Antrag alle Angaben enthält, die die Finanzverwaltung im Regelfall als entscheidungserheblich ansieht. Die Finanzverwaltung verlangt bei der Verwendung nichtamtlicher Vordrucke ferner, dass sie beidseitig bedruckt sind. Soweit die Seiten des vierseitigen Hauptvordrucks der Steuererklärung auf zwei getrennten Blättern gedruckt werden, fordert die Finanzverwaltung, dass sie dem amtlichen Vordruck entsprechend miteinander zu verbinden sind (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 14. November 1996 IV A 6 -O 2250- 112/96, IV A 4 -S 0082- 9/96, BStBl I 1996, 1411, und vom 27. Dezember 1999 IV A 6 -O 2250- 120/99, IV A 4 -S 0082- 17/99, BStBl I 1999, 1049).

c) Im Streitfall ist die Einkommensteuererklärung des Klägers wirksam. Sie ist "nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck" abgegeben worden. Der vom Kläger verwendete Ausdruck der Seite 1 des Mantelbogens und die Kopien stimmen mit den amtlichen Vordrucken inhaltlich überein. Die Auswertung der angegebenen Daten und die Eingabe in die in der Steuerverwaltung eingeführte elektronische Datenverarbeitung kann damit ohne zeit- und personalaufwändige Abänderungen durchgeführt werden. Dass der vom Kläger eingereichte Ausdruck und die Kopien --anders als die amtlichen Vordrucke-- nur einseitig bedruckt sind, hält der Senat für unschädlich. Ebenso wenig ist die Steuererklärung unwirksam, weil der Kläger für die Anlage N und die Anlage Kinder Kopien der amtlichen Vordrucke eines Bundeslandes verwendet hat, zu dessen Verwaltung das beklagte FA nicht gehört.

3. Das FG hat dem Kläger auch zu Recht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO 1977 gewährt. Die Frage, ob der Kläger die Versäumung der Antragsfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG verschuldet hat, betrifft in erster Linie die tatsächliche Würdigung des FG. Die Würdigung des FG, der Kläger sei an der Einhaltung der Frist ohne Verschulden gehindert gewesen, ist im Streitfall möglich. Sie verstößt nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze. Der Senat ist daran nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden, da das FA hiergegen keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen vorgebracht hat. Bei dieser Sachlage kommt es auf die Frage, ob die Antragsfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG mit dem Grundgesetz überhaupt vereinbar ist, nicht an.

4. Ebenfalls kann im Streitfall dahinstehen, ob der Kläger schon von Amts wegen nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG zur Einkommensteuer zu veranlagen ist. Das Vorliegen etwaiger ausländischer Einkünfte des Klägers ist im Rahmen des Veranlagungsverfahrens zu prüfen. Sollte sich dabei ergeben, dass eine Veranlagung unabhängig vom Antrag des Klägers bereits nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG durchzuführen ist, wird das FA auch § 46 Abs. 3 bzw. Abs. 5 EStG zu beachten haben.

Vorinstanz: FG Saarland, vom 03.01.2002 - Vorinstanzaktenzeichen 1 K 243/99
Fundstellen
AuR 2006, 375
BB 2006, 2064
BFH/NV 2006, 1980
BFHE 214, 137
BStBl 2007, 2
BStBl II 2007, 2
DB 2006, 2103
DStRE 2006, 1214
NJW 2006, 3808