Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BVerfG - Entscheidung vom 14.01.2005

2 BvR 162/04

Normen:
BVerfGG § 90 Abs. 2 S. 1
GG Art. 19 Abs. 4

Fundstellen:
NStZ-RR 2005, 182

BVerfG, Beschluß vom 14.01.2005 - Aktenzeichen 2 BvR 162/04

DRsp Nr. 2005/2651

Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde gegen die Versagung der Anregung eines Überstellungsersuchens durch die Staatsanwaltschaft

Die Versagung der Anregung eines Überstellungsersuchens durch die Staatsanwaltschaft ist ein Rechtsakt mit unmittelbarer Aussenwirkungen, der sich unmittelbar auf das grundrechtlich geschützte Resozialisierungsinteresse des Verurteilten auswirkt und im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG der gerichtlichen Überprüfung auf fehlerfreien Ermessensgebrauch unterliegt. Daraus folgt, dass vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde zunächst der Rechtsweg zu erschöpfen ist.

Normenkette:

BVerfGG § 90 Abs. 2 S. 1 ; GG Art. 19 Abs. 4 ;

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt; denn die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Rechtsweg nicht erschöpft wurde (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ).

a) Mit Rücksicht auf den sich aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG ergebenden Anspruch des Verurteilten auf Resozialisierung (vgl. BVerfGE 35, 202 [235 f.]; 36, 174 [188]; 45, 187 [239]) und den daraus erwachsenden Anspruch auf pflichtgemäße Ermessensausübung durch die Strafvollzugsbehörde (vgl. BVerfGE 89, 315 [322 ff.]) hat das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 18. Juni 1997 (vgl. BVerfGE 96, 100 [117 ff.]) die Versagung der Anregung eines Überstellungsersuchens durch die Staatsanwaltschaft als Rechtsakt mit unmittelbarer Außenwirkung angesehen, der sich unmittelbar auf das grundrechtlich geschützte Resozialisierungsinteresse des Verurteilten auswirkt und im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG der gerichtlichen Überprüfung auf fehlerfreien Ermessensgebrauch unterliegt.

b) Wegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG muss die vollstreckungsrechtliche Seite der Entscheidung über den Überstellungsantrag des Verurteilten aber auch dann gerichtlicher Überprüfung zugänglich sein, wenn die abschließende Entscheidung - wie hier - nicht von der Staatsanwaltschaft, sondern von dem Landesjustizministerium als oberster Fachaufsichtsbehörde über die Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit der Bewilligungsentscheidung ergeht. Dabei kann sich nichts anderes daraus ergeben, dass das Landesjustizministerium im vorliegenden Fall zugleich gemäß § 74 Abs. 2 Satz 1 IRG in Verbindung mit Ziff. 2 Buchstabe b der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Landesregierungen von Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen über die Zuständigkeit im Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (Zuständigkeitsvereinbarung) vom 1. Juli 1993 im Wege der Organleihe für den Bund als Bewilligungsbehörde tätig wurde. Zwar hat der Beschwerdeführer keinen Anspruch auf gerichtliche Überprüfung der Ermessensausübung, soweit die Entscheidung des Ministeriums in Wahrnehmung der vom Bund übertragenen Befugnisse auf allgemein-, insbesondere außenpolitischen Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 96, 100 [118]), deren Gewichtung zum Kernbereich des Regierungshandelns gehört; unberührt hiervon bleibt jedoch die gerichtliche Überprüfung der Ermessensausübung in vollstreckungsrechtlicher Hinsicht, insbesondere mit Blick auf die von der Staatsanwaltschaft Lübeck in der Hauptverhandlung abgegebene Erklärung zur Anwendung des Umwandlungsverfahrens gemäß Art. 11 Überstellungsübereinkommen.

c) Welcher Rechtsweg hierfür in Betracht kommt, haben die Fachgerichte in Auslegung und Anwendung der Vorschriften des Prozessrechts festzustellen, wobei im Rahmen der Begründetheit der Frage nachzugehen wäre, ob der Beschwerdeführer durch die Verfahrensweise der Staatsanwaltschaft Lübeck in seinem Recht auf ein faires Verfahren (vgl. BVerfGE 57, 250 [274]; 78, 123 [126]) betroffen ist bzw. eine Verletzung des Vertrauensgrundsatzes vorliegt (vgl. BVerfGE 59, 128 [164 ff.]; 72, 200 [257 f.]; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Februar 1993 - 2 BvR 196/92 -, NStZ 1993, S. 300 ; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Oktober 1993 - 2 BvR 672/93 -, NStZ 1994, S. 100 ).

Zwar ist nicht zu verkennen, dass für den Rechtsuchenden in diesem Zusammenhang angesichts der bislang umstrittenen Angreifbarkeit von Entscheidungen der Bewilligungsbehörde sowie der in Frage kommenden Rechtswege Unklarheiten bestehen können. Möglichen Ungewissheiten hinsichtlich des Rechtsweges wird durch die bindende Verweisungsmöglichkeit gemäß § 17a Abs. 2 GVG zureichend Rechnung getragen (vgl. BVerfGE 57, 9 [22]). Dem Beschwerdeführer ist es zumutbar, von einem umstrittenen Rechtsbehelf Gebrauch zu machen (vgl. BVerfGE 68, 376 [379 ff.]). Dass zwischenzeitlich etwaige Rechtsbehelfsfristen abgelaufen sein könnten, verhilft der Verfassungsbeschwerde - unbeschadet der Möglichkeit, einen neuen Überstellungsantrag zu stellen - nicht zur Zulässigkeit.

2. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers handelt es sich im Übrigen bei der angegriffenen Entscheidung auch nicht um einen sonstigen Hoheitsakt im Sinne von § 93 Abs. 3 BVerfGG , gegen den kein fachgerichtlicher Rechtsbehelf gegeben wäre (vgl. Ziff. 1), so dass auch die Monatsfrist für die Einlegung der Verfassungsbeschwerde gemäß § 93 Abs. 1 BVerfGG nicht gewahrt wurde (vgl. zum Ganzen: Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz , 21. Lfg. Juli 2002, § 93 Rn. 45; Majer, in: Umbach/Clemens, Bundesverfassungsgerichtsgesetz , § 93 Rn. 25 ff.; Gusy, Die Verfassungsbeschwerde, Rn. 209).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Fundstellen
NStZ-RR 2005, 182