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BSG - Entscheidung vom 31.05.2005

B 12 KR 27/04 B

Normen:
EG Art. 12
EGAbk BGR Art. 39 Abs. 1 Art. 39 Abs. 2
SGG § 160a Abs. 2 S. 3

BSG, Beschluß vom 31.05.2005 - Aktenzeichen B 12 KR 27/04 B

DRsp Nr. 2005/12103

Diskriminierung bei der Zusammenrechnung von Versicherungs-, Beschäftigungs- bzw Aufenthaltszeiten beim Zugang zur KVdR

Die Voraussetzung für eine Diskriminierung, dass Angehörige der Mitgliedstaaten untereinander oder bulgarische Staatsangehörige im Verhältnis zu Angehörigen der Mitgliedstaaten unterschiedlich behandelt werden, soweit es um die Zusammenrechnung von Versicherungs-, Beschäftigungs- bzw Aufenthaltszeiten geht, lässt sich dem Europa-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den europäischen Gemeinschaften sowie ihren Mitgliedstaaten und der Republik Bulgarien vom 7.10.1994 nicht entnehmen. [Nicht amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Normenkette:

EG Art. 12 ; EGAbk BGR Art. 39 Abs. 1 Art. 39 Abs. 2 ; SGG § 160a Abs. 2 S. 3 ;

Gründe:

Die Beteiligten streiten im Hauptsacheverfahren darüber, ob der Kläger die Voraussetzungen für die Versicherungspflicht als Rentner in der Krankenversicherung erfüllt.

Der Kläger, der im Juli 2000 einen Rentenantrag stellte und seit Dezember 2000 Rente bezieht, war von 1974 bis 1979 in Bulgarien beschäftigt. Davor und danach arbeitete er im Beitrittsgebiet. Die Beklagte berücksichtigte die Beschäftigungszeiten in Bulgarien nicht als Vorversicherungszeiten für die Versicherungspflicht als Rentner in der Krankenversicherung und lehnte die Versicherungspflicht ab. Klage und Berufung, mit der der Kläger geltend machte, die Beschäftigungszeiten in Bulgarien müssten als Vorversicherungszeit berücksichtigt werden, blieben erfolglos.

Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.

Die Beschwerde ist unzulässig, denn die als Zulassungsgrund geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz ( SGG ) gebotenen Weise dargelegt.

Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache lässt sich nur darlegen, indem die Beschwerdebegründung ausführt, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN; vgl auch: BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7).

Der Kläger wirft zunächst die Frage auf,

"ob die in Artikel 39 Absatz 1 Spiegelstrich 1 des Gesetzes zu dem Europa-Abkommen vom 08.03.1993 zur Gründung einer Assoziation zwischen den europäischen Gemeinschaften sowie ihren Mitgliedsstaaten und der Republik Bulgarien vom 07.10.1994 zurückgelegten (gemeint ist: bezeichneten) Versicherungs- bzw. Beschäftigungszeiten in Bulgarien jedenfalls im Rahmen der Krankenversicherung aufgrund des Verbotes der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit im Rahmen der Artikel 7 EWG, Artikel 12 EG auch bei der erforderlichen Vorversicherungszeit für die KVdR in den Mitgliedsstaaten der EG zusammengerechnet werden müssen?"

Der Kläger macht zur Klärungsbedürftigkeit geltend, der in Art 12 des Vertrages zur Gründung einer Europäischen Gemeinschaft (EGVtr; früher Art 7 EWGVtr) niedergelegte Grundsatz der Nichtdiskriminierung dürfe nicht davon abhängig gemacht werden, ob jemand ein Angehöriger eines Staates ist. Er gewährt nach Ansicht des Klägers einem Arbeitnehmer aus einem der Mitgliedstaaten prinzipiell denselben Schutz, der für Bewohner und Staatsangehörige des betreffenden Staates bestimmt ist. Deshalb müssten zurückgelegte Pflichtversicherungszeiten beim jeweils anderen Staat Berücksichtigung finden.

Mit diesem Vorbringen wird nicht aufgezeigt, dass die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage klärungsbedürftig, dh zweifelhaft ist. Voraussetzung für eine Diskriminierung wäre, dass Angehörige der Mitgliedstaaten untereinander oder bulgarische Staatsangehörige im Verhältnis zu Angehörigen der Mitgliedstaaten unterschiedlich behandelt werden, soweit es um die Zusammenrechnung von Versicherungs-, Beschäftigungs- bzw Aufenthaltszeiten geht. Dies lässt sich den Abkommensvorschriften jedoch nicht entnehmen. Art 39 Abs 1 Spiegelstrich 1 des Abkommens vom 08.03.1993 (iF: Abkommen) ordnet an, dass für bulgarische Arbeitnehmer, die in den einzelnen Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungs-, Beschäftigungs- bzw Aufenthaltszeiten ua bei der Krankheitsfürsorge für sie und ihre Familienangehörigen zusammengerechnet werden. Eine Zusammenrechnung der Versicherungs-, Beschäftigungs- bzw Aufenthaltszeiten in Bulgarien einerseits und in den Mitgliedstaaten andererseits wird mit dieser Vorschrift nicht angeordnet; dh auf Grund dieser Vorschrift können bulgarische Staatsangehörige sich gerade nicht auf eine Zusammenrechnung von Zeiten in Bulgarien und den Mitgliedstaaten berufen. Gleiches gilt für die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten im Verhältnis zu Bulgarien. Nach § 39 Abs 2 des Abkommens gewährt Bulgarien den Arbeitnehmern, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaates und in seinem Gebiet rechtmäßig beschäftigt sind, und deren dort rechtmäßig wohnhaften Familienangehörigen eine Behandlung, die der in Abs 1 unter dem zweiten und dritten Spiegelstrich vorgesehenen Behandlungen entspricht. Auch für Bulgarien gilt demnach, dass eine Zusammenrechnung von in Bulgarien zurückgelegten Zeiten und mitgliedstaatlichen Zeiten nicht vorgeschrieben ist, da die Anwendung des Abs 1 Spiegelstrich 1 gerade nicht vorgesehen ist.

Angesichts dieses Sachverhalts müsste die Beschwerde entweder aufzeigen, dass es ernsthaft zweifelhaft ist, ob in Art 39 Abs 1 des Abkommens nicht auch die Zusammenrechnung von mitgliedstaatlichen Zeiten mit bulgarischen Versicherungszeiten vorgeschrieben ist, soweit es für die Erfüllung von Wartezeiten notwendig ist. Ein Grund dafür, das Abkommen in diesem Sinne zu verstehen, wird in der Beschwerdebegründung jedoch nicht aufgezeigt. Oder die Beschwerde müsste aufzeigen, dass es zweifelhaft ist, ob eine nach Art 12 EGVtr verbotene Diskriminierung vorliegt, auch wenn eine Zusammenrechnung von bulgarischen und mitgliedstaatlichen Zeiten in Art 39 des Abkommens gerade weder für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten noch für bulgarische Staatsangehörige vorgesehen ist. Dies ist eine Frage der Vereinbarkeit von Regelungen in Assoziationsabkommen, die eine nur begrenzte Zusammenrechnung von Versicherungs-, Beschäftigungs- und Aufenthaltszeiten vorsehen, mit den Vorschriften des EGVtr. Die Beschwerdebegründung zeigt nicht auf, weshalb es zweifelhaft sein soll, ob solche Regelungen zulässig sind. Die Aussage, bei Assoziationsabkommen handele es sich um sekundäres Gemeinschaftsrecht, ersetzt nicht die Darlegung, weshalb Regelungen des Assoziationsabkommens mit Gemeinschaftsrecht unvereinbar sein sollen. Die Beschwerde kann sich für beide genannten Gesichtspunkte auch nicht auf die von ihr angeführten Urteile des Europäischen Gerichtshofs ( EuGH ) berufen, deren Inhalt sie ohnehin nicht wiedergibt. Sowohl das Urteil des EuGH vom 2. Februar 1989 - 186/87 (SozR 6030 Art 7 Nr 3) als auch das Urteil vom 26. Oktober 1995 - C-481/93 (SozR 3-6050 Art 38 Nr 1) betreffen nur die Gleichbehandlung von Angehörigen der Mitgliedstaaten bei Sachverhalten, die allein auf Mitgliedstaaten bezogen sind. Das Urteil vom 4. Mai 1999 - C-262/96 (SozR 3-6935 Allg Nr 4) betrifft zwar eine Vorschrift, die auf einem Assoziationsabkommen beruht. Es betrifft aber die Frage, wie ein Gleichbehandlungsgebot von Assoziationsangehörigen und Angehörigen der Mitgliedstaaten zu verstehen ist, wenn ein mitgliedstaatlicher Sachverhalt betroffen ist. Die Frage, wie bulgarische Staatsangehörige bei der Beurteilung mitgliedstaatlicher Sachverhalte zu behandeln sind, stellt sich im vorliegenden Fall jedoch nicht.

Auch soweit die Beschwerde die Rechtsfrage aufwirft,

"ob bei der Berechnung der Voraussetzungen der Vorversicherungszeit für die Aufnahme in die KVdR ausländische Zeiten nach Artikel 38 der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 auch pflichtversicherte Zeiten zu berücksichtigen sind, die ein Arbeitnehmer eines Mitgliedsstaates in einem assoziierten Staat zurückgelegt hat?",

wird die Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage nicht aufgezeigt. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Art 38 EWGV 1408/71 die Zusammenrechnung von Zeiten für die Rentengewährung vorschreibt. Dass die Frage, ob die Vorschrift die Zusammenrechnung von Versicherungszeiten als Voraussetzung für die Pflichtversicherung als Rentner regeln soll, überhaupt ernsthaft erörtert wird oder gar ernsthaft als zweifelhaft angesehen wird, stellt die Beschwerde nicht dar. Darüber hinaus zeigt die Beschwerde aber auch nicht auf, weshalb von der Geltung der EWGV 1408/71 auch Sachverhalte erfasst sein sollen, die in Assoziationsstaaten geschehen sind. Der Kläger hätte zumindest darlegen müssen, dass diese Frage auf Grund der Rechtsprechung des EuGH erwogen werden könnte und dazu auch die in Betracht kommenden Entscheidungen des EuGH anführen müssen.

Wenn der Kläger schließlich die Rechtsfrage aufwirft,

"ob die Zusammenrechnungsbestimmung des Artikel 14 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Bulgarien über Soziale Sicherheit vom 17.12.1997" ... "die in beiden Ländern zurückgelegten Zeiten der Pflichtversicherung, soweit sie nicht zusammenfallen, für die Prüfung der Erfüllung der Vorversicherungszeit in der KVdR zu berücksichtigen ist?",

zeigt er auch hier nicht auf, dass diese Frage klärungsbedürftig, dh ernstlich zweifelhaft ist.

Das genannte Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Bulgarien bezieht sich nicht auf die Krankenversicherung. Der Kläger zeigt nicht auf, weshalb das Abkommen sich auch auf die Zusammenrechnung von Vorversicherungszeiten in der Krankenversicherung erstrecken könnte. Mit dem Vortrag, die Intention des Art 14 dieses Sozialversicherungsabkommens bestehe in der Verhinderung von Rechtsverlusten, wird jedenfalls nicht ausreichend dargelegt, dass eine Erstreckung der Abkommensvorschriften auf die Rechtsvorschriften über die Krankenversicherung ernsthaft in Betracht gezogen werden müsste.

Soweit der Kläger schließlich eine grundsätzliche Rechtsfrage im Zusammenhang mit einem von ihm geltend gemachten Herstellungsanspruch stellt, ist schon die Klärungsfähigkeit nicht hinreichend dargelegt. Der Kläger sieht es als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung an,

"ob ein Krankenversicherungsträger sich eine fehlerhafte Beratung im Sinne des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs durch einen anderen Sozialversicherungsträger wie den Rentenversicherungsträger zurechnen lassen muss, wenn diese organisatorisch durch Gesetz eingebunden ist?"

Die Klärungsfähigkeit dieser Frage ist nicht dargelegt, weil ein Beratungsfehler vom Kläger zwar behauptet, aber nicht aufgezeigt wird, dass das Landessozialgericht (LSG) einen Sachverhalt festgestellt hat, der einen solchen Beratungsfehler ergeben könnte. Der Kläger behauptet allein, der Rentenversicherungsträger habe die Pflicht gehabt, den Kläger auf den möglichen Rechtsverlust bei der Rentenantragstellung hinzuweisen. Der Kläger zeigt jedoch nicht auf, dass das LSG Umstände festgestellt hat, die eine mögliche Beratungspflicht des Rentenversicherungsträgers nahe legen könnten.

Die unzulässige Beschwerde hat der Senat verworfen (§ 160a Abs 4 iVm § 169 SGG ).

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: Thüringer Landessozialgericht - L 6 KR 639/01 - 29.03.2004,
Vorinstanz: SG Altenburg, vom 24.07.2001 - Vorinstanzaktenzeichen S 13 KR 419/01