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BGH - Entscheidung vom 03.02.2005

V ZB 48/04

Normen:
AuslG § 57 Abs. 2
FGG § 28 Abs. 2

BGH, Beschluß vom 03.02.2005 - Aktenzeichen V ZB 48/04

DRsp Nr. 2005/3984

Zurückweisung einer Vorlage betreffend die Zulässigkeit der Anordnung von Abschiebungshaft mangels Divergenz

Normenkette:

AuslG § 57 Abs. 2 ; FGG § 28 Abs. 2 ;

Gründe:

I. Mit Bescheid vom 16. August 2001 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag des Betroffenen, eines jemenitischen Staatsangehörigen, ab und forderte ihn unter Androhung der Abschiebung auf, die Bundesrepublik Deutschland binnen eines Monats ab Rechtskraft des Bescheids zu verlassen. Eine verwaltungsgerichtliche Klage hiergegen blieb erfolglos. Das klageabweisende Urteil ist seit dem 27. August 2004 rechtskräftig.

Zwischenzeitlich war der Betroffene nach Norwegen und - als seine Rückführung nach Deutschland drohte - nach Schweden ausgereist. Auf Ersuchen des Antragstellers hat das Amtsgericht am 3. September 2004, nachdem der Betroffene nach Deutschland zurückgeführt worden war, gegen ihn Abschiebungshaft für die Dauer von längstens drei Monaten angeordnet. Seine dagegen gerichtete sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Am 4. Oktober 2004 wurde er aus der Haft entlassen und in den Jemen abgeschoben. Mit der sofortigen weiteren Beschwerde begehrt er die Feststellung, daß die Abschiebungshaft für die Zeit vom 3. bis zum 24. September 2004 rechtswidrig gewesen ist.

Das Oberlandesgericht möchte diesem Antrag stattgeben, sieht sich daran jedoch durch den Beschluß des Kammergerichts in Berlin vom 22. März 1983 (EZAR 135 Nr. 4) gehindert und hat die Sache deshalb dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.

II. Die Vorlage ist nach § 28 Abs. 2 FGG i.V.m. § 103 Abs. 2 Satz 1 AuslG und § 3 Satz 2 FreihEntzG unzulässig. Die Sache ist daher dem vorlegenden Gericht zur Entscheidung in eigener Zuständigkeit zurückzugeben.

1. Die Vorlage setzt nach § 28 Abs. 2 FGG voraus, daß das Gericht der weiteren sofortigen Beschwerde von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs abweichen will. Dabei muß die Abweichung ein und dieselbe Rechtsfrage betreffen, von deren Beantwortung in beiden Fällen die Entscheidung abhängt. Hinsichtlich der Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit ist der Bundesgerichtshof allerdings an die Auffassung des vorlegenden Gerichts gebunden (ständige Rechtsprechung des BGH, vgl. zuletzt Senat, Beschl. v. 22. Januar 2004, V ZB 51/03, NJW 2004, 938 m.w.N., insoweit in BGHZ 157, 322 , nicht abgedruckt). Hingegen unterliegt die Frage, ob tatsächlich ein Abweichungsfall vorliegt, der uneingeschränkten Nachprüfung durch den Bundesgerichtshof (Senat, BGHZ 7, 339, 341 f.; Beschl. v. 1. Juli 1993, V ZB 19/93, NJW 1993, 3069 ; BGH, Beschl. v. 16. Juli 1997, XII ZB 97/96, NJW-RR 1997, 1162 ).

2. Das vorlegende Gericht vertritt den Standpunkt, daß der Betroffene in dem von dem Feststellungsantrag erfaßten Zeitraum nicht vollziehbar ausreisepflichtig gewesen sei (§ 42 Abs. 2 AuslG ), weil die ihm gesetzte Ausreisefrist noch nicht abgelaufen war. In diesem Punkt erblickt es eine Abweichung von der Entscheidung des Kammergerichts, das die Auffassung vertreten hat, daß die in dem behördlichen Bescheid gewährte Frist zur freiwilligen Ausreise (unter Überwachung durch die Behörde) dem Betroffenen nicht allein durch seine Inhaftierung genommen werde. Es stehe ihm frei, die Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise zu erklären und damit die Voraussetzungen der Haftentlassung zu schaffen. Aus diesen unterschiedlichen Erwägungen ergibt sich vorliegend kein Abweichungsfall im Sinne der Norm. Denn die Vergleichsentscheidung des Kammergerichts ist auf einer anderen Rechtsgrundlage ergangen. Die gesetzliche Regelung hat seitdem durchgreifende Änderungen erfahren, so daß die jetzt zu treffende Entscheidung nicht mehr dieselbe Rechtsfrage betrifft wie die vom Kammergericht entschiedene (vgl. dazu Senat, Beschl. v. 1. Juli 1993, V ZB 19/93, NJW 1993, 3069 ).

a) Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Kammergerichts waren die Voraussetzungen der Abschiebungshaft in § 16 des Ausländergesetzes vom 28. April 1965 (BGBl. I S. 353) geregelt. Nach dem generalklauselartig formulierten Absatz 2 dieser Norm war "ein Ausländer in Abschiebungshaft zu nehmen, wenn die Haft zur Sicherung der Abschiebung erforderlich" war. Ob diese Regelung die Anordnung von Abschiebungshaft vor Ablauf einer behördlich gesetzten Ausreisefrist erlaubte, wie das Kammergericht angenommen hat, war schon seinerzeit umstritten (a.A. OLG Frankfurt, InfAuslR 1985, 213; 1986, 69; 1988, 138).

b) Das Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 9. Juli 1990 (BGBl. I S. 1354) brachte keine wesentlichen Änderungen. In § 57 Abs. 2 AuslG fand sich die nur geringfügig überarbeitete Generalklausel der Vorgängervorschrift wieder. Abschiebungshaft war danach anzuordnen, wenn der begründete Verdacht bestand, daß der Ausländer sich der Abschiebung entziehen wollte.

c) Grundlegend anders ist aber die für das vorlegende Gericht maßgebliche Rechtsgrundlage für die Anordnung von Abschiebungshaft. Das insoweit einschlägige Gesetz zur Neuregelung des Asylverfahrens vom 26. Juli 1992 (BGBl. I S. 1126) hält zwar in § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AuslG an der bisherigen Generalklausel fest, ergänzt diese aber um vier weitere Haftgründe (§ 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 4 AuslG ). Insbesondere enthält die Vorschrift nunmehr in Nr. 2 eine spezielle Regelung für die Sachverhalte, die - wie hier - durch ein zwischenzeitliches Untertauchen des Betroffenen gekennzeichnet sind. In solchen Fällen ist zwingend Abschiebungshaft anzuordnen, wenn die Ausreisefrist abgelaufen war und der Ausländer seinen Aufenthaltsort gewechselt hatte, ohne der Ausländerbehörde eine Anschrift angegeben zu haben, unter der er hätte erreicht werden können. Mit Einführung dieses Haftgrundes bedarf es nicht mehr der nach früherem, für das Kammergericht maßgeblichen Rechtszustand erforderlichen Einzelfallprognose, der untergetauchte Ausländer werde sich ohne Haftandrohung der Abschiebung wahrscheinlich entziehen. Vielmehr begründet das Gesetz insoweit eine Vermutung, die dem gesetzgeberischen Ziel, die Anordnung der Abschiebehaft zu erleichtern (BT-Drucks. 12/2062, S. 26, 45), Rechnung trägt.

Diese Änderung hat Auswirkungen auf die Frage, deren Beantwortung nach Auffassung des vorlegenden Gerichts eine Divergenz zu der Entscheidung des Kammergerichts begründet.

aa) § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AuslG hat zur Voraussetzung, daß eine behördlich gesetzte Ausreisefrist abgelaufen ist. Fehlt es daran, scheidet der besondere Haftgrund dieser Norm aus. Das macht aber nicht ohne weiteres den Weg frei zu den Erwägungen des vorlegenden Gerichts, die sich auf die Generalklausel des § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AuslG stützen. Dies hängt vielmehr davon ab, in welchem Verhältnis Nr. 2 und Nr. 5 der Norm zueinander stehen. Gesichert erscheint, daß der Anwendungsbereich der Generalklausel durch Einführung der besonderen Haftgründe in § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 4 AuslG gegenüber der früheren Rechtslage weitgehend eingeengt wurde (Hailbronner, Ausländerrecht, LoseBl., Stand Oktober 2003, § 57 Rdn. 36). Sie kommt erst in Betracht, wenn der Fall nicht von einem der besonderen Haftgründe erfaßt wird. Zweifelhaft ist, ob diese besonderen Haftgründe für ihren Bereich eine abschließende Regelung darstellen und somit einen Rückgriff auf die Generalklausel verwehren. Bejaht man dies (so Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl., § 57 AuslG Rdn. 12; a.A. GK/Ausländerrecht/Remmel, LoseBl., Stand Juni 1998, § 57 Rdn. 196; wohl auch Hailbronner aaO., § 57 Rdn. 17), so bedeutete dies für den vorliegenden Fall, daß das Untertauchen eines Ausländers allein unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AuslG die Anordnung von Abschiebungshaft rechtfertigt, nicht aber daneben einen Verdacht im Sinne der Generalklausel des § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AuslG begründen kann.

bb) Dadurch wird deutlich, daß sich die Frage, ob Abschiebehaft erst nach Ablauf einer dem Betroffenen gesetzten Ausreisefrist angeordnet werden kann, für das Kammergericht und für das vorlegende Gericht nach ganz unterschiedlichen Kriterien beantwortet. Das Kammergericht hatte diese Frage nur auf der Grundlage der Generalklausel zu entscheiden, das vorlegende Gericht möglicherweise nur auf der Grundlage der speziellen Regelung des § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AuslG . Selbst wenn ihm aber der Weg zu der Generalklausel nicht generell versperrt ist, ist die Frage nach der Bedeutung der Ausreisefrist nicht dieselbe, die sich für das Kammergericht gestellt hat. Denn es bliebe auch in diesem Fall zu prüfen, ob das Erfordernis des Fristablaufs zumindest dann auch für Nr. 5 der Norm zu verlangen ist, wenn sich der Verdacht auf solche Umstände gründet, die in Nr. 2 geregelt sind. Die Generalklausel ist gegenüber der früheren Rechtslage zwar formal gleichgeblieben. Materiell hat sie sich aber inhaltlich und was ihre Reichweite anbelangt geändert. Damit stellen sich unterschiedliche Rechtsfragen.

Vorinstanz: OLG Düsseldorf,