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BVerwG - Entscheidung vom 03.11.2005

7 C 27.04

Normen:
AKG § 1 Abs. 1, 2 § 26 § 27
BGB § 194 Abs. 1
BBodSchG § 2 Abs. 3, 5 § 15 Abs. 2
InsO § 38 § 87 §§ 174 ff.

Fundstellen:
DVBl 2006, 186
GewArch 2006, 172
NVwZ 2006, 354
NuR 2006, 433
ZUR 2006, 160

BVerwG, Urteil vom 03.11.2005 - Aktenzeichen 7 C 27.04

DRsp Nr. 2005/21099

Erlöschen materieller Ordnungspflichten des Deutschen Reiches bei Altlasten

»Unter die Erlöschensregelung des § 1 Abs. 1 Nr. 1 AKG fallen auch materielle Ordnungspflichten des Deutschen Reiches.«

Normenkette:

AKG § 1 Abs. 1, 2 § 26 § 27 ; BGB § 194 Abs. 1 ; BBodSchG § 2 Abs. 3 , 5 § 15 Abs. 2 ; InsO § 38 § 87 §§ 174 ff. ;

Gründe:

I.

Die Klägerin wendet sich gegen ihre Heranziehung zur Erstattung von Aufwendungen für eine Altlastenerkundung und Gefährdungsabschätzung sowie gegen ihre Inanspruchnahme zur Durchführung von Grundwasseruntersuchungen.

Während des Zweiten Weltkrieges wurde vom Deutschen Reich in Hambühren eine Munitionsanstalt betrieben (Muna Hambühren), in der Flugabwehrgranaten produziert wurden. Wegen des Vormarsches der Alliierten wurde die Anstalt im April 1945 aufgegeben und von der Wehrmacht teilweise gesprengt. Nach dem Krieg kam es zu weiteren Gebäudesprengungen und Plünderungen. Seit Beginn der 90er Jahre fanden Altlastenuntersuchungen statt. Diese ergaben erhebliche Bodenkontaminationen durch sprengstofftypische Verbindungen (STV) auf einer Vielzahl von Teilflächen. Auch das Grundwasser war betroffen. Deshalb installierte der Beklagte im Jahre 1996 ein Grundwasserbeweissicherungssystem. Die Belastung des Grundwassers erwies sich als so hoch, dass dessen Nutzung untersagt werden musste. Ein Bereich um die ehemalige Füllstelle 1 (Stelle zur Befüllung der Granaten mit Sprengstoff), der besonders hoch belastet war, wurde zwischenzeitlich durch einen privaten Investor saniert und als Siedlungsgebiet mit Wohnhäusern bebaut. Nachdem die Grundwasserbelastung durch STV seit dem Abschluss der Sanierung im Jahre 1998 abgenommen hatte, stieg sie im Jahre 1999 wieder an.

Mit Bescheid vom 21. Dezember 1998 gab der Beklagte der Klägerin gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 des Niedersächsischen Abfallgesetzes - NAbfG - i.d.F. vom 14. Oktober 1994 (Nds. GVBl S. 467) die Erstattung der für die Erkundung und Abschätzung der Altlast "Muna Hambühren" erforderlichen Aufwendungen in Höhe von 611 966,41 DM auf. Mit weiterem Bescheid vom 23. Dezember 1999 verlangte der Beklagte von der Klägerin nach § 15 Abs. 2 des Bundesbodenschutzgesetzes - BBodSchG - die Durchführung so genannter Eigenkontrollmaßnahmen. Die Klägerin wurde verpflichtet, eine der Grundwassermessstellen, die zwischenzeitlich zerstört worden war, durch die Errichtung einer neuen zu ersetzen und dort sowie an anderen im Einzelnen bezeichneten Messstellen für einen Zeitraum von fünf Jahren halbjährliche Wasseruntersuchungen durchzuführen. Die Kosten der angedrohten Ersatzvornahme bezifferte der Beklagte mit 73 000 DM. Zur Begründung seiner Bescheide verwies der Beklagte darauf, dass die Klägerin aufgrund ihrer Teilidentität mit dem Deutschen Reich für die Altlasten verantwortlich sei. Eine Inanspruchnahme der Grundstückseigentümer scheide aus, weil ihnen die Grundstücke nach durchgeführter Sanierung altlastenfrei verkauft worden seien. Die gegen diese Bescheide erhobenen Widersprüche der Klägerin, die sie auch damit begründete, dass Ansprüche gegen das Deutsche Reich nach § 1 Abs. 1 des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes - AKG - erloschen seien, blieben erfolglos.

Ihren daraufhin erhobenen Klagen hat das Verwaltungsgericht stattgegeben. Es hat den Standpunkt der Klägerin geteilt, dass die in den Bescheiden geltend gemachten Ansprüche unter § 1 Abs. 1 AKG fielen.

Die Berufungen des Beklagten haben zur Aufhebung dieser Urteile und zur Abweisung der Klagen geführt. Das Oberverwaltungsgericht hat diese Entscheidungen im Wesentlichen wie folgt begründet: Die angegriffenen Bescheide seien rechtmäßig. Die Heranziehung zur Erstattung der Aufwendungen für die Altlastenerkundung und Gefährdungsabschätzung sei zutreffend auf § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 NAbfG gestützt worden. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Norm seien erfüllt; insbesondere sei die Klägerin verantwortliche Person im Sinne des § 31 Abs. 6 NAbfG. Für die Gefahren, die von der Muna Hambühren ausgingen, sei originär das Deutsche Reich verhaltensverantwortlich; denn es habe - wie die Detail- und Sanierungsuntersuchungen bestätigt hätten - diese Gefahren durch den Betrieb der Anlage maßgeblich verursacht. Die mit der Einbringung von umweltgefährdenden Stoffen in das Erdreich verbundene Grundwassergefährdung sei bereits zum Zeitpunkt des Betriebs der Anlage nach § 202 des Preußischen Wassergesetzes untersagt gewesen. Die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit habe somit eine materielle Polizeipflichtigkeit des Deutschen Reiches begründet und damit auch eine Schadensbeobachtungs- und Schadensbeseitigungspflicht, die unmittelbar kraft Gesetzes bestanden habe und auch nach den heutigen Polizeigesetzen bestehe. Diese Pflicht sei nicht gemäß § 1 Abs. 1 AKG erloschen; denn sie sei kein Anspruch im Sinne dieser Vorschrift. Sie resultiere nicht aus einem zweiseitigen Schuldverhältnis und bestehe auch nicht gegenüber einem bestimmten Rechtssubjekt, sondern gegenüber der Allgemeinheit. Was als Anspruch im Sinne des § 1 AKG zu verstehen sei, werde deutlich durch die Art und Weise, wie die Ansprüche zu behandeln seien, deren Erfüllung das AKG in den §§ 4 bis 24 ausdrücklich anordne. Solche Ansprüche seien bei den so genannten Anmeldestellen (§ 27 AKG) innerhalb einer bestimmten Frist anzumelden. Dieses Verfahren, das an die Anmeldung zur Insolvenztabelle erinnere, könne in Ansehung der materiellen Polizeipflicht schon deshalb nicht durchgeführt werden, weil es keinen Gläubiger gebe, der als Antragsteller auftreten könnte. Die Polizeipflicht treffe heute die Klägerin, die mit dem Deutschen Reich teilidentisch sei. Der Beklagte habe bei ihrer Heranziehung sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt, weil die Inanspruchnahme der Grundstückseigentümer unbillig erscheine. Ebenfalls als rechtmäßig beurteilte das Oberverwaltungsgericht die angeordnete Durchführung von Eigenkontrollmaßnahmen nach § 15 Abs. 2 BBodSchG . Das Gelände der Muna Hambühren sei eine Altlast im bodenschutzrechtlichen Sinne; die Muna Hambühren sei Altstandort nach § 2 Abs. 5 Nr. 2 BBodSchG . Die dort verwendeten Sprengstoffe seien umweltgefährdende Stoffe, die infolge des Anlagenbetriebes schädliche Bodenveränderungen im Sinne des § 2 Abs. 3 BBodSchG herbeigeführt hätten. Die Durchführung der Eigenkontrollmaßnahmen sei erforderlich, weil die Grundwasserbelastung seit 1999 wieder deutlich angestiegen sei und daher weiter beobachtet werden müsse. Auch in diesem Zusammenhang verweist das Oberverwaltungsgericht darauf, dass die mit der Einbringung von umweltgefährdenden Stoffen in das Erdreich verbundene Gewässergefährdung bereits zum Zeitpunkt des Betriebs der Anlage nach den Vorschriften des Preußischen Wassergesetzes untersagt gewesen sei, und führt zur Verantwortlichkeit des Deutschen Reiches und - heute - der Klägerin dasselbe aus wie im Parallelstreit um die Erstattungsforderung des Beklagten.

Gegen beide Urteile wendet sich die Klägerin mit ihren durch den Senat zugelassenen Revisionen, die der Senat zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat. Sie trägt im Wesentlichen vor: Die angegriffenen Urteile verletzten Bundesrecht. Die Vorschrift des § 1 Abs. 1 Nr. 1 AKG betreffe nach ihrem Wortlaut alle und damit auch ordnungsrechtliche Ansprüche gegen das Deutsche Reich; die Zahl der am Schuldverhältnis Beteiligten sei irrelevant. Die Rechtsfolge des Erlöschens scheide nur aus, soweit das Gesetz selbst etwas anderes bestimme. Dies ergebe sich auch aus dem systematischen Zusammenhang des § 1 Abs. 1 Nr. 1 AKG mit Art. 134 Abs. 4 und Art. 135 a Abs. 1 GG . Verfehlt sei es insbesondere, aus der Behandlung der nach §§ 4 bis 24 AKG ausnahmsweise zu erfüllenden Verpflichtungen abzuleiten, was unter einem Anspruch im Sinne des § 1 AKG zu verstehen sei. Die Fortgeltung jener Verpflichtungen sei gerade wegen Besonderheiten angeordnet worden, durch welche sich die hier betroffenen Ansprüche nicht auszeichneten. Ebenso belege die Entstehungsgeschichte des Gesetzes, dass der in § 1 AKG verwendete Anspruchsbegriff auch polizeirechtliche Pflichten erfasse. Dies ergebe sich aus der Gesetzesbegründung, in der Ansprüche auf Beseitigung von Störungen ausdrücklich erwähnt würden, aber auch aus verschiedenen Äußerungen im Gesetzgebungsverfahren, die das Konzept verdeutlichten, Individualansprüche grundsätzlich erlöschen zu lassen. Die zeitgenössische Literatur sei ebenfalls diesem Konzept gefolgt. Der Gesetzgeber habe verhindern wollen, dass die auf 800 Milliarden Reichsmark geschätzten Schulden jeglichen Wirtschaftsaufschwung schon in den Anfängen erstickten. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei § 1 Abs. 1 AKG hier auch nicht wegen der Regelung des § 1 Abs. 2 AKG unanwendbar. Nach dieser Vorschrift blieben nur Gesetze unberührt, in denen bestimmte, ansonsten erlöschende Ansprüche gegen das Deutsche Reich geregelt würden.

Der Beklagte beantragt, die Revisionen zurückzuweisen, und verteidigt die Ausführungen der angegriffenen Urteile. Zusätzlich macht er geltend: Selbst wenn die polizeirechtliche Verantwortlichkeit des Deutschen Reiches unter den Anspruchsbegriff des § 1 Abs. 1 Nr. 1 AKG fiele, wäre die Inanspruchnahme der Klägerin nicht ausgeschlossen; denn auch eine so verstandene Verpflichtung bliebe nach § 1 Abs. 2 AKG bestehen. Einzige Voraussetzung für die Anwendung dieser Vorschrift sei, dass die nach 1945 erlassenen Bundes- oder Landesgesetze Ansprüche gegen die in § 1 Abs. 1 AKG genannten Rechtsträger regelten. Hier reiche es demnach aus, dass die landesrechtlichen Vorschriften zur Gefahrenabwehr - wie das Niedersächsische Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung - bereits am 1. Januar 1958 erlassen gewesen seien und Regelungen über die Verantwortlichkeit des Verhaltensstörers enthielten.

II.

Die Revisionen sind begründet. Die angegriffenen Urteile verletzen Bundesrecht. Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts sind die auf der Polizeipflicht des Deutschen Reiches beruhenden Ansprüche, zu deren Durchsetzung die angefochtenen Verfügungen gegen die Klägerin erlassen worden sind, nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AKG erloschen. Die Berufungen des Beklagten hätten daher zurückgewiesen werden müssen. Dies führt nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO zur Aufhebung der Berufungsurteile und zur Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidungen.

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AKG erlöschen Ansprüche gegen das Deutsche Reich, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt. Zu diesen Ansprüchen zählen auch die Verpflichtungen, welche der Beklagte der Klägerin auferlegt hat. Beide Forderungen, die Erstattungsforderung sowie die Heranziehung zur Durchführung so genannter Eigenkontrollmaßnahmen, finden nach den bindenden Feststellungen der Vorinstanz ihre Grundlage in dem gegen Preußisches Wasserrecht verstoßenden grundwassergefährdenden Betrieb der Muna Hambühren durch das Deutsche Reich. Als mit dem Deutschen Reich teilidentisches Rechtssubjekt müsste demgemäß die Klägerin für dieses bereits seinerzeit polizeiwidrige Verhalten nach den in den angefochtenen Bescheiden herangezogenen Normen des Niedersächsischen Abfallrechts und des Bundesbodenschutzgesetzes einstehen, wenn die daraus resultierenden Ansprüche nach wie vor Bestand hätten. Das ist jedoch nicht der Fall; denn die Erlöschensregel des § 1 Abs. 1 Nr. 1 AKG erfasst auch solche auf die materielle Polizeipflicht des Deutschen Reiches gegründete Forderungen. Betrachtet man den schlichten Wortlaut dieser Vorschrift, aber auch Sinn und Zweck der Bestimmung sowie ihre Entstehungsgeschichte, ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, die hier umstrittenen Pflichten von ihrem Anwendungsbereich auszunehmen. Sie lassen sich zwanglos unter die Formulierungen der Norm subsumieren, und eine Bestimmung des Gesetzes, welche ausnahmsweise die Erfüllung solcher Pflichten anordnet, ist nicht ersichtlich.

Der Begriff des Anspruchs nach § 1 Abs. 1 AKG ist in Übereinstimmung mit dem Oberverwaltungsgericht und der Literatur im weit gefassten Sinn des § 194 Abs. 1 BGB zu verstehen, also als das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen. Das Oberverwaltungsgericht weist zutreffend darauf hin, dass das Allgemeine Kriegsfolgengesetz die Verbindlichkeiten des Reiches allumfassend bereinigen sollte. Da sich das Reich in der Lage eines "Staatsbankrotts" befand, d.h. nicht nur vorübergehend zahlungsunfähig, sondern konkursreif war (so BVerfG, Urteil vom 14. November 1962 - 1 BvR 987/58 - BVerfGE 15, 126 >135<), hat der Gesetzgeber auf der Grundlage von Art. 134 Abs. 4 und Art. 135 a Abs. 1 GG das grundsätzliche Erlöschen aller Ansprüche gegen das Deutsche Reich angeordnet und im Einzelnen bestimmt, welche Ansprüche ausnahmsweise zu erfüllen sind. Das Bundesverfassungsgericht (a.a.O. S. 133 ff.) hat diese Generalbereinigung als verfassungsmäßig beurteilt. Betroffen von der gesetzlichen Regelung sind Ansprüche jeder Art, gleichgültig auf welche Leistungen und Unterlassungen sie gerichtet sind (vgl. Féaux de la Croix, Die Kriegsfolgenschutzgesetzgebung, AKG, § 1 Anm. 8) und auf welchem Rechtsgrund sie beruhen, insbesondere, ob sie im öffentlichen oder im privaten Recht wurzeln (Begründung des Regierungsentwurfs - BTDrucks 2/1659 S. 44; Féaux de la Croix, a.a.O., Anm. 8 e; Pagenkopf, AKG, § 1 Anm. 1; Döll, AKG, § 1 Anm. 3). In den Gesetzesmaterialien wird ausdrücklich darauf verwiesen, dass auch Ansprüche auf Störungsbeseitigung erfasst werden (BTDrucks, a.a.O.); dies entspricht auch der übereinstimmenden Auffassung der Kommentarliteratur (Wirth in: Deutsches Bundesrecht, AKG, Erläuterungen zu § 1; Döll, a.a.O.; Pagenkopf, a.a.O.).

Angesichts dieses Befundes drängt es sich geradezu auf, dass auch eine ordnungsrechtliche Inanspruchnahme aufgrund einer vom Deutschen Reich verursachten Grundwassergefährdung nicht mehr möglich ist; denn es handelt sich um nichts anderes als eine im öffentlichen Recht wurzelnde Pflicht zur Beseitigung einer Störung, die ausschließlich an das Verhalten des Reiches anknüpft. Die entgegenstehende Auffassung des Oberverwaltungsgerichts geht am Zweck des Gesetzes vorbei und ist in ihrer Begründung dogmatisch verfehlt. Zu Recht weist die Klägerin darauf hin, dass es der beabsichtigten Generalbereinigung aller Schulden widerspräche, aus der Polizeipflicht des Deutschen Reiches resultierende Verbindlichkeiten von der Erlöschensregelung auszunehmen. Das gilt verstärkt angesichts des naturgemäß nicht absehbaren Umfangs solcher Verpflichtungen. Es besteht daher schon nach der Zielrichtung der Vorschrift eine Veranlassung, mit dem Oberverwaltungsgericht den Regelungsbereich der Norm auf Verpflichtungen aus "zweiseitigen Schuldverhältnissen" zu beschränken. Abgesehen davon lässt sich schwerlich in Abrede stellen, dass die Behörde einen Anspruch im Sinne des § 194 Abs. 1 BGB gegen einen Polizeipflichtigen verfolgt, wenn sie von ihm ein Tun oder Unterlassen zur Beseitigung einer Störung verlangt. Dabei ist unerheblich, ob sich die dem Anspruch korrespondierende Pflicht bereits unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder nicht, maßgeblich ist allein, dass die Behörde zu einem entsprechenden Vorgehen berechtigt und damit - da allein sie die Erfüllung des Anspruchs und gegebenenfalls die Erstattung der Kosten für eine von ihr durchzuführende Ersatzvornahme verlangen kann - notwendigerweise Gläubigerin des Anspruchs ist. Ebenso wenig von Belang ist, dass die Beseitigung von Störungen der öffentlichen Sicherheit im öffentlichen Interesse geschieht; denn auch dies ändert nichts daran, dass es die Aufgabe und das Recht der zuständigen Behörde ist, den Anspruch auf Beseitigung der Störung geltend zu machen und durchzusetzen.

Die in diesem Zusammenhang in den angegriffenen Urteilen gezogene Parallele zum Konkursrecht ist nicht geeignet, den gegenteiligen Standpunkt zu untermauern. Das Oberverwaltungsgericht meint, Ordnungspflichten könnten schon deshalb keine Ansprüche im Sinne des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes sein, weil diese - soweit sie ausnahmsweise zu erfüllen seien - ähnlich wie in einem Konkursverfahren nach § 26 AKG bei den so genannten Anmeldestellen anzumelden seien und dieses Verfahren, das an die Anmeldung zur Insolvenztabelle nach den §§ 174 ff. der Insolvenzordnung - InsO - erinnere, in Ansehung der materiellen Polizeipflicht schon allein deshalb nicht durchgeführt werden könne, weil es keinen Gläubiger gebe, der als Anmelder auftreten könnte. Diese Argumentation ist schon deswegen fragwürdig, weil aus dem vorgeschriebenen Verfahren bei der Durchsetzung der ausnahmsweise zu erfülllenden Verbindlichkeiten keine zwingenden Schlüsse auf die Rechtsnatur aller im Übrigen von der gesetzlichen Regelung erfassten Ansprüche gezogen werden können. Selbst wenn man dies aber für möglich hielte, verkennt das Oberverwaltungsgericht die Situation der Ordnungsbehörden bei der Durchsetzung von Ordnungspflichten, die ausschließlich in einem in der Vergangenheit liegenden Verhalten des Gemeinschuldners begründet sind und bei denen es sich daher notwendigerweise um Insolvenzforderungen im Sinne des § 38 InsO handelt (vgl. Urteil vom 23. September 2004 - BVerwG 7 C 22.03 - BVerwGE 122, 75 >79 f.<). Da § 87 InsO die Verfolgung von Insolvenzforderungen außerhalb der Insolvenzordnung ausschließt, musst die forderungsberechtigte Behörde ihren polizeirechtlichen Anspruch wie jeder andere Insolvenzgläubiger zur Insolvenztabelle anmelden, nachdem sie zuvor festgestellt hat, welche Kosten für die Gefahrenbeseitigung aufzuwenden sind (vgl. dazu im Einzelnen Blum, Ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit in der Insolvenz, S. 195 f.). Der vergleichende Blick auf die - in dieser Weise mögliche - Durchsetzung von Ordnungspflichten des Gemeinschuldners im Konkurs gibt daher keine Veranlassung, an der Anspruchsqualität solcher Verpflichtungen im "Staatskonkurs" zu zweifeln.

Ebenso wenig stichhaltig sind die in der Literatur erhobenen kompetenzrechtlichen Bedenken gegen die Polizeipflichten erfassende Auslegung des § 1 Abs. 1 AKG. Der Einwand, der Bund habe ein Gesetz, welches seine polizeiliche Verantwortung ausschließe und sich somit als materielles Polizeigesetz darstelle, mangels Gesetzgebungskompetenz nicht erlassen dürfen (Peine, DVBl 1990, 733 >738<), geht an Art. 134 Abs. 4 und Art. 135 a Abs. 1 GG vorbei, die dem Bundesgesetzgeber ausdrücklich die Regelung des aktiven und passiven Reichsvermögens zuweisen. Dazu zählen - wie auch der Wortlaut des Art. 135 a Abs. 1 Nr. 1 GG ergibt - notwendigerweise die Verbindlichkeiten des Reiches, zu denen wiederum auch dessen polizeirechtliche Verpflichtungen gehören, soweit diese - wie die hier in Rede stehenden Ansprüche - einer finanziellen Bewertung zugänglich sind. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, solche ordnungsrechtlichen Verantwortlichkeiten richteten sich nicht originär auf die Belastung eines Vermögens und seien daher nicht vermögensbezogen (Peine, NuR 2005, 151 >156<). Für die vermögensrechtliche Situation des Deutschen Reiches macht es keinen Unterschied, ob eine Pflicht "originär" vermögensbezogen war, gemeint ist offenbar: unmittelbar in Geld zu begleichen war, oder die finanzielle Belastung erst in Folge der Kosten einer in anderer Weise zu erbringenden Leistung eintrat. Entsprechend umfassend muss auch die verfassungsrechtlich eingeräumte Kompetenz zur Regelung des Reichsvermögens verstanden werden; denn auch an dieser Stelle gilt, dass eine Schuldenregelung ohne Berücksichtigung der dem Reich obliegenden Polizeipflichten und der daraus resultierenden vermögensrechtlichen Verbindlichkeiten, die gerade bei solchen Altlasten unabsehbar sein können, nicht zu der angestrebten Gesamtbereinigung der Vermögenslage des Reichs geführt hätte.

Unbegründet ist schließlich auch der Einwand des Beklagten, § 1 Abs. 1 AKG finde keine Anwendung, weil nach § 1 Abs. 2 AKG die nach dem Krieg erlassenen polizeirechtlichen Normen des Landes Niedersachsen, welche die ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit der Klägerinnen regelten, unberührt blieben. Dieses Vorbringen verfehlt den Zweck des § 1 Abs. 2 AKG, bereits getroffene Regelungen der Kriegsfolgengesetzgebung bestehen zu lassen, also in diesem Bereich nur noch das zu regeln, was bisher nicht geregelt ist (vgl. Féaux de la Croix, a.a.O., Anm. 12). Es sollen also nur solche Regelungen unberührt bleiben, die sich speziell mit den Verbindlichkeiten des Reiches befassen (vgl. die Beispiele bei Döll, a.a.O., Anm. 9, 2. Abs.). Nicht gemeint sind demgegenüber Gesetze, die solche Verbindlichkeiten nicht thematisch zum Gegenstand haben, sondern ohne Rücksicht auf das Schicksal des Deutschen Reiches Rechtsverhältnisse anderer Sachbereiche regeln, deren verpflichtetes Zuordnungsobjekt - eher zufällig - auch der Bund als mit dem Reich teilidentische Rechtsperson sein kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 2 VwGO .

Vorinstanz: OVG Lüneburg, - Vorinstanzaktenzeichen LC 97/02
Vorinstanz: LC 98/02 - 21.04.2004,
Vorinstanz: VG Lüneburg, - Vorinstanzaktenzeichen 2 A 261/01
Vorinstanz: 2 A 255/01 - 21.03.2002,
Fundstellen
DVBl 2006, 186
GewArch 2006, 172
NVwZ 2006, 354
NuR 2006, 433
ZUR 2006, 160