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BGH - Entscheidung vom 07.07.2005

IX ZB 523/02

Normen:
ZPO (bis 31.12.2001) § 519 Abs. 2 § 233

BGH, Beschluß vom 07.07.2005 - Aktenzeichen IX ZB 523/02

DRsp Nr. 2005/11390

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wegen unrichtiger Berechnung in der Übergangszeit; Nichtbefolgung einer mündlichen Anweisung

Wird die Eintragung einer Rechtsmittelfrist oder einer Rechtsmittelbegründungsfrist nur durch mündliche Einzelanweisung veranlasst, so müssen in der Rechtsanwaltskanzlei ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen werden, dass die Anweisung in Vergessenheit gerät und die korrekte Fristeintragung unterbleibt. Dabei bestehen Zweifel an der Zuverlässigkeit des hier angewiesenen Bürovorstehers, weil schon vorher einen Irrtum bei der Berechnung der Berufungsbegründungsfrist in der Übergangszeit vom alten zum neuen Recht übersehen hat.

Normenkette:

ZPO (bis 31.12.2001) § 519 Abs. 2 § 233 ;

Gründe:

I. Das Landgericht hat auf die mündliche Verhandlung vom 5. Dezember 2001 die Beklagte am 16. Januar 2002 antragsgemäß verurteilt. Das Urteil ist den Prozeßbevollmächtigten der Beklagten nach ihrem Empfangsbekenntnis am 1. März 2002 zugestellt worden. Die Beklagte hat gegen dieses Urteil am 21. März 2002 Berufung eingelegt. Am 25. April 2002 hat sie um Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gebeten. Auf den Hinweis des Kammergerichts, daß die Begründungsfrist nach altem Berufungsrecht zu bestimmen und bereits am 22. April 2002 abgelaufen sei, hat die Beklagte am 6. Mai 2002 ihre Berufung begründet und Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist beantragt.

Die Beklagte hat ausgeführt, sie sei ohne eigenes oder ihr zurechenbares Verschulden gehindert gewesen, die Begründungsfrist einzuhalten. Im vorliegenden Fall sei die Berufungsbegründungsfrist irrtümlich nach neuem Recht berechnet und eingetragen worden. Deshalb habe Rechtsanwalt H., welcher den Fehler bei Aktenvorlage zur Einlegung der Berufung bemerkt habe, am 21. März 2002 mündlich den Bürovorsteher T. angewiesen, die eingetragene Begründungsfrist zu löschen und sie nach altem Recht auf einen Monat ab Einreichung der Berufungsschrift einzutragen. T. habe dies aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen unterlassen. Die Handakte sei erst zur Vorfrist der unrichtig eingetragenen Begründungsfrist am 22. April 2002 Rechtsanwalt H. erneut vorgelegt worden. Dieser habe sie aus Zeitgründen erst am Folgetag, also nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist, bearbeitet.

Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Kammergericht den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt: In der Zeit des Übergangs von der Geltung des alten zu der des neuen Berufungsrechts habe einem besonderen Risiko für die Richtigkeit der eingetragenen Fristen durch geeignete organisatorische Maßnahmen begegnet werden müssen. Es sei nicht ausreichend gewesen, lediglich die Mitarbeiter zu schulen. Vielmehr seien Vorkehrungen geboten gewesen, welche die Kontrolle der eingetragenen Fristen auf das nach den Übergangsbestimmungen anwendbare Berufungsrecht sicherten. Da solche Sicherungsmaßnahmen nicht dargelegt worden seien, könne die Fristversäumnis der Beklagten nicht als unverschuldet angesehen werden.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Rechtsbeschwerde, welche die Ansicht vertritt, daß Rechtsanwalt H. auf die Befolgung seiner mündlichen Anweisung vom 21. März 2002 habe vertrauen dürfen. Das Berufungsgericht habe in seiner Entscheidung außerdem an die Organisation der Rechtsanwaltskanzlei zu hohe Sorgfaltsanforderungen gestellt.

II. Die gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil keiner der in § 574 Abs. 2 ZPO genannten Zulässigkeitsgründe vorliegt. Die Rechtsfragen, die der Beschwerdefall aufwirft, sind höchstrichterlich geklärt.

1. Die von der Rechtsbeschwerde als grundsätzlich angesehene Rechtsfrage, welche organisatorischen Vorkehrungen ein Rechtsanwalt im allgemeinen treffen muß, um in der Übergangszeit von der Geltung alten Berufungsrechts auf das durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887) mit Wirkung zum 1. Januar 2002 eingeführte neue Berufungsrecht die auf der Anwendung des falschen Rechts beruhende Versäumung von Rechtsmittelfristen und Rechtsmittelbegründungsfristen zu vermeiden, ist hier nicht entscheidungserheblich. Denn die in Anwendung des neuen Berufungsrechts nach § 26 Nr. 5 EGZPO fehlerhaft notierte Berufungsbegründungsfrist wäre rechtzeitig berichtigt worden, wenn der Bürovorsteher T. die mündliche Einzelanweisung des Rechtsanwalts H. vom 21. März 2002 ausgeführt hätte. Allerdings trifft der Standpunkt des Berufungsgerichts zu, daß die bloße Belehrung und Schulung des Büropersonals zu der geänderten Berufungsbegründungsfrist des Zivilprozeßreformgesetzes vom 27. Juli 2001 Fristversäumnissen organisatorisch nicht ausreichend vorbeugte (vgl. BGH, Beschl. v. 5. November 2003 - XII ZB 140/02, BGH-Report 2004, 330, 331).

2. Die Prüfung, ob Rechtsanwalt H. auf die Ausführung seiner Weisung vom 21. März 2002 vertrauen durfte, berührt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf der Rechtsanwalt im allgemeinen darauf vertrauen, daß eine zuverlässige Bürokraft Anweisungen, die keine besonderen Schwierigkeiten bieten, ordnungsgemäß ausführt (BGH, Beschl. v. 27. November 1990 - VI ZB 22/90, NJW 1991, 1179; v. 10. Oktober 1991 - VII ZB 4/91, NJW 1992, 574 ; v. 23. April 1997 - XII ZB 56/97, NJW 1997, 1930; v. 18. März 1998 - XII ZB 180/96, NJW-RR 1998, 1360 ; v. 6. Juli 2000 - VII ZB 4/00, NJW 2000, 2823 ; v. 23. November 2000 - IX ZB 83/00, NJW 2001, 1578 , 1579). Wird allerdings die Eintragung einer Rechtsmittelfrist oder einer Rechtsmittelbegründungsfrist nur durch mündliche Einzelanweisung veranlaßt, so müssen in der Rechtsanwaltskanzlei ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen werden, daß die Anweisung in Vergessenheit gerät und die korrekte Fristeintragung unterbleibt; das gebietet die Bedeutung der Sache (BGH, Beschl. v. 17. September 2002 - VI ZR 419/01, NJW 2002, 3782 , 3783; v. 5. November 2002 - VI ZR 399/01, NJW 2003, 435 , 436; v. 4. November 2003 - VI ZB 50/03, NJW 2004, 688 , 689; v. 22. Juni 2004 - VI ZB 10/04, BGH-Report 2004, 1445; vgl. auch BAGE 78, 184 , 186 f.). Das Fehlen jeder Sicherung gegen ein solches Versäumnis enthält einen entscheidenden Organisationsmangel (vgl. BGH, Beschl. v. 22. Juni 2004 aaO.). Diese bereits geklärten und zutreffenden Rechtsgrundsätze hat das Berufungsgericht bei seiner angefochtenen Entscheidung auf den Einzelfall angewendet. Im Beschwerdefall kam hinzu, daß die behauptete allgemeine Zuverlässigkeit des Bürovorstehers - anders als in dem Sachverhalt, der dem Beschluß des XII. Zivilsenats vom 4. Juni 2003 ( XII ZB 86/02, NJW-RR 2003, 1578 ) zugrundelag - bereits in Frage gestellt erschien, weil er bei seiner Kontrolle den Irrtum der fehlerhaft nach neuem Recht berechneten Berufungsbegründungsfrist übersehen hatte.

Vorinstanz: KG, vom 19.08.2002