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BGH - Entscheidung vom 16.02.2005

5 StR 531/04

Normen:
StGB § 21

BGH, Beschluß vom 16.02.2005 - Aktenzeichen 5 StR 531/04

DRsp Nr. 2005/3292

Eifersuchts- und Verfolgungswahn und verminderte Schuldfähigkeit

Ein Eifersuchts- und Verfolgungswahn kann bei Vorliegen ungewöhnlicher Faktoren die Annahme verminderter Schuldfähigkeit begründen, zumindest aber deren ausführliche Prüfung im Urteil erforderlich machen.

Normenkette:

StGB § 21 ;

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten und zur Schmerzensgeldleistung an den Nebenkläger verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat den aus dem Beschlußtenor ersichtlichen Teilerfolg; die Annahme erhaltener, lediglich nicht ausschließbar erheblich verminderter Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Tatbegehung hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.

1. Der Angeklagte, ein aus Israel stammender Student, stieß am 26. November 2003 einem Kommilitonen und Landsmann in dessen Berliner Studentenappartement von hinten ein mitgebrachtes, zuvor verborgen gehaltenes Messer in den Hals. Bevor das - schließlich schwer und lebensgefährlich verletzte - Opfer ihm das Messer entwinden und entkommen konnte, hatte der Angeklagte ihm noch weitere Messerstiche in die Brust und in den Oberarm versetzt.

2. Die Feststellungen zum äußeren Tathergang und zu den Verletzungsfolgen sind rechtsfehlerfrei getroffen. Die Einwände der Revision gegen die tatgerichtliche Beweiswürdigung sind offensichtlich unbegründet. Dies gilt für sich genommen auch für die Einwände gegen die Annahme des Tötungsvorsatzes und des Mordmerkmals der Heimtücke. Deren tatsächliche Grundlagen bedürfen indes wegen der engen Verwobenheit des subjektiven Tatbestandes mit der Schuldfrage neuer tatgerichtlicher Überprüfung. Die Urteilsaufhebung erfaßt mit dem Rechtsfolgenausspruch auch den Adhäsionsausspruch. Die Kostenbeschwerde des Angeklagten erledigt sich damit.

3. Die unter Berufung auf die Beurteilung des psychiatrischen Sachverständigen erfolgte Annahme erhaltener Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Tatbegehung unterliegt in ihrer bei den gegebenen Besonderheiten allzu knappen Begründung durchgreifenden Bedenken. Das Schwurgericht gelangt in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen lediglich zur Annahme eines "(nicht krankheitswertigen) isolierten Eifersuchts- und Verfolgungswahns", und zwar nach Aufzählung mehrerer Auffälligkeiten in der Person des Angeklagten. Die Ausführungen, hieraus ergebe sich hingegen "weder für sich genommen ein Krankheitsbild noch ein Anhaltspunkt für eine schizophrene Psychose", begründen die Besorgnis, das Schwurgericht könne die zahlreichen aus dem Urteil ersichtlichen ungewöhnlichen Faktoren in der Person des Angeklagten vor, während und nach der Tat bei seiner Bewertung nicht in die gebotene Gesamtbetrachtung einbezogen haben.

a) Auf die Besonderheiten hat der Verteidiger in seiner ergänzenden Revisionsbegründung zutreffend hingewiesen.

So stellten seit Sommer 2003 die damalige Partnerin des Angeklagten, sein Vater - ein Arzt - und Freunde des Angeklagten auffällige Wesens- und Verhaltensänderungen bei diesem fest. Bis dahin kontaktfreudig und ausgeglichen, zog er sich nun immer mehr mißtrauisch und verschlossen zurück. Seiner Partnerin gegenüber wurde er zunehmend aggressiv. Er äußerte die Wahnvorstellung, er werde in Berlin von einem "Netzwerk" verschiedener Personen, die sich gegen ihn verschworen hätten, beobachtet und ausspioniert. Die Tat zum Nachteil des Nebenklägers, eines mit ihm bis dahin gut befreundeten Landsmannes, beging der Angeklagte auf der Grundlage der Wahnidee, dieser habe mit seiner Partnerin ein Liebesverhältnis unterhalten.

Freilich sind dem Urteil auch Hinweise auf psychische Beeinträchtigungen des Angeklagten durch äußere Belastungen zu entnehmen. Sein Studium im fremdsprachigen Ausland mag ihn überfordert haben. Kurz vor der Tat hatte der Angeklagte durch die Nachricht von einer Trennung seiner Eltern eine psychische Erschütterung erfahren. Zuvor hatte er selbst sich von seiner Partnerin getrennt.

Der Geschädigte charakterisierte den Angeklagten unmittelbar nach der Tat als "verrückt" und "durchgedreht". Zur Tat gab der Angeklagte vom Gericht als konfus gewertete, geradezu absurde Erklärungen ab, indem er sie als Unfall mit anschließenden Selbstverletzungen des Opfers beschrieb. In der Hauptverhandlung nahm er dem Nebenkläger gegenüber eine im Urteil näher beschriebene ausgeprägt zwiespältige Haltung ein mit theatralischen Entschuldigungen einerseits, Beleidigungen und falschen Anschuldigungen andererseits.

b) Der Befund, es fehle an einem "Anhaltspunkt" für eine Psychose, ist hiernach trotz entsprechender - indes nicht näher begründeter - Bewertung durch den psychiatrischen Sachverständigen ohne nähere Erörterung nicht haltbar. In der Gesamtheit der beschriebenen Besonderheiten liegt fraglos der vermißte "Anhaltspunkt".

4. Die Schuldfrage bedarf danach neuer umfassender tatgerichtlicher Überprüfung; selbst eine Schuldunfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Tat läßt sich nicht mit letzter Sicherheit ausschließen. Nach § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO wäre das neue Tatgericht im Fall der Feststellung einer gesicherten erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten aufgrund eines stabilen psychischen Defekts nicht gehindert, eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB ) anzuordnen.

Vorinstanz: LG Berlin, vom 29.06.2004