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BVerfG - Entscheidung vom 05.05.2005

2 BvR 1593/03

Normen:
BVerfGG § 90
StPO § 344 Abs. 2 S. 2
GG Art. 101 Abs. 2

BVerfG, Beschluß vom 05.05.2005 - Aktenzeichen 2 BvR 1593/03

DRsp Nr. 2005/9619

Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde; Entscheidung des Revisionsgerichts über die Anrechnung erlittener Untersuchungshaft

1. Nach dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde sind über die Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle zumutbaren prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen, um eine Grundrechtsverletzung abzuwenden; hierzu gehört auch, dass der Beschwerdeführer Rechtsmittel vor den Fachgerichten in gehöriger Weise erhoben und prozessualen Rüge- und Darstellungslasten genügt hat. Daran fehlt es, wenn die im Revisionsverfahren erhobenen Verfahrensrügen nicht den Förmlichkeiten des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprachen.2. Das Recht des Angeklagten auf den gesetzlichen Richter ist nicht verletzt, wenn das Revisionsgericht anstatt das Verfahren zurückzuverweisen selbst über den Maßstab der Anrechnung erlittener Auslieferungshaft entscheidet, sofern in der Sache keine andere Entscheidung möglich war.

Normenkette:

BVerfGG § 90 ; StPO § 344 Abs. 2 S. 2 ; GG Art. 101 Abs. 2 ;

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG liegt nicht vor, weil die Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat.

I. Das Landgericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe. Seine Revision wies der Bundesgerichtshof mit der Maßgabe zurück, dass die vom Beschwerdeführer vom 24. Februar 2002 bis 10. April 2002 in Spanien erlittene Auslieferungshaft im Maßstab von 1:1 anzurechnen ist.

Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und 2 Satz 2 GG , Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot, (sinngemäß) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG , Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 104 GG .

II. Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig.

1. Soweit der Beschwerdeführer Verletzungen seines Rechts auf ein faires Verfahren beanstandet, hat er den Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde nicht beachtet. Danach sind über die Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle zumutbaren prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen, um eine Grundrechtsverletzung abzuwenden (vgl. BVerfGE 68, 384 [389]); hierzu gehört auch, dass der Beschwerdeführer Rechtsmittel vor den Fachgerichten in gehöriger Weise erhoben und prozessualen Rüge- und Darstellungslasten genügt hat (vgl. BVerfGE 87, 1 [32 f.]). Daran fehlt es, weil die im Revisionsverfahren erhobenen Verfahrensrügen nicht den Förmlichkeiten des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprachen.

2. Soweit der Beschwerdeführer die Beweiswürdigung des Landgerichts angreift, ist die Verfassungsbeschwerde ebenfalls unzulässig. Er lässt insoweit außer Acht, dass die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestands, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall allein Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und insoweit der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen sind; das Bundesverfassungsgericht kann nur bei einer Verletzung von spezifischem Verfassungsrecht eingreifen (vgl. BVerfGE 1, 418 [420]). Derartige Verstöße zeigt sein Vorbringen nicht auf; der Beschwerdeführer ersetzt lediglich die willkürfreie Beweiswürdigung des Landgerichts durch eigene Erwägungen.

3. Auch die Gehörsrüge ist nicht zulässig erhoben. Insoweit hat der Beschwerdeführer ebenfalls den Grundsatz der Subsidiarität nicht beachtet, weil er nicht von dem Rechtsbehelf des § 33 a StPO (jetzt: § 356 a StPO ) Gebrauch gemacht hat (vgl. BVerfGE 33, 192 [194]).

III. Die Rüge, der Bundesgerichtshof habe mit der Entscheidung über den Anrechnungsmaßstab der erlittenen Auslieferungshaft gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen, ist jedenfalls unbegründet.

1. Zwar kann diese Verfassungsnorm verletzt sein, wenn ein an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz gebundenes Revisionsgericht eine nach dem Stand des Verfahrens gebotene Zurückverweisung an das Tatsachengericht zwecks weiterer Sachaufklärung unterlässt. Die Verkennung der dem Revisionsgericht gezogenen Grenzen verstößt jedoch nur dann gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG , wenn sie von willkürlichen Erwägungen bestimmt ist (vgl. BVerfGE 54, 100 [115 f.]). Dies ist nur dann der Fall, wenn die Entscheidung eines Gerichts sich bei Auslegung und Anwendung einer Zuständigkeitsnorm so weit von dem sie beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt hat, dass sie nicht mehr zu rechtfertigen ist; sie muss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheinen und offensichtlich unhaltbar sein (vgl. BVerfGE 29, 45 [49]).

2. Ob die Entscheidung des Revisionsgerichts, die Strafe selbst festzusetzen, auf willkürlichen Erwägungen beruht, ist jeweils nach den konkreten Umständen des Einzelfalles zu entscheiden (BVerfGK 2, 207 [210]). Aufgrund der erforderlichen Betrachtung des Einzelfalles liegt hier keine Willkür vor, unabhängig davon, ob die Revisionsgerichte nach § 354 Abs. 1 StPO oder dem neu eingefügten § 354 Abs. 1a StPO generell zur Entscheidung über den Anrechnungsmaßstab im Ausland erlittener Haft berufen sind.

Der Bundesgerichtshof ist hier ersichtlich davon ausgegangen, dass auch der Tatrichter keinen anderen Anrechnungsmaßstab hätte festlegen können, weil in der Sache weder rechtlich noch tatsächlich eine andere Entscheidung in Betracht kommen konnte. Diese Einschätzung war nicht unverständlich und nicht offensichtlich unhaltbar. Dabei kann dahinstehen, ob in Mitgliedstaaten der Europäischen Union vollzogene Haft stets beziehungsweise regelmäßig im Maßstab 1:1 anzurechnen ist. Denn über den rechtsstaatlichen Standard des Auslieferungsstaats hinaus sprachen im vorliegenden Einzelfall noch weitere Umstände für den angenommenen Anrechnungsmaßstab. So dauerte die Auslieferungshaft nur wenige Wochen. Die Festnahme, die Haft und die auf dem Luftwege vollzogene Auslieferung erfolgten an dem selben Ort, so dass es während der Auslieferungshaft zu keinen belastenden Verschubungen des Beschwerdeführers kam. Aus den Verfahrensakten sind keinerlei Anhaltspunkte für das Vorliegen erschwerter Haftbedingungen ersichtlich noch hat der hafterfahrene Beschwerdeführer derartiges gegenüber den Fachgerichten oder mit der Verfassungsbeschwerde vorgetragen; eine unangemessene Behandlung hatte er, soweit ersichtlich, zudem weder in Spanien noch nach seiner Überstellung geltend gemacht. Schließlich hat das Landgericht die Tatsache, dass der Beschwerdeführer Auslieferungshaft erlitten hatte, auch bei der Strafzumessung ausdrücklich zu seinen Gunsten berücksichtigt. Angesichts dieser Umstände und des gänzlichen Fehlens entgegenstehender Anhaltspunkte war die Annahme, dass hier aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nur der gewählte Anrechnungsmaßstab in Betracht kommen konnte, nicht offensichtlich unvertretbar.

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG ).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: BGH, vom 22.07.2003 - Vorinstanzaktenzeichen 5 StR 162/03
Vorinstanz: LG Berlin - (508) 5 Op Js 137/02 Kls (38/02) - 8.11.2002,