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BGH - Entscheidung vom 05.04.2005

VIII ZB 41/04

Normen:
ZPO § 520 Abs. 2 § 233 § 234

BGH, Beschluß vom 05.04.2005 - Aktenzeichen VIII ZB 41/04 - Aktenzeichen VIII ZB 42/04

DRsp Nr. 2005/6420

Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wegen Nichtbefolgens einer Anweisung an das Büropersonal

Den Prozessbevollmächtigten trifft kein Verschulden an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist, wenn er es unterlässt, seine Sekretärin auf die von ihm erkannte falsche Fristberechnung hinzuweisen oder für eine Berichtigung des in der EDV gespeicherten Datums des Fristablaufs zu sorgen. Dazu besteht kein Anlass, wenn er die konkrete Weisung erteilt, die Berufungsbegründung "noch heute per Fax" an das Oberlandesgericht zu übermitteln, bei deren Befolgung die Frist gewahrt worden wäre. Der Prozessbevollmächtigte muss nicht in Betracht ziehen, daß die Sekretärin die Dringlichkeit anders beurteilen und die Weisung aus diesem Grund nicht ausführen wird.

Normenkette:

ZPO § 520 Abs. 2 § 233 § 234 ;

Gründe:

I. Gegen das ihnen am 4. September 2003 zugestellte Urteil des Landgerichts haben die Beklagten, anwaltlich vertreten durch den Beklagten zu 2, am 6. Oktober 2004, einem Montag, Berufung eingelegt. Die Begründung ist erst am 5. November 2004 und damit nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist bei dem Oberlandesgericht eingegangen. Gegen die Fristversäumung haben die Beklagten am 12. November 2004 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung haben sie vorgetragen:

Der Beklagte zu 2 habe die Akte mit dem Diktat der Berufungsbegründung am Vormittag des 4. November 2004 auf den Tisch seiner langjährigen Sekretärin F., einer hervorragend ausgebildeten und stets zuverlässigen Fachkraft, gelegt und diese auf einem gelben Merkzettel schriftlich angewiesen: "Achtung! Fristsache, bitte sofort erledigen und noch heute per Fax an OLG". Das habe der Beklagte zu 2 auch deswegen getan, weil ihm bei der Bearbeitung der Akte aufgefallen sei, daß die Berufungsbegründungsfrist fälschlicherweise auf den 6. November 2004 notiert gewesen sei. Danach habe der Beklagte zu 2 das Büro wegen der Erkrankung an einer schweren Angina mit hohem Fieber verlassen. Die Sekretärin F. habe sich die Akte bereit gelegt, um weisungsgemäß die Berufungsbegründung zu fertigen, diese durch den - ebenfalls beim Oberlandesgericht zugelassenen - Rechtsanwalt R. aus der Kanzlei des Beklagten zu 2 unterschreiben zu lassen und anschließend per Fax an das Oberlandesgericht zu übersenden. In der Mittagspause sei sie jedoch an Übelkeit und Erbrechen erkrankt. Sie habe sich deswegen in der Kanzlei für den Nachmittag entschuldigt, dabei jedoch versäumt, den Eilauftrag des Beklagten zu 2 an ihre Kollegin H. weiterzugeben.

Zur Glaubhaftmachung haben die Beklagten sich auf die anwaltliche Versicherung des Beklagten zu 2 bezogen sowie zwei eidesstattliche Versicherungen der Sekretärin F. vorgelegt.

II. Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag durch Beschluß vom 2. März 2004 zurückgewiesen und die Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist durch Beschluß vom 15. März 2004 als unzulässig verworfen. Zur Begründung des erstgenannten Beschlusses hat das Oberlandesgericht ausgeführt:

Nach dem Vorbringen der Beklagten sei nicht auszuschließen, daß der Beklagte zu 2 als ihr Prozeßbevollmächtigter schuldhaft eine zurechenbare Ursache für die Versäumung der zweimonatigen Berufungsbegründungsfrist gesetzt habe. Zwar dürfe ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen, daß eine Kanzleikraft, die sich bisher als zuverlässig erwiesen habe, eine konkrete Einzelanweisung befolge. Bedenken seien hier aber deshalb angezeigt gewesen, weil der Beklagte zu 2 erkannt habe, daß der Fristablauf von der angewiesenen Angestellten falsch notiert worden sei. Er habe mithin in Betracht ziehen müssen, daß die Angewiesene die Dringlichkeit nicht so wie von ihm angenommen beurteilen würde. Der Beklagte zu 2 sei daher gehalten gewesen, entweder auf die falsche Fristberechnung hinzuweisen oder für eine Berichtigung des in der EDV gespeicherten Datums des Fristablaufs zu sorgen, so daß spätestens im Zuge der täglich gebotenen Postausgangskontrolle anhand des Fristkalenders rechtzeitig die drohende Fristversäumung hätte erkannt und verhindert werden können. Daß dieses Säumnis des Beklagten zumindest für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist mitursächlich geworden sei, könne jedenfalls nicht ausgeschlossen werden.

III. 1. Die gegen die beiden vorgenannten Beschlüsse des Oberlandesgerichts nach § 575 ZPO form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde der Beklagten ist gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist auch nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig. Die angefochtenen Beschlüsse verletzen die Beklagten in ihrem verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes, weil sie ihnen gemäß den nachstehenden Ausführungen den Zugang zu dem von der Zivilprozeßordnung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschweren (vgl. BGH, Beschluß vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03, NJW 2004, 367 unter II 1 m.w.Nachw.).

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

a) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht den Beklagten durch den Beschluß vom 2. März 2004 die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagt. Die Beklagten waren ohne ihr Verschulden verhindert, die vorgenannte Frist einzuhalten (§ 233 ZPO ). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts trifft auch den Beklagten zu 2 als ihren Prozeßbevollmächtigten kein Verschulden an der Fristversäumung, das sich die Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müssen.

Wie auch das Berufungsgericht nicht verkannt hat, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein der Partei zuzurechnendes Verschulden ihres Rechtsanwalts an der Fristversäumung grundsätzlich nicht gegeben, wenn der Anwalt seiner bislang zuverlässigen, hinreichend geschulten und überwachten Kanzleiangestellten eine konkrete Einzelweisung erteilt, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte; der Anwalt darf vielmehr grundsätzlich auf die Ausführung der Weisung durch die Angestellte vertrauen (zuletzt z. B. Beschluß vom 9. Dezember 2003 - VI ZB 26/03, NJW-RR 2004, 711 unter II m.zahlr.w.Nachw.). So ist es hier. Der Beklagte zu 2 hat seine langjährige Sekretärin F., die sich bislang als zuverlässig erwiesen hatte, am Morgen des letzten Tages der zweimonatigen Berufungsbegründungsfrist (§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO ) unter besonderem Hinweis auf die Bedeutung der Angelegenheit ("Achtung! Fristsache") schriftlich angewiesen, die Sache "sofort" zu erledigen und "noch heute per Fax" an das Oberlandesgericht zu übersenden. Hätte die Kanzleiangestellte F. diese Weisung befolgt, wäre die Berufungsbegründungsfrist gewahrt worden.

Entgegen den Zweifeln des Berufungsgerichts konnte der Beklagte zu 2 davon ausgehen, daß seine langjährige und erfahrene Mitarbeiterin die Weisung richtig verstehen würde. Diese Erwartung hat sich insoweit bestätigt, als die Sekretärin ausweislich ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 10. November 2003 zutreffend erkannt hat, daß die Berufungsbegründung noch am gleichen Tag nach dem Diktat des Beklagten zu 2 zu schreiben, durch den Rechtsanwalt R. zu unterzeichnen und per Fax an das Oberlandesgericht zu übermitteln war. Hieraus und aus den entsprechenden Ausführungen der Beklagten in dem Wiedereinsetzungsgesuch ergibt sich im übrigen - mittelbar - der von dem Berufungsgericht vermißte Vortrag dazu, daß der - ebenfalls beim Oberlandesgericht zugelassene - Sozius des Beklagten zu 2 zum Unterschreiben der Berufungsbegründung zur Verfügung stand.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts trifft den Beklagten zu 2 auch nicht deswegen ein Verschulden an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist, weil er es unterlassen hat, die Sekretärin F. auf die von ihm erkannte falsche Fristberechnung hinzuweisen oder für eine Berichtigung des in der EDV gespeicherten Datums des Fristablaufs zu sorgen. Dazu bestand angesichts der konkreten Weisung, die Berufungsbegründung "noch heute per Fax" an das Oberlandesgericht zu übermitteln, bei deren Befolgung die Frist gewahrt worden wäre, keine Veranlassung. Der Beklagte zu 2 mußte nicht in Betracht ziehen, daß die Sekretärin die Dringlichkeit anders beurteilen und die Weisung aus diesem Grund nicht ausführen würde. Tatsächlich hat sie das ausweislich ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 10. November 2003 auch nicht getan. Danach hat sie sich zwar wegen des in der Akte eingetragenen Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist am 6. November 2003 über die Weisung des Beklagten zu 2 gewundert, gleichwohl den ihr erteilten Auftrag aber weisungsgemäß erledigen wollen. Damit, daß die Kanzleiangestellte F. es bei ihrer überraschenden krankheitsbedingten Abmeldung aus der Kanzlei versäumen würde, die Weisung an ihre Kollegin H. weiterzugeben, brauchte der Beklagte zu 2, der sich zu diesem Zeitpunkt wegen seiner eigenen Erkrankung nicht mehr in der Kanzlei aufhielt, nicht zu rechnen.

Nach alledem kann der angefochtene Beschluß vom 2. März 2004 keinen Bestand haben. Da es weiterer tatsächlicher Feststellungen nicht bedarf, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 577 Abs. 5 ZPO ). Daher ist der oben genannte Beschluß aufzuheben, und den Beklagten ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren.

b) Durch die vorstehende Entscheidung ist dem angefochtenen Beschluß vom 15. März 2004, durch den das Oberlandesgericht die Berufung der Beklagten wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen hat, die Grundlage entzogen. Daher ist auch dieser Beschluß aufzuheben.

Vorinstanz: OLG Karlsruhe - 2.3.2004, 15.3.2004,