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BGH - Entscheidung vom 07.04.2005

4 StR 82/05

Normen:
StGB § 78 Abs. 1
StPO § 261

BGH, Beschluß vom 07.04.2005 - Aktenzeichen 4 StR 82/05

DRsp Nr. 2005/7808

Verjährung und in-dubio-Grundsatz

Für die Frage der Verjährung ist jeweils auf die dem Angeklagten günstigste mögliche Tatzeit abzustellen.

Normenkette:

StGB § 78 Abs. 1 ; StPO § 261 ;

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in 18 Fällen und wegen sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus dem Beschlußtenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO .

1. Soweit der Angeklagte wegen sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen in neun Fällen verurteilt worden ist, hat die Nachprüfung des Urteils wegen der im Sommer 1999 in einem Hotel in Hannover begangenen Tat (Fall 27 der Anklageschrift) keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Hinsichtlich der acht weiteren Taten ist dagegen die Verurteilung aufzuheben und das Verfahren einzustellen, weil es insoweit an der Prozeßvoraussetzung einer zugelassenen Anklageschrift fehlt.

Nach den Urteilsfeststellungen hat der Angeklagte diese acht Mißbrauchstaten im Zeitraum zwischen April 1997 und Februar 2000 begangen (UA 7). Gegenstand der zugelassenen Anklage waren jedoch zehn in der Zeit von April 1999 bis zum 28. Februar 2000 begangene Taten (Fälle 19 bis 28 der Anklageschrift), von denen die Fälle 27 und 28 nach Zeit und Ort ihrer Begehung näher bezeichnet wurden; das Verfahren wegen der Tat zu Fall 28, die in der Nacht zum 28. Februar 2000 begangen worden sein soll, ist in der Hauptverhandlung nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Sexuelle Handlungen, die der Angeklagte mit seiner am 24. März 1983 geborenen Stieftochter in der Zeit vom 24. März 1997 bis Ende März 1999 vorgenommen haben soll, sind ausdrücklich nicht angeklagt worden, weil insoweit Verfolgungsverjährung eingetreten sei. Die Staatsanwaltschaft hat in der Anklageschrift zutreffend darauf hingewiesen (Bd. I Bl. 103 der Akten), daß diese Taten mehr als fünf Jahre vor der ersten, die Verjährung unterbrechenden Handlung, die in der Bekanntgabe der Einleitung des Ermittlungsverfahrens am 29. März 2004 zu sehen ist, begangen worden sind, und daß die bis zum 31. März 2004 geltende Fassung des § 78 b StGB Straftaten nach § 174 StGB nicht umfaßte.

Anhand der sehr knappen Urteilsausführungen lassen sich die Tatzeiten für die acht Mißbrauchstaten nicht sicher bestimmen. Da für die Frage der Verjährung jeweils auf die dem Angeklagten günstigste mögliche Tatzeit abzustellen ist (vgl. BGHSt 18, 274 ; BGHR StGB § 78 Abs. 3 Fristablauf 1), ist zu seinen Gunsten davon auszugehen, daß alle acht Taten vor dem 29. März 1999 und damit in rechtsverjährter Zeit begangen wurden, und daß sie daher auch nicht angeklagt worden sind.

Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils insoweit und zur Einstellung des Verfahrens hinsichtlich dieser acht Taten; einer ausdrücklichen Aufhebung der dafür verhängten Einzelstrafen bedarf es nicht (vgl. BGH, Beschluß vom 16. Januar 1996 - 4 StR 703/95).

2. Soweit der Angeklagte wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in 18 Fällen verurteilt worden ist, genügt die Ermittlung der Tathäufigkeit und die Festlegung auf gerade 18 Taten nicht den an ein Strafurteil zu stellenden Anforderungen. Das Landgericht hat nach Darstellung der ersten, im Frühsommer 1994 begangenen Tat lediglich folgendes festgestellt:

"Nach diesem ersten Vorfall ließ der Angeklagte die Zeugin für etwa 3 Monate in Ruhe, jedoch setzte er seine Übergriffe im Spätsommer 1994 fort. In dieser Zeit bis zum März 1997, als Stefanie 14 Jahre alt wurde, forderte er in 17 weiteren Fällen in verschiedenen Zimmern der Wohnung oder auch in Stefanies Zimmer den Oralverkehr, dem sich Stefanie auch nicht entzog. Nach etwa 1 Jahr hatte er auch erstmals einen Samenerguß im Mund des Kindes. Das geschah in der Folgezeit öfter, wobei sich Stefanie anschließend im Bad den Mund auswaschen konnte, es kam aber auch vor, dass sie sein Glied vor dem Samenerguß los ließ und er sich dann selbst mit der Hand befriedigte. ... Insgesamt hatte er in dieser Zeit 8 mal Oralverkehr ohne und 10 mal mit Samenerguß in den Mund der Zeugin" (UA 6).

Diese pauschalen - in der Beweiswürdigung nicht ergänzten - Feststellungen sind keine ausreichende Grundlage, um den bestreitenden Angeklagten wegen 18 selbständiger Taten zu verurteilen. Um eine bestimmte Anzahl von Straftaten einer im wesentlichen gleichförmig verlaufenden Serie festzustellen, muß der Tatrichter darlegen, aus welchen Gründen er die Überzeugung gerade von dieser Mindestzahl von Straftaten gewonnen hat (vgl. BGHR StGB § 176 Serienstraftaten 8). Daran fehlt es, zumal das Urteil auch nicht mitteilt, woran das Opfer die Häufigkeit der sexuellen Übergriffe festgemacht hat. Zwar dürfen in Fällen, in denen dem Angeklagten eine Vielzahl erst nach Jahren aufgedeckter sexueller Übergriffe zur Last gelegt wird, an die Individualisierung der einzelnen Mißbrauchshandlungen nach Tatzeit und Geschehensablauf keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Andererseits aber darf eine unzureichende Konkretisierung auch nicht dazu führen, daß der Angeklagte in seinen Verteidigungsmöglichkeiten unangemessen beschränkt wird (vgl. BGHSt 42, 107 f. m.w.N.; BGHR StGB § 176 Serienstraftaten 7).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist den Feststellungen zu entnehmen, daß es jedenfalls in fünf konkreten Fällen zu Mißbrauchshandlungen des Angeklagten an seiner noch nicht 14 Jahre alten Stieftochter kam, und zwar im Frühsommer 1994, im Spätsommer 1994 und in der Zeit von 1995 bis zum März 1997 jeweils zum Oralverkehr ohne Samenerguß in den Mund des Kindes sowie in der Zeit von 1995 bis zum März 1997 zweimal zum Oralverkehr mit Samenerguß in den Mund des Kindes. Nur hinsichtlich dieser fünf Fälle haben die Verurteilung des Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes sowie die insoweit ausgeworfenen Einzelstrafen von dreimal einem Jahr und zweimal einem Jahr und drei Monaten Freiheitsstrafe daher Bestand; im übrigen unterliegt die Verurteilung der Aufhebung.

3. Die Teilaufhebungen zu 1. und 2. entziehen der Gesamtfreiheitsstrafe die Grundlage, so daß sie ebenfalls aufzuheben ist.

4. Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, daß über acht der zehn angeklagten Fälle des sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen (Fälle 19 bis 26 der Anklageschrift) bisher noch nicht entschieden ist.

Vorinstanz: LG Paderborn, vom 22.11.2004