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BSG - Entscheidung vom 10.02.2005

B 4 RA 48/04 R

Normen:
AAÜG § 1 Abs. 1 S. 1 § 1 Abs. 1 S. 2 § 8
EinigVtr Anlage II Kap VIII H III Nr. 9 Buchst. a, Anlage II Kap VIII F III Nr. 8
GG Art. 3 Abs. 1 Art. 3 Abs. 3
RAnglG § 22 Abs. 1
SGG § 54 Abs. 1 § 78 Abs. 1 S. 1 § 78 Abs. 3 § 99 Abs. 1 § 99 Abs. 2
ZAVtIV § 1
ZAVtIVDBest 2 Abs. 1, Abs. 2

BSG, Urteil vom 10.02.2005 - Aktenzeichen B 4 RA 48/04 R

DRsp Nr. 2005/7695

Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz, Zulässigkeit der Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren, Klageänderung

1. Der Bundesgesetzgeber durfte an die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung vorgefundene Ausgestaltung der Versorgungssysteme in der DDR sowie an die gegebene versorgungsrechtliche Lage der Betroffenen ohne Willkürverstoß anknüpfen und damit ua zu Grunde legen, dass nur derjenige in das Zusatzversorgungssystem der AVItech einbezogen werden durfte, der am 30.6.1990 in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder in einem gleichgestellten Betrieb beschäftigt war. Durch Art. 3 Abs. 1 und 3 GG ist nicht geboten, von jenen zu sekundärem Bundesrecht gewordenen Regelungen der Versorgungssysteme sowie den historischen Fakten, aus denen sich etwa Ungleichheiten ergeben, abzusehen und sie rückwirkend zu Lasten der heutigen Beitrags und Steuerzahler auszugleichen. 2. Eine unselbstständige Anschlussberufung ist unzulässig, wenn sie nicht den gleichen prozessualen Anspruch und damit einen neuen Streitgegenstand in das Verfahren einführt. 3. Durch eine zulässige Klageänderung wird das Gericht nicht von der Verpflichtung entbunden, die Zulässigkeit der geänderten Klage zu prüfen, da für diese sämtliche Sachentscheidungsvoraussetzungen vorliegen müssen, bei der Verpflichtungsklage auch diejenige eines im Vorverfahren angegriffenen und überprüften Verwaltungsakts. [Nicht amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Normenkette:

AAÜG § 1 Abs. 1 S. 1 § 1 Abs. 1 S. 2 § 8 ; EinigVtr Anlage II Kap VIII H III Nr. 9 Buchst. a, Anlage II Kap VIII F III Nr. 8; GG Art. 3 Abs. 1 Art. 3 Abs. 3 ; RAnglG § 22 Abs. 1 ; SGG § 54 Abs. 1 § 78 Abs. 1 S. 1 § 78 Abs. 3 § 99 Abs. 1 § 99 Abs. 2 ; ZAVtIV § 1 ; ZAVtIVDBest 2 Abs. 1, Abs. 2;

Gründe:

I

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, Beschäftigungszeiten des Klägers vom 11. Mai 1954 bis 30. November 1988 als Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) und dabei erzielte Arbeitsentgelte sowie das Bestehen eines Versorgungsanspruchs für Dezember 1991 gegen den Versorgungsträger festzustellen.

Dem im März 1926 geborenen Kläger wurde im Januar 1954 in der DDR nach erfolgreichem Studium an einer Fachschule das Recht verliehen, die Berufsbezeichnung Ingenieur in der Fachrichtung Kraft- und Arbeitsmaschinen zu führen. Auf Grund eines weiteren berufsbegleitenden Studiums an der Technischen Universität D. war ihm im Juli 1963 der akademische Grad eines Diplom-Ingenieurs verliehen worden. Vom 11. Mai 1954 bis 6. April 1957 arbeitete der Kläger als Ingenieur und Hauptmechaniker im volkseigenen Betrieb (VEB) Pumpenfabrik S. . Vom 8. April 1957 bis November 1988 war er im VEB Kunstseidenwerk "F. E. " P. , dem späteren VEB Chemiefaserwerk "F. E. ", beschäftigt, und zwar (ua) als Konstrukteur, Projektant, Projektingenieur, Abteilungsleiter und Abschnittsleiter. Auf Grund seiner Beschäftigungen war er in der gesetzlichen Sozialpflichtversicherung versichert. Zum 1. Juli 1971 war er der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) beigetreten. Eine Einbeziehung in ein Zusatzversorgungssystem war nicht erfolgt.

Ab 1. Dezember 1988 erkannte der zuständige Versicherungsträger in der DDR dem Kläger das Recht auf eine Invalidenrente aus der Sozialpflichtversicherung und auf eine Zusatzinvalidenrente aus der FZR zu (Bescheid vom 17. November 1988). Zum 1. Januar 1992 wurden die in die Rentenversicherung der DDR zum 31. Dezember 1991 überführten Rentenrechte durch eine Regelaltersrente nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung ( SGB VI ) ersetzt (Bescheid vom 29. November 1991); den Wert dieses Rentenrechts stellte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte als Rentenversicherungsträger unter Berücksichtigung der nach § 307a SGB VI ermittelten Entgeltpunkte fest.

Im März 2000 beantragte der Kläger beim beklagten Versorgungsträger, seine Beschäftigungszeiten in der DDR ab 3. Februar 1954 als Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech und die dabei erzielten Arbeitsentgelte festzustellen. Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, eine Versorgungsanwartschaft iS des § 1 Abs 1 Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz ( AAÜG ) habe nicht bestanden; der Kläger habe weder eine Versorgungszusage erhalten noch habe er am 30. Juni 1990 eine Beschäftigung ausgeübt, die einem Versorgungssystem zuzuordnen sei (Bescheid vom 3. Mai 2002). Der Widerspruch des Klägers hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 9. August 2002).

Das Sozialgericht ( SG ) hat den angefochtenen "Bescheid" aufgehoben und die Beklagte "verurteilt", die Zeit vom 11. Mai 1954 bis 30. November 1988 als Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech und die in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsverdienste festzustellen (Urteil vom 25. Juni 2003). Zur Begründung hat das SG ausgeführt, der Kläger unterfalle dem persönlichen Anwendungsbereich des § 1 Abs 1 AAÜG ; er habe am 30. Juni 1990 einen - fiktiven - Versorgungsanspruch gehabt, weil er bis zum Leistungsfall, nämlich bis zum Beginn seiner Invalidenrente, in einem volkseigenen Produktionsbetrieb gearbeitet habe.

Die Beklagte hat gegen das Urteil Berufung eingelegt und die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und Abweisung der Klagen beantragt. Der Kläger hat gegen das ihm am 1. August 2003 zugestellte Urteil am 29. April 2004 Berufung eingelegt und beantragt, das Urteil des SG abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, ergänzend festzustellen, dass er für Dezember 1991 aus bundesrechtlicher Sicht materiell-rechtlich einen Zahlungsanspruch gegen einen Versorgungsträger aus Versorgungsrecht gehabt habe.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und auf die Anschlussberufung des Klägers den Bescheid der Beklagten vom 3. Mai 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. August 2002 und das Urteil des SG vom 25. Juni 2003 dahingehend geändert, dass die Beklagte verpflichtet worden ist, festzustellen, der Kläger habe für Dezember 1991 aus bundesrechtlicher Sicht materiell-rechtlich einen Zahlungsanspruch gegen einen Versorgungsträger aus Versorgungsrecht gehabt (Urteil vom 29. April 2004). Die Entscheidung wird darauf gestützt, dass das AAÜG auf den Kläger gemäß § 1 Abs 1 aaO anwendbar sei, denn er habe bei Inkrafttreten des Gesetzes am 1. August 1991 einen Versorgungsanspruch auf Grund der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem im Beitrittsgebiet gehabt. Zwar sei ihm eine Versorgungszusage weder auf Grund einer Einzelentscheidung noch eines Einzelvertrags erteilt worden, ein Anspruch habe jedoch deshalb bestanden, weil er rückschauend nach den Regeln eines Versorgungssystems in ein Zusatzversorgungssystem, nämlich der AVItech, einbezogen gewesen sei. Er habe die abstrakt-generellen Voraussetzungen für die Einbeziehung zum Zeitpunkt der Aufgabe seiner Beschäftigung nach Eintritt von Invalidität und Bezug einer entsprechenden Rente ab 1. Dezember 1988 und damit auch noch am 30. Juni 1990 erfüllt. Bezüglich der geltend gemachten Beschäftigungszeiten seien auch die Voraussetzungen des § 5 AAÜG erfüllt. Auch der unselbstständigen Anschlussberufung des Klägers sei stattzugeben. Diese sei zulässig. Ob für Dezember 1991 ein Zahlungsanspruch gegen einen Versorgungsträger aus Versorgungsrecht bestanden habe, müsse durch die Tatbestandswirkung eines bindend gewordenen Verwaltungsakts oder die Rechtskraft eines Urteils festgestellt werden. Ein Feststellungsbescheid nach § 8 Abs 2 Satz 1 AAÜG , mit dem der Versorgungsträger die nach den §§ 5 bis 8 AAÜG möglicherweise im Rentenversicherungsrecht erheblichen Tatsachen vorab feststelle, reiche hierfür nicht aus. Der Kläger habe bereits bei Eintritt des Leistungsfalls im Dezember 1988 einen Versorgungsanspruch erworben. Dieser sei nie befriedigt worden und habe dementsprechend auch für Dezember 1991 bestanden.

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 1 AAÜG . Sie trägt vor, der Kläger habe bei Inkrafttreten des AAÜG keine Versorgungsanwartschaft gehabt. Da er eine Versorgungszusage nicht erhalten habe, beurteile sich dies danach, ob er noch am 30. Juni 1990 eine Position innegehabt habe, nach der er bei Eintritt des Leistungsfalles darauf hätte vertrauen dürfen, dass ihm oder seinen Hinterbliebenen eine Leistung aus dem Zusatzversorgungssystem der AVItech gewährt worden wäre. Der Kläger sei jedoch bereits am 10. November 1988 aus seinem letzten Beschäftigungsverhältnis ausgeschieden. Da er am 30. Juni 1990 keine Beschäftigung mehr ausgeübt habe, erfülle er nicht die sachlichen und betrieblichen Voraussetzungen für eine Einbeziehung in die AVItech. Deshalb habe er auch für Dezember 1991 keinen materiell-rechtlichen Anspruch auf eine Versorgungsleistung gehabt.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 29. April 2004 und des Sozialgerichts Potsdam vom 25. Juni 2003 aufzuheben und die Klagen gegen die Ablehnung der Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der Altersversorgung der technischen Intelligenz sowie der dabei erzielten Arbeitsentgelte im Bescheid vom 3. Mai 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. August 2002 abzuweisen sowie die Anschlussberufung des Klägers zurückzuweisen und die Klage, sie zu verpflichten, einen Zahlungsanspruch gegen einen Versorgungsträger aus Versorgungsrecht für Dezember 1991 festzustellen, abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

1. die Revision zurückzuweisen,

2. den seiner Anschlussberufung stattgebenden Teil im Tenor des Urteils des LSG für das Land Brandenburg vom 29. April 2004 mit der Maßgabe aufrechtzuerhalten, dass die Beklagte verpflichtet wird, "ergänzend" festzustellen, dass er für Dezember 1991 aus bundesrechtlicher Sicht materiell-rechtlich einen Zahlungsanspruch gegen einen Versorgungsträger aus Versorgungsrecht gehabt habe.

Er ist der Auffassung, dass die angefochtene Entscheidung im Lichte der höchstrichterlichen Rechtsprechung rechtlich nicht zu beanstanden sei. Soweit das LSG seiner Anschlussberufung stattgegeben habe, sei im Urteilstenor nicht - wie er beantragt habe - das Wort "ergänzend" mit aufgenommen worden. Eine solche Klarstellung sei deshalb vorzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Anschlussrevision zurückzuweisen.

II

Die Revision der Beklagten ist begründet, die Anschlussrevision des Klägers ist unzulässig.

1. Mit ihrer Revision wendet sich die Beklagte gegen beide Aussprüche im Urteil des LSG. Dies hat sie durch ihren in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat neu gefassten Sachantrag klargestellt.

1.1 Zum einen begehrt sie, das Urteil des LSG aufzuheben, soweit dieses ihre Berufung gegen das Urteil des SG zurückgewiesen hat. Auch wenn sie in ihrem ursprünglichen Revisionsantrag ausdrücklich nur die Aufhebung des Berufungsurteils beantragt hat, hat sie von Anfang an sinngemäß auch die Aufhebung des Urteils des SG erstrebt. Dies folgt schon aus ihrem ausdrücklich gestellten Antrag, die "Klage" abzuweisen, also die Klagen, über die das SG entschieden hat.

1.2 Zum anderen hat die Beklagte sinngemäß von Anfang an im Revisionsverfahren auch die Aufhebung des Berufungsurteils begehrt, soweit das LSG der Anschlussberufung des Klägers stattgegeben hat und ferner - sinngemäß - auch die Abweisung der vor dem LSG erhobenen Klage. Dies ergibt sich aus der Revisionsbegründung, die zur Auslegung des Antrags heranzuziehen ist.

2. Die Revision der Beklagten ist in vollem Umfang begründet.

2.1 Die Entscheidungen der Vorinstanzen verletzen Bundesrecht, soweit sie die Beklagte verpflichtet haben, die Beschäftigungszeiten des Klägers vom 11. Mai 1954 bis 30. November 1988 als Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech und die dabei erzielten Arbeitsentgelte festzustellen. Die Ablehnung der begehrten Feststellungen im Bescheid vom 3. Mai 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. August 2002 ist rechtmäßig, die vom Kläger insoweit zwar zulässig erhobenen Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen sind jedoch unbegründet.

Die Klagen konnten schon deshalb keinen Erfolg haben, weil der Kläger nicht vom persönlichen Anwendungsbereich des AAÜG erfasst wird. Maßstabsnorm ist § 1 Abs 1 AAÜG . Danach gilt das Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften (= Versorgungsberechtigungen), die auf Grund der Zugehörigkeit zu Versorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind (Satz 1). Soweit Regelungen der Versorgungssysteme einen Verlust der Anwartschaft bei einem Ausscheiden aus dem Versorgungssystem vor dem Leistungsfall vorsahen, gilt dieser Verlust als nicht eingetreten (Satz 2).

2.1.1 Der Tatbestand des § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG ist nicht erfüllt; er hätte vorausgesetzt, dass der Kläger in der DDR zunächst durch einen staatlichen Akt in ein Versorgungssystem (hier: in die AVItech) einbezogen und dann zu einem späteren Zeitpunkt entsprechend den Regelungen des Systems ausgeschieden wäre.

2.1.2 Entgegen der Auffassung des LSG war der Kläger auch zu keinem Zeitpunkt Inhaber eines bestehenden Versorgungsanspruchs (= Vollrecht) oder einer bestehenden Versorgungsanwartschaft nach § 1 Abs 1 Satz 1 AAÜG .

Zwar war der Leistungsfall der Invalidität bereits im November 1988 eingetreten, jedoch war dadurch weder ein Versorgungsanspruch noch eine Versorgungsanwartschaft entstanden. Denn der Kläger war - worauf bereits hingewiesen - zu keinem Zeitpunkt auf Grund eines staatlichen Akts oder einer einzelvertraglichen Zusage (vgl hierzu: Urteile des Senats vom 9. und 10. April 2002, SozR 3-8570 § 1 Nr 1 bis 9) in ein Versorgungssystem einbezogen worden. Nach Bundesrecht, wie es im Einigungsvertrag (EinigVtr) ausformuliert worden ist, war bzw ist eine wirksam erfolgte Einbeziehung jedoch unverzichtbare Voraussetzung für das Entstehen eines Versorgungsanspruchs oder einer Versorgungsanwartschaft (stRspr des Bundessozialgerichts >BSG<, stellvertretend: Urteil vom 27. Juli 2004, B 4 RA 9/04 R, zur Veröffentlichung vorgesehen, mwN).

2.1.3 Dem Anwendungsbereich des AAÜG konnte der Kläger nur unterfallen, wenn er eine fiktive Versorgungsanwartschaft iS der vom Senat vorgenommenen erweiternden Auslegung des § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG gehabt hätte. Auch diese Voraussetzung ist nicht erfüllt.

Für die Anwendbarkeit des AAÜG kommt es nach ständiger Rechtsprechung des Senats auf die am 30. Juni 1990 gegebene Sachlage mit Blick auf die bundesrechtliche Rechtslage am 1. August 1991, dem Inkrafttreten des AAÜG , an. Dies folgt aus den primär- und sekundärrechtlichen Neueinbeziehungsverboten des EinigVtr. So untersagt der EinigVtr primärrechtlich in der Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr 9 Buchst a Neueinbeziehungen ab 3. Oktober 1990. Darüber hinaus ordnet der EinigVtr in Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet F Abschnitt III Nr 8 - wenn auch mit Modifikationen - die sekundärrechtliche Weitergeltung des Rentenangleichungsgesetzes der DDR (RAnglG-DDR) an, das Neueinbeziehungen ab 1. Juli 1990 untersagt hat (§ 22 Abs 1 Satz 1 RAnglG-DDR). Da letztlich auf Grund dieser Regelungen Neueinbeziehungen in ein Zusatzversorgungssystem ab 1. Juli 1990 nicht mehr zulässig waren, ist darauf abzustellen, ob der Betroffene nach den tatsächlichen Gegebenheiten bei Schließung der Zusatzversorgungssysteme (30. Juni 1990) einen "Anspruch" auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätte.

Bei dieser Bewertung ist auf die Regelungen der Versorgungssysteme abzustellen, wie sie sich aus den Texten der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (nachfolgend: VO-AVItech) vom 17. August 1950 (GBl S 844) und der Zweiten Durchführungsbestimmung zur VO-AVItech (nachfolgend: 2. DB) vom 24. Mai 1951 (GBl S 487) ergeben. Nach § 1 VO-AVItech iVm § 1 Abs 1 und 2 2. DB hing ein solcher Anspruch von drei (persönlichen, sachlichen und betrieblichen) Voraussetzungen ab. Generell war dieses System eingerichtet für

- Personen, die berechtigt waren, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen und

- die entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt haben, und zwar

- in einem volkseigenen oder diesem gleichgestellten Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens.

Am 30. Juni 1990 erfüllte der Kläger zwar die persönliche Voraussetzung für eine Einbeziehung in die AVItech, da er berechtigt war, den Titel eines Diplom-Ingenieurs zu führen, dagegen waren die sachliche und die betriebliche Voraussetzung zu diesem Zeitpunkt nicht gegeben. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt weder eine ingenieurtechnische Tätigkeit ausgeübt, noch war er in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der genannten Art beschäftigt; denn er ist bereits im November 1988 aus dem Erwerbsleben wegen Invalidität ausgeschieden. Aus welchen Gründen vor dem 30. Juni 1990 eine der drei Voraussetzungen entfallen ist, ist unerheblich (vgl hierzu auch: Urteile des Senats vom 29. Juli 2004, B 4 RA 4/04 R, zur Veröffentlichung vorgesehen, und B 4 RA 12/04 R; ferner Urteil vom 8. Juni 2004, B 4 RA 56/03 R). Denn lag am 30. Juni 1990 eine der Voraussetzungen nicht vor, bestand bei Schließung der Zusatzversorgungssysteme kein "Anspruch" auf Erteilung einer Versorgungszusage, der am 1. August 1991 als fiktive Versorgungsanwartschaft den Anwendungsbereich des AAÜG hätte eröffnen können.

2.1.4 Eine Gleichstellung weiterer Personen, die - wie der Kläger - vor dem 30. Juni 1990 aus einem an sich von einem Versorgungssystem erfassten Beschäftigungsverhältnis ausgeschieden waren und deshalb nach den zu sekundärem Bundesrecht gewordenen Regelungen der Zusatzversorgungssysteme (hier: AVItech) am 30. Juni 1990 die Voraussetzungen für eine fiktive Versorgungsanwartschaft Nichteinbezogener nicht erfüllten, ist von Verfassungs wegen nicht geboten. Der Bundesgesetzgeber durfte an die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung vorgefundene Ausgestaltung der Versorgungssysteme in der DDR sowie an die gegebene versorgungsrechtliche Lage der Betroffenen ohne Willkürverstoß anknüpfen und damit ua zu Grunde legen, dass nur derjenige in das Zusatzversorgungssystem der AVItech einbezogen werden durfte, der am 30. Juni 1990 in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder in einem gleichgestellten Betrieb beschäftigt war. Art 3 Abs 1 und 3 Grundgesetz gebietet nicht, von jenen zu sekundärem Bundesrecht gewordenen Regelungen der Versorgungssysteme sowie den historischen Fakten, aus denen sich etwa Ungleichheiten ergeben, abzusehen und sie "rückwirkend" zu Lasten der heutigen Beitrags- und Steuerzahler auszugleichen (stRspr des BSG, vgl stellvertretend: Urteil vom 29. Juli 2004, B 4 RA 4/04 R, mwN, zur Veröffentlichung vorgesehen, vgl hierzu auch entsprechend: BVerfG, Beschluss vom 4. August 2004, 1 BvR 1557/01, NVwZ 2005, 81 ).

2.1.5 Soweit sich das LSG auf die Entscheidung des Senats vom 23. Juni 1998 (SozR 3-8570 § 5 Nr 4) berufen hat, hat es verkannt, dass diese Entscheidung zu § 5 AAÜG ergangen ist, der einen von § 1 Abs 1 AAÜG abweichenden Prüfungsmaßstab beinhaltet. Das LSG ist somit zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Kläger dem persönlichen Anwendungsbereich des AAÜG unterfällt. Die Revision der Beklagten hat mithin insoweit Erfolg.

2.2 Die Revision der Beklagten hat auch Erfolg, soweit sie die Aufhebung des Berufungsurteils, die Zurückweisung der Anschlussberufung und - sinngemäß - die Abweisung der vor dem LSG erhobenen Klage begehrt. Die Anschlussberufung ist ebenso wie die Klage bereits unzulässig.

2.2.1 Die unselbstständige Anschlussberufung war schon deshalb unzulässig, weil sie nicht den gleichen prozessualen Anspruch (vgl BSG SozR 3-1500 § 96 Nr 6; SozR 3-1500 § 29 Nr 1) wie die selbstständige Berufung der Beklagten betraf (vgl BSG, Urteil vom 23. Juni 1998, B 4 RA 33/97 R, mwN) und damit ein neuer Streitgegenstand in das Verfahren eingeführt worden ist.

Der prozessuale Anspruch ergibt sich durch das vom Kläger auf Grund eines konkreten Sachverhalts an das Gericht gerichtete und im Klageantrag zum Ausdruck gekommene Begehren sowie aus dem Klagegrund, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll (vgl BSG SozR 3-1500 § 29 Nr 1 mwN). Hier war Gegenstand des Verfahrens allein die vom SG ausgesprochene Verpflichtung, Zugehörigkeitszeiten zur AVItech und dabei erzielte Arbeitsentgelte festzustellen, nicht jedoch die Feststellung eines Versorgungsanspruchs für Dezember 1991. Der Kläger hat vielmehr erstmals die Feststellung eines Versorgungsanspruchs für Dezember 1991 im Berufungsverfahren geltend gemacht. Hierbei handelt es sich jedoch um einen prozessualen Anspruch, der nicht mit dem Anspruch im Zusammenhang stand, der Gegenstand des Verfahrens vor dem SG und auch der Berufung der Beklagten gewesen ist. Denn der prozessuale Anspruch auf Feststellung von Zugehörigkeitszeiten zur AVItech und der dabei erzielten Arbeitsentgelte, die für die Bewertung einer fiktiven Vorleistung für die Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland maßgebend sind, beurteilt sich materiell-rechtlich nach den §§ 1 Abs 1 , 5 und 8 AAÜG . Hingegen beurteilt sich der vom Kläger mit der Anschlussberufung geltend gemachte Anspruch auf eine Versorgungsrente für Dezember 1991 nicht nach dem erst am 1. August 1991 in Kraft getretenen AAÜG ; dieses Gesetz regelt gerade nicht, ob ein Recht auf eine Zusatzversorgungsrente für Dezember 1991 bestanden hat (vgl Urteil des erkennenden Senats vom 27. Juli 2004, B 4 RA 9/04 R). Materiell-rechtlich bestimmt sich die vom Kläger begehrte Feststellung des Bestehens eines Versorgungsanspruchs aus der AVItech für Dezember 1991 allein nach dem zu diesem Zeitpunkt durch den EinigVtr geschaffenen primären Bundesrecht und den bis zum 31. Dezember 1991 als sekundäres Bundesrecht fortgeltenden Bestimmungen des Versorgungssystems, hier der AVItech. Die Anschlussberufung betraf damit nicht den gleichen prozessualen Anspruch wie die Berufung der Beklagten. Sie war daher unzulässig.

2.2.2 Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG die Klage erweitert und begehrt hat, die Beklagte zu verpflichten, für Dezember 1991 einen Zahlungsanspruch gegen einen Versorgungsträger aus Versorgungsrecht festzustellen, ist diese Klage unzulässig.

Das LSG war nicht befugt, über diese Verpflichtungsklage zu entscheiden, auch wenn sich die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung auf die Erweiterung iS einer Klageänderung eingelassen hatten (§ 99 Abs 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz >SGG<). Denn auch eine zulässige Klageänderung entbindet das Gericht nicht, die Zulässigkeit der geänderten Klage zu prüfen, da für diese sämtliche Sachentscheidungsvoraussetzungen vorliegen müssen, also bei der Verpflichtungsklage auch diejenige eines im Vorverfahren angegriffenen und überprüften Verwaltungsakts (§§ 54 Abs 1 , 78 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 SGG ). Über den mit der Klageerweiterung geltend gemachten Zahlungsanspruch hat die Beklagte aber nicht zuvor durch in einem Vorverfahren überprüften Verwaltungsakt entschieden, sodass die Klage - als unzulässig - abzuweisen war.

3. Das Begehren des Klägers, den Ausspruch des Berufungsurteils teilweise neu zu fassen, ist iS einer unselbstständigen Anschlussrevision zu werten. Diese ist unzulässig. Das LSG hat der Anschlussberufung in vollem Umfang stattgegeben. Damit fehlt es an der für die Anschlussrevision insoweit erforderlichen Beschwer (BFH, Urteil vom 29. Oktober 2002, BFHE 200, 66 ; BGH, Urteil vom 31. Mai 1995, LM ZPO § 556 Nr 29).

4. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Revision der Beklagten in vollem Umfang begründet, die Anschlussrevision des Klägers dagegen unzulässig ist.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183 , 193 SGG .

Vorinstanz: Landessozialgericht für das Land Brandenburg - L 1 RA 205/03 - 29.04.2004,
Vorinstanz: SG Potsdam, vom 25.06.2003 - Vorinstanzaktenzeichen 16 RA 825/02