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BGH - Entscheidung vom 25.08.2005

5 StR 255/05

Normen:
StGB § 32 Abs. 2

BGH, Urteil vom 25.08.2005 - Aktenzeichen 5 StR 255/05

DRsp Nr. 2005/14899

Erforderlichkeit bei Einsatz einer Schusswaffe

1. Vor Abgabe gezielter Schüsse auf den Körper des Angreifers muss der Einsatz der Waffe grundsätzlich zunächst androhen werden, insbesondere etwa durch einen Warnschuss.2. Diese Einschränkung des Notwehrrechts durch Begrenzung der Erforderlichkeit der Verteidigung bezieht sich auf jeglichen gefährlichen Einsatz einer Schusswaffe, nicht etwa nur auf einen mit (mindestens bedingtem) Tötungsvorsatz geführten.

Normenkette:

StGB § 32 Abs. 2 ;

Gründe:

Von den Anklagevorwürfen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung und gemeinschaftlich versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung hat das Schwurgericht die Angeklagten aus tatsächlichen, den Angeklagten C K im zweiten Tatkomplex auch aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Allein wegen unerlaubten Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe ist der Angeklagte C K zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 100 EUR verurteilt worden; dies betrifft die weitere Tatbegehung nach dem mit der Waffe vorgenommenen, gemäß tatgerichtlicher Auffassung durch Nothilfe gerechtfertigten Angriff auf den Nebenkläger.

Die - vom Generalbundesanwalt vertretene - Revision der Staatsanwaltschaft richtet sich mit der Sachrüge allein gegen die Freisprechung des Angeklagten C K im zweiten Tatkomplex; die Beschwerdeführerin, die insoweit auch die tatgerichtlichen Feststellungen angreift und die Aufhebung des Urteils begehrt, beanstandet die Annahme eines Rechtfertigungsgrundes und die Verneinung des Tötungsvorsatzes. Die Revisionen des Nebenklägers wenden sich mit der Sachrüge gegen die Freisprechung beider Angeklagter im zweiten Tatkomplex. Die Freisprüche der Angeklagten vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung im ersten Tatkomplex sind mithin rechtskräftig.

Hinsichtlich des Angeklagten C K haben die Revisionen einen Teilerfolg: Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen war das Tatverhalten dieses Angeklagten im zweiten Tatkomplex nicht gerechtfertigt. Dies führt insoweit zur Aufhebung des Freispruchs und zum Schuldspruch gegen diesen Angeklagten wegen tateinheitlicher gefährlicher Körperverletzung. Die weitergehenden Revisionen sind unbegründet.

1. Das Schwurgericht hat folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:

In den frühen Morgenstunden des 13. Mai 2004 verließen die Angeklagten, zwei Brüder, mit zwei Begleitern und zwei Begleiterinnen eine Diskothek am Kurfürstendamm in Berlin, vor der es zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen dem Nebenkläger und A K kam. Anlass waren vermutlich die Beziehungen der beiden Männer zu einer der Begleiterinnen. Nach Ende der Auseinandersetzung, in die C K und ein weiterer Begleiter möglicherweise schlichtend eingegriffen hatten, holte der Nebenkläger aus seinem Fahrzeug einen Teleskopschlagstock, mit dem er unvermittelt zunächst auf C K losging. Er hieb ihm mit dem Totschläger so kräftig auf den Kopf, dass dieser eine stark blutende Kopfplatzwunde davontrug. Anschließend schlug der Nebenkläger mit dem Totschläger auch auf A K ein, der seinem Bruder zu Hilfe eilte. A K, der von einem weiteren Begleiter unterstützt wurde, gelang es schließlich, dem wild um sich schlagenden Nebenkläger den Totschläger zu entwinden; zuvor hatte auch er eine Kopfplatzwunde durch einen Schlag des Nebenklägers erlitten. Eben zu diesem Zeitpunkt, als es A K gelang, dem Nebenkläger den Schlagstock zu entwinden, hob C K eine erlaubnispflichtige geladene Pistole vom Boden auf. Woher die Waffe stammte, etwa aus dem Pkw des Nebenklägers oder aus dem der Angeklagten, blieb ungeklärt. Da der Nebenkläger mit unverminderter Energie versuchte, A K den Schlagstock wieder abzunehmen, gab C K, um seinem Bruder zu helfen, in schneller Folge drei oder vier Schüsse ab. Der in der Waffenbenutzung ungeübte Angeklagte traf den Nebenkläger, obgleich er auf seine Beine zielte, im Lendenbereich und am Ellenbogen. Den Tod des Nebenklägers nahm C K bei Abgabe der Schüsse nicht billigend in Kauf. Mit dem Begleiter des Bruders flüchteten die Angeklagten anschließend, C K unter Mitnahme der Waffe, die er später in die Havel warf. Der Nebenkläger, der drei Steckschüsse im linken Flankenbereich erlitten hatte, überlebte nach mehrstündiger Notoperation. Auch er hatte im Rahmen der Auseinandersetzung eine Kopfplatzwunde davongetragen.

Allein wegen des der Schießerei nachfolgenden Führens der Waffe hat das Schwurgericht den Angeklagten C K verurteilt. Die Schussabgabe, mithin auch das Führen der Waffe hierbei, hat es hingegen wegen Nothilfe als gerechtfertigt angesehen. Irgendeine Mitwirkung des Mitangeklagten A K an den Schüssen hat das Schwurgericht nicht festgestellt.

2. Die Feststellungen des Schwurgerichts sind aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

a) Wie der Gesamtzusammenhang des Urteils ergibt, stehen die richterlichen Geständnisse der Angeklagten, die sich in der Hauptverhandlung nicht eingelassen haben, im Wesentlichen im Einklang mit den getroffenen Feststellungen. Eine nähere Wiedergabe des Inhalts jener Geständnisse war daher nicht unerlässlich.

b) Im Übrigen stehen die Feststellungen insgesamt im Einklang mit den Bekundungen mehrerer Augenzeugen, letztlich nicht einmal in wesentlichem Widerspruch zu den Angaben des Nebenklägers. Insbesondere ist die "Kampflage" in dem Moment, als C K auf den Nebenkläger schoss, ausreichend geklärt. Das Schwurgericht durfte sich für die Feststellung, dass A K zu diesem Zeitpunkt dem Nebenkläger den Totschläger bereits entwunden hatte, maßgeblich auf dessen eigene Angaben, mit denen er seinen Bruder ersichtlich nicht begünstigte, stützen. Gleichwohl dauerte der rechtswidrige Angriff des Nebenklägers auf A K, wie sich aus den Beobachtungen der Augenzeugen ergab, zu diesem Zeitpunkt fort. Die tatsächlichen Voraussetzungen einer Nothilfesituation waren mithin gegeben.

c) Auch die Annahme, dass C K lediglich mit Verletzungs-, nicht mit Tötungsvorsatz handelte, ist ausreichend belegt. Ein unbeteiligter Zeuge hatte ausdrücklich bestätigt, dass der Schütze lediglich auf die Beine des Nebenklägers gezielt hatte. Den Umstand, dass C K ersichtlich nicht bestrebt war, das Leben seines Bruders zu gefährden, und dennoch wiederholt Schüsse in Richtung der bewegten Personengruppe abgab, durfte das Schwurgericht ungeachtet der hohen Lebensgefährlichkeit dieses Verhaltens ausschlaggebend zur Annahme eines bloßen Verletzungsvorsatzes heranziehen. Sachlichrechtlich fehlerhaft ist diese tatrichterliche Beweiswürdigung nicht; zwingend muss sie nicht sein.

d) Die Freisprechung des Angeklagten A K unterliegt bei dem festgestellten Geschehen keinerlei sachlichrechtlichen Bedenken.

3. Indes fehlt es auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen für die Annahme des Rechtfertigungsgrundes der Nothilfe bezogen auf die Schüsse des Angeklagten C K an der Erforderlichkeit solcher Verteidigung (§ 32 Abs. 2 StGB ). Ungeachtet des heftig bewegten Tatgeschehens und der Vehemenz der Angriffe des Nebenklägers auch unmittelbar nach seiner Entwaffnung hätte der Angeklagte - insbesondere da die Einwirkungsmöglichkeiten des Nebenklägers zum gegebenen Zeitpunkt nicht mehr derart akut gefährlich waren - vor Abgabe gezielter Schüsse auf den Körper des Nebenklägers den Einsatz der Waffe zunächst androhen müssen, insbesondere etwa durch einen Warnschuss (vgl. BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 5 und 11, Verhältnismäßigkeit 2). Diese Einschränkung des Notwehrrechts durch Begrenzung der Erforderlichkeit der Verteidigung bezieht sich auf jeglichen gefährlichen Einsatz einer Schusswaffe, nicht etwa nur auf einen mit (mindestens bedingtem) Tötungsvorsatz geführten. Dass die Abgabe eines zweiten und eines dritten Schusses zur Verteidigung des angegriffenen Bruders nicht erforderlich war, liegt ohnehin auf der Hand. Die Feststellung des Schwurgerichts, der Nebenkläger habe auf die - schnell nacheinander abgegebenen - Schüsse zunächst nicht reagiert, setzt die Annahme mangelnder Erforderlichkeit der Verteidigung in der festgestellten Kampflage nicht durchgreifenden Zweifeln aus. Eine alsbaldige ungehinderte Flucht vom Ort des Geschehens war den angeklagten Brüdern und dem Begleiter unmittelbar nach Abgabe der Schüsse ohne weiteres möglich. Bezogen auf die zuvor gegebene Situation ist auszuschließen, dass ein kurzes Abwarten der Wirkung einer Androhung der Schusswaffenverwendung, insbesondere eines Warnschusses, dann auch des ersten Schusses, die Verteidigungssituation von A K maßgeblich gefährdet hätte. Anhaltspunkte, dass die Abgabe mehrerer Schüsse auf die Ungeübtheit des Angeklagten C K in der Handhabung der Waffe zurückzuführen sein könnte, sind nicht erkennbar.

4. Es ist nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe auch nicht ersichtlich, dass C K die für die Beurteilung der Erforderlichkeit der Nothilfe herangezogenen maßgeblichen Umstände nicht überschaut hätte. Ferner sind ernstliche Anhaltspunkte für eine schuldausschließende Notwehrüberschreitung sowie für einen Ausschluss oder eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten angesichts der getroffenen Feststellungen zu dessen psychischem Zustand während der Auseinandersetzung mit dem Nebenkläger - auch eingedenk einer gewissen Alkoholisierung und eigener Verletzungen - wie angesichts der Feststellungen zu seinem Nachtatverhalten nicht gegeben. Danach sieht sich der Senat nicht gehindert, auf der Grundlage der rechtsfehlerfreien Feststellungen des Schwurgerichts zum Schuldspruch auf gefährliche Körperverletzung, begangen mittels einer Waffe und einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB ), durchzuentscheiden. Die Tat ist entgegen der Auffassung des Schwurgerichts nicht gerechtfertigt und auch nicht entschuldigt; sie steht daher mit dem vom Schwurgericht allein ausgeurteilten Vergehen nach § 52 Abs. 1 Nr. 2 lit. b WaffG - wie angeklagt - in Tateinheit; das Führen der Waffe dauerte von ihrer nicht gerechtfertigten Benutzung bis zu ihrer Entledigung durchgehend an.

Dieser umfassenden Beurteilungsmöglichkeit des Revisionsgerichts bei der vorliegenden Fallgestaltung ist auch die Verteidigung des Angeklagten C K in der Revisionshauptverhandlung nicht entgegengetreten; der Verteidiger hat hilfsweise für den Fall, dass den Urteilsfeststellungen eine Rechtfertigung oder Entschuldigung dieses Angeklagten nicht zu entnehmen sei, eine Durchentscheidung auf einen Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung beantragt. Eine - durch Rechtsfehler im angefochtenen Urteil nicht veranlasste - Aufhebung der Feststellungen im Zusammenhang mit der Schießerei allein mit Rücksicht darauf, dass der insoweit freigesprochene Angeklagte C K das Urteil in diesem Punkt selbst nicht anfechten konnte, ist bei dieser Sachlage ausnahmsweise nicht veranlasst. Sie zöge die Beseitigung diesen Angeklagten begünstigender, rechtsfehlerfrei getroffener Feststellungen nach sich: So wurde ihm - im Einklang mit seiner früheren eigenen Einlassung - kein Tötungsvorsatz angelastet und eine Nothilfesituation bei Tatbegehung zugebilligt.

5. Für den vom Revisionsgericht erkannten Schuldspruch hat ein neues Tatgericht eine Strafe zu finden. Der Senat verweist die Sache an eine nach § 74 Abs. 1 GVG zuständige Strafkammer zurück. Neben der erneuten Anwendung des § 52 Abs. 6 WaffG wird auch die Annahme eines minder schweren Falles der gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 StGB , zweiter Halbsatz) im Blick auf die gegebene Nothilfesituation und eine Parallelwertung zu § 213 StGB , erste Alternative, nicht fernliegen. Auch wird auf eine in der Tatsituation selbstverständlich gegebene gewisse Einschränkung der Schuldfähigkeit Bedacht zu nehmen sein.

Bei der Straffindung ist das neue Tatgericht an die bislang rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen gebunden. Es kann lediglich ergänzende Feststellungen treffen, die den bisher getroffenen nicht widersprechen. Solche werden namentlich hinsichtlich der Verletzungsfolgen des Nebenklägers in Betracht kommen, eventuell auch für die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten C K .

6. Mit der Aufhebung des Freispruchs entfällt der Entschädigungsausspruch zugunsten des Angeklagten C K ; damit erledigt sich die insoweit eingelegte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft.

Vorinstanz: LG Berlin, vom 21.12.2004