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BVerfG - Entscheidung vom 17.03.2005

1 BvR 272/96

Normen:
BErzGG § 1 Abs. 1a S. 1

BVerfG, Beschluß vom 17.03.2005 - Aktenzeichen 1 BvR 272/96

DRsp Nr. 2005/8236

Erziehungsgeldanspruch von lediglich aufenthaltsbefugten Ausländern

§ 1 Abs. 1a S. 1 BErzGG , wonach Erziehungsgeld nicht an Ausländer zu gewähren ist, die lediglich über eine Aufenthaltsbefugnis verfügen, ist mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar und verfassungswidrig.

Normenkette:

BErzGG § 1 Abs. 1a S. 1 ;

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Nichtgewährung von Erziehungsgeld an Ausländer, die lediglich über eine Aufenthaltsbefugnis verfügen.

I. 1. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen § 1 Abs. 1 a Satz 1 des Gesetzes über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub ( BErzGG ) in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms (FKPG) vom 23. Juni 1993 (BGBl I S. 944). Nach dieser Regelung stand Ausländern, die lediglich über eine Aufenthaltsbefugnis verfügten, seit dem 27. Juni 1993 anders als zuvor kein Anspruch auf Erziehungsgeld zu. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juli 2004 ( 1 BvR 2515/95, NVwZ 2005, S. 319 [319 f.]) verwiesen.

2. Die Beschwerdeführerin verfügte zur Zeit des Ausgangsverfahrens über eine Aufenthaltsbefugnis. Auf sie kam die Übergangsregelung des § 94 Abs. 3 Nr. 3 des Ausländergesetzes ( AuslG ) in der Fassung vom 9. Juli 1990 (BGBl. I S. 1354) zur Anwendung. Ihre Aufenthaltsbefugnis konnte daher nach § 99 Abs. 1 Satz 1 AuslG abweichend von § 34 Abs. 2 AuslG verlängert werden. Außerdem war bei der Beschwerdeführerin auf Grund eines Bleiberechtserlasses des niedersächsischen Innenministeriums vom 18. Oktober 1990 von der Durchsetzung einer Ausreisepflicht auf Dauer abzusehen. Um von diesem Erlass zu profitieren, hatte die Beschwerdeführerin ihren Asylantrag zurückgenommen. Im August 1993 brachte die Beschwerdeführerin einen Sohn zur Welt. Ihr Antrag auf Gewährung von Erziehungsgeld wurde abgelehnt.

Das Landessozialgericht gab der Berufung der Beschwerdeführerin gegen das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts statt. Auf die Revision der beklagten Erziehungsgeldbehörde hob das Bundessozialgericht mit dem in der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Urteil die Entscheidung des Landessozialgerichts auf und wies die Berufung zurück. § 1 Abs. 1 a Satz 1 BErzGG sei nicht verfassungswidrig.

3. Die Äußerungsberechtigten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

II. Die Kammer nimmt die zulässige Verfassungsbeschwerde nach § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG statt. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor.

1. Durch die Versagung des Erziehungsgeldes, das im fraglichen Zeitraum für zwei Jahre gewährt wurde und 600 DM im Monat betrug, ist der Beschwerdeführerin ein hinreichend schwerer Nachteil entstanden. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Der Erste Senat hat mit Beschluss vom 6. Juli 2004 die Vorschrift des § 1 Abs. 1 a Satz 1 BErzGG in der angegriffenen Fassung mit Art. 3 Abs. 1 GG für unvereinbar erklärt (BVerfG, NVwZ 2005, S. 319 [320 f.]).

2. Danach beruht das mit der Verfassungsbeschwerde unmittelbar angegriffene Urteil des Bundessozialgerichts auf einer mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbaren Norm und ist deshalb verfassungswidrig (vgl. BVerfG, NVwZ 2005, S. 319 [321]). Es ist nach § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Die Sache ist an das Bundessozialgericht zurückzuverweisen. Das Gericht hat das Verfahren bis zu einer Ersetzung der verfassungswidrigen Regelung durch eine Neuregelung, längstens bis zum 1. Januar 2006, auszusetzen. Kommt eine Neuregelung bis zu diesem Zeitpunkt nicht zu Stande, so ist auf das Verfahren das bis zum 26. Juni 1993 geltende Recht anzuwenden (vgl. BVerfG, aaO.).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG . Mit der Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zur Auslagenerstattung erledigt sich der Antrag der Beschwerdeführerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten.

4. Die Entscheidung über den Gegenstandswert beruht auf § 113 Abs. 2 Satz 3 der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung in der Fassung vom 27. April 2001 (BGBl I S. 751) in Verbindung mit § 61 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte vom 5. Mai 2004 (BGBl I S. 718) sowie auf den hierzu entwickelten Grundsätzen (BVerfGE 79, 357 [361 f.]; 79, 365 [366 ff.]).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: BSG, vom 06.09.1995 - Vorinstanzaktenzeichen 14 REg 5/95