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BGH - Entscheidung vom 21.04.2005

3 StR 68/05

Normen:
StPO § 265 Abs. 1

Fundstellen:
NStZ 2006, 55

BGH, Urteil vom 21.04.2005 - Aktenzeichen 3 StR 68/05

DRsp Nr. 2005/9795

Hinweispflicht an Staatsanwaltschaft bei möglichem Freispruch

Das Gericht kann bei einem möglichen Freispruch zu einem Hinweis an die Staatsanwaltschaft verpflichtet sein, wenn es zuvor eine Verurteilung angekündigt hat und die Staatsanwaltschaft daraufhin einen Beweisantrag zurücknahm.

Normenkette:

StPO § 265 Abs. 1 ;

Gründe:

I. Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung mit der Begründung freigesprochen, der Angeklagte habe in Notwehr gehandelt. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

II. 1. Das Landgericht hat in dem angefochtenen Urteil festgestellt, daß der Angeklagte mit Verteidigungswillen bei einer Auseinandersetzung den Zeugen B. in Notwehr in Verletzungsabsicht mit einem Messer in den Arm stechen wollte, sein Opfer aber möglicherweise infolge einer Bewegung des Zeugen in die rechte Halsseite traf.

In der Hauptverhandlung hat die Staatsanwaltschaft beantragt, die Zeugin Z. zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, daß der Angeklagte etwa vier Monate nach der Tat den Geschädigten auf der Straße getroffen und ihm gedroht habe, ihm das nächste Mal das Messer in die andere Seite zu stechen. In einer Sitzungspause diskutierten die Vorsitzende, die Berichterstatterin und die Staatsanwältin über den Indizwert der unter Beweis gestellten Tatsache. Gesprochen wurde darüber, daß auch bei Bestätigung der Beweistatsache die Nachweisbarkeit eines Tötungsvorsatzes fraglich sei und eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung in Betracht komme. Schließlich teilten die Staatsanwältin und der Verteidiger dem Gericht mit, daß beide Seiten eine Bewährungsstrafe akzeptieren würden. In der dienstlichen Äußerung der Vorsitzenden heißt es: "Aufgrund meiner Äußerungen konnte Frau S. [die Staatsanwältin] davon ausgehen, daß eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe erfolgen werde." In der Hauptverhandlung nahm daraufhin die Staatsanwaltschaft ihren Beweisantrag zurück. Am nächsten Hauptverhandlungstag wurde der Angeklagte freigesprochen.

2. Die Revision macht zu Recht geltend, das Landgericht hätte sich in Erfüllung seiner Aufklärungspflicht dazu gedrängt sehen müssen, die Zeugin Z. zu der behaupteten Drohung des Angeklagten dem Geschädigten gegenüber, die dieser ausweislich der Akten ebenfalls geschildert hatte, zu vernehmen.

Die Vernehmung der Zeugin drängte sich auf:

Auch wenn der fraglichen Äußerung des Angeklagten im Hinblick auf den Nachweis eines Tötungsvorsatzes möglicherweise nur ein eingeschränkter Beweiswert zukommt, so liegt doch ihre Bedeutung für die Frage, ob der Angeklagte bei der abgeurteilten Tat mit Verteidigungswillen gehandelt hat, auf der Hand. Im Hinblick darauf und unter Berücksichtigung der Beweissituation - für die eigentliche Tathandlung standen außer dem Angeklagten und dem Geschädigten keine weiteren unmittelbaren Beweismittel zur Verfügung - hätte die Strafkammer die Zeugin Z. vernehmen müssen.

Von dieser Verpflichtung war sie auch nicht dadurch befreit, daß die Staatsanwaltschaft ihren dahingehenden Beweisantrag zurückgenommen hatte. Denn die Rücknahme erfolgte - erkennbar ausschließlich - in der vom Gericht hervorgerufenen Erwartung und im Vertrauen darauf, daß der Angeklagte verurteilt werde.

3. Da die Revision mit der Aufklärungsrüge Erfolg hat, kann offen bleiben, ob die Beschwerdeführerin in einer § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise eine Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht beanstandet hat. In der Sache wäre nach dem mitgeteilten Verfahrensablauf indes auch diese Rüge begründet gewesen. Jedenfalls nachdem die Staatsanwaltschaft im Vertrauen auf die angekündigte Verurteilung des Angeklagten ihren Beweisantrag auf Vernehmung der Zeugin Z. zurückgenommen hatte, mußte die Strafkammer auf eine Änderung in der Beurteilung der Notwehrfrage hinweisen und der Beschwerdeführerin die Gelegenheit verschaffen, über ein neuerliches Anbringen des zurückgenommenen Antrags zu entscheiden.

Fundstellen
NStZ 2006, 55