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BGH - Entscheidung vom 10.03.2005

III ZR 289/04

Normen:
BGB § 276 § 280 § 282

BGH, Urteil vom 10.03.2005 - Aktenzeichen III ZR 289/04

DRsp Nr. 2005/4954

Haftung eines Sachverständigen für Mängel eines Verkehrswertgutachtens und Kausalität für den Kaufentschluss des Auftraggebers

Normenkette:

BGB § 276 § 280 § 282 ;

Tatbestand:

Der Kläger verlangt Schadensersatz wegen von ihm behaupteter Mängel eines Gutachtens, das der Beklagte über den Verkehrswert eines Grundbesitzes erstattete.

Der Kläger beabsichtigte, drei in B. belegene Flurstücke zu erwerben. Die um eine Finanzierung ersuchte Bank bat um die Vorlage eines Verkehrswertgutachtens. Der Kläger beauftragte daraufhin am 18. Dezember 1999 den Beklagten, einen Sachverständigen für Grundstücks- und Gebäudebewertung, mit der Erstattung eines solchen Gutachtens. Mit Datum vom 20. Dezember 1999 übermittelte dieser nach Besichtigung der Örtlichkeit und der auf dem Grundbesitz befindlichen Bauten dem Kläger das schriftlich abgefaßte Gutachten. Den Sachwert gab der Beklagte mit 503.000 DM und den Ertragswert mit 359.000 DM an. Hieraus ermittelte der Beklagte einen Verkehrswert von 440.000 DM.

Am 28. Dezember 1999 schloß der Kläger mit den seinerzeitigen Eigentümern einen Kaufvertrag über die Flurstücke. Er vereinbarte einen Preis von 405.000 DM zuzüglich 1.525 DM für Kosten im Zusammenhang mit einer Baulasteintragung. Der Grundbesitz wurde "ohne Gewähr für Maße und Nutzbarkeit sowie in dem baulichen Zustand, in dem er sich gegenwärtig befindet", verkauft.

Nach Vollzug des Kaufvertrages führte der Kläger im Jahr 2000 umfangreiche Renovierungsarbeiten an den Baulichkeiten durch. In der zweiten Hälfte des Jahres 2001 beauftragte er einen weiteren Sachverständigen mit der Erstattung eines Wertgutachtens zum Stichtag 28. Dezember 1999. Der Gutachter kam nach einer Ortsbesichtigung zu einem Verkehrswert von 200.000 DM bezogen auf den vorgenannten Zeitpunkt.

Der Kläger behauptet, das Gutachten des Beklagten weise eine Vielzahl von Mängeln auf. Er hätte von der Kaufentscheidung Abstand genommen, wenn ihm der wirkliche Wert des Grundstücks bekannt gewesen wäre.

Als Schaden macht der Kläger unter anderem die Differenz zwischen dem gezahlten Kaufpreis und dem von ihm behaupteten wirklichen Wert der Grundstücke und Zinsverluste, Renovierungs- sowie Abbruchkosten geltend.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge auf Verurteilung des Beklagten zur Zahlung eines bezifferten Schadensersatzes und auf Feststellung der Verpflichtung, weitergehende Kosten und Schäden zu ersetzen, weiter.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.

I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, es fehle bei wertender Betrachtung an dem ursächlichen Zusammenhang zwischen der vom Kläger behaupteten Mangelhaftigkeit des Gutachtens und dem geltend gemachten Schaden. Der Kläger habe durch seinen nach dem behaupteten schädigenden Ereignis, der Erstattung des fehlerhaften Gutachtens, gefaßten Entschluß, den Kaufvertrag zu unterzeichnen, den Eintritt des von ihm behaupteten Schadens selbst verursacht. Das Gutachten des Beklagten habe auch nicht die Entscheidung des Klägers zum Kauf der Grundstücke herausgefordert. Aufgrund der Gesamtumstände - der Auswahl des Gutachters, des vergleichsweise geringen Honorars und der Kürze der Zeit, die für die Erstellung des Gutachtens zur Verfügung gestanden habe - sei vielmehr davon auszugehen, daß es dem Kläger letztlich darum gegangen sei, eine preisgünstige Begutachtung und Bestätigung des Objektwerts zu erhalten, um über die C.-Bank den Grundstückserwerb finanzieren zu können. Auch die Zeitnähe der Begutachtung zu dem Beurkundungstermin für den Kaufvertrag am 28. Dezember 1999 spreche gegen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Ergebnis der Feststellungen des Beklagten und dem Kaufentschluß.

Überdies komme eine Schadensersatzverpflichtung wegen eines deutlich überwiegenden Mitverschuldens des Klägers an der Schadensentstehung nicht in Betracht. Angesichts der Kürze der für die Prüfung zur Verfügung stehenden Zeit habe dem Kläger klar sein müssen, daß wesentliche Punkte, wie die Bebaubarkeit des Grundstücks und die Qualität der Bausubstanz, nicht zuverlässig zu klären gewesen seien.

II. Dies beruht, wie die Revision zu Recht rügt, auf Verfahrensfehlern, so daß das Berufungsurteil aufzuheben war.

1. Soweit das Berufungsgericht Schadensersatzansprüche des Klägers, die je nach Nähe der geltend gemachten Schäden zu den behaupteten Mängeln des Gutachtens (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 26. März 1996 - X ZR 100/94 - NJW-RR 1996, 1203 , 1205 f.) ihre Grundlage in § 635 BGB a.F. oder positiver Forderungsverletzung - jeweils in Verbindung mit Art. 229 § 5 EGBGB - haben können, mit der Erwägung verneint hat, zwischen dem Ergebnis des Gutachtens des Beklagten und dem Kaufentschluß des Klägers bestehe kein Ursachenzusammenhang, ist dies verfahrensfehlerhaft (§ 286 ZPO ). Es kann auf sich beruhen, ob die Annahme des Berufungsgerichts, das Gutachten des Beklagten habe den Entschluß des Klägers zum Erwerb des Grundbesitzes zu dem vereinbarten Preis nicht herausgefordert, überhaupt von den insoweit von der Vorinstanz berücksichtigten Tatsachen getragen wird. Das Berufungsgericht hat jedenfalls entscheidungserhebliches Vorbringen und Beweisangebote übergangen.

a) Der Kläger hat behauptet, er hätte den Kaufvertrag nicht oder jedenfalls nicht zu dem verlangten Preis geschlossen, wenn ihm der tatsächliche Wert der Immobilie bekannt gewesen wäre beziehungsweise wenn nicht ein den angenommenen Sachwert bestätigendes Gutachten vorgelegt worden wäre. Damit hat er die vom Berufungsgericht verneinte Kausalität zwischen dem Ergebnis des vom Beklagten erstellten Verkehrswertgutachtens und seiner Entscheidung, die Flurstücke zu dem mit den Verkäufern vereinbarten Preis zu kaufen, behauptet. Er hat zu diesem Vorbringen bereits in erster Instanz Beweis angeboten durch Benennung seiner Lebensgefährtin W., des Finanzierungsvermittlers K. und des Grundstücksmaklers H. als Zeugen. Diese Beweisangebote hat er in der Berufungsinstanz wiederholt. Erst nach Erhebung dieser angebotenen Beweise hätte das Berufungsgericht die Richtigkeit der Behauptungen des Klägers zur Kausalität zwischen dem Ergebnis des Gutachtens und seinem Kaufentschluß beurteilen können. Ohne vorherige Beweisaufnahme stellen die Erwägungen des Berufungsgerichts zur Plausibilität des Vorbringens des Klägers eine verfahrensfehlerhafte vorweggenommene Beweiswürdigung dar. Es ist nicht auszuschließen, daß das Tatsachengericht nach einer Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gekommen wäre, daß der Kaufentschluß des Klägers auf dem Ergebnis des Gutachtens beruhte und dieser - im Gegensatz zu dem Sachverhalt, der dem von dem Berufungsgericht angeführten Urteil des X. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 17. Oktober 2000 ( X ZR 169/99 - WM 2001, 527 ff.) zugrunde lag - keine Risikoentscheidung getroffen hatte.

b) Darüber hinaus hat das Berufungsgericht, wie die Revision weiterhin mit Recht geltend macht, bei der Prüfung der Kausalität den auf ein Schreiben der C.-Bank vom 15. Dezember 1999 gestützten Vortrag des Klägers in dessen Schriftsatz vom 14. April 2004 nicht berücksichtigt, daß das Kreditinstitut die Finanzierung des Kaufpreises nicht von der Vorlage eines Wertgutachtens abhängig gemacht habe. Hätte sich der Berufungssenat mit diesem Vorbringen auseinandergesetzt, wäre er möglicherweise auch aus diesem Grund zu einem anderen Ergebnis gekommen.

c) Der Verfahrensverstoß ist entscheidungserheblich. Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand ist nicht auszuschließen, daß der Schadensersatzanspruch besteht.

Der Kläger hat unter Beweisantritt substantiiert vorgetragen, in welchen einzelnen Punkten das von dem Beklagten erstellte Gutachten fehlerhaft sein und nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Grundstückswertexpertise entsprechen soll. Er hat damit die Voraussetzungen für einen Mangel des Gutachtens im Sinne der §§ 633 , 635 BGB a.F. beziehungsweise für eine objektive Vertragspflichtverletzung dargelegt. Das Verschulden des Beklagten wird entsprechend § 282 BGB a.F. vermutet. Der Kläger hat auch den Eintritt eines Schadens, jedenfalls dem Grunde nach, schlüssig vorgetragen.

2. Auch soweit das Berufungsgericht die Zurückweisung des Rechtsmittels des Klägers auf die Begründung gestützt hat, ein Schadensersatzanspruch sei wegen deutlich überwiegenden Mitverschuldens des Klägers an der Schadensentstehung ausgeschlossen, beruht dies, wie die Revision im Ergebnis zu Recht rügt, auf einem Verfahrensfehler, da entscheidungserhebliches Vorbringen übergangen ist.

Die Reduzierung einer etwaigen Schadensersatzverpflichtung des Beklagten auf Null wegen überwiegenden Mitverschuldens des Klägers gemäß § 254 Abs. 1 BGB haben weder die Parteien noch Land- und Oberlandesgericht vor dem Erlaß des Berufungsurteils angesprochen. Insbesondere hat der Berufungssenat in der mündlichen Verhandlung am 15. April 2004 ausweislich des Terminsprotokolls nicht auf die mögliche Anwendung von § 254 BGB hingewiesen, sondern lediglich darauf, daß seiner Ansicht nach ein "Ursachenzusammenhang zwischen einer etwaigen Mangelhaftigkeit des Gutachtens des Beklagten und der Kaufentscheidung des Klägers nicht ersichtlich" sei. Das Berufungsgericht hätte jedoch im Hinblick auf seine Zweitbegründung spätestens in der mündlichen Verhandlung einen Hinweis darauf geben müssen, daß es die Anwendung von § 254 Abs. 1 BGB mit der Folge einer zumindest wesentlichen Reduzierung der Schadensersatzpflicht erwäge, und dem Kläger auf den daraufhin zu erwartenden Antrag zur Wahrung des rechtlichen Gehörs einen Schriftsatznachlaß gewähren müssen (§ 139 Abs. 5 ZPO ). Jedenfalls hätte es, nachdem der Kläger in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 5. Mai 2004 seinen Tatsachenvortrag zur besonderen Qualifikation des Beklagten vertieft hatte, die mündliche Verhandlung gemäß § 296a Satz 2, § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wiedereröffnen müssen. In beiden Fällen hätte der Kläger sein in dem Schriftsatz vom 5. Mai 2004 enthaltenes Vorbringen zu der besonderen Vertrauenswürdigkeit des Beklagten noch ordnungsgemäß in den Prozeß einführen können. Dies war ihm durch das Vorgehen des Berufungssenats nicht mehr möglich. Es ist nicht auszuschließen, daß das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des Vorbringens das Vertrauen, das der Kläger in die Richtigkeit des Gutachtens haben durfte, höher bewertet hätte, so daß eine Haftung des Beklagten zumindest nicht vollständig an § 254 Abs. 1 BGB gescheitert wäre.

Überdies wird das Berufungsgericht bei der neuen Entscheidung gegebenenfalls zu erwägen haben, ob der Ausschluß eines Schadensersatzanspruchs des Klägers nach § 254 Abs. 1 BGB selbst ohne Berücksichtigung des Vorbringens im Schriftsatz vom 5. Mai 2004 angemessen ist. Die bisherige Bewertung der Schadensverursachungsbeiträge beider Parteien würde - bei unterstellter Richtigkeit des klägerischen Vorbringens zur Mangelhaftigkeit des Gutachtens - die Verursachungsanteile geradezu auf den Kopf stellen.

Da tatsächliche Feststellungen nachzuholen sind, kann der Senat den Rechtsstreit nicht selbst abschließend entscheiden. Die Sache war daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ), wobei der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht hat.

Vorinstanz: OLG Köln, vom 17.05.2004