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BVerfG - Entscheidung vom 09.03.2005

1 BvR 616/04

Normen:
GG Art. 3 Abs. 1, 3 Art. 4 Abs. 1, 2
RVO § 589 Abs. 1

Fundstellen:
FamRZ 2006, 764

BVerfG, Beschluß vom 09.03.2005 - Aktenzeichen 1 BvR 616/04

DRsp Nr. 2005/4999

Kausalität eines Wegeunfalls für das Versterben des Versicherten

Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Sozialgerichte der Witwe eines verstorbenen Angehörigen der Glaubensgemeinschaft Zeugen Jehovas eine Hinterbliebenenversorgung aus der Unfallversicherung verweigern, weil dieser bei einer aufgrund eines Wegeunfalls erforderlich gewordenen Operation verstarb, da er es abgelehnt hatte, sich Blutkonserven verabreichen zu lassen.

Normenkette:

GG Art. 3 Abs. 1 , 3 Art. 4 Abs. 1 , 2 ; RVO § 589 Abs. 1 ;

Gründe:

I. Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen Entscheidungen der Sozialgerichte, die die Klage der Beschwerdeführerin auf Gewährung von Hinterbliebenenleistungen nach ihrem Ehemann abgewiesen haben, welcher der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas angehörte und im Verlauf einer wegen der Folgen eines Wegeunfalls durchgeführten Hüftprothesenwechseloperation verstorben ist. Sozialgericht und Bundessozialgericht haben die Kausalität des Wegeunfalls für den Tod des Ehemanns im Hinblick darauf verneint, dass sich dieser aus religiösen Gründen geweigert hatte, eine Fremdbluttransfusion vornehmen zu lassen; die durch den Unfall notwendig gewordene Operation erfülle deshalb nicht die qualitativen Anforderungen an eine für den Eintritt des Todes wesentliche Bedingung (vgl. BSG, SozR 4-2200 § 589 RVO Nr. 1 = FamRZ 2004, S. 1198 ).

Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die Urteile des Sozial- und des Bundessozialgerichts. Sie rügt eine Verletzung der Grundrechte ihres verstorbenen Ehemanns aus Art. 4 Abs. 1 und 2 sowie aus Art. 2 Abs. 1 GG und einen Verstoß gegen ihre eigenen Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 sowie aus Art. 3 Abs. 1 und 3 GG . Außerdem sei Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verletzt.

II. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Der Verfassungsbeschwerde kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der von der Beschwerdeführerin als verletzt gerügten Grundrechte angezeigt. Denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 [25 f.]).

1. Soweit die Beschwerdeführerin Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 sowie Art. 3 Abs. 3 GG für verletzt hält, sind ihre Rügen unzulässig. Der Verfassungsbeschwerde fehlt insoweit eine Begründung, die den Anforderungen des

§ 92 in Verbindung mit § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BVerfGG genügt.

2. Die übrigen Rügen sind jedenfalls unbegründet.

a) Selbst wenn die Beschwerdeführerin im Hinblick auf ihr Begehren, nach ihrem verstorbenen Ehemann Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung gewährt zu bekommen, eine Verletzung des Grundrechts ihres verstorbenen Ehemanns aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geltend machen könnte, könnte ein Verstoß gegen dieses Grundrecht, das Art. 2 Abs. 1 GG als lex specialis vorgeht (vgl. BVerfGE 32, 98 [107]), nicht festgestellt werden. Die Sozialgerichte haben bei der Auslegung und Anwendung des § 589 Abs. 1 RVO , auf den sie ihre Entscheidungen gestützt haben und den die Beschwerdeführerin als solchen nicht angreift, die Bedeutung und Reichweite der Religions- und Glaubensfreiheit nicht grundlegend verkannt (vgl. zum Maßstab BVerfGE 18, 85 [92 f.]; 32, 98 [105]; 85, 248 [257 f.]). Vielmehr hat insbesondere das Bundessozialgericht Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in seiner Bedeutung als Abwehrrecht wie in seiner objektivrechtlichen Funktion als wertentscheidende Grundsatznorm bei der Auslegung des einfachen Rechts gewürdigt und gegen das Sozialstaatsprinzip und den Solidargedanken innerhalb der Versichertengemeinschaft, den es in diesem Prinzip verkörpert sieht, abgewogen. Das ist auf eine Weise geschehen, die ein verfassungsgerichtliches Eingreifen nicht erfordert, weil die Tragweite des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG hinreichend berücksichtigt worden und eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung des Grundrechts nicht eingetreten ist (vgl. BVerfGE 85, 248 [258]).

b) Auch Grundrechte der Beschwerdeführerin sind vor diesem Hintergrund nicht verletzt. Insbesondere verstoßen die angegriffenen Entscheidungen nicht gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG (zu dessen Inhalt vgl. BVerfGE 89, 1

[13 f.]). Die Urteile des Sozialgerichts und des Bundessozialgerichts sind eingehend und nachvollziehbar begründet und lassen sachfremde Erwägungen nicht erkennen.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG ).

Vorinstanz: BSG, vom 09.12.2003 - Vorinstanzaktenzeichen B 2 U 8/03 R
Vorinstanz: SG Gießen, vom 13.04.1999 - Vorinstanzaktenzeichen S 1 U 1642/95
Fundstellen
FamRZ 2006, 764