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BGH - Entscheidung vom 01.12.2005

IX ZB 208/05

Normen:
ZPO § 575 Abs. 5 § 570 Abs. 3
InsO § 7 § 21 Abs. 2

Fundstellen:
BGHReport 2006, 393
DZWIR 2006, 128
MDR 2006, 647
NJW-RR 2006, 332
NZI 2006, 122
WM 2006, 189
ZIP 2005, 2333
ZInsO 2005, 1321
ZInsO 2006, 267
ZInsO 2006, 268

BGH, Beschluß vom 01.12.2005 - Aktenzeichen IX ZB 208/05

DRsp Nr. 2005/21507

Rechtsnatur einer einstweiligen Anordnung im (Rechts-)Beschwerdeverfahren

»1. Einstweilige Anordnungen nach § 575 Abs. 5 , § 570 Abs. 3 ZPO haben nicht den Charakter einer einstweiligen Verfügung. Das Rechtsmittelgericht ist darauf beschränkt, Anordnungen in Bezug auf die Wirkungen der angefochtenen Entscheidung zu treffen. 2. Das Rechtsbeschwerdegericht ist im Insolvenzeröffnungsverfahren auch dann nicht zur Anordnung von Sicherungsmaßnahmen befugt, wenn es in der Hauptsache mit einer Rechtsbeschwerde gegen die vom Beschwerdegericht bestätigte Zurückweisung eines Insolvenzantrags befasst ist.«

Normenkette:

ZPO § 575 Abs. 5 § 570 Abs. 3 ; InsO § 7 § 21 Abs. 2 ;

Gründe:

I. Der weitere Beteiligte ist mit Verfügung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) vom 13. August 2004 zum Abwickler über unerlaubt betriebene Finanzkommissionsgeschäfte bei der V. mbH & Co. KG (fortan: Schuldnerin) bestellt. Am 29. April 2005 beantragte er die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin. Das Insolvenzgericht hat den Antrag als unzulässig zurückgewiesen, weil durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Treuhandkommanditistin diese nach § 161 Abs. 2 , § 131 Abs. 3 Nr. 2 HGB ausgeschieden und die Schuldnerin liquidationslos voll beendet und erloschen sei. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des weiteren Beteiligten hat das Landgericht am 22. Juli 2005 mit der Begründung zurückgewiesen, dass der weitere Beteiligte einen Eröffnungsgrund nicht hinreichend glaubhaft gemacht habe. Gegen diesen Beschluss hat dieser Rechtsbeschwerde eingelegt, die er im Einzelnen begründet hat.

Mit an das Rechtsbeschwerdegericht gerichtetem Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächigten vom 14. November 2005 hat der weitere Beteiligte angeregt, Sicherungsmaßnahmen gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 und 3 InsO anzuordnen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die Schuldnerin durch Versäumnisurteil des Landgerichts Darmstadt vom 8. September 2005 zur Zahlung von 33.495 EUR zuzüglich Zinsen verurteilt worden sei und der Einzelrichter in der Einspruchsverhandlung vom 3. November 2005 den rechtlichen Hinweis erteilt habe, dass das Versäumnisurteil voraussichtlich aufrechtzuerhalten sei. Die dortige Klägerin, die C. GmbH, habe erklärt, von Vollstreckungsmaßnahmen nicht absehen zu wollen.

II. Der Antrag des weiteren Beteiligten ist als unzulässig zurückzuweisen, weil der Senat als Rechtsbeschwerdegericht für die erstmalige Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nach § 21 Abs. 2 InsO funktionell nicht zuständig ist.

1. Nach §§ 4 , 7 InsO in Verbindung mit § 575 Abs. 5 , § 570 Abs. 1 und 3 ZPO kann das Rechtsbeschwerdegericht vor der Entscheidung eine einstweilige Anordnung erlassen, insbesondere die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung aussetzen.

a) Sinn und Zweck der Regelung ist es, dem Rechtsmittelgericht nach dessen pflichtgemäßem Ermessen die Möglichkeit zu eröffnen, die von den im Instanzenzug vorausgegangenen Entscheidungen ausgehenden Wirkungen für die Dauer des Rechtsmittelverfahrens zu hemmen.

aa) Durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung kann das Rechtsmittelgericht verhindern, dass die angegriffene, noch nicht rechtskräftige Entscheidung Wirkungen entfaltet, die durch eine von dem Rechtsmittelgericht später zu treffende ersetzende Sachentscheidung nicht mehr beseitigt werden könnten. Die Funktion des § 570 Abs. 3 ZPO (gegebenenfalls in Verbindung mit § 575 Abs. 5 ZPO ) entspricht daher in seinem Kern derjenigen des § 707 ZPO . Diese Bestimmung schützt in ihrem Anwendungsbereich den Vollstreckungsschuldner vor irreparablen Fakten, wenn der Bestand des die Zwangsvollstreckung rechtfertigenden Titels zweifelhaft ist oder zweifelhaft wird (vgl. MünchKomm-ZPO/Krüger, 2. Aufl. § 707 Rn. 1; Musielak/Lackmann, ZPO 4. Aufl. § 707 Rn. 1; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO 22. Aufl. § 707 Rn. 1). Beide Vorschriften haben gemeinsam, dass sie die Möglichkeit zum Aufschub einer angeordneten richterlichen Maßnahme eröffnen, weil ein gegen diese gerichteter Rechtsbehelf keinen Suspensiveffekt entfaltet und die Vollziehung bzw. die Vollstreckung nicht hindert (vgl. Stein/Jonas/Münzberg, aaO. § 707 Rn. 1).

Die Vorschrift des § 570 Abs. 3 ZPO eröffnet dem Rechtsmittelrichter aber nur die Möglichkeit, einstweilige Anordnungen in Bezug auf die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung zu treffen (vgl. Musielak/Ball, aaO. § 570 Rn. 1). Hiermit korrespondiert die zeitliche Begrenzung der angeordneten Maßnahmen. Sie treten nach allgemein vertretener Auffassung mit der Entscheidung über die Beschwerde außer Kraft (vgl. Musielak/Ball, aaO. § 570 Rn. 4; Zöller/Gummer, ZPO 25. Aufl. § 570 Rn. 5). Insbesondere sind Anordnungen nach § 570 Abs. 3 , § 575 Abs. 5 ZPO keine einstweiligen Verfügungen (vgl. Stein/Jonas/Grunsky, ZPO 21. Aufl. § 572 Rn. 5).

bb) Die bislang zu § 570 Abs. 3 , § 575 Abs. 5 ZPO ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat sich - soweit ersichtlich - in diesem Rahmen gehalten (vgl. BGH, Beschl. v. 25. Juli 1989 - III ZB 39/89, BGHR ZPO § 572 Abs. 3 a.F. Einstweilige Anordnung 1; Beschl. v. 27. August 1993 - IV ZB 14/93, BGHR ZPO § 572 Abs. 3 a.F. Einstweilige Anordnung 2). Dies gilt auch für die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21. März 2002 ( IX ZB 48/02, WM 2002, 827 , 828). Dort hat es der Senat als möglichen Gegenstand einer einstweiligen Anordnung dritter Instanz angesehen, die Vollziehung der Entscheidung erster Instanz in einem Fall auszusetzen, in dem die sofortige Beschwerde des Rechtsbeschwerdeführers erfolglos geblieben war. Auch eine solche einstweilige Anordnung zielt darauf ab, die von den vorausgegangenen Entscheidungen ausgehenden rechtlichen Wirkungen bis zum Abschluss des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu hemmen. Soweit in der Literatur dem Erstbeschwerdegericht und dem Rechtsbeschwerdegericht nach §§ 575 , 570 Abs. 3 ZPO die Befugnis eingeräumt wird, sonstige einstweilige Anordnungen zu treffen (vgl. Musielak, ZPO 4. Aufl. § 570 Rn. 4; Saenger/Kayser, ZPO § 575 Rn. 6; Zöller/Gummer, ZPO 25. Aufl. § 575 Rn. 10), ist dies ebenfalls in dem Sinne zu verstehen, dass diese sich auf die Wirkungen der im Instanzenzug vorausgegangenen Entscheidungen beziehen müssen. Dies wird durch die in diesem Zusammenhang angeführten Beispiele verdeutlicht. Wird dem Beschwerderichter die Regelungsbefugnis zugewiesen, die Vollziehung der vorausgegangenen Entscheidung von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen oder die Vollziehung nur gegen Sicherheitsleistung einzustellen, schließt das an die Vorschriften über die vorläufige Vollstreckbarkeit von Urteilen (§§ 708 f, 711 ZPO ) an und soll verhindern, dass der Schuldner hinsichtlich des Vollstreckungsschutzes schlechter gestellt wird, als er bei einer entsprechenden Entscheidung durch Urteil stände (vgl. BGH, Beschl. v. 27. August 1993, aaO.).

b) Das Ziel des weiteren Beteiligten ist jedoch ein anderes. Eine Entscheidung, um dessen Hemmung er ersuchen könnte, ist bislang nicht ergangen. Sein Begehren ist darauf gerichtet, vorläufigen Rechtsschutz durch die erstmalige Anordnung von Sicherungsmaßnahmen zu erlangen. Derartige Maßnahmen sind von § 575 Abs. 5 , § 570 Abs. 3 ZPO nicht gedeckt.

2. Die Befugnis des Rechtsbeschwerdegerichts zum Erlass der begehrten vorläufigen Regelung folgt auch nicht unmittelbar aus § 21 Abs. 2 InsO . Ob bei Eintritt des - zu unterstellenden - Sicherungsbedürfnisses eine Rechtsbeschwerde anhängig ist, die mit der befürchteten nachteiligen Veränderung der Vermögenslage der Schuldnerin im Zusammenhang steht, ist unerheblich.

a) Die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nach § 21 Abs. 2 InsO stellt eine tatrichterliche Entscheidung des Insolvenzgerichts oder des an seine Stelle tretenden Gerichts der ersten Beschwerde dar. Das Insolvenzgericht prüft von Amts wegen aufgrund eines jeden Einzelfalls, ob und gegebenenfalls welche Sicherungsmaßnahmen zu treffen sind, um eine den Gläubigern nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners bis zur Entscheidung über den Eröffnungsantrag zu verhindern. Liegt eine Gefährdung in diesem Sinne vor, hat das Insolvenzgericht die erforderlichen und geeigneten Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen und kann diese, wenn sie nicht mehr nötig oder zweckmäßig erscheinen, jederzeit mit Wirkung für die Zukunft aufheben oder abändern (§ 25 Abs. 1 InsO ; vgl. Kirchhof in HK- InsO , 3. Aufl. § 21 Rn. 41). Das Insolvenzgericht wählt das gebotene Sicherungsmittel nach pflichtgemäßem Ermessen aus, ohne an Anträge gebunden zu sein; dabei hat es den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im engeren Sinne zu beachten (vgl. Kirchhof in HK- InsO , aaO. § 21 Rn. 9).

Demgegenüber ist das Rechtsbeschwerdegericht Rechtsnachprüfungsinstanz. Es trifft - ebenso wie das Revisionsgericht - Entscheidungen auf der Grundlage des in den Tatsacheninstanzen festgestellten Sachverhalts (§ 559 Abs. 1 , § 577 Abs. 2 Satz 4 ZPO ). In Bezug auf die Sache selbst können in der Rechtsbeschwerdeinstanz neue Tatsachen und Beweise grundsätzlich nicht vorgebracht werden (vgl. BGHZ 156, 165 , 167 ff.).

b) Diese Aufgabenverteilung zwischen Insolvenzgericht und Rechtsbeschwerdegericht gilt auch im Anwendungsbereich des § 21 Abs. 2 InsO , so dass der Bundesgerichtshof - ebenso wie bei anderen Entscheidungen des Insolvenzgerichts - nur nachprüfend tätig werden kann. Seine Zuständigkeit im Instanzenzug ist darauf beschränkt, die Anordnung oder die Ablehnung von Sicherungsmaßnahmen, soweit diese anfechtbar und ihm im Rechtsmittelzug zur Entscheidung angefallen sind, auf Rechtsfehler zu überprüfen (§ 576 Abs. 1 ZPO ). Eine Zuständigkeit zur erstmaligen Anordnung entsprechender Sicherungsmaßnahmen besteht dagegen nicht.

c) Hieraus ergibt sich für den Antragsteller keine Rechtsschutzlücke, die es von Verfassungs wegen angezeigt erscheinen ließe, in die durch das Rechtsmittelsystem der Zivilprozessordnung vorgegebene Zuständigkeitsverteilung einzugreifen. Stellt sich nach Erlass der letzten tatrichterlichen Entscheidung im Insolvenzeröffnungsverfahren ein Sachverhalt heraus, nach dem Sicherungsmaßnahmen in Betracht zu ziehen sind, hat das Insolvenzgericht etwaige Maßnahmen nach § 21 Abs. 2 InsO von Amts wegen oder auf Antrag eines der Beteiligten zu prüfen und gegebenenfalls anzuordnen.

Vorinstanz: LG Hamburg, vom 22.07.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 326 T 62/05
Vorinstanz: AG Hamburg, vom 26.05.2005 - Vorinstanzaktenzeichen IN 222/05
Fundstellen
BGHReport 2006, 393
DZWIR 2006, 128
MDR 2006, 647
NJW-RR 2006, 332
NZI 2006, 122
WM 2006, 189
ZIP 2005, 2333
ZInsO 2005, 1321
ZInsO 2006, 267
ZInsO 2006, 268