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BGH - Entscheidung vom 13.10.2005

4 StR 286/05

Normen:
StGB § 212 Abs. 1

Fundstellen:
NStZ-RR 2006, 8

BGH, Urteil vom 13.10.2005 - Aktenzeichen 4 StR 286/05

DRsp Nr. 2005/19035

Tötungsvorsatz bei Lebensgefährlichkeit der Verletzungen

Vor allem wegen der höheren Hemmschwelle gegenüber Tötungen ist selbst die offen zutage tretende Lebensgefährlichkeit zugefügter Verletzungen ein zwar gewichtiges Indiz, nicht aber ein zwingender Beweisgrund für einen (bedingten) Tötungsvorsatz des Täters.

Normenkette:

StGB § 212 Abs. 1 ;

Gründe:

Das Landgericht hat die beiden Angeklagten jeweils des Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie des Raubes mit Todesfolge für schuldig befunden und den Angeklagten Silko B. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren, den Angeklagten Marko B. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung beider Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten und - zu deren Ungunsten - die Staatsanwaltschaft mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen. Während die Angeklagten das Urteil insgesamt zur Überprüfung durch das Revisionsgericht stellen, erstrebt die Staatsanwaltschaft mit ihren Rechtsmitteln die Verurteilung der Angeklagten wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts. Die Revisionen haben keinen Erfolg.

I. Der Verurteilung liegt eine "Bestrafungsaktion" der beiden Angeklagten und mehrerer jugendlicher Mitglieder einer Clique, zu der sich häufig auch die wesentlich älteren Angeklagten gesellten, zugrunde. Sie richtete sich gegen den 40-jährigen homosexuell veranlagten und geistig behinderten Andreas Oe., der wenige Tage vor dem Tatgeschehen einem der Jugendlichen Geld für sexuelle Handlungen angeboten hatte. Am Tattag suchten die Angeklagten mit drei der Jugendlichen das Tatopfer zunächst am Nachmittag in dessen Wohnung auf, wo die Angeklagten mit massiven Schlägen auf den Geschädigten einwirkten, während, von ihnen bemerkt und gebilligt, die Jugendlichen die Wohnung nach mitnehmenswerten Gegenständen durchsuchten und die Boxen einer Musikanlage und Bierflaschen wegnahmen. Bevor sie gemeinsam die Wohnung verließen und dabei den zu dieser Zeit noch nicht tödlich verletzten Geschädigten zurückließen, nahmen auch die Angeklagten mehrere Bierflaschen an sich.

Die Angeklagten und die Jugendlichen tranken anschließend das entwendete Bier aus. Dabei berichtete einer der Jugendlichen aus der Clique, Oe. habe seiner jüngeren Schwester angeboten, von ihr Nacktfotos herzustellen. Dadurch erneut in Erregung versetzt, beschlossen alle Anwesenden, den Geschädigten auch deshalb zur Rechenschaft zu ziehen und ihm eine "tüchtige Abreibung" zu verpassen. Gleichzeitig beschlossen die Angeklagten und die Jugendlichen, dem Geschädigten auch seine restlichen Biervorräte zu entwenden und die Wohnung erneut "unter Ausnutzung der geplanten Gewaltanwendung anlässlich der Abreibung" nach Mitnehmenswertem zu durchsuchen. Als sie daraufhin am Abend die Wohnung stürmten, saß der Geschädigte mit blutverschmiertem und geschwollenem Gesicht auf dem Bett im Schlafzimmer, wo der Angeklagte Silko B. ihn sofort hochzog und ihm einen kräftigen Faustschlag versetzte. Fast zeitgleich kamen auch der Angeklagte Marko B. und mindestens einer der Jugendlichen in das Schlafzimmer. Gemeinsam schlugen und traten sie im einvernehmlichen Zusammenwirken mehrfach auf den Kopf und den Rumpf ihres Opfers ein, das aus Angst und Furcht "alles einfach über sich ergehen ließ". Ob bei dem Geschehen die Angeklagten selbst zugetreten haben, vermochte die Schwurgerichtskammer allerdings nicht festzustellen. Als die Angeklagten von Oe. abließen und das Schlafzimmer verließen, lag dieser wie leblos auf dem Fußboden. Die Angeklagten und die Jugendlichen nahmen nunmehr "in Ausnützung der durch die massiven Verletzungen herbeigeführten Widerstandslosigkeit" des Oe. weitere Bierflaschen sowie Lebensmittel an sich, einer der Jugendlichen zudem, von den Angeklagten beobachtet und gebilligt, außerdem eine Musikanlage. Sodann verließ man die Wohnung.

Der Geschädigte hatte unmittelbar nach den ihm am Abend des 21. März 2003 beigebrachten massiven Verletzungen noch gelebt; er verstarb als Folge davon aber nach höchstens einer Stunde.

II. Revisionen der Angeklagten

Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen weist zum Schuld- und Rechtsfolgenausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer hat das Landgericht insbesondere auch zu Recht im ersten Handlungsabschnitt einen Raubvorsatz beider Angeklagter (vgl. BGHR StGB § 249 Abs. 1 Gewalt 9) und im zweiten Handlungsabschnitt in Bezug auf den Tod des Opfers Leichtfertigkeit im Sinne von § 251 StGB angenommen. Insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen in den Antragsschriften des Generalbundesanwalts vom 8. Juli 2005.

Auch die Anordnung der Unterbringung beider Angeklagter in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB ) hat Bestand. Allerdings ist dem Generalbundesanwalt einzuräumen, dass die Begründung im schriftlichen Urteil besorgen lassen könnte, das Landgericht habe seiner Entscheidung, soweit sie den Angeklagten Siko B. betrifft, einen nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16. März 1994 (BVerfGE 91, 1 ) rechtsfehlerhaften Maßstab zugrunde gelegt und nicht beachtet, dass es entgegen der für teilnichtig erklärten Bestimmung des § 64 Abs. 1 StGB nicht mehr genügt, dass die Behandlung im Maßregelvollzug nur nicht von vornherein aussichtslos erscheint. Dies gefährdet hier aber den Maßregelausspruch gegen den Angeklagten Silko B. nicht, da das Landgericht zugleich festgestellt hat, dass der Angeklagte seine Bereitschaft bekundet hat, eine Alkoholentwöhnungstherapie zu absolvieren und er sich bislang noch nie einer solchen Therapie oder auch nur einer Alkoholentgiftung unterzogen hat. Dem entnimmt der Senat, dass das Landgericht auch die für die Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB vorausgesetzte hinreichend konkrete Aussicht eines Behandlungserfolges bejaht hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Juli 2003 - 2 StR 245/03 - und vom 1. August 2003 - 2 StR 257/03).

III. Revisionen der Staatsanwaltschaft

1. Die Staatsanwaltschaft wendet sich im Ergebnis ohne Erfolg gegen die Verurteilung beider Angeklagten hinsichtlich der am Abend des Tattages begangenen Tat "lediglich" wegen Raubes mit Todesfolge. Die Erwägungen, mit denen die Schwurgerichtskammer einen (zumindest bedingten) Tötungsvorsatz verneint hat, lassen keinen durchgreifenden Rechtsfehler erkennen. Die Beweiswürdigung ist in erster Linie Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn sie lückenhaft ist oder der Tatrichter überspannte Anforderungen an seine Überzeugungsbildung stellt. Solche Fehler weist das angefochtene Urteil nicht auf.

Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht allerdings festgestellt, dass beiden Angeklagten nicht nur erkennbar, sondern auch bewusst war, dass der Geschädigte durch die ihm zugefügten Misshandlungen zu Tode kommen könnte. Dadurch ist das für den Tötungsvorsatz vorausgesetzte Wissenselement hinreichend belegt. In der Rechtsprechung ist aber anerkannt, dass vor allem wegen der höheren Hemmschwelle gegenüber Tötungen selbst die offen zutage tretende Lebensgefährlichkeit zugefügter Verletzungen ein zwar gewichtiges Indiz, nicht aber ein zwingender Beweisgrund für einen (bedingten) Tötungsvorsatz des Täters ist, der Tatrichter vielmehr gehalten ist, in seine Beweiserwägungen alle Umstände einzubeziehen, welche die Überzeugung von einem Handeln mit (zumindest bedingtem) Tötungsvorsatz in Frage stellen (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 35, 37 m.w.N.). Dies hat das Schwurgericht im angefochtenen Urteil beachtet. Wenn es hiernach seine Zweifel an einem bedingten Tötungsvorsatz nicht zu überwinden vermochte, es vielmehr nach einer ausführlichen Beweiswürdigung zum Tatgeschehen und zum Nachtatverhalten das voluntative Element des Tötungsvorsatzes in Frage gestellt und gemeint hat, die Angeklagten hätten gehofft, der Geschädigte werde nicht sterben, so ist dies vom Revisionsgericht hinzunehmen, auch wenn eine andere Beurteilung möglich gewesen wäre oder - wie der Beschwerdeführerin einzuräumen ist - sogar näher gelegen hätte.

2. Auch im Übrigen haben die Revisionen der Staatsanwaltschaft keinen Rechtsfehler zu Gunsten oder - was der Senat gemäß § 301 StPO zu beachten hat - zu Lasten der Angeklagten ergeben.

Vorinstanz: LG Halle, vom 12.08.2004
Fundstellen
NStZ-RR 2006, 8