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BGH - Entscheidung vom 16.02.2005

5 StR 547/04

Normen:
StPO § 261

BGH, Urteil vom 16.02.2005 - Aktenzeichen 5 StR 547/04

DRsp Nr. 2005/3294

Glaubhaftigkeit der Einlassung des Angeklagten bei deren teilweiser Widerlegung

Bei einer in Teilen widerlegten Einlassung des Angeklagten ist auch der verbleibende Teil der Aussage kritisch zu würdigen.

Normenkette:

StPO § 261 ;

Gründe:

Das Schwurgericht hat den Angeklagten R P wegen Brandstiftung (Einzelfreiheitsstrafe: ein Jahr), wegen Sachbeschädigung (Einzelgeldstrafe: 90 Tagessätze zu je 60 EUR) und wegen Verwahrungsbruchs (Einzelgeldstrafe: 60 Tagessätze zu je 60 EUR) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Von den Tatvorwürfen der gefährlichen Körperverletzung in zwei Fällen und des Mordes in zwei Fällen hat das Schwurgericht diesen Angeklagten freigesprochen.

Die auf die Freisprüche und die Verurteilung wegen Sachbeschädigung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft sowie die Revisionen der Nebenkläger, diese beschränkt auf den Freispruch vom Vorwurf der Ermordung ihres Angehörigen Pr, haben jeweils mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg.

1. Der Angeklagte empfing am 7. Januar 2003 die später Getöteten Pe und Pr in seinem Kellerbüro. Er wollte mit Pe über den Verkauf eines schadhaften Geländewagens verhandeln, dessen Reparatur in Pe's Autowerkstatt im Vorjahr mißlungen war. Pe hatte als Anzahlung einen Barbetrag von 2.000 EUR mitgebracht. Es kam zum Streit des Angeklagten mit dem erhofften Käufer und dessen Begleiter und zu einem Einsatz von Pfefferspray durch den Angeklagten. Schließlich erschoß der Angeklagte beide Männer.

Mit Hilfe seines Bruders beförderte er die Leichen zu einem zugefrorenen See in Brandenburg, unter dessen Eis er sie versenkte. Ferner verbrannte er das Fahrzeug des Pr in einem Waldstück ebenfalls mit Hilfe seines Bruders, des bisherigen Mitangeklagten K P, der wegen Beihilfe zur Brandstiftung rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt ist. Vor seiner Verhaftung brach der Angeklagte in seine versiegelte Wohnung ein, entnahm Gegenstände und bemühte sich um weitere Spurenbeseitigung.

2. Das Schwurgericht hat in der Hauptverhandlung folgende hier erstmals abgegebene Einlassung des Angeklagten für unwiderlegbar erachtet: Mit dem Pfeffersprayeinsatz habe er die Besucher verteiben wollen, als diese sich nach dem Streit geweigert hätten, aufforderungsgemäß sein Haus zu verlassen. Der Einsatz sei erfolglos geblieben. Nunmehr sei Pe auf ihn mit einer scharfen Faustfeuerwaffe losgegangen. Er sei dem Pe in den Arm gefallen, habe mit der linken Hand seinen Ellenbogen nach oben gedrückt, mit der rechten Hand den Lauf der Waffe ergriffen, diese gedreht und damit auf seinen Widersacher gerichtet. Dabei habe sich ein Schuß gelöst, der Pe getötet habe. Er habe sodann die Waffe ergriffen. Da Pr nun mit einem Messer auf ihn losgegangen sei, habe er diesen gleichfalls zur Abwehr erschossen. Anschließend habe er sich mit Hilfe seines Bruders um vollständige Spurenbeseitigung bemüht, da ihm die Rechtslage nicht klar, die Verdachtslage gegen ihn indes beträchtlich erschienen sei.

Das Schwurgericht hat auf dieser Tatsachengrundlage einen durch Notwehr gerechtfertigten Pfeffersprayeinsatz des Angeklagten und ebenfalls durch Notwehr gerechtfertigte vorsätzliche Tötungen des Angeklagten für gegeben erachtet und hat ihn danach von den Vorwürfen zweifacher gefährlicher Körperverletzung und zweifachen Mordes aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen freigesprochen. Es hat ferner die Einlassung des Angeklagten für unwiderlegt gehalten, er habe das von Pe mit sich geführte Geld zwar zunächst an sich gebracht, es wenige Tage nach der Tat während einer Reise im Rahmen weiterer Spurenbeseitigung aber im Rhein versenkt. Es sei nicht zu widerlegen, daß ein Betrag von 1.700 EUR, den der Angeklagte kurz nach der Tat auf seinem unzureichend gedeckten Konto eingezahlt hat, aus Bareinkünften gestammt habe. Daher hat das Schwurgericht den Angeklagten insoweit nicht wegen Unterschlagung, sondern lediglich wegen Sachbeschädigung verurteilt.

3. Auch wenn die tatgerichtliche Beweiswürdigung nur eingeschränkter revisionsgerichtlicher Überprüfung unterliegt, zudem die Ausgangsüberlegung des Schwurgerichts zutrifft, daß der Angeklagte allein durch die Art und Weise der Spurenbeseitigung nicht zu überführen ist, schon gar nicht durch den späten Zeitpunkt der seine Nichtverurteilung tragenden Einlassung, so hält gleichwohl die Beweiswürdigung des Schwurgerichts, welche die Freisprüche und die Nichtverurteilung des Angeklagten wegen Unterschlagung trägt, revisionsgerichtlicher Überprüfung durch das Revisionsgericht nicht stand. Dies gilt auch unter Berücksichtigung folgender - vom Verteidiger in der Revisionshauptverhandlung zutreffend hervorgehobener - Umstände: Als Ausgangssituation des Tatgeschehens erscheint ein Streit, den der im Zusammenhang mit dem beabsichtigten Autokoauf deutlich dubios agierende Pe mit dem unbestraften Angeklagten vom Zaun gebrochen hat, nicht unplausibel. Die Tatversionen der Anklage (rechtswidrige zweifache gefährliche Körperverletzung und anschließender zweifacher Verdeckungsmord) sowie die Mutmaßungen der Nebenklage hierzu (aus Rachemotiven ausgeklügelter Raubmord) dürften hingegen schwerlich feststellbar sein.

a) Die Beweiswürdigung des Schwurgerichts erweist sich indes jedenfalls in zwei Punkten als durchgreifend fehlerhaft:

(1) Der Angeklagte hat über den Beginn des Tatgeschehens gegenüber einer Zeugin und gegenüber der Polizei nach seiner Verhaftung - jeweils freilich mit der unrichtigen Angabe verbunden, die Opfer hätten sein Haus lebend verlassen - und insbesondere gegenüber seinem Bruder vor Beseitigung der Leichen und Tatspuren angegeben, es habe eine "Schießerei" gegeben, wobei die Besucher "mit den mitgebrachten Waffen zuerst geschossen hätten und er sie dann im Kampfgeschehen erschossen habe" (UA S. 14). Danach war eine "Schießerei" zu erwägen, bei welcher zunächst die Widersacher des Angeklagten geschossen haben und dieser sie darauf mit einer eigenen Waffe erschoß. Dies gilt zumal im Blick auf den Verbleib scharfer Patronen im Haus des Angeklagten trotz der Bemühung um Spurenbeseitigung (UA S. 14). Das Schwurgericht hält eine solche Variante deshalb für erwiesenermaßen falsch, weil Schüsse der Opfer mangels entsprechender Einschußspuren widerlegt seien (UA S. 33, 36). Jedenfalls läßt das Schwurgericht mit dieser Erwägung - wie die Revisionen zutreffend rügen - außer Betracht, daß von Seiten der Widersacher auch Schreckschußwaffen eingesetzt worden sein können, die keine Einschußspuren hinterlassen. Eine solche Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, drängte sich umso mehr auf, als Zeugen gerade den Besitz einer Schreckschußpistole durch Pe bestätigt hatten (UA S. 41).

Damit sind frühere abweichende Angaben des Angeklagten über den Beginn des Tatgeschehens unter Heranziehung fehlerhafter Voraussetzungen, folglich lückenhaft gewürdigt worden. Auf dem Beweiswürdigungsfehler kann der Freispruch namentlich deshalb beruhen, weil etwa unrichtige Angaben des Angeklagten gegenüber seinem spontan als vertrauten und verschwiegenen Helfer zur Spurenbeseitigung herangezogenen Bruder, wie sie dem angefochtenen Urteil zu entnehmen sind (UA S. 14, 36), ohnehin schwer verständlich erscheinen.

(2) Ferner hat sich das Schwurgericht nicht hinreichend mit der Frage eines Motivs des Angeklagten auseinandergesetzt, die von Pe mitgeführten Geldscheine nicht alsbald mit dem anderen Inhalt seiner Tasche zu verbrennen, sondern - in ersichtlich weniger aussichtsreicher Form der Spurenbeseitigung - später im Rhein zu versenken. Es kommt hinzu, daß das Gericht überhaupt keine näheren Überlegungen dazu angestellt hat, weshalb der Angeklagte dem getöteten Pr vor Beseitigung der Leichen den goldenen Ehering vom Finger gezogen hat; auch ein Motiv für das festgestellte Verbergen von Mobiltelefonen der Tatopfer im Kühlergrill seines Fahrzeuges bleibt unerörtert. Danach ist die Annahme des Schwurgerichts, der Angeklagte habe sich die Wertgegenstände der Opfer mit Ansichnahme nicht zueignen wollen, nicht genügend begründet.

Dies zieht unmittelbar die Aufhebung des Schuldspruchs wegen der Behandlung des Bargeldes lediglich wegen Sachbeschädigung nach sich. Hierin liegt aber zugleich eine insgesamt nicht hinreichende Würdigung der Einlassung des Angeklagten. Die Beweiswürdigung des Schwurgerichts ist maßgeblich darauf gestützt, daß es an der Glaubhaftigkeit der Einlassung insgesamt keine durchgreifenden Zweifel hatte (UA S. 23, 37 ff., 42). Die mögliche Widerlegung eines Teils dieser Einlassung entzieht danach der getroffenen Gesamtwürdigung die Grundlage.

b) Der Senat kann offenlassen, ob ein durchgreifender Sachmangel auch darin zu finden ist, daß das Schwurgericht die Frage nicht näher abgehandelt hat, ob das Auslösen eines Schusses durch die vom Angeklagten behauptete Art des Entwindens einer Faustfeuerwaffe aus der Hand des angreifenden Pe technisch überhaupt möglich war, gegebenenfalls aber ganz unwahrscheinlich ist. Insgesamt setzt die Tatversion des Angeklagten eine Häufung ungewöhnlicher Zufälle voraus, insbesondere im Zusammenhang mit dem Schußwaffengebrauch, durch den nahezu parallel und jeweils von oben nach unten verlaufende Schußkanäle in den Körpern der ganz unterschiedlich großen Getöteten verursacht wurden. Insoweit hat das Schwurgericht allerdings - wie der Verteidiger zutreffend hervorgehoben hat - durchaus gewichtige Gegenindizien herangezogen, die dafür sprechen können, daß der Angeklagte beide Opfer tatsächlich in stehendem Zustand getroffen hat.

3. Letztlich bedarf die Sache im Umfang der Aufhebung umfassender neuer tatgerichtlicher Überprüfung. Sollte das neue Tatgericht zu einer Beweiswürdigung gelangen, nach der es ungeachtet der bislang plausiblen Überlegungen zur Ausgangssituation der Tat eine Notwehrlage des Angeklagten bei Abgabe der tödlichen Schüsse oder Entschuldigungsgründe in diesem Zusammenhang ausschließen kann, wird es auch zu bedenken haben, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für nach § 213 , erste Alternative StGB zu beurteilende Totschlagstaten in Betracht kommen. Das neue Tatgericht wird zudem in Vorbereitung der erneuten Hauptverhandlung das im Zusammenhang mit Verfahrensrügen vorgetragene Revisionsvorbringen zu weiteren denkbaren Gutachten zum Schußverlauf zu beachten haben.

Vorinstanz: LG Berlin, vom 17.12.2003