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BGH - Entscheidung vom 26.04.2005

VI ZR 228/03

Normen:
StVO § 37 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 § 38 Abs. 3 S. 1

Fundstellen:
BGHReport 2005, 1037
DAR 2005, 447
MDR 2005, 923
NJW 2005, 1940
NZV 2005, 407
VRS 109, 92
VersR 2005, 954

BGH, Urteil vom 26.04.2005 - Aktenzeichen VI ZR 228/03

DRsp Nr. 2005/8547

Haftungsverteilung bei Kollision eines PKW mit einem die Fahrbahn an einer Fußgängerampel bei Rotlicht überquerenden Radfahrer

»1. Ein vor einer Wechsellichtzeichenanlage ortsfest installiertes und mit deren Phasenwechsel gekoppeltes gelbes Blinklicht im Sinne des § 38 Abs. 3 Satz 1 StVO beinhaltet für den Kraftfahrer keine über § 37 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StVO hinausgehende Verhaltensanforderung, bereits wegen der blinkenden "Vorampel" seine Geschwindigkeit unter die zulässige Höchstgeschwindigkeit zu reduzieren. Er darf vielmehr unter Beibehaltung derselben weiter auf die Wechsellichtzeichenanlage zufahren und muß erst bei deren Phasenwechsel auf Gelb und auch nur dann anhalten, wenn ihm dies mit normaler Betriebsbremsung noch möglich ist.«2. Kommt es zu einer Kollision eines PKW mit einem die Fahrbahn an einer Fußgängerampel bei Rot überquerenden Radfahrer, so ist die Betriebsgefahr des PKW nur dann erhöht und damit gegenüber dem Verschulden des Radfahrers zu berücksichtigen, wenn der PKW-Fahrer bei Gelblicht für seine Fahrtrichtung nicht mehr in der Lage war, das Fahrzeug bis vor der Haltelinie abzubremsen und ihm auch eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nicht zur Last fällt.

Normenkette:

StVO § 37 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 § 38 Abs. 3 S. 1 ;

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, bei dem er im Dezember 1999 gegen 17.15 Uhr als Fahrradfahrer auf einem Fußgänger- und Radfahrerüberweg an einer Kreuzung beim Überqueren der Fahrbahn von dem vom Beklagten zu 1 geführten und bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten VW-Transporter erfaßt und schwer verletzt wurde.

Der Beklagte zu 1, der aus Sicht des Klägers von links herannahte, war zuvor bei Gelblicht der für ihn maßgebenden Wechsellichtzeichenanlage in die Kreuzung eingefahren. Vor dieser Verkehrsampel ist in ca. 150 m Entfernung eine "Vorampel" installiert, die phasenweise mit Gelblicht blinkt.

Der Kläger behauptet, der Beklagte zu 1 habe die an der Unfallstelle zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h weit überschritten. Die Beklagten behaupten, der Kläger habe zwar zunächst - unstreitig - an der für Fußgänger und Radfahrer Rotlicht anzeigenden Lichtzeichenanlage angehalten, sei dann aber losgefahren, obwohl die Verkehrsampel noch für ihn Rot zeigte.

Das Landgericht hat der auf Feststellung der gesamtschuldnerischen Haftung der Beklagten für sämtliche materiellen und immateriellen Schäden gerichteten Klage zu einer Quote von 50 % stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufungen der Parteien zurückgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision der Beklagten und mit der Anschlußrevision des Klägers verfolgen die Parteien ihr ursprüngliches Klagebegehren weiter, soweit zu ihrem Nachteil erkannt worden ist.

Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht, dessen Urteil in NZV 2003, 574 veröffentlicht wurde, ist der Auffassung, das Landgericht habe zutreffend ein Verschulden sowohl des Beklagten zu 1 als auch des Klägers als bewiesen angesehen und mit der hälftigen Teilung der Verantwortlichkeit das richtige Maß gefunden.

Die Betriebsgefahr des VW-Transporters sei durch einen Verstoß gegen § 37 Abs. 2 StVO und die Kollisionsgeschwindigkeit von mindestens 60 km/h erheblich erhöht gewesen. Der Beklagte zu 1 sei nach § 37 Abs. 2 Nr. 1 StVO verpflichtet gewesen, sein Fahrzeug bei Aufleuchten des Gelblichts der für ihn maßgebenden Verkehrsampel vor der Kreuzung anzuhalten. Um der Gefahr von Auffahrkollisionen zu begegnen, gelte das Anhaltegebot zwar nur für diejenigen Fahrzeugführer, die bei Beginn der Gelbphase noch so weit von der Ampel entfernt seien, daß sie bei mittlerer Betriebsbremsung anhalten könnten. Diese Gefahr sei jedoch dann wesentlich verringert, wenn - wie hier - die auf die Hauptampel zufahrenden Verkehrsteilnehmer durch eine in einiger Entfernung vor der Ampelanlage installierte, zeitweise Gelblicht blinkende Vorampel darauf vorbereitet würden, daß an der Hauptampel der Wechsel von Grün- auf Gelblicht zu erwarten sei. Blinke eine solche Vorampel für einen Kraftfahrer nur zeitweise mit Gelblicht, müsse dieser damit rechnen, daß er bei Einhaltung der an sich zulässigen Höchstgeschwindigkeit die Haltelinie der Hauptampel nicht mehr bei Grünlicht erreichen könne. Er habe durch diese Warnung die Möglichkeit, seine Geschwindigkeit frühzeitig ohne verkehrsgefährdende und den Verkehrsfluß beeinträchtigende starke Bremsung herabzusetzen und sich anhaltebereit der Hauptampel zu nähern. Die Warnfunktion des gelben Blinklichts nach § 38 Abs. 3 StVO wirke sich im Zusammenhang mit § 37 Abs. 2 StVO dahin aus, daß der an eine Hauptampel heranfahrende Kraftfahrer sich bei kurz vor Erreichen der Haltelinie aufleuchtendem Gelblicht dieser Ampel auf eine Überraschung nicht berufen könne und zur Einhaltung des grundsätzlichen Haltegebots verpflichtet sei.

Auf der anderen Seite bestünden nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme keine Zweifel daran, daß der Kläger die Kreuzung bei Rotlicht zu überqueren versucht habe. Nach dem Ampelphasenplan habe die für den Kläger maßgebliche Ampel zur selben Zeit Grünlicht erhalten wie die Ampel für den parallel geführten Fahrbahnverkehr. Die Zeugin W. F. habe bekundet, der Kläger sei angefahren, als die Ampel für diesen Parallelverkehr noch Rotlicht gezeigt habe. Nach der Aussage des Zeugen Wo. F., der das Fahrzeug steuerte, in dem sich auch die Zeugin W. F. befand, habe "seine Ampel" erst "knapp 3 Sekunden" nach dem Kollisionsgeräusch Grünlicht erhalten. Addiere man hierzu die von dem Sachverständigen G. ermittelte Zeitspanne von 3,6 Sekunden, die der Kläger bis zum Kollisionsort benötigt habe, sei dieser ca. 6,5 Sekunden vor Umschalten seiner Ampel auf Grünlicht und damit eindeutig bei Rotlicht angefahren.

II. A. Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Die bisherigen tatsächlichen Feststellungen rechtfertigen es nicht, bei der Abwägung zu Lasten der Beklagten eine durch einen Verstoß gegen § 37 Abs. 2 StVO (hierzu unter 2) und eine Kollisionsgeschwindigkeit von 60 km/h (hierzu unter 3) erheblich erhöhte Betriebsgefahr des VW-Transporters zu berücksichtigen.

1. Die Bewertung der verschiedenen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge auf Seiten des Verletzten und des Ersatzpflichtigen ist zwar grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters und damit revisionsrechtlicher Überprüfung nur eingeschränkt zugänglich. Die Revision macht jedoch im Rahmen der verbleibenden revisionsrechtlichen Überprüfbarkeit mit Recht geltend, daß der Abwägung nicht durchgehend rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde liegen und das Berufungsgericht nicht alle Umstände vollständig und richtig berücksichtigt hat (vgl. Senatsurteile vom 25. März 2003 - VI ZR 161/02 - VersR 2003, 783 , 785 f. und vom 18. November 2003 - VI ZR 31/02 - VersR 2004, 392 , 393, beide m.w.N.).

2. Auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen durfte das Berufungsgericht keinen schuldhaften Verstoß des Beklagten zu 1 gegen § 37 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StVO bejahen.

a) § 37 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StVO ordnet allerdings bei einem Wechsellichtzeichen der Farbe Gelb an: "Vor der Kreuzung auf das nächste Zeichen warten". Das Berufungsgericht geht jedoch selbst zutreffend davon aus, daß dieses Gebot nicht uneingeschränkt gilt. Steht Rot bevor, so muß nur derjenige Kraftfahrer anhalten, der dies noch mit einer mittleren, das heißt normalen Betriebsbremsung kann (BGH, Urteil vom 12. Dezember 1991 - 4 StR 488/91 - NZV 1992, 157 ; OLG Hamm, NJW 1959, 1789; OLG Celle, DAR 1977, 220 ; OLG Köln, VM 1984, 83; OLG Bremen, VRS 79, 38, 39; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 37 StVO Rdn. 48 m.w.N.; HK-StVR/Jäger, GW 1996, § 37 Rdn. 39 f.; Janiszewski/Jagow, Straßenverkehrsrecht, 18. Aufl., § 37 Rdn. 14; Schurig, StVO , 11. Aufl., § 37 Rdn. 2.3). Reicht dagegen der Bremsweg bei mittlerem Bremsen nicht aus, ist vielmehr starkes oder sogar gewaltsames Bremsen mit Blockierspur nötig, entfällt grundsätzlich die Wartepflicht. Der Kraftfahrer darf dann zügig und vorsichtig unter Beachtung des Querverkehrs durchfahren. Die Weiterfahrt begründet in diesem Fall nicht den Vorwurf des Verschuldens (OLG Oldenburg, VRS 8, 224, 225; OLG Hamburg, VM 1958, 60; BayObLG, VM 1959, 45; OLG Karlsruhe, VRS 18, 246, 248; DAR 1975, 220 , 221; OLG Celle, aaO., 221; OLG Bremen, aaO.; OLG Köln, aaO. und NZV 2002, 374 , 375; Geigel/Zieres, Der Haftpflichtprozeß, 24. Aufl., Kap. 27 Rdn. 740; HK-StVR/Jäger, aaO., § 37 StVO Rdn. 40; Hentschel, aaO., Rdn. 48a; Scheffler, NZV 1993, 463 m.w.N.; Straßenverkehr, April 1996, § 37 Rdn. 18).

Die Revision rügt mit Recht, daß das Berufungsgericht zur entscheidungserheblichen Frage der Bremsmöglichkeit des Beklagten zu 1 bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit keine Feststellungen getroffen hat, obwohl die Beklagten beweisbewehrt vorgetragen haben, es sei dem Beklagten zu 1 selbst bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h nicht möglich gewesen, im Rahmen einer mittleren Bremsung noch rechtzeitig vor der Haltelinie anzuhalten.

b) Das Berufungsgericht durfte diese Frage auch nicht im Hinblick auf das ca. 150 m vor der Wechsellichtzeichenanlage ortsfest installierte gelbe Blinklicht ungeklärt lassen. Denn durch eine solche nach den Feststellungen des Berufungsgerichts mit dem Phasenwechsel der Wechsellichtzeichenanlage gekoppelte "Vorampel" ergibt sich - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - für den Kraftfahrer keine über § 37 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StVO hinausgehende Verhaltensanforderung, bereits wegen blinkender "Vorampel" seine Geschwindigkeit unter die zulässige Höchstgeschwindigkeit zu reduzieren. Er darf vielmehr unter Beibehaltung derselben weiter auf die Wechsellichtzeichenanlage zufahren und muß erst bei deren Phasenwechsel auf Gelb und auch nur dann anhalten, wenn ihm dies mit normaler Betriebsbremsung noch möglich ist (vgl. zum gleichzeitigen Farbzeichen Grün/Gelb: BGH, Urteil vom 6. Februar 1961 - III ZR 7/60 - NJW 1961, 780).

aa) Nach § 38 Abs. 3 Satz 1 StVO warnt gelbes Blinklicht (allgemein) vor Gefahren. Es setzt nicht die amtlichen Verkehrszeichen und als "Vorampel" auch nicht die Bedeutung der Wechsellichtzeichen außer Kraft. Vielmehr mahnt es als besonders wirksames Vorsichtszeichen lediglich zu deren Beachtung (OLG Köln, VRS 53, 308, 309; NZV 2002, 374 , 375; Geigel/Zieres, aaO., Kap. 27 Rdn. 755; HK-StVR/Jäger, aaO., § 38 Rdn. 14; Hentschel, aaO., § 38 Rdn. 13; Janiszewski/Heß, aaO., § 38 Rdn. 7; Schurig, aaO., § 38 Rdn. 2.5).

Das gelbe Blinklicht soll mithin, wenn es zur Vorankündigung von Lichtsignalanlagen Verwendung findet, vor einer wegen ungünstiger Sichtverhältnisse und/oder hoher Annäherungsgeschwindigkeit unter Umständen nicht rechtzeitig erkennbaren Lichtzeichenanlage warnen. Durch die blinkende "Vorampel" wird aber nicht die durch das Zeichen Grün der Wechsellichtzeichenanlage erfolgte Freigabe des Verkehrs aufgehoben und der Kraftfahrer verpflichtet, bereits jetzt wie beim Aufleuchten des anschließenden Zeichens Gelb die an sich zulässige Geschwindigkeit herabzusetzen und nach Möglichkeit den Anhaltevorgang einzuleiten (vgl. BGH, Urteil vom 6. Februar 1961 - III ZR 7/60 - aaO.). Bei einem solchen Verständnis würde das gelbe Blinklicht einer "Vorampel" eine über die Warnfunktion hinausgehende und damit eine in der Straßenverkehrsordnung nicht vorgesehene Regelungsfunktion erhalten. Der Kraftfahrer hat seine Fahrweise allein nach dem jeweils maßgebenden Farbsymbol der Wechsellichtzeichenanlage und nicht nach dessen mutmaßlicher Dauer und dem früher oder später bevorstehenden Farbwechsel einzurichten. Das gelbe Signalzeichen gebietet erst dann ein Tätigwerden, wenn es erscheint (OLG Oldenburg, aaO.; OLG Hamburg, aaO.; OLG Hamm, aaO. m.w.N.; VRS 41, 75, 76; OLG Karlsruhe, aaO., 247; DAR 1975, 220 , 221; Menken, DAR 1975, 262, 263; ders. DAR 1976, 235, 236; Hentschel, aaO., § 37 Rdn. 45; HK-StVR/Jäger, aaO., § 37 Rdn. 22; Straßenverkehr, Dezember 1995, § 37 Rdn. 8; vgl. auch BGH, Urteil vom 6. Februar 1961 - III ZR 7/60 - aaO.).

bb) Der Beklagte zu 1 war unabhängig davon auch deshalb nicht dazu verpflichtet, bei blinkender Vorampel seine Geschwindigkeit frühzeitig herabzusetzen, weil nicht festgestellt ist, daß er wußte, daß an der Hauptampel der Wechsel von Grün- auf Gelblicht zu erwarten ist, wenn eine solche "Vorampel" vor ihm mit Gelblicht aufblinkt und er deshalb damit rechnen muß, bei Einhaltung der an sich zulässigen Höchstgeschwindigkeit die Haltelinie der Hauptampel nicht mehr bei Grünlicht zu erreichen. Er mußte diese Verknüpfung auch nicht kennen.

Die von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen entwickelten Richtlinien für Lichtsignalanlagen (Ausgabe 1992) empfehlen zwar unter 3.7 bei ungünstigen Sichtverhältnissen oder zur Vorankündigung von Lichtsignalanlagen an schnell befahrenen Straßen das Zeichen 131 StVO mit einem gelben Blinklicht zu versehen, welches nur dann eingeschaltet sein soll, wenn ein Kraftfahrer, der mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit fährt, am Knotenpunkt auf Rot oder Gelb treffen würde.

Das Berufungsgericht hat jedoch keine Feststellungen dazu getroffen, daß eine solche Koppelung aufgrund ihres Verbreitungsgrades zum Erfahrungswissen von Kraftfahrern gerechnet werden könnte. Es nimmt vielmehr selbst lediglich an, daß es dem Erfahrungswissen von Verkehrsteilnehmern entspreche, daß ein ohne sonstigen erkennbaren Bezug aufleuchtendes gelbes Blinklicht typischerweise auf eine - möglicherweise zunächst noch nicht erkennbare - Ampelanlage hinweise oder sich der Verkehrsteilnehmer zumindest auf diese naheliegende Möglichkeit einstellen müsse. Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, daß ein Zusatzschild oder der Standort der Vorampel auf die Verknüpfung mit dem Phasenwechsel hingewiesen hätten. Nach dem für die Revisionsinstanz zu unterstellenden und im übrigen unbestrittenen Vortrag der Beklagten liegt die Kreuzung aus Fahrtrichtung des Beklagten zu 1 hinter einer langgezogenen Rechtskurve, vor der die zulässige Höchstgeschwindigkeit 100 km/h beträgt, bevor sie im Kreuzungsbereich auf 70 km/h herabgesetzt ist. Unter diesen Umständen durfte der Beklagte zu 1, wie in § 38 Abs. 3 Satz 1 StVO vorgesehen, die blinkende "Vorampel" lediglich als allgemeinen - warnenden - Hinweis auf die nachfolgende Wechsellichtzeichenanlage verstehen.

3. Die Revision wendet sich ebenfalls mit Erfolg gegen die Berücksichtigung der Kollisionsgeschwindigkeit des Fahrzeugs des Beklagten zu 1 von mindestens 60 km/h als einen die Betriebsgefahr erhöhenden Umstand.

a) Nach der Rechtsprechung des Senats kann die allgemeine Betriebsgefahr allerdings durch besondere Umstände erhöht sein, was bei der Schadensteilung mit zu berücksichtigen ist. Hierfür kommt namentlich eine fehlerhafte oder verkehrswidrige Fahrweise der bei dem Betrieb des Fahrzeugs tätigen Personen in Betracht (Senatsurteile vom 27. Juni 2000 - VI ZR 126/99 - VersR 2000, 1294 , 1296; vom 18. November 2003 - VI ZR 31/02 - VersR 2004, 392 , 393 beide m.w.N. und vom 11. Januar 2005 - VI ZR 352/03 - zur Veröffentlichung bestimmt).

Im Streitfall kann zwar unter diesem Blickwinkel die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h durch den Beklagten zu 1 zu würdigen sein. Die Kollisionsgeschwindigkeit von 60 km/h beruht auf einer vom Beklagten zu 1 günstigstenfalls eingehaltenen Ausgangsgeschwindigkeit von 78 km/h. Das Berufungsgericht mußte in diesem Zusammenhang entgegen der Auffassung der Revision kein Sachverständigengutachten zu der Behauptung einholen, die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 8 km/h sei subjektiv vom Fahrer nicht wahrnehmbar. Die subjektive Wahrnehmbarkeit läßt sich durch einen Blick auf den Tachometer herstellen. Es ist Sache jedes Verkehrsteilnehmers, auf die Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu achten. Bei deren Überschreitung ist er ständig gehalten, seine Geschwindigkeit auf das zulässige Maß zu reduzieren (vgl. Senat, Urteil vom 25. März 2003 - VI ZR 161/02 - VersR 2003, 783 , 785). Dies gilt erst recht, wenn er - wie im Streitfall - durch das gelbe Blinklicht der "Vorampel" gewarnt und zur Einhaltung der Verkehrsregeln aufgefordert wird.

b) Das Berufungsgericht hat jedoch keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit unfallursächlich war. Betriebsgefahrerhöhende Umstände können aber bei der Schadensabwägung zu Lasten eines Unfallbeteiligten nur dann berücksichtigt werden, wenn sie feststehen, d.h. unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen sind und wenn sie sich auf den Unfall ausgewirkt haben, also unfallursächlich geworden sind (st. Rspr. vgl. Senatsurteile vom 27. Juni 2000 - VI ZR 126/99 - und vom 18. November 2003 - VI ZR 31/02 - beide aaO.). Ein späterer Unfall kann einer Geschwindigkeitsüberschreitung nicht allein schon deshalb zugerechnet werden, weil das Fahrzeug bei Einhaltung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit erst später an die Unfallstelle gelangt wäre, vielmehr muß sich in dem Unfall gerade die auf das zu schnelle Fahren zurückzuführende erhöhte Gefahrenlage aktualisieren. Der rechtliche Ursachenzusammenhang zwischen Geschwindigkeitsüberschreitung und Unfall ist zu bejahen, wenn bei Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit zum Zeitpunkt des Eintritts der kritischen Verkehrssituation der Unfall vermeidbar gewesen wäre (Senat, Urteil vom 22. Dezember 1959 - VI ZR 215/58 - VersR 1960, 183, 184; Urteil vom 27. November 1962 - VI ZR 240/61 - VersR 1963, 165, 166; Urteil vom 11. Januar 1977 - VI ZR 268/74 - VersR 1977, 524 , 525; Urteil vom 7. April 1987 - VI ZR 30/86 - VersR 1987, 821 , 822; Urteil vom 25. März 2003 - VI ZR 161/02 - aaO., 784 f. m.w.N.). Vermeidbarkeit ist auch bei geringfügigen Geschwindigkeitsüberschreitungen dann anzunehmen, wenn der Unfall bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zwar nicht räumlich, wohl aber zeitlich vermeidbar gewesen wäre. Dies ist der Fall, wenn es dem Fahrer bei einer verkehrsordnungsgemäßen Fahrweise zwar nicht gelungen wäre, das Fahrzeug noch vor der späteren Unfallstelle zum Stehen zu bringen, wenn er den PKW aber so stark hätte abbremsen können, daß dem Verletzten Zeit geblieben wäre, den Gefahrenbereich noch rechtzeitig zu verlassen. Entsprechendes gilt auch dann, wenn es dabei zumindest zu einer deutlichen Abmilderung des Unfallverlaufes und der erlittenen Verletzungen gekommen wäre (vgl. Senatsurteile vom 9. Juni 1992 - VI ZR 222/91 - VersR 1992, 1015 , 1016; vom 27. Juni 2000 - VI ZR 126/99 - aaO., 1295; vom 10. Oktober 2000 - VI ZR 268/99 - VersR 2000, 1556 , 1557; vom 23. April 2002 - VI ZR 180/01 - VersR 2002, 911 , 912 und vom 18. November 2003 - VI ZR 31/02 - aaO.).

Die Revision rügt zu Recht, daß das Berufungsgericht die Ausführungen des Sachverständigen G. zur Vermeidbarkeit nicht gewürdigt hat. Dieser ging davon aus, der Unfall sei bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit unter Zugrundelegung der für den Beklagten günstigsten Ausgangsdaten weder räumlich noch zeitlich vermeidbar gewesen. Zudem könne von technischer Seite nicht ausgeschlossen werden, daß der Kläger auch bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit schwerste Verletzungen erlitten hätte.

B. Die Anschlußrevision des Klägers hat keinen Erfolg. Für das Berufungsgericht bestehen auf der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts keine Zweifel daran, daß der Kläger die Fahrbahn bei Rotlicht zu überqueren versuchte und zwar unter Berücksichtigung des vorgelegten Signalphasenplans ca. 6,5 Sekunden vor dem Umschalten auf Grün. Das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit der vom Landgericht festgestellten Tatsachen begründen, hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler verneint (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ).

1. Das Berufungsgericht sieht es insbesondere, wie dem Zusammenhang seiner Ausführungen und der Bezugnahme auf die Feststellungen des Landgerichts zu entnehmen ist, mit diesem als erwiesen an, daß die Ampel entsprechend dem vorgelegten Phasenplan im wesentlichen ordnungsgemäß funktionierte. In Frage steht danach allenfalls, ob die für den Kläger maßgebliche Ampel geringfügig früher auf Grün wechselte als diejenige für den parallelen Kraftfahrzeugverkehr. Dies wäre in Anbetracht des Umstandes, daß die Grünphase unter Berücksichtigung des Plans erst 6,5 Sekunden nach dem Anfahren des Klägers begonnen hätte, für den Rotlichtverstoß ohne Bedeutung. Konkrete Anhaltspunkte für eine den Rotlichtverstoß des Klägers ausschließende Fehlfunktion der Ampel zeigt die Anschlußrevision nicht auf.

a) Die auch nach neuem Recht zulässige (BGHZ 158, 269 , 272) Rüge, das Berufungsgericht habe entscheidungserheblichen Sachvortrag übergangen, greift nicht durch. Der von der Anschlußrevision herangezogene Vortrag des Klägers, die für ihn maßgebliche Bedarfsampel für Fußgänger und Radfahrer sei wiederholt zu einem Zeitpunkt auf Grün geschaltet worden, zu dem die Ampel für den Fahrzeugverkehr noch Rot gezeigt habe und die Ampel sei häufig defekt gewesen, ist - ungeachtet der Frage, ob dieser pauschal gehaltene Vortrag schlüssig war - vom Landgericht berücksichtigt worden, das den Einwendungen nachgegangen ist und Beweis hierüber erhoben hat. Im Ergebnis hat es offen gelassen, ob die für den Kläger maßgebliche Ampel entsprechend dem Signalphasenplan genau gleichzeitig auf Grün wechselte oder geringfügig eher als die für den parallelen Kraftfahrzeugverkehr maßgebliche Ampel, da sich ein geringfügiger Versatz der Ampelphasen nicht entscheidungserheblich auswirke. Diese Feststellungen hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung ohne Rechtsfehler zugrundegelegt.

b) Das Berufungsgericht verkennt entgegen der Auffassung der Anschlußrevision auch nicht die Grundsätze der Darlegungs- und Beweislast. Denn es sieht mit dem Landgericht eine im unter 1. a) dargestellten Umfang ordnungsgemäße Funktion der Ampelanlage als erwiesen an, hält jedoch die vom Kläger vorgetragenen Verdachtsmomente nur nicht für ausreichend, um Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellung im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zu begründen.

2. Das Berufungsgericht hat zu Recht den Einwand des Klägers, der dem Sachverständigengutachten G. zugrunde gelegte Schaltplan sei zur Unfallzeit gar nicht eingespeist gewesen, nach § 531 Abs. 2 ZPO als verspätet zurückgewiesen. Damit ist er nicht geeignet, Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen zu begründen (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 15. Juli 2003 - VI ZR 361/02 - VersR 2004, 1575 , 1576 und Urteil vom 8. Juni 2004 - VI ZR 199/03 - VersR 2004, 1177 , 1179 f., zur Veröffentlichung in BGHZ 159, 245 vorgesehen; BGH BGHZ 158, 301 f.). Der Einwand ist entgegen der Auffassung der Anschlußrevision neu im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO .

a) Der Begriff der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel ist nach dem bisherigen Recht auszulegen (Senat, Urteil vom 8. Juni 2004 - VI ZR 199/03 - aaO., m.w.N.; BGH, Urteil vom 18. November 2004 - IX ZR 229/03 - WM 2005, 99 , 101). Ob ein in zweiter Instanz konkretisiertes Vorbringen neu ist, hängt also davon ab, wie allgemein es in erster Instanz gehalten war. Wenn es einen sehr allgemein gehaltenen Vortrag der ersten Instanz konkretisiert oder erstmals substantiiert, ist es neu, nicht aber dann, wenn ein bereits schlüssiges Vorbringen aus der ersten Instanz durch weitere Tatsachenbehauptungen zusätzlich konkretisiert, verdeutlicht oder erläutert wird (vgl. Senat, Urteil vom 8. Juni 2004 - VI ZR 199/03 - aaO.; BGH, Urteile vom 5. Juni 1991 - VIII ZR 129/90 - NJW-RR 1991, 1214, 1215 und vom 26. Juni 2003 - VII ZR 281/02 - NJW-RR 2003, 1321 , 1322).

b) Daran gemessen war das Vorbringen des Klägers in der Berufungsbegründung, insbesondere stehe nicht fest, daß das Gutachten aufgrund des zum Unfallzeitpunkt gültigen Phasenplans erstellt worden sei, neu. Der Kläger verfolgte in erster Instanz den Einwand, die Ampel habe nicht entsprechend dem Schaltplan funktioniert. Die von der Revision angeführte, in diesem Zusammenhang aufgestellte Behauptung des Klägers, der Schaltplan sei geändert worden, enthält weder aus sich heraus, noch in ihrem Kontext schlüssig das Vorbringen, das Gutachten sei nicht aufgrund des zum Unfallzeitpunkt gültigen Phasenplans erstellt worden. Der Kläger nimmt keine zeitliche Einordnung der behaupteten Änderung vor, insbesondere wird kein Bezug zum Unfallzeitpunkt hergestellt. Vor allem bedeutet die irgendwann durchgeführte Änderung des Phasenplans nicht notwendigerweise, daß dem Gutachter ein zum Unfallzeitpunkt nicht relevanter Phasenplan vorlag. Es handelt sich daher im Streitfall nicht lediglich um eine Konkretisierung erstinstanzlichen, sondern um neues Vorbringen. Sonstige Verfahrensmängel bei der Anwendung des § 531 Abs. 2 ZPO werden von der Anschlußrevision nicht gerügt.

III. Nach alldem ist das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist, und die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zur Nachholung der gebotenen Feststellungen zurückzuverweisen. Sollte das Berufungsgericht zu der Feststellung gelangen, daß dem Beklagten zu 1 bei Aufleuchten des Gelblichts an der Wechsellichtzeichenanlage ein rechtzeitiges Anhalten vor der Kreuzung nicht möglich gewesen wäre, wird es weiter zu prüfen haben, ob er nur deshalb nicht rechtzeitig anhalten konnte, weil er die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten hat. In diesem Fall kann die Geschwindigkeitsüberschreitung einen vorwerfbaren Verstoß gegen die Haltepflicht begründen (vgl. OLG Bremen, VRS 79, 38, 40; OLG Köln, VM 1984, 83; HK-StVR/Jäger, GW 1996, § 37 Rdn. 22).

Vorinstanz: OLG Hamm, vom 16.05.2003
Vorinstanz: LG Detmold,
Fundstellen
BGHReport 2005, 1037
DAR 2005, 447
MDR 2005, 923
NJW 2005, 1940
NZV 2005, 407
VRS 109, 92
VersR 2005, 954