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BGH - Entscheidung vom 28.06.2005

3 StR 195/05

Normen:
StGB § 212 Abs. 1

Fundstellen:
NStR 2005, 629
NStZ-RR 2005, 304

BGH, Beschluß vom 28.06.2005 - Aktenzeichen 3 StR 195/05

DRsp Nr. 2005/11435

Tötungsvorsatz bei besonders gefährlicher Gewalthandlung als spontaner Tat in affektiver Erregung

1. Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter auch mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne dabei zu Tode kommen.2. In solchen Fällen ist der Schluss auf einen bedingten Tötungsvorsatz aber nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter alle nach Sachlage in Betracht kommenden Umstände, die ein solches Ergebnis in Frage stellen können, in seine entsprechenden Erwägungen einbezogen hat.3. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen ein einsichtiger Beweggrund für eine so schwere Tat wie die Tötung eines Menschen fehlt, sowie bei Einzelhandlungen, die spontan in affektiver Erregung ausgeführt worden sind.

Normenkette:

StGB § 212 Abs. 1 ;

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zur Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

Nach den Feststellungen gab der erheblich alkoholisierte Angeklagte dem Geschädigten, der ohne Bodenkontakt schräg auf einer Metallstange saß, die auf der Brüstung eines Abgangs zu einer U-Bahn-Station angebracht war, mit beiden Händen einen kräftigen Stoß, so daß der Geschädigte den Halt verlor, etwa vier Meter nach unten in den Eingang der U-Bahn-Station stürzte und dadurch schwer verletzt wurde.

Das Urteil hat keinen Bestand, weil die Feststellung des Landgerichts, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, nicht frei von Rechtsfehlern ist.

Das Landgericht hat auf das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes allein aus der besonders gefährlichen Gewaltanwendung geschlossen. Damit wird es den Anforderungen nicht gerecht. Zwar liegt es bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe, daß der Täter auch mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne dabei zu Tode kommen. Angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung ist jedoch immer in Betracht zu ziehen, daß der Täter die Gefahr des Todes nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut hat, diese Folge werde nicht eintreten. Der Schluß auf bedingten Tötungsvorsatz ist daher nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter alle nach Sachlage in Betracht kommenden Umstände, die ein solches Ergebnis in Frage stellen können, in seine entsprechenden Erwägungen einbezogen hat (vgl. Senat NStZ-RR 2004, 204 m. w. N.). Das gilt insbesondere in Fällen, in denen ein einsichtiger Beweggrund für eine so schwere Tat wie die Tötung eines Menschen fehlt, sowie bei Einzelhandlungen, die - wie hier - spontan in affektiver Erregung ausgeführt worden sind (vgl. BGHR StGB § 212 Absatz 1 Vorsatz, bedingter 27).

Die danach gebotene Einbeziehung aller Umstände läßt das angefochtene Urteil vermissen. Das Landgericht hat sich in diesem Zusammenhang insbesondere nicht mit der erheblichen Alkoholisierung des Angeklagten zur Tatzeit (BAK von 2,2 %), seiner schizoiden Persönlichkeitsstörung sowie mit dem Umstand auseinandergesetzt, daß sich der Geschädigte - vom Angeklagten unbemerkt - im Augenblick des Stoßes zum Eingangsbereich der U-Bahn-Station hinuntergebeugt hatte.

Die Sache muß daher neu verhandelt und entschieden werden. Der neue Tatrichter wird dabei auch Gelegenheit haben, die besonderen Gegebenheiten des Tatortes und die näheren Umstände des Tatgeschehens umfassend aufzuklären und darzustellen, so etwa auch die Höhe und Breite der Brüstung und der darauf angebrachten Stange sowie die Haltung und Lage der Hände des Geschädigten unmittelbar vor dem Stoß. Er wird auch die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB erneut zu prüfen haben. Dabei wird zu bedenken sein, daß der erforderliche symptomatische Zusammenhang nicht schon allein deshalb verneint werden kann, weil außer dem Hang zu übermäßigem Alkoholkonsum auch die beim Angeklagten vorhandenen Persönlichkeitsmängel die Disposition für die Begehung von Straftaten begründen (vgl. BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 1, 2). Im übrigen müssen Anordnung und Vollzug der Maßregel lediglich an die hinreichend konkrete Aussicht geknüpft sein, den Süchtigen zumindest für eine gewisse Zeit vor dem Rückfall in die akute Sucht zu bewahren. Einer Erwartung, daß der Angeklagte außerhalb des Vollzugs (überhaupt) keine rechtswidrigen Taten mehr begeht, bedarf es nicht.

Vorinstanz: LG Hannover, vom 22.02.2005
Fundstellen
NStR 2005, 629
NStZ-RR 2005, 304