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BGH - Entscheidung vom 13.07.2005

2 StR 504/04

Normen:
StPO § 261

Fundstellen:
NStR-RR 2005, 351
StV 2005, 596

BGH, Beschluß vom 13.07.2005 - Aktenzeichen 2 StR 504/04

DRsp Nr. 2005/13149

Gegenläufige Anwendung des in-dubio-Grunsatzes bei mehreren Angeklagten; Untreue als Vortat einer Hehlerei; Verwerfung einer Staatsanwalts-Revision als offensichtlich unbegründet

1. Ist die Tatbeteiligung eines Angeklagten nicht sicher feststellbar und wird dieser deshalb freigesprochen, können gleichwohl hinsichtlich der anderen Angeklagten nach dem Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagten" für diese günstige Feststellungen geboten sein, die auf der Annahme der Tatbeteiligung des freigesprochenen Angeklagten beruhen.2. Untreue (bzw. Beihilfe zur Untreue) kann eine rechtswidrige Vortat der Hehlerei sein.3. Auch eine Revision der Staatsanwaltschaft kann durch Beschluss als offensichtlich unbegründet verworfen werden.

Normenkette:

StPO § 261 ;

Gründe:

Das Landgericht Kassel hat den Angeklagten K. wegen Betruges in zehn Fällen und wegen Diebstahls und Unterschlagung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Den Angeklagten S. hat es wegen Betruges in drei Fällen, Diebstahls und Unterschlagung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten und den Angeklagten W. wegen Diebstahls und Beihilfe zum Vortäuschen einer Straftat zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Angeklagte Wa. wurde wegen gewerbsmäßiger Bandenhehlerei in zwei Fällen und Beihilfe zur gewerbsmäßigen Bandenhehlerei in drei Fällen unter Einbeziehung von fünf Einzelstrafen aus rechtskräftigen Vorverurteilungen durch das Amtsgericht Hamburg-Harburg zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Den Mitangeklagten R. hat das Landgericht von den Vorwürfen der Unterschlagung in zwei Fällen, des Betruges und des versuchten Betruges freigesprochen (Fälle II 1 und 4).

Gegen dieses Urteil richten sich die auf die Sachrüge, hinsichtlich des Angeklagten W. zusätzlich auf Verfahrensrügen gestützten Revisionen der Angeklagten K., S., Wa. und W. sowie - zu Gunsten der Angeklagten K. und Wa. - die auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Die Revisionen haben in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg, im übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO .

I. 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts kamen die Angeklagten S. und K. überein, im Zusammenwirken mit dem früheren Mitangeklagten Sa. hochwertige Fahrzeuge, in deren Besitz sie gelangt waren, insbesondere Leasingfahrzeuge oder Mietwagen über Polen nach Weißrußland zu verschieben. Der Mitangeklagte Sa. hatte sich seinerseits mit einem polnischen Autohändler "C. ", der über Kontakte nach Weißrußland verfügte, und dem Angeklagten Wa. zusammengeschlossen, um eine noch ungewisse Zahl solcher Fahrzeuge aus Deutschland abzunehmen. Dabei sollte der Angeklagte Wa. als Fahrer fungieren. Um Schwierigkeiten beim Grenzübertritt zu vermeiden, verfügten die jeweiligen Fahrer über den Originalfahrzeugschein und den Originalfahrzeugschlüssel, die später nach Deutschland zurückgebracht wurden, um sie bei einer Diebstahlsanzeige vorweisen zu können.

Als erstes Fahrzeug (Fall II 1 der Urteilsgründe) wurde ein grüner Audi A 8 (Wert ca. 90.000 DM) verschoben. Eigentümerin des Fahrzeugs war das "Autohaus R." aus E.. Das zuvor stillgelegte Fahrzeug war zu diesem Zweck erneut zugelassen worden. Am 24. August 2001 wurde es dem Angeklagten K. durch den im Autohaus R. als Verkäufer tätigen Angeklagten W. für eine "Probefahrt" mit dem Originalfahrzeugschein und dem Originalfahrzeugschlüssel übergeben. Dem Angeklagten W. war dabei bewußt, daß das Fahrzeug tatsächlich über Polen nach Weißrußland verschoben werden sollte. Durch den Angeklagten Wa. wurde das Fahrzeug zunächst nach Polen und von dort nach Weißrußland gefahren, wo er es an die Abnehmer übergab. Diese zahlten zumindest 18.500 DM, von denen der Angeklagte Wa. 2.500 DM, der Angeklagte K. 3.500 DM und der Angeklagte S. 10.000 DM erhielten. Daß der Angeklagte W. einen Vorteil aus der Tat erlangte, vermochte das Landgericht nicht festzustellen. Der Originalfahrzeugschein und der Originalschlüssel gelangten über den Angeklagten S. an den Angeklagten W. zurück. Am 3. September 2001 fingierten der Angeklagte W. und der Mitangeklagte M. eine weitere Probefahrt mit diesem Fahrzeug, um dessen Verbringen nach Polen zu verschleiern. Der Mitangeklagte M. meldete den Audi am 5. September 2001 als gestohlen. Die von dem Autohaus in Anspruch genommene Versicherung zahlte nach Abzug eines Selbstbehalts von 20.000 DM 77.000 DM.

Dem Angeklagten R., der nach den Feststellungen "Eigentümer und Geschäftsführer" des - wie sich dem Urteilszusammenhang entnehmen läßt - in der Rechtsform der GmbH geführten Autohauses war, hatte die Anklage in diesen Fällen zur Last gelegt, von der Verschiebung der Fahrzeuge Kenntnis gehabt zu haben und damit einverstanden gewesen zu sein. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat die Strafkammer den Angeklagten R. mit ausführlicher Begründung aus "Mangel an Beweisen" freigesprochen. Die Angeklagten K., S. und W. hat das Landgericht im Fall II 1 der Urteilsgründe aufgrund der Feststellung, der Mitangeklagte R. sei nicht mit der Verschiebung des Fahrzeugs einverstanden gewesen, wegen gemeinschaftlichen Diebstahls verurteilt. Der Angeklagte W. habe als Angestellter des Autohauses den übergeordneten Gewahrsam des Angeklagten R. gebrochen. Den Angeklagten W. hat es tatmehrheitlich dazu wegen Beihilfe zum Vortäuschen einer Straftat verurteilt. Die Anmietung des Audi TT im Fall II 4 hat die Strafkammer für die Angeklagten S. und K. als gemeinschaftlichen Betrug und die Anwerbung der Mitangeklagten Ci. als Fahrerin durch den Angeklagten Wa. als Beihilfe zur gewerbsmäßigen Hehlerei gewertet.

II. 1. Revisionen der Angeklagten K., S., W. und Wa.:

(1) Die Revisionen der Angeklagten K., S. und W., letzterer soweit er wegen Beteiligung am Diebstahl des Audi A 8 verurteilt ist, haben im Fall II 1 der Urteilsgründe schon mit der Sachrüge Erfolg.

a) Einer Entscheidung über die von dem Angeklagten W. erhobene Aufklärungsrüge, mit der er beanstandet, daß ein abgehörtes Telefonat, dessen Verwertung ein Beweisverwertungsverbot nach § 100 b Abs. 5 StPO zu seinen und zu Lasten des Angeklagten R. entgegenstand, nicht zu seinen Gunsten in die Hauptverhandlung eingeführt und verwertet worden sei, bedarf es daher nicht. Allerdings erscheint es dem Senat zweifelhaft, daß das Gericht sich zu einer solchen Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen. Selbst wenn man die Einführung und Verwertung dieses Beweismittels zugunsten des Angeklagten grundsätzlich für möglich hält (vgl. Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. Einl. Rdn. 55 m.w.N.), hat der Beschwerdeführer weder vorgetragen noch ist sonst ersichtlich, daß er selbst durch einen entsprechenden Antrag in der Hauptverhandlung auf die Einführung des Telefongesprächs hingewirkt und sein Interesse an dessen Verwertung erkennbar gemacht oder jedenfalls auf das für ihn grundsätzlich disponible Beweisverwertungsverbot (vgl. BGHR StPO § 100 a Verwertungsverbot 11) verzichtet hat. Soweit der Angeklagte W. weitere Verfahrensrügen erhoben hat, haben diese aus den Erwägungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 14. Februar 2005 keinen Erfolg.

b) Die Verurteilung der Angeklagten K., S. und W. im Fall II 1 der Urteilsgründe wegen eines in Mittäterschaft begangenen Diebstahls begegnet durchgreifenden Bedenken, weil die Strafkammer die Reichweite des Grundsatzes "in dubio pro reo" verkannt hat. Nach den Urteilsausführungen hat sich die Strafkammer von einer Beteiligung des Mitangeklagten R. an der Verschiebung des Audi zwar nicht mit einer für eine Verurteilung ausreichenden Sicherheit überzeugen können, sie andererseits aber auch nicht mit Sicherheit ausschließen können. Obwohl die Kammer eine Tatbeteiligung des Angeklagten R. danach lediglich nach dem Zweifelssatz verneint hat, hat sie es jedoch unterlassen, eine solche zugunsten der Mitangeklagten zu prüfen. Die Anwendung des Zweifelssatzes kann dazu führen, daß in ein und demselben Urteil von mehreren Fallgestaltungen auszugehen ist, die einander sogar ausschließen können, weil bei jedem Angeklagten jeweils von der ihm günstigsten Möglichkeit auszugehen ist. Ist - wie hier - die Tatbeteiligung eines Angeklagten nicht sicher feststellbar und wird dieser deshalb freigesprochen, können gleichwohl hinsichtlich der anderen Angeklagten nach dem Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagten" für diese günstige Feststellungen geboten sein, die auf der Annahme der Tatbeteiligung des freigesprochenen Angeklagten beruhen (BGHR StPO § 261 in dubio pro reo 8 m.w.N.; BGH StV 1996, 81 ; Meyer-Goßner StPO 48. Aufl. § 261 Rdn. 32).

Dementsprechend hätte die Kammer zu Gunsten der Angeklagten K., S. und W. den Sachverhalt auch unter der Voraussetzung prüfen müssen, daß der Pkw im Einverständnis des Mitangeklagten R. nach Polen verschoben wurde. Damit hätten die Angeklagten nicht wegen Diebstahls verurteilt werden können, weil das Einverständnis des Gewahrsamsinhabers eine Wegnahme ausschließt. Auf dieser Grundlage hätte das Landgericht andererseits erörtern müssen, ob sich die Angeklagten K., S. und W. gegebenenfalls wegen Beihilfe zur Untreue des Mitangeklagten R. strafbar gemacht haben können.

Die Verurteilung der Angeklagten K., S. und W. im Fall II 1 wegen Diebstahls kann danach keinen Bestand haben. Keinen Bedenken begegnet hingegen die Verurteilung des Angeklagten W. wegen Beihilfe zum Vortäuschen einer Straftat im Fall II 1, weil dieser Tatbestand auch dann erfüllt wäre, wenn der Mitangeklagte R. an der Verschiebung des Fahrzeugs beteiligt gewesen war. Auch der Schuldspruch gegen den Angeklagten Wa. wird von dem Rechtsfehler nicht berührt, weil auch Untreue (bzw. Beihilfe zur Untreue) eine rechtswidrige Vortat der Hehlerei sein kann (BGH wistra 2004, 105, 108; Stree in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 259 Rdn. 7).

(2) Die weitergehenden auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten K., S., W. und Wa. haben aus den zureffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg. Insbesondere stände ein nach dem Zweifelsgrundsatz zu Gunsten der Angeklagten K. und S. anzunehmendes Einverständnis des Mitangeklagten R. mit der Verschiebung des ebenfalls im Eigentum des Autohauses R. stehenden Audi TT im Fall II 4 der Verurteilung wegen gemeinschaftlichen Betruges nicht entgegen. Über die Rückgabebereitschaft getäuscht wurde in diesem Fall eine Mitarbeiterin des Autohauses, die mit der Übergabe des Fahrzeugs an die Mitangeklagte Ci. eine Vermögensverfügung zu Lasten der Eigentümerin, der GmbH, vornahm, bei der auch der Vermögensschaden eintrat.

(3) Die Aufhebung der Verurteilung im Fall II 1 zieht die Aufhebung der Gesamtstrafenaussprüche nach sich.

2. Revision der Staatsanwaltschaft

Die zugunsten der Angeklagten K. und Wa. eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft hat, soweit sie den Angeklagten K. betrifft, im Fall II 1 der Urteilsgründe aus den zu den Angeklagtenrevisionen aufgeführten Gründen Erfolg. Die weitergehende Revision ist aus den zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 14. Februar 2005 unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO .

Bedenken gegen eine Verwerfung der Revision der Staatsanwaltschaft im Beschlußweg gemäß § 349 Abs. 2 StPO bestehen nicht (vgl. BGH bei Dallinger MDR 1975, 726; BGHR StPO § 349 Abs. 2 Verwerfung 1; zur Beschlußverwerfung allgemein: BVerfG NJW 2005, 1999 , 2000).

Der Wortlaut des § 349 Abs. 2 StPO trifft keine Unterscheidung in bezug auf den Beschwerdeführer. Der Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, daß es eine das Revisionsgericht entlastende Möglichkeit der Beschlußverwerfung geben soll, in denen das Gericht (einstimmig) und die Staatsanwaltschaft bei dem Revisionsgericht unabhängig voneinander zu dem Ergebnis kommen, daß eine Revision offensichtlich unbegründet ist (vgl. BTDrucks. IV/178 S. 44; Kuckein in KK 5. Aufl. § 349 Rdn. 15). Dieser Gedanke greift auch bei offensichtlich unbegründeten Revisionen der Staatsanwaltschaft ein. Aus § 349 Abs. 3 StPO , der sich auf § 349 Abs. 2 StPO bezieht, ergibt sich nichts Gegenteiliges. Die Vorschrift ist zwar erkennbar für den Fall geschaffen, in dem Staatsanwaltschaft und Beschwerdeführer nicht identisch sind. Es läßt sich aus ihr aber nicht herleiten, daß § 349 Abs. 2 StPO nur in dieser Fallgestaltung anwendbar ist. Durch die in § 349 Abs. 3 StPO geregelte Mitteilungspflicht wird lediglich der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gegenüber dem Beschwerdeführer gewahrt (vgl. BTDrucks. IV/178 S. 44).

Vorinstanz: LG Kassel, vom 14.06.2004
Fundstellen
NStR-RR 2005, 351
StV 2005, 596