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BVerfG - Entscheidung vom 26.01.2005

2 BvR 2278/04

Normen:
GG Art. 2 Abs. 2 S. 1

BVerfG, Beschluß vom 26.01.2005 - Aktenzeichen 2 BvR 2278/04

DRsp Nr. 2005/2664

Durchführung der Hauptverhandlung bei drohenden Gesundheitsschäden des Angeklagten

Das Strafverfahren ist einzustellen, wenn die ernsthafte Befürchtung besteht, dass der Beschuldigte bei Durchführung der Hauptverhandlung einen schwerwiegenden, irreparablen gesundheitlichen Schaden erleiden würde. Die unterhalb der Wahrscheinlichkeitsgrenze liegende bloße Möglichkeit des Todes oder einer gesundheitlichen Schädigung berechtigt das Gericht nicht, von der Durchführung der Hauptverhandlung Abstand zu nehmen.

Normenkette:

GG Art. 2 Abs. 2 S. 1 ;

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt, denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 [24 ff.]).

Die angefochtenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG .

a) Nach der vom Bundesverfassungsgericht gebilligten Ansicht bedeutet Verhandlungsfähigkeit im strafprozessualen Sinne, dass der Angeklagte in der Lage sein muss, seine Interessen innerhalb und außerhalb der Verhandlung vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen und Prozesserklärungen abzugeben und entgegenzunehmen (vgl. Pfeiffer, in: Karlsruher Kommentar, StPO , 5. Aufl., Einl., Rn. 126). Verhandlungsunfähigkeit liegt auch vor, wenn die Fortführung des Verfahrens mit einer konkreten Lebens- oder schwerwiegenden Gesundheitsgefährdung verbunden ist (BVerfGE 51, 324 [346]).

Ob im Einzelfall eine bei Durchführung der Hauptverhandlung drohende Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit des Beschuldigten so schwer wiegt, dass sie zur Einstellung des Verfahrens zwingt, hat der Strafrichter unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Falls zu entscheiden. Besteht die ernsthafte Befürchtung, dass der Beschuldigte bei Durchführung der Hauptverhandlung einen schwerwiegenden, irreparablen gesundheitlichen Schaden erleiden würde, so ist das Verfahren in jedem Fall einzustellen. Hingegen kann seine Gefährdung durch die Hauptverhandlung im Einzelfall hinnehmbar sein, wenn ihm gesundheitliche Beeinträchtigungen lediglich vorübergehender Art - etwa in Gestalt bestimmter Anfälle - drohen (BVerfGE 51, 324 [347 f.]). Ist zu entscheiden, ob die Durchführung der Hauptverhandlung das Leben oder die körperliche Unversehrtheit des Beschuldigten in solchem Maße gefährden würde, dass sie auch in Ansehung der staatlichen Strafverfolgungspflicht als unzulässiger Eingriff in das Grundrecht des Beschuldigten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu werten wäre, so vermag nur eine hinreichend sichere Prognose über den Schadenseintritt die Einstellung des Verfahrens von Verfassungs wegen zu rechtfertigen.

Die unterhalb der Wahrscheinlichkeitsgrenze liegende bloße Möglichkeit des Todes oder einer gesundheitlichen Schädigung des Beschuldigten berechtigt das Gericht ersichtlich nicht, von der Durchführung der Hauptverhandlung Abstand zu nehmen. Der Strafrichter muss in Anwendung dieses Maßstabs die für seine Entscheidung maßgebenden Gesichtspunkte gegeneinander abwägen, wobei dem unterschiedlichen Gewicht der einzelnen Abwägungselemente für das zu findende Ergebnis entscheidende Bedeutung zukommen kann. Dazu gehört die Berücksichtigung aller wesentlichen persönlichen und tatsächlichen Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Würdigung sämtlicher dem Gericht vorliegenden Sachverständigengutachten, soweit sie für die Entscheidungsfindung von Erheblichkeit sein können (vgl. BVerfGE 51, 324 [350 f.]).

b) Diesem Maßstab werden die angefochtenen Entscheidungen des Oberlandesgerichts gerecht. Das Oberlandesgericht hat die für die Entscheidung maßgebenden Gesichtspunkte, insbesondere die von den drei Sachverständigen dargelegten gesundheitlichen Gefahren und die Möglichkeiten, diesen zu begegnen, sowie den Umfang der Beweisaufnahme in einer von Verfassungs wegen nicht zu beanstandender Weise berücksichtigt. Dabei gelangte es zur Ansicht, es bestünde keine nahe liegende konkrete Gefahr, dass der Beschwerdeführer bei Durchführung der Hauptverhandlung sein Leben einbüßen oder einen schwerwiegenden irreparablen Schaden an seiner Gesundheit nehmen müsse.

Diese Ansicht ist nachvollziehbar und wird von den Ergebnissen der vom Oberlandesgericht eingeholten Sachverständigengutachten gestützt. Nach dem neurologischen sowie dem psychiatrischen Gutachten ist der Beschwerdeführer verhandlungsfähig. Einschränkend wiesen der neurologische Sachverständige auf die Notwendigkeit von Verhandlungspausen etwa bei Auftreten eines Anfallsleidens sowie zur Entleerung der Blase durch Katheterisierung sowie der psychiatrische Sachverständige auf eine leichte kognitive Beeinträchtigung hin. Der internistische Sachverständige gelangte zu einer eingeschränkten Verhandlungsfähigkeit, hielt aber eine vitale Gefährdung insbesondere bei medikamentöser Optimierung der Blutdruckeinstellung, regelmäßigen Verhandlungspausen und Anwesenheit eines Gerichtsarztes nicht für gegeben. Der Notwendigkeit, einer Gesundheitsgefährdung durch solche geeignete Maßnahmen zu begegnen, hat das Oberlandesgericht ausdrücklich Rechnung getragen. Dass es im Rahmen seiner Abwägung das Ergänzungsgutachten des Dr. S. vom 25. Juli 2003 unberücksichtigt gelassen hat, ist dabei von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit dessen Ausführungen das Oberlandesgericht zu einer anderen Beurteilung der Verhandlungsfähigkeit des Beschwerdeführers hätten veranlassen können, zumal das Landgericht bei vorübergehenden Anfallsleiden des Beschwerdeführers gehalten sein wird, angemessen zu reagieren.

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG ).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: OLG München, vom 07.10.2004 - Vorinstanzaktenzeichen 3 Ws 669/03
Vorinstanz: OLG München, vom 25.08.2004 - Vorinstanzaktenzeichen 3 Ws 667/03 3 Ws 668/03 3 Ws 669/03